Dienstag, 20. September 2016

Einhand über die Adria: Von Italien nach Kroatien. Palagruza.

Sechs Segelstunden von Italien und von den kroatischen Inseln entfernt: Palagruza taucht am Horizont auf.

Gibt es das wirklich? Gibt es unter den Inseln des Mittelmeeres eine, die vollkommen unbesiedelt ist und fernab liegt? Nein, nicht einfach nur ein unbesiedeltes, unbehaustes Eiland, das man allenthalben achtlos passiert wie in Kroatien oder Griechenland oder der Türkei? Sondern eine Insel, irgendwie weit weit weg von allem? Wo man vollkommen unerreichbar ist? Eine Insel, irgendwie aus Raum und Zeit und Handynetz gefallen?

Zwar kenne ich die Küsten Nordafrikas und ihre Inseln nicht. Die einzige Insel im Mittelmeer, die mir dazu einfällt und die das alles in sich birgt, die am Ende der Welt liegt, ist Palagruza.

Palagruza kennt jeder Segler dem Namen nach, der im Mittelmeer unterwegs war. Dort gewesen ist kaum einer. Wer im langen Winter vom nächsten Segelsommer träumt, wer in klirrend kalten Januarnächten daheim im Hafenhandbuch schmökert oder sehnsuchtsvoll den Finger über die Seekarte an der Wand gleiten lässt, kennt Palagruza.

Palagruza, nicht mal Stecknadelkopf groß, ein Pünktchen in der Seekarte:
Auf halbem Weg von der italienischen Gargano-Halbinsel zur kroatischen Insel Vis.
Palagruza: Die Insel dort liegt, wo eigentlich gar nichts anderes mehr sein dürfte als nur noch Wasser. Sie liegt mitten in der Adria, wo sie nicht sein dürfte. Ein langer Felsklotz mit nichts anderem drum rum. Das rückt Palagruza in die Liga der wirklich einsamen Inseln. Wie Tristan da Cunha zwischen Afrika und Brasilien mitten im Atlantik. Wie St. Helena. Wie die Amsterdam-Inseln auf halbem Weg zwischen Kapstadt/Südafrika und Hobart/Australien. Eine Insel inmitten von Nichts und Nirgendwo. So eine ist Palagruza.















Meine Reise beginnt an diesem Tag im September morgens um halb fünf in Vieste, dem Hafen ganz im Osten Italiens außen am Sporn des Gargano. In der Dunkelheit tuckert LEVJE aus dem kleinen Hafen. Noch im Hafenbecken, das  etwas tückisch ist, weil nach Süden und Osten um die Leuchtturm-Insel zu voll unmarkierter, unbetonnter Flachs und Untiefen, setze ich im Dunkel das Groß, was sich als richtig erweist. Denn kaum dass wir die Mole erreichen, setzt netter Westwind ein, wo sonst eher Nordwest oder Nordost blasen. Nun also Wind aus West. Ein seltenes Glück. Halber Wind, der uns in der Morgendämmerung schnell nach Norden und von Italien weg schiebt. Zum Glück. Denn über dem Gargano steht, wie seit Tagen schon, die große Gewitterzelle. Und sorgt keine zwei Stunden später dafür, dass Vieste hinter uns in einer dichten Regenwand verschwindet.

Der Westwind setzt kraftvoll ein und kommt anfangs mordswichtig daher. Keine eineinhalb Stunden später ists auch schon wieder vorbei mit dem Spektakel. Noch ein Häuchlein von drei Knoten ist übrig, was im Dunkel 22 Knoten war. Flaute. Also Motor an. Und losgeöttelt mit 4,7 Knoten Richtung Norden, Richtung Insel Vis.

Kurz nach Mittag taucht dann Palagruza am Horizont auf. Genau genommen besteht Palagruza aus vier Inseln: Vela Palagruza, das "große Palagruza". Mala Palagruza, das "Kleine Palagruza" und zwei, drei kleinere Inselchen. Klippen. Überspülte Riffe.



Vela Palagruza, die Hauptinsel, erstreckt sich über fast eineinhalb Kilometer, kaum 300 Meter breit. Eine breite Felsbank, die wie ein Riegel von Ost nach West daliegt und die Weiterfahrt nach Norden zu den kroatischen Inseln einfach versperrt. Ein Leuchtturm steht an der Westspitze der Insel auf einem Felskegel in fast 100 Meter Höhe. Den Leuchtturm erbauten um 1875 die damaligen Herren der Insel, die Österreicher, bevor die Insel 50 Jahre später an Yugoslawien kam. Man kann ihn auf zweierlei Arten erreichen, nämlich zu Fuß vom Kiesstrand die steile Treppe hinauf. Oder noch auf eine andere, spannende Art: Während ich mit LEVJE die Felsbank entlang motore, langsam, langsam, denn die Seekarte ist alles andere als genau und vor der Insel liegen gemeine Untiefen, entdecke ich unterhalb des Leuchtturms zwei Stahldrähte, die einfach parallel in ein Meter Abstand vom Grund des Meeres zum Fuß des Leuchtturms auf 100 Meter steil emporsteigen. Ein einfacher Stahlkorb, der daran hängt -  das Ganze ist eine einfache Seilbahn vom Meeresspiegel aus, die den Leuchtturmwärter gewagt, doch weniger schweißtreibend als die lange steile Treppe nach oben an seinen Arbeitsplatz bringt.

