Dienstag, 30. September 2014

7 Tipps für das Segeln in der Türkei: ErforderlichePapiere,Vorschriften, Internet, Wetterdienste.

Die Bucht Ciftlik, wenige Seemeilen südwestlich von Marmaris. Sauberes Wasser, gut gewartete Restaurantstege, an denen man kostenlos liegen kann. Aber alles hat seinen Preis: Die Küstenwache kontrolliert auch dort penibel, ob man seinen Fäkalientank immer ordentlich im Hafen entleert. Und der Restaurantbesitzer erwartet für den kostenlosen Liegeplatz, dass wir unser Abendessen bei ihm und nicht am Nachbarsteg einnehmen.
In der türkischen Ägäis segelnd, folgende 7 Tipps (Stand Oktober 2014):
Da ich diesen Post aktuell halten will, bin ich auf Feedback, Fragen, Kritik, Anregungen angewiesen.  Und bitte Sie in jedem Fall um eine Mail. Auch wenn Sie mir nur sagen wollen: "War alles richtig und brauchbar."

Unterwegs mit dem eigenen Boot: Einklarieren und erforderliche Permits (Stand September 2014)
Fürs Einklarieren in der Türkei können Sie die in jedem Hafen und jeder Marina ansässigen Agenten beauftragen - einfach beim Hafenmeister oder in der Marina nachfragen. Da deren Preise aber schwanken - ich habe von 20 € bis 100 € für die Erstregistrierung alles erlebt - lohnt sich das nachfragen. Als Charterer erledigt das Transitlog sowieso Ihr örtliches Charterbüro - gegen die oben genannten Gebühren.
Da ich es aber genau wissen wollte: habe ich versucht, ohne Agenten einzuklarieren - was fast klappte. Ganz - so meine Erfahrung - kommt man allerdings ohne einen Agenten nicht aus.

    Das kleine Hafenstädtchen Bozburun auf der Halbinsel Datca lockt mit guten Restaurants und perfektem Lebensmittel-  
     Angebot. Ein Ort zum "Auffüllen". Richtig nett wirds allerdings ein bis zwei Seemeilen südlich des Hafens: Schwimmen 
      im kristallklaren Wasser - und herrliches Ankern zwischen den Inseln.

1. Das ist wichtig an Dokumenten, Gebühren und Vorschriften: 
1.1 Das Transitlog
Das Tranistlog ist das wichtigste Dokument für Ihren Törn in der Türkei. Es ist ein einfacher, aus mehreren Seiten bestehender Durchschreibsatz, den Sie in der örtlichen Marina erwerben und nacheinander von fünf verschiedenen Stellen/Personen bearbeiten und abstempeln lassen:
1. Ein Agent macht für Sie den Grundeintrag ins türkische Register: sechs, sieben Zeilen mit Bootsnamen, Nationalität. Dies können Sie nicht selber übernehmen, den Systemzugang hat nur der Agent. Gelegentlich macht es wohl ein gutwilliger Hafenmeister oder auch eine örtliche Seefahrtsbehörde.
2. Amtsarzt.
3. Zoll.
4. Passkontrolle.
5. Port Authority.
Das Transitlog wird sowohl in Marinas als auch bei Kontrollen durch die Küstenwache (Sahil Güvenlik) verlangt und eingesehen.
_________________________

Am 1. Januar 2016 erschienen: Was man übers Segeln in Sizilien wissen muss:



Im Sommer 2016 umsegelte ich auf LEVJE Sizilien.
Dies ist der Reisebericht. Und die Beschreibung eines Segelsommers 
und einer Reise um eine Insel, die ihresgleichen sucht.
Mit Anhang für Segler mit "Do's & Don'ts", Häfen, Marinas, Internet.

