Samstag, 27. Dezember 2014

Was vom Sommer übrig bleibt. Oder: Was ist Segeln, Teil II.


Zu leicht. Viel zu leicht vergesse ich: was vom Sommer, vom Segeln in diesem Jahr übrig blieb. Das Leben hier. Freunde. Familie. Das Weihnachtsfest. Es ist schön. Draussen liegt Schnee. Drinnen ist es warm. Das Zusammensein ist schön. Trotzdem.

Was vom Sommer übrig bleibt.

Da sind zunächst einmal Bilder.
Bilder von Orten, die ich besuchte, Gegenden, die zum ersten Mal sah.
Was bleibt: sind Begegnungen mit anderen Menschen. Kurze Momente im Hafen. Kleine Gespräche auf der Pier unterm Abendhimmel der südlichen Türkei. Oder irgendwo in der Stadt. Gesichter, die sich eingebrannt haben.
Was bleibt ist: die Erinnerung an Spektakuläres, was ich in mehr als 5 Monaten erlebte.
Was bleibt ist: Bilder, wie es ist, auf dem Meer zu sein.
Was bleibt ist: die Erinnerung an das Einfache. An das "nicht-alles-haben-können, aber-wohlig-zufrieden-mit-dem-sein, was-da-ist."

Was ist Segeln? Hier ein zweiter Versuch darüber. Und Vorschläge, wohin Ihre Segelreise in 2015 gehen könnte:

                                                                Weiterlesen bei: Was ist Segeln, Teil I. Hier.



1. Orte
Orte. Das sind bewohnte, besiedelte Orte. Dazu gehören legendäre Orte wie Venedig. Und fast ist es müßig, das zu sagen: Dass Venedig, obwohl ich es eigentlich von vielen Besuchen kenne, mich auf meiner langen Reise immer noch faszinierte.



Oder der Dom von Trani in Süditalien, an den ich mich seit Jahren erinnere und den ich immer wieder aufsuchen werde ob seiner Schönheit, direkt am Meer.


Aber auch Landschaften und Gegenden, die unbewohnt sind, gehören dazu. Die Lagunen von Venedig.

Die Einsamkeit und Gottverlassenheit des südöstlichen Peloponnes.

Die Schönheit des Klosters von Chozoviotissa auf Amorgos, in dem immer noch drei Mönche leben. Der Abt mit den zwinkernden Augen. Darüber werde ich im Januar berichten.

Der Berg Tahtali Dag in der südlichen Türkei. Der Berg der Götter oberhalb der antiken Stadt Phaselis. Der fast direkt am Meer von 0 auf 2.365 Meter ansteigt. Auf den ich Nachschauen ging und nichts anderes entdeckte als schneeige, schneidende Einsamkeit. Und eine überwältigende Aussicht.

Auf dem Tahtali Dag: Oben Schnee, unten Strand: Der von Kemer, zwischen den Drahtseilen der Seilbahn.


                                    Weiterlesen bei: Alle Artikel über Venedig. Wie man nach Venedig segelt. Wo  
                                                                       man in Venedig anlegt. Wen man in Venedig trifft. Hier.
                                    Weiterlesen bei: Mit der Segelyacht durch die Lagunen von Venedig. Hier. 
                                                                                                                                                Und hier.
                                    Weiterlesen bei: Auf Amorgos: Kloster Chozoviotissa. Hier. Ende Januar 2015.
                                    Weiterlesen bei: Der Dom von Trani. Hier.                                      
                                    Weiterlesen bei: Ankern vor dem Tahtali Dag. Der Berg der Götter. Hier.
                                    Weiterlesen bei: Auf dem Tahtali Dag. Hier. Ab Ende Januar 2015 




2. Begegnungen
Segeln ist Reisen durch Landschaften. Aber auch durch Menschen. Und so oft ich geneigt war, zu denken: "Eigentlich komme ich ganz gut ohne Menschen aus", so richtig ist genau das Gegenteil: Ich brauche die Menschen. Gerade, wenn ich auf dem Meer unterwegs bin.

Es sind die älteren Menschen, die es mir mit ihren Geschichten angetan haben. Die, die fast hinter sich haben, was die meisten noch vor sich haben. Die, die irgendwo am Meer ein kleines Geschäft betreiben, auch jetzt im Alter noch einer Tätigkeit nachgehen, obwohl sie eigentlich zu alt dafür sind. Die, die es im Alter geschafft haben, noch immer im Leben zu stehen, etwas zu wissen über die Menschen, weil sie immer mit Ihnen kommunizierten, im Laden, im Beruf, ein Leben lang.

So wie Slobo, der mir gezeigt hat, dass Sprache überwertet ist.

Wie Cirillo Marocco in seiner Ferramenta in Grado.

Wie die beiden Fischer aus Trani, die beiden schlauen Burschen.

Wie der freundliche Herr Dimitris in Korfu, der mit mir wortlos seine Seeigel teilte.