Die Landungsstelle. Ein kleines Kiessträndchen, das ebenfalls steil ansteigt. Keine Menschenseele. Nur ein paar Boote. Drei Bojen, die in der Dünung schaukeln. Der Strand des Papstes. Wer weiß denn schon, was Papst Alexander III. am 9. März des Jahres 1177 bewog, genau hier seine Flotte päpstlicher Galeeren Halt machen zu lassen. Trinkwasser? Gabs hier nicht. Verrichtung der Notdurft? Geht vom Galeerenheck besser. Romantik? War noch nicht mal erfunden, ebensowenig wie Burn-out. Er unterbrach hier seine Reise. Genau im Jahr seines Triumphes über den Deutschen Friedrich Barbarossa, der keine zwei Monate später im Norden unterliegen sollte.

Palagruza, 2016: Oben Im Leuchtturm kann man sich einmieten, lese ich im Internet: Ein Zimmer, ein Bad. Mindestens vier Ferienwohnungsvermittler bieten Palagruza an: "Wegen der Entfernung zur Zivilistation ist keine Verpflegung möglich... Auf Palagruza wird Ihnen eine besondere Möglichkeit geboten: Seien Sie für zwei Wochen Robinson, erholen Sie sich von der Zivilisation, geniessen Sie die Einsamkeit, finden Sie zu Ihrem neuen Selbst." Ob wir dem wirklich begegnen möchten? Das Ganze ist jedenfalls für die letzte Septemberwoche schon für 490 Euro zu haben. Danach: Ist Palagruza für fünf Monate nicht mehr zu buchen. Obwohl mit einem Klima wie Kreta ausgestattet, ist es wohl die Überfahrt, die in den harten Wintermonaten nicht mehr zu garantieren ist. Wer dort ist, kommt nicht mehr weg. Palagruza ist irgendwie ungezähmt.

Mala Palagruza, das "kleine Palagruza"

Vorsichtig motore ich wieder zurück, nach Osten. Ich versuche, die Durchfahrt zwischen Vela Palagruza und Mala Palagruza zu nehmen. Die Seekarte verzeichnet hier zahlreiche Klippen und Steine, nach zehn Minuten Herantasten breche ich den Versuch, dort hindurchzukommen, ab. Nicht, weil es unmöglich wäre. Sondern weil mir zum Navigieren in diesem Gebiet ein zweiter Mann fehlt, der vom Bugkorb aus einen sicheren Weg durch die Untiefen weist. Hier auf Grund zu laufen, mit meinem Schiff Bruch zu bauen, wäre fatal. Handy-Abdeckung ist hier draußen längst keine mehr, obwohl oben auf der Insel ein Mast aufragt. Im Falle eines Missgeschicks wäre ich ganz allein auf mich gestellt. Ich bin hier in echter Einsamkeit. So scheint es jedenfalls.

Manchmal schreibt das Meer Inszenierungen, die kein Buch, kein Oscar-gekrönter Film, keine Bühne zustandebringen könnte. Beschert Momente von unglaublicher Kraft und Schönheit. Keine hundert Meter weiter entdecke ich zwischen den Felsen ein winziges Schlauchboot. Ein Mann sitzt darin, nur einer, mit großem Strohhut. Der Himmel weiß, wie er sein kleines graues Schlauchboot vertäut, verankert hat am Grund in 10, 20 Meter Tiefe. In der Einsamkeit der Klippen sitzt der Mann mit dem Strohhut auf seinem Schlauchboot und hält eine Angel seelenruhig in der Hand. Sein Gefährt kippt und wippt in den Wellen. Er sieht nicht einmal zu mir herüber, unbeirrt blickt er in dem kleinen wackligen Gefährt auf die Wasseroberfläche, dorthin, wo seine Schnur in die Tiefe führt. Der Fischerkönig am See. Unwillkürlich denke ich an dieses Bild aus dem Parzival Wolframs von Eschenbach, in dem der unerfahrene rote Ritter zum ersten Mal dem einsamen Fischerkönig auf dem See begegnet, ihn aus der Ferne beobachtet. Der Fischerkönig in seinem Boot, allein draußen.

"Einen er im Schiffe sach,
den het an im alsolch gewant,
als ob im dienden elliu lant."

[Einen sah er auf dem Schiff,
der war gekleidet
als wären ihm alle Länder Untertan]

Anfortas, der wissende, Anfortas, der verwundete Alte, der den Jungen auf die Probe stellen wird. Und der Junge, der versagt, weil er vergisst, die eine Frage zu stellen:

"Herre, wie wiret iuch?"
[Herr, was ist Euch geschehen?]

Langsam gleitet LEVJE weiter nach Osten, Richtung Landspitze, vorbei an überspülten Klippen und Felsen. Vorsichtig halte ich Abstand, folge der 30-Meter-Tiefenlinie, die hier keine 100 Meter von den Felsen der Insel läuft. Als ich mich nach einer Weile umdrehe, ist das Schlauchboot mit dem Mann unter dem Strohhut verschwunden. So wie die Burg Montsalvaesche, als Parzival sie am Morgen verlässt.

An der Ostspitze dann etwas, was aussieht, wie eine geschützte Ankerbucht. Soll ich? Eine Nacht auf der einsamen Insel? Ankern zwischen steil aufragenden Felsnadeln? Nein. Wer weiß, wie das Wetter wird. Und zudem: Ich habe mich nicht ordentlich abgemeldet daheim. Wenn ich mich heute Abend nicht melde, dann heißt das Schindluder treiben mit den Gefühlen derer, denen ich meine Ankunft auf der kroatischen Insel Vis für heute Nacht angekündigt habe.