JETZT als erschienen als PRINT oder als EBook ab € 9,99

sowie in jeder Buchhandlung oder bei AMAZON.
________________________________


1.1 Die Wahl des Einklarierungshafens
Diese hat ganz erheblichen Einfluß auf die Zeit, die Sie für das Erstellen des Transitlogs einrechnen müssen. Immerhin sind fünf Stationen nacheinander abzuarbeiten: Agent, Amtsarzt, Zoll, Passkontrolle, Port Authority. 
In der Marina Turgutreis sitzen alle fünf Personen praktisch in EINEM Gebäude, dem Fähranleger im Süden der Marina. Mein Zeitaufwand: 2,5 Stunden.
In der Marina Bodrum sitzen die vier Behörden bis zu 40 Minuten Gehweg auseinander: Zeitaufwand eines befreundeten Seglers für dieselbe Prozedur: über 6,5 Stunden
Datca: keine Erfahrungen. Da der Ort nicht groß ist, gehe ich eher von kurzen Distanzen aus. Zudem liefen Gerüchte um, dass Datca als Einklarierungshafen geschlossen worden sei? Also vorher anrufen.
Marmaris: Zumindest die Port Authority sitzt am "anderen Ende" der Stadt wie die Marina. Also: Zeitaufwand für Gehwege mit einplanen. Und da Marmaris ein großer Charterhafen ist: auch Wartezeiten bei jeder der einzelnen Behörden. Der Agent vor mir in der Marmaris Port Authority hatte die Transitlogs für 100 (!) Yachten dabei. Der Hafenmeister meinte, wir sollten in zwei Stunden wiederkommen... Aber der Agent war wohlwollend. Und ließ uns vor.

1.2 Kosten
Das blanke Transitlog, der Durchschreibsatz, kostete in der Marina Turgutreis 51 €.
Hinzu kam - als Minimalgebühr für das Erfassen meiner "sieben Zeilen" im türkischen Register - 20 € an den Agenten.

ADAC Bootsschein und Bootsführerschein sowie blauen Versicherungsschein nicht vergessen.

    Der Steg des Restaurants RAFET BABA, diesmal von der anderen Seite. Mattelagen, Sonnenschirme, Stranddusche: wie   
     so oft ist die Türkei perfekt bis ins Detail. 

1.3 Fäkalientank
In der Türkei herrscht Tankpflicht. Das Einleiten von Fäkalien in Buchten wird nicht als Kavaliersdelikt angesehen. Ich kenne den Eigner einer 17-Meter-Yacht, der in Istanbul in einer Marina wegen angeblichen Einleitens von Fäkalien mit einer Forderung von 10.000 € konfrontiert wurde - und nur mit Mühe die Forderung abwenden konnte. "Nie wieder Türkei", sein Fazit.
Das Positive:  man merkt es eindeutig an der Wasserqualität, die schon beeindruckend ist. Auch in engen Buchten mit fast stehendem Gewässer glasklares Wasser. Da hat sich seit meinem ersten Türkei-Törn 1998 sehr viel getan. Allerdings waren das Problem damals auch weniger die Yachties, sondern vielmehr die türkischen Gülets mit Hunderten ferienfroher Tagesausflügler aus den Hotels von Antalya, nach denen an ein Schwimmen in der Bucht einfach nicht mehr zu denken war.
Zwar gibt es viele ausländische Bootsbesitzer, die nach wie vor ohne Fäkalientank in der Türkei unterwegs sind. Aber wer einen längeren Aufenthalt in türkischen Gewässern einplant, sollte sich einen Tank einbauen lassen - vor allem im Marmaris traf ich auf fixe Bootstechniker mit hervorragendem Know-How zu dem Thema, inklusive individuell für mein Schiff hergestelltem Schwarzwasser-Tank.

    Die Bucht von Bozukale auf der Loryma-Halbinsel, südwestlich von Marmaris. 

1.4 Die "blaue" Magnetkarte
Ein ernstes Thema: Und dummerweise weist den ankommenden Segler weder bei der Einreise noch beim Einklarieren eine Marina, ein Agent oder Hafenmeister auf Folgendes hin:
Vor einigen Jahren führte die Türkei eine blaue Magnetkarte ein, mit der jeder Eigner nachweisen muss, dass er seine Fakälientanks ordentlich im Hafen hat abpumpen lassen. Bisher galt "Entweder drei Meilen vor der Küste" oder "im Hafen abpumpen". Da wird's nun ganz ernst, denn die Türkei hat die Regelungen zur blauen Karte in diesem Jahr verschärft:
- jeder Bootseigner MUSS eine blaue Karte haben (Ob man einen Tank eingebaut hat, wird nicht kontrolliert. Ob man eine blaue Karte hat: schon.)
- jeder Bootseigner muss auf dem Magnetchip mehrfaches Abpumpen nachweisen (wohlgemerkt: ob man einen Tank eingebaut hat, wird nicht kontrolliert. Lediglich der Nachweis des Abpumpens wird kontrolliert ...)
- hat man keine blaue Magnetkarte: drohen wiederum saftige Geldstrafen.
Die Behörden meinen es ziemlich ernst, das haben wir auch vergangene Woche bei der Kontrolle aller Boote in der Bucht Ciftlik durch die SAHIL GÜVENLIK, die Küstenwache, am eigenen Leib gemerkt. Noch vor den Pässen oder dem Tranistlog wird per Smartphone die Eintragung auf der "blauen Karte" kontrolliert. 
Da zeigt die streng geführte Türkei ihre bürokratischen Zähne. Und in Verbindung mit saftigen Marina-Preisen und manch "cleverem" Restaurant-Stegbetreiber kommt man dann schon auch an ein "Nie wieder Türkei" heran.