Wie Medine, die Wäscherin aus Finike, über die ich Mitte Januar berichten werden.


                                                                       
                                         Weiterlesen bei: Slobo. Oder: Sprache ist überbewertet. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Die Ferramenta des Cirrillo Marocco in Grado. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Saverio Pastor, der Meister der Fòrcola aus Venedig. Hier.
                                         Weiterlesen bei: Dimitris. Oder: Wie schmecken eigentlich Seeigel? Hier.
                                         Weiterlesen bei: Wie wäscht man eigentlich auf Langfahrt? Oder: Medine          
                                                                    bügelt einen blauen Schlafanzug. Hier ab 15.1.2015
                                         Weiterlesen bei: Alle Artikel lesen über "Menschen am Meer." Hier.




3. Das Vergangene.
Was bleibt: ist auch die Erinnerung an Vergangenes. An Menschen, die vor uns gelebt haben und auf deren Spuren ich fast überall auf meiner Route an den Küsten stoße. Es ist wie ein kostbares Buch, das sich manchmal vor mir öffnet und in dem ich nachlese: wie es früher, vor Jahrzehnten, vor Jahrhunderten, vor Jahrtausenden an diesem Ort war.

      Kopf eines römischen Händlers im sehenswerten archäologischen Museum von Antalya.

Es ist: als würden uns die Menschen über Jahrtausende ansehen, uns direkt. Zu uns sprechen. Mahnend. Wissend. Unendlich geduldig. Gütig. Und streng zugleich.

    Spätrömische Mosaiken in den Ruinen von Nikopolis, der Stadt des Augustus bei Preveza.

Und oft ist das, was von Ihnen blieb, nicht mehr als ein leises Mahnen. So wie in Patara. Wo die Gegenwart auf drei Epochen trifft: Das lykische Grab aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Das römische Stadttor aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Und die Ruinen aus der frühen Epoche der Islamisierung im 8. Jahrhundert.





4. Das Spektakuläre
Gelegentlich schleicht sich auch die Erinnerung an Spektakuläres ins Bild.

Die Erinnerung an MICOPERA TRENTA, das Kranschiff, das half, die COSTA CONCORDIA vor Giglio wieder richtig rum zu drehen. Und der mich in Ortona jeden Morgen weckte, als er mit dem Geräusch eines überdimensionalen Druckluftschraubers angeworfen wurde.

An die Gewitter, die ich unterwegs erlebte, vor Korfu. Vor Vieste.

An das langsame Gewitter, den Blitz über mir in der Gemiler Reede.

An die Wolkentürme über dem Meer. Aber damit sind wir dann schon bei m wichtigsten Punkt. Bei:


                                                       Weiterlesen bei: Der Kran, der die COSTA CONCORDIA wieder        
                                                                                                                      richtig rum drehte.Hier
                                                       Weiterlesen bei: Von schnellen Gwittern. Und von langsamen. Hier





5. Auf dem Meer.
Und dies sind die stärksten Bilder. Wie es war. Wie es ist auf dem Meer.


Wie es war mit Levje in den Lagunen von Grado. Und mit LEVJE auf der Fahrt durch die Lagunen von Venedig.

Die Erfahrung, einhand im Starkwind durch die Straße von Otranto zu Segeln, hinauszuschauen zu den Wellenkämmen und keine Angst zu spüren, sondern Freude.

Die Einfahrt in die große Bucht von Milos.

Die goldene Straße, die der Mond in der Bucht von Milos übers Wasser zeichnet. Genau auf LEVJE zu.

Die Ansteuerung von Antalya in der Abenddämmerung, hindurch zwischen anderen Frachtern.

Es sind einfache, ziemlich einfache Freuden, die das Leben lebenswert machen.


                                             Weiterlesen bei: In den Lagunen von Grado. Hier.
                                             Weiterlesen und Video schauen bei: Einhand durch die Straße 
                                                                                                                           von Otranto. Hier.
                                           


6. Simple Things.
Überhaupt ist es das Einfache, was die Schönheit des Segelns ausmacht. Das Einfache, was einen intensiven Eindruck hinterlässt. Zwei Festmacher, die nach zwei, drei einfachen Windungen jeder Belastung durch Wind und Welle standhalten.

    ... wie heißt doch der Knoten gleich wieder?

Die Einfachheit, mit der ich meine zwei, drei Dinge an Bord von LEVJE staue.


Die Einfachheit des äußeren Lebens. Zum Beispiel auf dem großen Markt jeden Samstag in Finike. Aber wären wir dazu auch fähig, auf Dauer?

                   
                                                     Weiterlesen bei: Was für einer ist das denn? Mit Knoten ist es wie
                                                                                                                                  mit Menschen. Hier.
                                                     Weiterlesen bei: Ein Schiff, um fünf Monate damit zu Segeln. Hier.
                                                     Weiterlesen bei: Was kosten fünf Monate Segeln im Mittelmeer. Hier.