Nein. Ich lege Ruder Kurs Nord, Richtung des 60 Seemeilen entfernten Vis. Das ich heute irgendwann um Mitternacht erreichen werde. Der Fischerkönig, der wird mich weiter begleiten.




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Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  

Sonntag, 16. Oktober 2016 20.15 Live im Kino
im Rahmen der Allgäuer Filmkunstwochen
im Filmhaus Huber, Bad Wörishofen.



Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015







Montag, 12. September 2016

Einhand durch die Adria: Die gar nicht so einfache Südadria.



Eine Blitz in einer Gewitterwolke über der nächtlichen Kathedrale von Trani. Ein eindrucksvolles Schauspiel. Aber wenn die Gewitterwolke Tag um Tag an derselben Stelle steht und Mann und Schiff für Tage im Hafen hält, nicht mehr so lustig.


Schon häufiger war ich in der Südadria unterwegs. Wenn man sie von Norden überqueren würde, schrieb Rod Heikel einmal in einem seiner Hafenhandbücher, könne man eine Kaffeetasse auf dem Salontisch abstellen. Sie würde - so sagt er sinngemäß - nicht umfallen. Tatsächlich ist es von Nordwesten kommend ein angenehmer Kurs. Der im Sommer vorherrschende Maestrale schiebt einen aus Nordwest die Küste hinunter nach Südost. Die Strömung hilft mit: Sie setzt in der Adria auf der Ostseite die griechische, albanische, kroatische Küste hinauf nach Norden, um in gleicher Richtung, nämlich an Venedig vorbei die italienische Ostküste wieder hinunterzuströmen. Glücklich also, wer auf dem Weg nach Süden ist. Aber meistens unerfreulich, wenn man in den Norden der Adria unterwegs ist.

Meistens merkt man von dieser Strömung gar nichts. Gelegentlich aber schon. Ich war zeitig am Morgen in Monopoli aufgebrochen (ja, den Ort gibts tatsächlich. Aber leider hat er versäumt, sich frühzeitig irgendwelche Namensrechte zu sichern. Also ist Monopoli - ein nettes Städtchen. Und gänzlich ohne Schloßallee [G]), ein Maestrale wehte von dort, wo ich hin wollte, ich beschloß, weil Wind und Wetter schön waren, aufzukreuzen nach Norden, denn mit LEVJE’s 19-PS-Motörchen, dem braven YANMAR 2GM20, ist schlecht anzuötteln gegen Wind und Strom. 

Bis zur ersten Wende alles wie gehabt. Die Segel zogen, der Wind wehte, der Wendewinkel war normal. Aber als ich nach einer Viertelstunde auf dem iPAD meinen Kurs nachverfolgte, stellte ich plötzlich fest, dass ich genau wieder dorthin zurücklief, wo ich herkam. Wendewinkel 150 Grad statt der üblichen 100.

Ich hatte das Segel im Verdacht. Beäugte ganz kritisch mein Großsegel. Aber das zuckte nur unschuldig dreinblickend mit den Schultern. Die Genau stand ganz brav. Und hatte auch keine Ahnung, was los war.

Meine Gedanken schlugen einen anderen Weg ein. Vielleicht habe ich ja verlernt, zu segeln?Vielleicht klebt unter LEVJE ja gerade ein Riesenkalmar? Und sorgt mit träge wehenden Tentakeln genau unter mir dafür, dass wir statt Zickzack immer nur hin- und her fahren. Einen Moment lang überlegte ich wirklich, ob ich so blöde sein sollte, und jetzt auf dem Bauch liegend unter LEVJE nachsehen sollte. Nein.Ich verwarf den Gedanken, schielte aber weiter trotzdem mißtrauisch ins Wasser. Hab ich bei Homer was überlesen? Scylla und Carybdis und …? Noch irgendwo ein Riesenstrudel?

Ich kam nicht drauf. Es wurde nur nach jeder Wende übler. Glück hatte ich, weil irgendwann der Wind einschlief. Und die Stunde von LEVJE’s Motörchen schlug. Ich ließ die Segel stehen. Wir öttelten fröhlich dahin, der Geschwindigkeitsmesser im iPAD zeigte … Moment mal: Ich fahre stramme 2.200 Umdrehungen, und wir machen nur 3,7 Knoten?? Wieder schoss mir der Gedanke vom Riesenkalmar durch den Kopf. Ich geh jetzt wirklich nachsehen. Nein, Blödsinn.

Bis mein Blick auf meine gute alte Logge fiel. Eigentlich beachte ich meine richtige Logge, die gute alte Dame, sie so gut wie nie. Weil das IPAD dank GPS die echte Geschwindigkeit über Grund angibt, ist das iPAD die Nummer eins. Die Logge im Schiffsbauch misst ja nur die Fahrt durchs Wasser (also mit welcher Geschwindigkeit das Badewasser unter LEVJE entlangpritschelt). Aber eben nicht: wie schnell wir über Grund sind. Aber diesmal war der Blick auf beide Instrumente interessant:

Das iPAD pendelte wzischen 3,7 und 4,0.
Die Logge zeigte 5,5 Knoten - als fast 2 Knoten mehr.

Schnell gin ich auf Gegenkurs. Jetzt war es fast umgekehrt: Auf Südkurs zeigte das iPAD 5,9 Knoten (!). Die Logge aber nur mehr 4,5 Knoten.