Die blaue Karte kostet 25 €. Und man kann sie in jedem Hafen und jeder Marina erwerben. Nur dass man sie braucht: DAS sagt einem keiner. Also auch wenn beim Erwerb des Transitlogs niemand davon spricht: gleich mitorganisieren. Die Behörden wollen die blaue Karte sehen.


3. Internet in der Türkei (Stand September 2014):
Schon in Griechenland waren meine Erfahrungen mit COSMOTE sehr gut. In der Türkei habe ich mir von TURKCELL im örtlichen Shop in Turgutreis eine Karte geholt: 10 GB für 3 Monate Laufzeit für 99 TL, also etwa 37 €. Die TURKCELL ist nach VODAFONE in der Türkei der größte Netzbetreiber - entsprechend gut funktionierte das System auch in abgelegenen Gegenden. Arbeiten vom fahrenden Überland-Bus aus kein Problem.
Die Karte erhält man in allen örtlichen Telefonläden. Sie ist innerhalb einer Viertelstunde nach Erwerb freigeschaltet. Pfiffig.


4. Internet-Wetterdienste
Auch in der Türkei arbeite ich mit den Wetterdiensten, die ich in mehreren Wetterartikeln in diesem Blog vorgestellt habe: Im Wesentlichen - da wir vor der Haustüre von Rhodos segeln - sind es griechische: die Windkarten von Poseidon, HNMS für die "Warnings" sowie Windguru und Meteo Marine.
Gleich vorweg: Solche "dauerhaft stabilen" Abweichungen bei allen Vorhersagen zwischen Vorhersage und Wirklichkeit habe ich nun über Jahre hinweg in keinem anderen Revier erlebt. Das hat vor allem mit den gebirgigen türkischen Küsten zu tun, die täglich beschliessen, etwas ganz anderes an Wind zu produzieren als sie eigentlich eben noch wollten. Die Hauptrichtung steht von Juni bis Anfang September zwar fest: Meist Nordwest, gelegentlich mehr West oder ein bisschen mehr Nord. In den Windstärke-Angaben liegen die Vorhersagen aber herzhaft daneben.
Beispiel vergangene Woche: Vorhersage Poseidon und Windguru "Nordwest 4 bft". De facto war das nicht sooooo verkehrt, es waren 4-5 bft., eher 5 bft. ablandig. Bis auf die 26-33 Knoten-Böen, die Levje fünf-, sechs-, siebenmal flach aufs Wasser legten...
Meine Faustregel: Schläft der Meltemi abends pünktlich um 10 Uhr ein, ist für den nächsten Tag wenig zu fürchten. Hält er in der Nacht stark und böig durch: dann kann es am nächsten Tag - ab 15 Uhr, wenn der Meltemi kräftig wird - auch mal mit 35 Knoten und darüber wehen.


5. Revierführer
Obwohl von manchen kritischen Lesern in den Wertungen als "veraltet", "überholt" bezeichnet, weil 1994 erstmals erschienen, fand ich das Buch von Andrea Horn/Wyn Hoop: TÜRKISCHE KÜSTE/OSTGRIECHISCHE INSELN immer noch ausgesprochen brauchbar und aktuell. Ich arbeite mit der 5. Auflage und finde die Angaben bislang sehr verlässlich.

    Auf dem Weg nach Bozburun.

Jetzt lesen: 
40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.





                                    Sie möchten jeden neuen Artikel von Mare Più gleich bei Erscheinen erhalten?    
                                    So geht's : 
                                    1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                                    2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                                    3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken.





Montag, 22. September 2014

Menschen am Meer: Bei den Honig-Sammlern von Bayir.