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Donnerstag, 18. Dezember 2014

Was ist eigentlich Segeln? Teil I.

Eine meiner schönsten Aufnahmen, was Segeln ist, entstand vor einigen Jahren vor der Insel Skarda. Das große Türkis gehört dazu. Die Weite. Die Stille. 
Für die einen ist es das Nonplusultra. Das, wofür sie leben, auch wenn sie im täglichen Leben etwas ganz anderes machen. Und fest im Leben stehen. Vor vielen Jahren las ich die Geschichte eines Chirurgen, dessen Tochter sagte: "Eigentlich hat mein Vater nur fürs Segeln gelebt. Für die Stunden auf dem Wasser. Er hat seinen Beruf geliebt. Und seine Familie. Aber gelebt hat er nur für die Stunden auf dem Wasser."

Wie leicht kann jeder die Bilder dieses Sommers in sich wachrufen, jetzt, wo die Dunkelheit der Nacht am längsten und der Tag nicht über ein kurzes Grau hinauskommt. Damit ich nicht vergesse. Die Bilder, die ich oft in quälend langen Meetings wachrief: Das Türkis des Meeres im Juli, das oft in ein Grün übergeht, bevor der Regen einsetzt. 
Damit ich nicht vergesse.
Segeln ist: Im Niedergang sitzen und dem Regen zuschauen. 
Segeln ist: Auf dem Vordeck in der Sonne liegen, Musik hören, während LEVJE im Wind schwoit. Segeln ist: das Sieben-Uhr-Abendläuten an einem Sommerabend ankernd in der Bucht von Cres. Der Frieden im Hafen von Antalya, ein Glas kalten Weiswein in der Hand, nach einem langen Segeltag. 
Segeln ist: Nachts in LEVJE's Koje leicht in den Schlaf gewiegt werden. Ein schwereloses Schaukeln. Und Einschlafen im leisen Geplätscher an der Bordwand. 
Segeln ist: Neugierig hinter jede Huk schauen wollen, immer weiter. Fahren wollen, immer weiter. Segeln ist... 

Damit ich nicht vergesse:  



Segeln ist:
Herausfinden, was man im Leben wirklich braucht.
Was man nicht braucht. 

Die Einfahrt nach Grado in der Nordadria am Morgen.

Als ich die ersten 10 Wochen auf dem Meer unterwegs war, schrieb ich einen Beitrag darüber, was ich brauche. Und was ich nicht brauche. Es waren überwiegend einfache Dinge, die im Gegenzug zu vorher plötzlich Bedeutung hatten. 
Meinen Hut. Als Schutz vor sengender Sonne. 
Die Flasche Wasser in der Juli-Hitze. 
Das Ipad, auf dem ich meine gesamte Navigation mache. Und weil es meine Verbindung zur Welt ist. Und noch einige Sachen fielen mir ein. Aber es waren alles sehr, sehr einfache Dinge. 


Das Leben wird auf verblüffende Weise einfach, man braucht kein Buch mehr zu lesen mit dem Titel "Simplify your Life". Denn das Leben wird einfach, auch in den paar Wochen, die man als "Jahresurlaub" auf dem Meer verbringt. Es ist, als ...


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Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.



                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

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... würden Leinen von uns abfallen, die uns in diesem Augenblick hierhin zerren. Und im nächsten dorthin - aber selten in die Richtung, in die WIR ursprünglich eigentlich mal wollten. Das Gezerre: es hat ein Ende. Beim Segeln.




Segeln ist: 
Wir. Und die Elemente.

    Sich aufbauende Gewitterwolken über der südlichen Türkei. Wie man Gewitter erkennt,
    darüber schrieb ich in einem früheren Beitrag:

19. Dezember 2014. Ein Tag irgendwo in einem wohlhabenden Land mitten in Europa:
Es ist schwierig, die Kräfte und Mächte zu verstehen, die an diesem Tag in diesem Land auf mein Leben einwirken. Und vor allem: mein Leben sehr dominant bestimmen.
Die Elemente, die Jahrtausende unser Leben bestimmten, haben wir gezähmt. Scheinbar. Der Winter macht uns keine Angst mehr. Ein Gewitter nehmen wir in unserer zentralbeheizten, vollgedämmten Wohnung kaum noch wahr. Ein trockener Sommer, der früher Hunger verhieß, bringt uns nicht um. Was früher sichtbar Einfluß hatte auf unser Leben ist heute gebändigt. Es zeigt nur gelegentlich die Krallen: Tsunamis, Taifune, Orkankatastrophen, die kennen wir nur mehr aus dem Fernsehen. Was früher unser Leben bestimmte: es ist weg.