Des ersten Rätsels Lösung: Die besagte Strömung. Sie setzte auf dem offenen Meer an diesem Tag an der Küste zwischen Monopoli und Bari mit fast zwei Knoten (!) nach Südosten. Und sorgte durch die Abdrift für einen niederschmetternden Wendewinkel. Und mein auf der Stelle treten.

Liebevoll betrachtete ich meine beiden Segel. Und murmelte leise ein „Tschuldigung.“



Sie steht einfach tagelang über dem Land: Kaum am Morgen aus dem Hafen raus, bleibt auch die Gewitterzelle einfach hinter uns liegen.


Das Vorwärtskommen nach Norden gestaltete sich weiter schwierig. Neben mancherlei Scherzen wie „gegen den Strom“ hielt mich in Trani drei Tage schlechtes Wetter fest. Starker Nordost. Gewitter, Platzregen. „Mare brutto“, sagte Cinzia, der kleine Feger, die in Trani einen Yachtservice betreibt und sich um alles kümmert, was ein Segler braucht. Von Fotopapier bis Waschsalon, von Leihwagen bis Gasflasche füllen. Nur am Wetter: Da konnte Cinzia nichts ändern. 

Aber solange man dann auch vernünftig ist und brav im Hafen bleibt: Irgendwann ist Schluß mit der Warterei. Und Cinzia hin, Wetterbericht her: Irgendwann treibt es einen aus dem Hafen. Vergangener Donnerstag also. Ein bisschen Wetterbesserung in Sicht. Jedenfalls kein Dauerplatzregen mehr über Trani. Und wenig Wind.

Morgens um halb sieben aus dem Hafen. Statt wie vorhergesagt Windstille erfreuliche 5 bft auf nüchternen Magen aus West. LEVJE spurtete los, Kurs Ostspitze Gargano. Halber Wind. Aber so schnell er gekommen war, so schnell war er auch wieder weg. Plötzlich fand ich mich mit schlagenden Segeln in einem Wellenschwippschwapp wieder, Wellen, als würde Poseidon gerade ein neues Strickmuster für seine Wellen ausprobieren. Zwei links, eine rechts, und dann drei von überall.

Des zweiten Rätsels Lösung: Keine Viertelstunde im Schwippschwapp setzte ein vehementer Nordost ein. 5-6 bft. mit steiler Welle von vorn. Ich reffte, was zu reffen war - und setzte mich selber an die Pinne. Und lernte mein Schiff von einer ganz neuen Seite kennen: Was für ein kraftvoller Renner sie bei 5-6 bft. sein kann. Aus meiner Sorge, die Wellenberge könnten überhand nehmen, wurde purer Spaß, ich steuerte Stunde um Stunde, bis der im Weg liegende Felsrücken des Gargano nicht mehr zu übersehen war. Und ich wenden musste.

Aber da war dann etwas anderes nicht mehr zu übersehen, weil es sich in meinem Rücken, im Südosten zusammengebraut hatte.



Eine heftige Regenfront zu meiner Rechten. Sie wurde schwärzer. Und schwärzer.


Sie wurde solange schwärzer, bis sogar das Meer sein faszinierendes Türkis aufgab, das für die Gewässer rund um den Gargano so typisch ist, und zu einem rußig-schmutzigen Grün wurde. Rabenschwärze über meinen kleinen Schiff und mir. Und dann pladderte es los, wie es nur am Meer pladdern kann.


Ich freue mich ja immer über Regen unter Segeln im Mittelmeer. Alles ist warm. Und wenn es schwerer Platzregen ist, dann ist der Regen so stark, dass er die ewig hackigen Seen wie auf dem Foto einfach im Nu platt drischt. Schluss mit Kreuzseen. Schluss mit Schwippschwapp. Ich kroch unter LEVJE's Bimini in den Niedergang, ließ den Motor laufen. Und schaute dem heftigen Regen aus dem Trockenen zu, durch den mein Schiff unter Autopilot lief, zu.

Nach zehn Minuten war alles vorüber. Fast. Das Wetter stand grau an Backbord, vor uns die Sonne, Nur etwas links von uns, da wo die Wolken am Schwärzesten waren, ragte vom Himmel ein dünner Schlauch herunter, ganz nach unten. Und wirbelte dort wie ein Staubsauger das Wasser auf:

Etwas oberhalb der Bildmitte erkennbar: Ein feiner dünner Schlauch. Eine Windhose. Und rechts darunter genau auf der Kimm aufgewirbelte Wassermassen, die der sich drehende Rüssel in die Luft wirbelt. 















































Eine Windhose - eine "Tromba d'Aria". Dies Jahr ist mein Jahr der Jahr der Windhosen. Schon vier, fünf Mal bekam ich welche zu Gesicht. Und gut ist eigentlich nur, dass sich die Teile - dies ist jedenfalls meine Beobachtung, ob es stimmt, weiß ich nicht:
a) relativ langsam bewegen und sie
 b) sich halbwegs mit der Zugbahn des Unwetters bewegen. Und nicht unberechenbar hin und her springen. 

Wenige hundert Meter hinter dem ersten bildete sich noch ein zweiter Sog, nur erkennbar an der aufgewirbelten Wasseroberfläche, aber beide fielen nach wenigen Minuten in sich zusammen.

Der Rest des Tages bis zur Ostspitze des Gargano, bis nach Vieste? Sommersegeln unter makellos blauem Himmel.

