Donnerstag, 26. Juni 2014

Der Gargano: Wälder, Grotten, Heilige.


Der Gargano beschäftigt mich, seit ich in einer Vorlesung hörte: dort, genau dort, sei im Mittelalter der Erzengel Michael erschienen. Nein, nicht irgendein abstraktes "Verbum dei caro factum est". Sondern richtig handfest: am 8. Mai des Jahres 492 erschien der Erzengel Michael dem Bischof von Siponto auf dem Monte Sant'Angelo. Punkt. Zack. So war das.


Es ist schon ein wunderbarer Ort, dieser heutige Wallfahrtsort. Keine der üblichen Wallfahrtskirchen, nein: was man über der Erde sieht, ist nur der unwesentliche Teil: Ganz hoch oben am Berg, den wir in Nebel und Regen über steile Straße erreichen, fast an der höchsten Stelle, führt in der Kirche ein langer, gewundener Gang hinunter in die eigentliche Grotte, wo die Erscheinung stattfand. Und die seit bald 1.500 Jahren ein Wallfahrtsort ist. Aber keiner der düsteren, sondern es ist irgendwie hell und licht. Generationen haben hier gebaut und gebetet: die Langobarden, die nach den Römern kamen. Dann Byzantiner. Ottonen. Danach Normannen. Dann Staufer. Anjou. Aragonesen. Königreich Neapel. Königreich beider Sizilien. Königreich Italien. Etwa in dieser Reihenfolge. Und alle haben ihre Spuren hinterlassen an diesem Ort.

Tja. Und was wäre Italien heute ohne Padre Pio? Der Heilige begegnet uns in Italien überall: kein Büro ohne sein segnendes Konterfei. Keine Bar, ohne dass er in meinen Espresso schaute. Kaum ein Auto, in dem er nicht mitführe. Kein Laden, in dem er nicht hinge. Und selbst die Milchlaster italienischer Provenienz, die sich auf deutschen Autobahnen bewegen, haben hinten drauf überlebensgroß sein Foto mit den segnenden Händen in Handschuhen. Kein Zweifel, er ist der populärste aller Heiligen. Gewirkt hat er nur ein paar Kilometer vom Monte Sant Angelo entfernt, in San Giovanni Rotondo. Hat ein Krankenhaus gebaut mit Spenden. Hat Johannes Paul II. sein Pontifikat vorhergesagt. Hatte Stigmata an Händen und Füßen, die er durch das Tragen fingerloser Handschuhe verbarg. Fiel aber auch durch erhöhten Phenolbezug beim Apotheker auf, was leichte Verätzungen verursacht. Ein anfechtbarer Heiliger. Aber die Kirche kam nicht umhin, ihn auf Druck von unten 1999 heiligzusprechen. Voila.

Bei der Durchreise durch Padre Pio's San Giovanni stellen wir fest, dass es diesem Örtchen - anders als im ganzen Gargano - doch wirtschaftlich recht erfreulich geht. Neubauviertel stößt an Neubauviertel, hier wird etwas geschaffen, bloß was? Auskunft gibt da Alessandro Maggiolini, Bischof von Como, der am Tag vor der Heiligsprechung Padre Pio's die Kommerzialisierung des Heiligen scharf kritisierte und der Zeitschrift "Repubblica" diktierte: "Jesus vertrieb die Händler aus dem Tempel. Aber ich muß feststellen, dass sie zurückgekehrt sind."

Und dann ist der Gargano auch der Ort der Foresta Umbra, eines großen geschützten Waldgebietes. Als wir es durchqueren, begegnen wir keiner Menschenseele, Sven meint, hier sei Fangorn und es würde mich auch nicht wundern, wenn vor uns gleich einer von Tolkien's Baummenschen über die Straße latschen würde. Nebelschwaden, Kurvenstraßen, Moose und Flechten, Baumriesen. Ein paar Rinder auf der Straße. Forresta Umbra. Kein Lokal weit und breit. Einsamkeit.


Und dann die Grotten. Das Meer hat sie aus dem Fels gewaschen, und meistens sind sie nur mit dem Boot erreichbar. Und wenn ich in einem früheren Beitrag schrieb, ich sei sicher, dass Odysseus an dieser Küste gesegelt sei: dann hat dies nicht nur mit den zahllosen Grotten hier zu tun. Wer segelt, stellt fest, dass der gute Homer voll ist von realen geografischen Orten, die er in seine Geschichten einbettete und die noch heute identifizierbar sind. Die Grotten des Gargano sind der Hintergrund für  die Grotte der Calypso. Und Kap Spartivento, wo alle fünf Minuten die Winde wechseln, ist der reale Ort für die Lügengeschichte vom Windsack, der die Heimkehr des Odysseus nach Ithaka verhinderte. Aber dies alles ist eine andere Geschichte.







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