Aber vor allem: Es wurde ersetzt durch Kräfte und Mächte, die wir nicht mehr sinnlich erfahren. Und schlimmer noch: nicht mehr verstehen. Warum hat der Zug heute früh schon wieder eine halbe Stunde Verspätung? Und schmeißt meinen Tag um? Ein Aufsichtsrat nickt die Entscheidung seines Vorstands ab, diese oder jene neue Firma zu gründen. Oder dieses oder jenes Produkt massiv in den Markt zu drücken. Was ist das, "Aufsichtsrat"? Hat es ein Gesicht? Kann ich es beschimpfen, gar ohrfeigen, wenn ich wütend bin? Irgendeines Unternehmens Werbekampagne weckt den Wunsch in mir, dieses oder jenes sofort zu bestellen, zu kaufen, "haben" zu wollen. Kenne ich dieses Unternehmen? Na klar, sagen wir: "ich kenne die Marke". Aber kenne ich meine Beweggründe, warum ich dies, das, jenes jetzt haben will? Und: wenn ich anfange, in dem Brei, "Marke" genannt, herumzukratzen, auf den Boden des Topfes schauen zu wollen: was bleibt dann? Am Boden des Topfes oft nicht mehr als die leere Begriffe. "Umsatz", "Shareholder Value", "Wachstum", "Rendite" haben kein Gesicht.

Nein, die Kräfte, die bestimmend auf unser Leben einwirken, sind nicht mehr zu verstehen. Anders als früher Gott, haben sie kein Gesicht. Sie sind zu vielfältig geworden. Es ist zu komplex geworden.


Für den, der segelnd auf dem Meer unterwegs ist, reduziert sich die Undurchschaubarkeit dessen, was unser Leben bestimmt, ganz erheblich: "Nordwest 4-5 mit Seegang 2." Dies ist die Kraft, die heute meinem Segeltag bestimmt. Segeln schärft den Blick, für das, was unser Leben bestimmt. Und was wirklich in diesem Leben wichtig ist.

Klar gibts auch da Unvorhergesehenes: LEVJE's Kühlwasserpumpe, die plötzlich mitten in den Wellen den Motor warnend pfeiffen läßt, weil sie den Geist aufgibt. Der Meltemi, der halt nicht als "Nordwest 4-5", sondern als "6-7" daherkommt. Oder eine leichte Lebensmittelvergiftung, die mich flachlegt. Oder ein Hafenmeister, der vor LEVJE austickt.


Wir beherrschen die Kräfte, die unser Leben bestimmen, auf dem Meer ebensowenig wie die Kräfte an einem x-beliebigen Tag in dem wohlhabenden Land mitten in Europa. Der Unterschied ist: auf dem Meer verstehen wir die Kräfte, die auf unser Leben wirken. Wir sehen sie. Wir können sie sinnlich erfahren. Wir können uns auf sie einstellen. Wir verstehen sie. Fast zu 100%. Sie sind einfach. 
Und vielleicht ist es das, was uns auf dem Meer sagen läßt: "Das Leben ist hier draußen so wunderbar einfach."

                                                 Weiterlesen bei: Wie man Gewitter frühzeitig erkennt. Hier.
                                                 Weiterlesen bei: Reden wir mal über die Angst. Hier.
                                                 Weiterlesen bei: 5 Monate Segeln - was hat mir das gebracht? Hier.
                                                 Weiterlesen: Über den grollenden Hafenmeister von Peschici und       
Segeln ist: 
"Da wird eine Taste gedrückt. 
Und ein Urprogramm beginnt unweigerlich in uns abzulaufen."


Für manchen ist Segeln auch ein bisschen Hassliebe. Eigentlich ist für sie ihr Leben, das sie am Land leben, vollkommen in Ordnung. Es passt alles. Alles ist gut. Und im Lot.

Aber wehe, wenn sie auf dem Meer unterwegs sind: Dann ist alles anders. Der Blick in die Weite. Der leichte Wind, der besänftigend durch die Alltagsklamotten streicht. Das sanfte Wiegen auf dem Wasser. Dann wird etwas aufgerufen. Etwas wachgeküsst. Etwas, was mir Richard, ein alter Segler auf einem meiner ersten Törns mit den Worten des Ingenieurs und Erfinders, der Richard im Leben nun mal war, so erklärt hat: "Es ist, als wären wir ein Kassettenrecorder: Am Meer wird in uns eine Taste gedrückt. Und ein Lied oder ein Software-Programm, dass seit Urzeiten in uns einprogrammiert ist, beginnt zu laufen."




Segeln ist:
"Das dümmliche Grinsen."