War da irgendwas?



Und was sind die Learnings aus diesen Geschichten?

1. Strom ist meist zu vernachlässigen. Es gibt Gegenden, da kann er eine Rolle spielen.

2. Die Südadria ist - ähnlich wie Kroatien oder oder die nordöstliche Adria - ein gewitterreiches Revier.

3. In Gegegnden, in denen schmale Landmassen große Meeresteile trennen - Italiens Stiefelspitze, Stiefelabsatz, Gargano - ist mit besonderen Wetterphänomenen zu rechnen wie Gewitter, schnell sich ändernde Winde, intensivere Wellen-Entwicklungen.



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Was man braucht, um sich richtig im Gewitter zu verhalten:
mein Buch über Gewitter - geschrieben von 40 Seglern: 



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Weiterlesen über Gewitter hier auf MARE PIU: 



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Montag, 5. September 2016

24 Stunden auf dem Meer. Einhand über den Golf von Tarent.




Nebel, der am Morgen nach meinem langen Schlag vom Festland herüberweht. Apulien, wie man es nicht kennt.

Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann. Hier draußen ist nie ein Tag wie der andere. Langeweile war mir zwar von je her fremd, ich kannte sie nie. Aber das Meer, es überrascht jeden Tag, als würde ich durch eine fremdartige, andere Welt reisen. Kein Tag ist wie der andere. Kein Schlag ist wie der vorige. Und weil das so ist, möchte erzählen von meiner Reise über den Golf von Tarent nach Nordosten, um den Absatz des italienischen Stiefels herum.


110 Seemeilen. 24 Stunden. Von Le Castella/Crotone nach Castro/Lecce.
Als Pino mir am Vortag den reparierten Bugkorb bringt, fängt die Arbeit an. Burgkorb wieder einbauen. Seereling dranschrauben. Deck klarieren. Werkzeug aufräumen. Halb elf Uhr Abends bin ich fertig, ist der letzte Schraubenschlüssel wieder an seinen Platz geraümt. Noch eine schnelle Dusche unter dem Schlauch auf der Mole von Le Castella westlich von Crotone. Ein Bier. Ab ins Bett.

Am Morgen bin ich mit einem Satz aus dem Bett, checke den Wetterbericht, sehe, dass ich draußen noch etwa sechs Stunden fünf Windstärken vorfinde. Und dann eine Woche lang - kein Wind mehr. Flaute. Also beschließe ich, auszulaufen. Und die Gunst des Windes zu nutzen, dass er mich vielleicht zumindest ein Stück meines Weges über den Golf von Tarent, das Stück zwischen Sohle und Absatz des Stiefels trägt.


Und er pustet kräftig los, kaum dass ich um Capo Rizzuto herum und aus dem Windschatten bin. Da sind sie, die 5 bft., ich reffe, beigedreht, während ein Frachter vor der Küste hinter uns vorbeiläuft. So schön, so kräftig der Wind auch ist: Statt nach Nordosten, zum Stiefelabsatz hin zieht er uns jetzt nach Osten, raus aufs offene Meer. Und nicht hinüber, zum Stiefelabsatz.


Dann also: Hinaus.


1. 
Samstag. Badezeit. Im Nirgendwo.



Es ist Samstag Abend. Ich bin weit draußen auf dem Meer.  Etwa 100 Kilometer südlich des Stiefelabsatzes. Und 30 Kilometer östlich des Punktes, wo die Sohle des Stiefels anfängt. Es ist 19.30, Ende August. Die Sonne ging eben unter. Vor einer Stunde ist der Wind eingeschlafen. Und mit ihm haben sich die hackigen Wellen Schlafen gelegt, nur hin und wieder platscht noch Schwell an LEVJE's Heck, lässt sie energisch stampfen, wie ein kleines Frauenzimmer, dem was nicht in den Kram passt. 
Ich stelle LEVJEs Motor ab. Einen Moment will ich die Stille hören. Will nicht mehr mit LEVJEs beruhigendem Bullern durch die Wellen ziehen. Sondern mich einen Agenblick in den Elementen fühlen. Ganz allein. Verloren in der anderen Welt, rings um mich herum, die so viel größer und weiter ist als unsere kleine Welt.

Es kostet Überwindung, den Motor abzustellen. Und nur noch die Stille zu hören draußen, weit weit entfernt vom Land.
Was, wenn er nicht mehr anspringt? 
Wenn sich die Stille plötzlich nicht mehr abstellen lässt darurch, dass sich der Motor in der Dunkelheit bullernd anstellen lässt? Es herrscht Flaute, für die nächsten Tage... 
Ich verwerfe den Gedanken. Zu groß ist die Verlockung, die Stille zu hören. Und jetzt an dieser Stelle ins Meer zu hüpfen.



Die Stille. Ich stelle LEVJEs Motor ab. einen Moment gleitet sie noch weiter, einfach weiter, als hätte Gottes großer Finger sie angestupst, ihr Schwung verliehen. Sie gleitet, wird langsamer. Dann: 100, 200 Meter weiter bleibt sie einfach liegen. Schaukelt leicht in der Dünung. Kein Wind. Nur ein bisschen Dünung. Die Stille - hier draußen ist sie, weit weit entfernt von allem. Ich kann sie hören. 

Wenn nur das Großsegel in der Dünung nicht so erbrämlich flappen und schlagen würde.

Wenn nur die Wellen LEVJE's Heck nicht so zum Stampfen brächten.