Gelegentlich kommen, wie auf meiner fünfmonatigen Reise von Triest nach Antalya, auch Menschen aufs Boot und begleiten mich ein Stück. Freunde, die schon mal mitgesegelt sind. Meistens nehme ich jemanden mit, Freunde, Kollegen, weil ich denke, dass wir uns etwas zu sagen haben. Ich stelle mir vor, dass ich gerne mit Ihnen einen Abend in der Bucht verbringe: Dass wir gemeinsam abends Gedanken übers Leben lustvoll & locker drehen und wenden, so wie eine Auberginenscheibe in Mehl und Ei, bevor sie in die Pfanne kommt. Manchmal sind es Menschen, die ich gut kenne. Und die das Segeln kennen. Manchmal sind es Menschen, die ich kaum kenne. Denn am liebsten nehme ich Menschen mit, die eigentlich noch nie gesegelt sind. So wie Andreas, der mich in diesem Sommer begleitet hat vom Peloponnes bis Milos. Es hat mich immer gereizt, Menschen mitzunehmen, die noch nie gesegelt sind. Darüber, wie man vorher rausfindet, ob Segeln etwas für jemanden ist, ob er seekrank wird oder nicht, schrieb ich bereits in meinem Beitrag über das Segeln mit Nichtseglern.

                                                                                         Weiterlesen bei: Segeln mit Nichtseglern. 7  
                                                                                                                    Tipps.... 

Um herauszufinden, ob sich jemand beim Segeln auf dem Boot wohlfühlt, gibt es einen einfachen Dreh: Sind die Leinen los, sind wir vom Liegeplatz weg, sind wir draußen unter Segel, dann drücke ich demjenigen einfach LEVJE's Pinne in die Hand: "Halt mal kurz." Ganz absichtslos.


Für den, der noch nie gesegelt ist, ist die Pinne ein totes Stück Holz. Ein Fremdkörper. Etwas, das so verkehrt in der Hand ist wie 15 Regenwürmer. Aber oft stellt sich auf dem Gesicht desjenigen etwas ein, was ich "das dümmliche Grinsen" nenne. Konzentration. Entspannung. Freude. Darüber, wie sich das Schiff, LEVJE, anfühlt, wenn man sie durch die Wellen steuert. Wie sich LEVJE leicht auf die Seite neigt und beginnt, mit leicht wiegenden Bewegungen durch die Wellen zu gleiten, zu schnüren wie ein Fuchs, der im Schnee konzentriert einer Fährte folgt. Dreieinhalb Tonnen, die sich, schwer wie ein 31-Fuß-Stahlcontainer, doch leicht wie eine reinweiße Feder vom Wind fortwehen lassen.  Ein leichtes Grinsen im Gesicht. Ein Konzentriertsein auf das Schiff, auf LEVJE, und wie sie auf leichte Bewegung der Pinne reagiert. Es ist viel, was sich in so einem Moment auf dem Gesicht desjenigen abspielt. Aber das "dümmliche Grinsen": es ist unübersehbar. Es kündet von Glück. Und davon, dass hier eine(r) angekommen und am richtigen Platz ist.



Segeln ist: 
"Meinen Ort finden."

Sulu Adasi, die Insel Sulu: eine Tagesreise südsüdwestlich von Antalya gelegen.
Segeln: das ist für mich meinen Ort finden. Nein, keinen bestimmten geografischen Ort auf der Landkarte, den man einfach nur finden müßte, weil man dann dort, ja nur dort: glücklich sein, sein Glück finden könnte. Nein, darum geht es nicht. 
Der Ort, um den es geht, ist ein anderer: Der Ort ist: "Wer bin ich in der Welt?" Denn so merkwürdig es ist: auf dem Meer weiß ich das. Denn die Wellen und vor allem eine vergessene Insel wie Sulu, sie liegt eine halbe Tagesreise südlich Antalya, die ordnen mich ein in die Welt. Sie betten mich ein in den Kosmos. Und ich verstehe plötzlich, wenn der Anblick von Sulu mir sagt: Du bist zwar ein unendlich kleines Teil im Getriebe der Welt. Unendlich mikroskopisch klein in den Jahrmillionen, die es brauchte, um dieses Inselchen so zu schaffen, wie es heute unbewohnt, vergessen, gleichgültig im Meer liegt. Und doch: Du bist. Ein Teil des Ganzen. 

    Tonscherben auf Milos: Hier begann vieles - und vielleicht liegt hier sogar der Ursprung allen 
    Handels: bei den Obsidiansammlern von Milos vor 5.000 bis 6.000 Jahren.

Um dies zu verstehen, ist es notwendig, kurz in den westlichen Teil des Mittelmeeres zurückzukehren, nach Capraia nördlich von Elba. Es war in der Bar Massimo auf Capraia, wo ich vom Tod meiner Großmutter erfahren hatte. Sie war gestorben in ihrem 97. Jahr, genau einen Tag nach ihrem Geburtstag und wenige Tage, nachdem ich sie ein letztes Mal besucht hatte. Ein paar Monate, nachdem sie, wie mancher alte Mensch es tut, einfach beschlossen hatte, nichts mehr zu sich zu nehmen. Und wie ein alter Elefant ins Dickicht zu gehen, allein, um sich zum Sterben niederzulegen, irgendwo. Sie hatte mehrere Wochen nichts mehr zu sich genommen, war in ein Dämmer hinübergeglitten, irgendetwas zwischen Schlaf und Ohnmacht, aß nicht mehr, trank nicht mehr, sprach nicht mehr, reagierte nicht mehr. Nur noch ihre geliebte Tasse Bier, die ließ sie sich von mir ein paar Tage vorher zum Mund führen.

Als ich von ihrem Tod erfuhr, war ich traurig. Traurig, weil sie nicht mehr da war, traurig, weil wir das, was wir gemeinsam hatten, unsere Begegnungen nun wirklich und endgültig Vergangenheit und vorbei waren. In dieser Stimmung waren wir um Korsika herum unterwegs. Ich hörte abends im engen Hafen von Bastia den überwältigenden Klang der Kirchenglocken. Und dachte an meine Großmutter. Wir umsegelten die Südspitze von Capraia, da wo lange Steinreihen aus wer weiß welchem urgeschichtlichen Erdzeitalter sich die kargen Hänge hinaufziehen, eine Steinreihe neben der anderen, ein Stein nach dem anderen: als hätte hier ein uraltes Volk einen Kultort hinterlassen. Ein Denkmal, bei dem alle unsere Vorfahren, unsere Ahnen, zu Stein geworden, aufgereiht stehen. Einer nach dem Anderen. Vom ersten Bakterium, mit dem alles begann, über jeden, jeden einzelnen, der daraus entsprang und danach kam, bis hin zu mir. Eine lange, lange Reihe. Vor mir. Keiner auch nur denkbar ohne den davor. Ohne all jene davor, die notwendig waren, um diesen einen hervorzubringen. Und das Leben weiterzugeben.

    Sie lebten am Gargano in Italien, bis die Römer sie verdrängten. Sie hatten keine Schrift.
    Und stellten sich selbst auf Steinplatten als Vogelmenschen dar: das rätselhafte Volk der
    Daunier.

In diesem Augenblick auf Capraia fühlte ich, wie stark diese Verbindung ist, ich stellte mir die Gesichter all derer vor, die meine Vorfahren waren: Sammler, Jäger, Bauern die meisten. Männer und Frauen. Bettler, Königinnen, Heilige, Mörder waren sicher darunter. Priester und Pestkranke. Mönche und Magnaten. Bauern und Betschwestern. Und Sänger und Säufer. Bei mir, bei jedem von uns. Wir sind die Summe, das Endergebnis einer unendlich langen Reihe von Lebewesen, von Menschen. Manchmal, wenn ich in dem wohlhabenden Land mitten in Europa gerade nicht weiß, wer ich bin: dann stelle ich sie mir vor: die lange Reihe der Lebewesen, die nötig waren, um mir das Leben zu geben. Mir die Fackel in die Hand zu drücken. Und jetzt bin ich der, der gerade die Fackel trägt. Und sie weitergeben wird.

Und dies ist, was mir oft das Reisen auf dem Meer vermittelt: Meinen Ort in der Welt. Winzig, winzig klein, und unbedeutend wie die karge unbewohnte, die vergessene Insel Sulu. Und doch ein Teil des großen Ganzen. Verbunden mit allem. Im weiten Meer.


                                             Weiterlesen bei: Die rätselhaften Vogelmenschen der Daunier. Hier.
                                             Weiterlesen bei: Die Obsidiansammler von Milos. Hier.





                             Jetzt lesen: 
40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.





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Donnerstag, 11. Dezember 2014

Mare Più macht ein Buch. Über Segeln im Gewitter. Mit Erfahrungen derCommunity für die Community.


Das Cover unseres ersten Buches, das ab März 2015 als eBook erhältlich sein wird.

Im Gewitter Segeln ist Extremerfahrung. Innerhalb Minuten auftretende Starkwinde, Böen mit über 60 Knoten, Platzregen, Hagel, Null Sicht. Für Minuten. Für Stunden.

                                                    Weiterlesen bei: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.
                                                    Weiterlesen bei: Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?
                                                    Weiterlesen bei: Ankermanöver im Gewitter.

Gewitter trifft jeden auf dem Meer im Lauf eines Seglerlebens. Niemand ist davor gefeit. Es gibt kaum eine andere Situation, in der es derart auf seglerisches Können, eigene Instinkte und gute Seemannschaft ankommt. Und Glück. 

Wer kann, meidet Gewitter. Wer durchsegeln muss, ist auf sich selbst angewiesen. Denn: Jedes Gewitter ist anders. Es gibt wenig Regeln dafür. Es gibt kaum Informationen. Es gibt viele Halbwahrheiten.

Und: Es gibt kein Buch dazu, weder im Deutschen noch im Englischen.