Die Stille. Sie erinnert mich an manchen Spaziergang im frühen Winter, wenn der erste Schnee fällt. Oft ging ich in den Wald, nur um die Stille zu hören. Das feine Rieseln, das leiste Zischeln, wenn feuchter Schnee auf Fichtenzweige und Waldboden fällt. Und der feuchte Schnee alle anderen Geräusche wegdämmt.

Hier draußen auf dem Meer ist das ähnlich. Kein Geräusch. Eine Stille, die sich wohlig auf die Ohren legt. Nur mein Großsegel klappert elend. Aber das Geräusch kann man ausblenden. Und sich ganz auf die Stille konzentrieren.



Es kostet etwas Überwindung, hier ins Meer zu steigen. Unter mir sind etwa 1.739 Meter Wassersäule. Wer weiß, was unter mir alles herumschwimmt, jetzt wo die Sonne schon untergegangen ist. Als ich LEVJEs Leiter hinuntersteige, bin ich überrascht, wie warm das Meer hier ist. Eigentlich hatte ich erwartet, der Nordost, der seit frei Tagen hart wehte, hätte alles umgekrempelt, Tiefenwasser hochgespült und Oberflächenwasser nach unten, das unterste zu oberst gekehrt. Aber nichts da. Das Meer fühlt sich einfach nur warm an wie Badewasser an.

Die ersten Schwimmzüge. Weit schwimme ich nicht weg von LEVJE. Ein Windhauch hier draußen  könnte sie von mir wegtreiben, wer weiß, wie ich dann wieder zurückkäme, zur Leiter, aufs Schiff. Die Geschichte von den vier Yachties, die weit draußen ins Meer sprangen, ohne die Badeleiter herunterzuklappen. Wie endete sie?

Nein. Hier endet mein Mut. Ich bin nicht so verrückt, mein Glück zu versuchen. Schwell, der plötzlich auf LEVJE’s Heck zuläuft, wieder ein Stampfen, mit dem sie sich gegen die großen Wellen wehrt. Schnell zur Leiter.

Plötzlich lässt sich meine Funke hören. Italienisch, irgendein Boot-zu-Hafen-Gespräch auf Kanal 16. Ein Funkspruch, aus dem 100 Kilometer entfernten Santa Maria di Leuca. Wenn ich so weit draußen bin, lasse ich das Funkgerät mitlaufen. Wer weiß, ob man es nicht schnell braucht, es muss zur Hand sein sein, wenn ein Frachter partout auf einen zuhält, würde ich versuchen, ihn anzurufen. So schnell wie das Funkgerät zu quäken beginnt, ist es auch wieder still. 

Während ich mich dusche und abtrockne, lausche ich weiter auf die Stille. Ich bin glücklich. Jetzt, Hier. Genau an diesem Ort. Und ich versuche zu ergründen, warum. Welcher Winkel meiner Seele mir genau hier an dieser Stelle einen Dopamin-Ausstoß beschert. 100 Kilometer entfernt vom Stiefelabsatz. Und 30 Kilometer vom nächsten Land.



Und während ich mich freue, über die Stille, während ich noch meinen Gedanken nachhänge, ein Brummen in meiner Welt. Über den Wassern. Weit im Norden. Wie das einsame Brummen eines Flugzeuges am Herbsthimmel. Irgendwo hinter dem Klappern meines Riggs, irgendwo verborgen in der Weite, im Dunst, in der Stille ein friedliches Brummen. Ein Frachter. Seine weißen Decksaufnauten kommen eben über die Kimm, er ist sich er zwischen fünf und zehn Meilen entfernt und kriecht langsam in meine Richtung.

Erstaunlich. Nun bin ich doch wirklich in der anderen Welt - ist man denn nirgends mehr allein? Natürlich: Die Wegstrecke südlich des Golfes von Tarent ist viel befahren. Hier zieht allerhand vorbei, was von West nach Ost und Ost nach West will.


Trotzdem. Alles gut, soweit draußen. Das Leben ist schön an Orten, wo man es niemals für möglich gehalten hätte.




































2.
Leben. Im Dunkel.

Natürlich sprang der Motor nicht auf Anhieb an. Neuerdings hat er die Eigenart, wenn er warm gefahren ist, zwei, drei, vier Drucke auf den Anlasserknopf zu benötigen. Weil sich bei den ersten Knopfdrücken einfach - nichts tut. Es dauert bis zum Dritten, bis der Anlasser die Kolbe kurz bewegt. Und der Motor anspringt.

Aber die Geschichte erzähle ich jetzt nicht, welche Gefühle einen beschleichen, wenn soweit draußen bei Windstille der Motor sich nicht mehr meldet, nicht anspringt. Als hätte man es geahnt.

Nein. Lieber erzähle ich jetzt eine Geschichte von langen Nachtwachen. Wenn es dunkel ist, stockdunkel, weil selbst der Mond sich nicht blicken lässt, dann ist es wirklich so, dass das Boot einfach nur ins Zappenduster hineingleitet. Ein bisschen Rotgrüner Schimmer, vom Buglicht im Bugkorb voraus. Das war es. Zu sehen ist da nichts mehr. Kein unbeleuchtetes Bojenfeld vor einem. Kein treibender Gegenstand. LEVJE strebt durch die Dunkelheit auf einem Kurs, auf dem der Autopilot sie hält. Ich bin nur Beobachter, kontrolliere hin und wieder das Geschehen, ob alles seine Richtigkeit hat. Sonst: Lausche ich den Geräuschen des Dunkels auf dem Meer. Der Schwell, der von irgendwoher heran rollt und mein Schiff unruhig werden lässt wie eine Pferd, das durchgehen will. 

Ein Fußball treibt bleich vorbei, ganz nah, in der Dunkelheit. Sicher hat ein Kind ihn am Strand verloren, der Wind treibt ihn nun seit drei Tagen immer weiter nach Süden, auf eine lange Reise.

Ob ich anhalten, ihn holen soll? Ich verwerfe den Gedanken. Irgendwo tief in LEVJE's Backskiste liegen schon zwei Fußbälle, die ich gerettet habe. In Griechenland. Der Türkei. Nein, nicht noch einer. Lassen wir den Ball unbehelligt seine Reise tun.

Leichte Wellen, von irgendwoher, die Schaumkronen hinterlassen, wenn LEVJE durch sie hindurchgeht. Und immer, immer war es, als würde neben mir, dort, wo die Bugwelle seitlich wegstrebt, irgendetwas achmatzend atmen. Wie oft hörte ich das, neben mir. Es war, wie das Atmen eines Delphins. Ein kurzes den Rücken durch die Oberfläche drücken. Ein kurzes Öffnen des Atemlochs. Ein Luftholen. Ein wieder-weg-sein. Gesehen habe ich nie etwas. Die Einbildung, von einem Lebewesen begleitet zu werden: Sie gehört zu den langen Nachtwachen dazu.

Nur diesmal war es anders. Das vertraute Atemholen im Dunkel: Es war wieder da. Links neben dem Boot, in der sich brechenden Bugwelle, seitlich vom Boot. Vorne. Dann wieder seitlich. Ein weißer Schemen irgendwo in den bewegten Wellen. Ich fass' es nicht: Ein Delphin, der mit uns schwimmt, kurz nach Mitternacht, als hätte er nichts anderes zu tun, als sich mir mitten in diesem mondlosen Dunkel zu zeigen.

Er schwimmt seitlich. Er schwimmt vorne. Deutlich sehe ich den weißen Schatten, der mal neben, mal vor uns schwimmt. 'Delphin' ist das Wort für reine Freude. Für "ich-gebe-den-Anstoß-für Kontaktaufnahme". Und als wäre alles nicht genug, als ahnte der Delphin die Zweifel, die ich an meier Sinneswahrnehmung habe und seiner realen Existenz habe: Schraubt er sich vor LEVJE's Bug hoch in die Dunkelheit, keine fünf Meter voraus. Ich sehe den weißen Schatten, der in die Luft springt, grün vom Buglicht beleuchtet. Ein mannshoher weißer Schatten, der vor uns aus dem Wasser steigt, irgendwie mit einem Lächeln, irgendwo in der Weite des Meeres. Und mit einem kontrollierten Platsch wieder zurück in die Wellen fällt.

Und fort ist. Wie gekommen ist.



3.
Nacht. Und Wachen.
Es ist weit nach Mitternacht. Ich werde langsam müde, auch wenn mich die Nacht und was ich in ihr sehe, unglaublich fesselt. Zeit, ein wenig zu schlafen.

Aber wenn ich "Schlafen" schreibe, dann ist das etwas anderes als der normale Schlaf. Ich bin auf einem viel befahrenen Track unterwegs. Den Stiefelabsatz passieren, runden in beiden Richtungen Frachter, Fähren, Kreuzfahrtschiffe. Und sie sind schnell unterwegs, schneller als ich. Die meisten zischen - so wie die Containerfrachter, auf denen ich mit unterwegs war - mit 20, 22 Knoten durch die Wellen. Wenn ich zum ersten Mal ihr Licht irgendwo am Horizont entdecke, dauert es meist keine 20 Minuten, bis sie mich erreicht haben.

Also funktioniert Schlafen auf diesen langen Überfahrten anders. Ein letzter gründlicher Blick rundum, ob ich unter den Sternen auch wirklich kein Licht am Horizont übersehen habe. Einmal noch auf LEVJE‘s Bullern gehört. Konzentriert zugehört, ob der Motor gleichmäßig läuft, keine Geräusche  da sind, die ich nicht kenne. Ein Blick nach hinten, wo das Hecklicht die Auspuffgase beleuchtet, die aus dem Wasser aufsteigen. Ob nicht plötzlicher weißer Qualm dabei ist, der anzeigt, dass der Motor in den nächsten Minuten ernsthaften Schaden nehmen wird.

Aber alles ist normal und beruhigend. Wie der Sternhimmel über mir. Ich steige hinunter in LEVJE's Salon. Die Motorabdeckung ist wie eine Fußheizung, wohlige Wärme durchströmt mich von unten. Dann lege ich mich auf die Saloncouch, wie ich bin, mit Schwimmweste, steuerbords. Und mache die Augen zu. Beim Einschlafen nehme ich mir vor, in zehn Minuten wieder wach zu sein. 

Das klappt. Denn so gemütlich ist das alles nicht. Eine Welle, die seitlich ans Boot platscht. Ein Rumpler, ein Schlingern. Irgendetwas, was mich weckt, ist immer da. Ich schlage die Augen auf. "Steh auf. Schau nach." Wie ein Roboter stehe ich ohne Zögern auf. Steige nach oben ins Cockpit. Die Sterne sind alle noch da. Rundum alles ok. Einen Moment bleibe ich oben, vertiefe mich in den Anblick. Dann gehe ich wieder nach unten.