Unser erstes Buch, das wir in unserem heute gegründeten Verlag millemari. herausbringen, will diese Lücke schließen. Es wird ein ungewöhnliches Buch sein, das im März 2015 erscheint, in vielerlei Hinsicht:
Es wird nicht aus der Feder des EINEN Experten stammen.
Es wird sehr viel Know-how beinhalten.
Es wird kein trockenes Fachbuch sein.
Hier berichten Segler für Segler von ihren Extremerlebnissen.
Ihr Wissen, ihre Erfahrungen helfen auch Dir durchs nächste Gewitter.

Wir sammeln die Geschichten von Seglern, die Gewitter auf See erlebt haben. Die Erfahrung mit den vielfältigen Folgen und Schrecken haben, die ein Gewitter auf See mit sich bringt. Wir suchen das, was Segler zu sagen haben über das Phänomen Gewitter. Wir suchen die Erfahrungen aller Segler. Um sie allen Seglern zur Verfügung zu stellen.

Wir beide, Susanne Guidera und ich, sind leidenschaftliche Segler. Und erfahrene Verlagsleute. Wir haben den Ehrgeiz, ein völlig neues Werk zu machen, das zunächst als eBook erscheinen wird. Ein Werk, das eine Community für sich selbst schreibt.

40 Segler haben bereits ihre Geschichten zugesagt. 30 davon haben ihre Beiträge bereits abgegeben. Das Cover ist fertig. Mindestens 14 weitere Autoren suchen wir noch. 
Hast Du da Draußen etwas Außergewöhnliches erlebt? 
Etwas, das Du jedem anderen Segler ans Herz legen würdest, wenn er in ein Gewitter hinein segelt?
Ein ungewöhnliches Erlebnis im Gewitter auf See?

Dann: Zeig's uns! Schreib uns. Wir wollen nur Dein Allerbestes: Dein allerbestes Erlebnis im Gewitter auf dem Meer.

Schicke uns unter Nennung Deiner Mail- und Postanschrift ein Mail mit dem Stichwort "GewitterSegeln". Wir antworten. Mit allem, was Du wissen musst, um einen gelungenen Beitrag für unser Buch GEWITTERSEGELN zu schreiben.

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Mittwoch, 10. Dezember 2014

Unter Segeln: Von schnellen Gewittern. Und von langsamen.

Ein Blitz über Gemiler Reede. Gut erkennbar sein gleißender Entstehungsort ganz oben, dort, wo sogar Regen und Nässe aufgrund der gewaltigen Hitze zu verdampfen scheinen.
Gewitter gibt es verschiedene. Gewaltige Gewitter, solche, an die man sich noch nach Jahren und Jahrzehnten erinnert. Und leichte. Laute und leise. Solche, die schnell heranziehen. Und schnell gehen. Und solche, die langsam kommen. Und lange bleiben.

In Gemiler-Reede - ich schrieb über die Insel, auf der Sankt Nikolaus gelebt hatte - wollte ich eigentlich nicht lange bleiben. Aber weil die Ecke so faszinierend ist, blieb ich drei, vier Tage. 

                                                                      Weiterlesen bei: Gemiler Reede. Oder: Sankt Nikolaus.

All die Tage hatte es rundum gegrummelt. An dem Tag besonders. Hohe Quellwolken bauten sich über den Nachmittag auf. Oben, ganz oben auf der Insel, dort: wo eine der ersten von fünf Kirchen errichtet wurde, wo der heilige Nikolaus gelebt hatte.

Wieder einmal erkennt man auf dem obigen Bild gut, wie sich "Wolken höher als breit" bilden, vor allem oben rechts im Bild. Ein Warnsignal. 

Dazu am frühen Abend erste dunkle Wolken, über der Kirchenruine unten. Ich ruderte über die Bucht zurück zu LEVJE. Die schaukelte friedlich an ihrem Ankerplatz, ich hatte eine Landleine 

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ausgebracht, nur eine. Teils aus Faulheit, teils aus Überlegung: Wenn ich raus müßte mitten in der Nacht, weil der Anker schlechter hält als die eine Landleine, dann käme ich schneller weg.



Es grummelte. Im Norden, hinter den Bergen. Es grummelte auch noch, als die Sonne unterging, und erste Blitze das dämmrige Grau hinter den Bergen erhellten. Aber immer noch war alles friedlich. So friedlich, dass ich ganz gemächlich LEVJE's Bimini aufstellte, um Cockpit und Niedergang vor dem Regen zu schützen. Meinen abendlichen Rundgang an Deck machte. Gemütlich in die Bucht schaute. Und hinauf in die grummelnden Berge. Dämmerung. Kein Anlaß zur Sorge.

Leichter Niesel setzte ein. Leicht, ganz leicht. Mir fiel die alte Regel ein. Ein Kinderreim fast, aber so geht er:

"Kommt der Regen vor dem Wind, Skipper birg die Segel geschwind.
Kommt der Wind vor Regen: Skipper kann sich Schlafen legen."

Eine Warnung. Wenn es vor dem ersten Windstoß zu regnen beginnt: dann wird's heftig. Ich fragte mich, ob das auch fürs Mittelmeer gilt. Aber die Antwort kam. In Gestalt des Gewitters, das langsam, unendlich langsam über die Berge im Norden hinunter zur Gemiler Reede kroch.

Der erste Windstoß. Nicht arg. Ein Lüftchen eher, der Böencharakter nur daran erkennbar, dass die Windrichtung nicht die rechte und gleich wieder eine andere war. Kalte Luft. Die Landleine spannte sich, triefte, als sie aus dem Wasser kam. Der Regen wurde härter. Die Böen setzten wilder ein, und Blitze zuckten durch die Nacht. Doch diesmal auf unserer Seite der Berge. Das Gewitter war da. Die Blitze. Nah. Ziemlich nah.



Oft im Gewitter - vor allem draußen auf See - ist der Blitz das, was aller Augen und Emotionen auf sich zieht. In ihm stecken Gewalten, die wir uns nicht vorstellen können. Natürlich ist der Einschlag eines Blitzes das Schlimmste, was einer Yacht passieren kann. Blitze so wie der, den ich in dieser Nacht auf dem ersten Foto ganz oben festgehalten habe.

Kaum jemand weiß: wie eine Yacht nach dem Einschlag eines Blitzes aussieht. Halten die Wanten? Gibts unten, unter Deck, da wo der Mastfuss sitzt und der Blitz wieder hinausfährt, ein großes Loch? Wie übersteht man es, wenn in meternahem Umkreis 10.000de Volt Strom durch Leitungen jagen, die dafür nicht gemacht sind? Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden.

Ich dachte an meine schwäbische Großmutter. Sie fürchtete in ihrem Leben nichts und niemand. Sie hatte fünf Kinder großgezogen, allein. Hatte heimlich für Juden gearbeitet während des Krieges. Ihren Mann rausgepaukt, als der im Wirtshaus zu laut über die Nazis schimpfte. Und am Tag später mit Haft bedroht wurde. Nur eines fürchtete sie: Gewitter. 
Ihre bewährte Ausrüstung dagegen: 1 Kopfkissen. 1 Wetterkerze. 1 Weihwasser-Fläschchen. 1 Rosenkranz. Wenn Gewitter war, dann zündete sie im Fenster die schwarze Wetterkerze an. Zog sich das Kopfkissen über den Kopf. Und betete den Rosenkranz herunter, unter gelegentlichem sich-besprengen mit einem Schuss Weihwasser. Wir Kinder fanden es urkomisch.


Die Blitze in dieser Nacht waren nah am Boot. Blitz und Donner fielen zusammen, beides in ein und demselben Augenblick. Schläge, bei denen ich unwillkürlich den Kopf einzog. Sehr laute Schläge. Der Regen wurde heftiger. Der Wind kam von den Bergen und trieb den Regen genau in den Niedergang. Blöde Landleine. Hätt' ich LEVJE doch lieber schwojen lassen. Dann läge sie jetzt im Wind. Und ich säße trocken in meinem Niedergang...

Teilweise war der Wind so heftig, dass die Riemen meines Dinghis - ich hatte sie neben den Seezaun gelegt - über Bord geweht wurden. Irgendein merkwürdiges Geräusch hatte mich den Kopf aus dem Niedergang stecken lassen. Ich spurtete los, um meine Ruder zu retten, die brav in Lee genau an der Bordwand trieben. Zu hoch. Also auf den Bauch gelegt, längelang, dahin, wo vorher die Riemen lagen. Und jetzt daumendick das Regenwasser übers Deck rann. Tropfnass, von einem Moment auf den Anderen. Jetzt bin ich schon nass, ich schau gleich noch, ob der Anker vorn hält...

Triefend wie meine Landleine erreichte ich meinen Niedergang, durch den die Böen immer noch die Regenschwaden trieben. Regen am Meer ist einzigartig. Aber in der südlichen Türkei einfach beeindruckend. Ich suchte mir im Donnern trockene Klamotten. Und zündete mein Petroleum-Licht an. So, wie meine Großmutter ihre Wetterkerze.


Das Gewitter dauerte eineinhalb Stunden. Es stand genau über der Bucht. Es bewegte sich kaum. Es schepperte noch nahe am Boot, als ich mich irgendwann schlafen legte. Irgendwann wird man zu müde, vom langen Aufpassen. Und schließlich: wir lagen ja vor Anker. Der hielt.


Am nächsten Morgen war die Welt friedlich. Nur ein paar graue Fahnen am Oktoberhimmel zeigten, dass die Nacht davor irgend etwas anders gewesen war, über Gemiler Reede. 



                                                                      Weiterlesen bei: Ist es gefährlich, im Gewitter zu Segeln?
                                                                      Weiterlesen bei: Ankermanöver im Gewitter.



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