Das geht so fünf, sechs, sieben mal. Fünf Minuten, eine Viertelstunde leichter Schlaf, der kostbar ist. Ich habe das auf langen Autofahrten durch die Nacht gelernt. Wenn Dich die Müdigkeit packt: Nicht fackeln. Rechts raus. Kurz Augen zu. Zwanzig Minuten Schlaf selbst in unbequemer Position machen Dich wieder fit für drei, vier Stunden. Danach? 

Irgendwann auf meinen Wachgängen entdecke ich weit vorne ein Licht. Und eins hinter mir am Horizont. Ich bleibe eine Weile an Deck, beobachte beide Lichter. Ob sie sich bewegen? Wohin sie sich bewegen? Erst wenn ich sicher bin, dass sie irgendwie auswandern, nicht auf der Stelle stehen, gehe ich wieder nach unten. Und hole mir noch ein kleines Portiönchen Schlaf. 

Ich muss wachsam sein, denn wir kommen dem Morgen und dem Land näher. Beides bedeutet, dass nun auch Fischer unterwegs sein werden, die auf das Auslegen ihrer Netze konzentriert sind und nicht auf das, was sonst noch so unerwartet herumkreucht um sie herum. Also wieder: Raus. Nachsehen. Und tatsächlich werden die Lichter voraus mehr. Sie sind meist unbewegt und klein, irgendwo voraus im Golf von Tarent. Und während ich sie beobachte, während ich ihnen zusehe, zischt vor mir über den kleinen Lichtern im Norden eine Sternschnuppe über den Himmel, von Ost nach West. Eine große, die für einen Moment Funkenstieben und eine Spur von Gasen am Firmament hinterlässt, ein unglaubliches Schauspiel.

Ganz schnell überlege ich, was ich mir wünschen könnte. Ich denke an meine Frau, dass ich glücklich bin mit ihr und sie mir Halt gibt. Dass ich glücklich bin an dem Ort, an dem ich jetzt gerade bin. Nein. Nach vielen, vielen Wünschen, die ich im Lauf meines Lebens den Sternschnuppen nachsandte: Ich habe keine Wünsche für mich.


4.
Ankunft.
Noch bevor es zu Dämmern beginnt, blinkt plötzlich ein Leuchtfeuer vor mir am Horizont. Es ist das Leuchtfeuer von Santa Maria di Leuca, das vom Felsen herunter weit in die Nacht einen weißen Finger sendet. Ich habe nun wieder Kontakt zum Festland, eine Verbindung ist hergestellt. Es dauert aber noch drei Stunden, bis ich in der Dämmerung tatsächlich die Klippen von Santa Maria di Leuca vor mir habe. Noch etwa eine halbe Stunde bis zum Hafen. 

Aber: Soll ich da jetzt wirklich rein? Zu schön ist doch das alles um mich herum. Das rosige Licht, das die Sonne aussendet, lange, lange bevor sie sich zeigt. Ein paar Fischer, Ruhelose wie ich, die die Vorstellung des Morgens und die Idee, dass ein Fisch beißen könnte, noch in der Dunkelheit hinaus trieb aufs Meer. Wir sind immer noch Steinzeitmenschen, Jäger, Sammler. Unser Tun, unser Wollen ist geprägt von Jahrhunderttausenden, wir sind Steinzeitmenschen, auch in der Enge des Büros.

Nein: Ich bleibe noch draußen, Müdigkeit hin oder her. Kurs also auf die große Bucht von Castro, zweieinhalb Stunden im Norden. Dort kann ich geschützt ankern und sein. Und das Wasser ist herrlich türkis da.

Nein: Weiter nach Norden. Und während ich die Stelle passiere, wo vor den Klippen das italienische U-Boot am Meeresgrund liegt, das die Briten dort im II. Weltkrieg versenkten und irgendwo dort vorne mit Mann und Maus am steinigen Grund liegt, während ich zum Leuchtturm hinaufschaue und den Anglern ausweiche, die jetzt am Sonntag Morgen ihre Linien ziehen, kreuz und quer vor der Küste, kommt Wind auf. Wind von den Klippen herunter. Wind aus dem Golf von Tarent. Ich hole die Genua und schalte LEVJE's Motor ab. Stille. Ein Gurgeln am Bug. Ein leises Murmeln am Heck. Stille. Eine Wohltat.


Im Osten des Steifelabsatzes, in Apulien Anfang September.


Und als ob das Leben für jede Entscheidung, die Anstrengung hier draußen bedeutet, auch gleich eine Belohnung mit sich brächte: Etwas, das man im Leben nie mehr vergessen wird ob seiner Schönheit, bringt der Wind Wolken mit sich. Er treibt sie aus dem Golf von Tarent über die Enge des Absatzes hinüber. Sie werden zu Nebel. fallen herunter von den kahlen Hängen, als wäre ich hier nicht im südlichsten Süditalien, sondern weit weit irgendwo im herbstlichen England, das ich so liebe. Ein unglaubliches Schauspiel des Nebels im zarten Morgenlicht, eine Landschaft, Orte, Paläste, nur leicht verhüllt. Palladio's Villen in einer Herbstlandschaft - statt im Norden dort, wo man sie nie vermutet hätte.

Nein. Ich erlebe mehr auf dem Meer, als ich schreiben kann.





  

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Mare Più: heißt "mehr Meer". 
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Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015