Wer sich auf der Loryma-Halbinsel in der Bucht Ciftlik, etwa eine halbe Autostunde südwestlich von Marmaris, in einen Dolmus, einen Kleinbus setzt, der erreicht nach einer Viertelstunde rumpelnder Fahrt immer bergan in luftiger Höhe den kleinen Ort Bayir.

Bayir hat eigentlich nicht viel, was zu sehen sich lohnt. Drei, vier Geschäfte mit bunten Tüchern. Ein netter Trödelladen, mit Kräutern, Nüssen und Honig. 


Den Dorfbrunnen, an dem die Einwohner ihr Wasser holen, weil es Leitungen nicht gibt. Eine Moschee mitten im Ort. Die berühmte Platane gleich daneben, deretwegen viele Reisende hierher kommen. Denn die klugen Einwohner von Bayir haben vor einiger Zeit die Geschichte in die Welt gesetzt: wer den acht Meter umfassenden Stamm der Platane umrundet, den erwarte ein langes und glückliches Leben. Also umrunden auch wir den Stamm, tunlichst im Uhrzeigersinn, denn Aberglaube ist Seemann's Zier. Vermutlich wundert sich die gewaltige Platane längst nicht mehr über den Unfug, den die Menschen da zu ihren Füßen treiben. Sie ist 1.990 Jahre alt, ihr Schößling keimte, als Jesus noch lebte, und es ist anzunehmen, dass sie in den fast zwei Jahrtausenden ihres Daseins weit gröberen Unsinn miterleben mußte als Menschlein, die verbissen im Kreis rumrennen.


Unter den ausladenden Ästen der Platane hat Mustafa seinen Stand mit Honig aufgebaut. Zwei mannshohe Wände mit großen Honiggläsern, deren Inhalt im Licht der untergehenden Sonne lichtet und leuchtet: wie ein Glasperlenspiel aus tausenderlei Gold- und Bernsteinfarben. Ein Kirchenfenster im Sonnenlicht, nur aus klingenden Goldtönen. Ich kann nicht anders und muß den hellsten, den goldensten Farbton kosten. Orangenhonig - göttlich. Danach löffeln wir uns in die immer dunkleren Farben: Blütenhonig - ahhhh. Pinienhonig - mmmhhh. Thymianhonig - herrje. Kastanienhonig - wie der wohl mit ein bisschen Pecorino schmeckt? Danach fange ich wieder beim Orangenhonig an. Und löffle hier. Und löffle da. Und die Platane wundert sich.

Als es dann mit der Löffelei endlich ein Ende hat: bin ich stolzer Besitzer je eines größen Glases Orangenhonig, Pinienhonig, Thymianhonig. Drei Kilo Honig. Natürlich hab ich zuviel bezahlt, wenn's um Essen geht, bin ich einfach nur der Sohn meines Vaters, dem Fest für die Sinne willenlos erliegend. Mustafa erzählt, dass er und sein Bruder insgesamt 750 der blauen Bienenkisten, die wir auf der Fahrt überall sehen, besitzen. In jeder wohnt ein Bienenvolk. Und produziert munter vor sich hin: Wenn ich Mustafa richtig verstehe, produzieren etwa 250 der Kästen Pinienhonig. Aus jedem Kasten kommen 25 kg pro Jahr. Das macht über 6 Tonnen. Etwa 100 Bienenvölker produzieren Orangenhonig. Der ist selten und kostbar. Denn jedes Volk liefert nur etwa 8 Kilogramm. Und so fort.

Als der Dolmus dann in der Dunkelheit wieder den Berg hinunterrumpelt, vorbei an blauen Bienenkästen und überwucherten mohammedanischen Friedhöfen, deren schlanke Grabsteine schnell wieder ins Dunkel huschen, bin ich mit der Welt zufrieden. Nicht überall scheinen die Bienen wie bei uns auszusterben. Noch produzieren sie, so wie auf der Loryma- und der Datca-Halbinsel. Aber es ist ein fragiles Dasein, das die Bienen fristen. Und eins, das in Gefahr ist.


Sonntag, 21. September 2014

Die Obsidian-Sammler von Milos. Oder: Warum man mit einem 5.000 Jahre alten Steinzeit-Messer auch heute noch Zucchini schneiden kann.

Ein markanter Felsen markiert auch heute noch für jeden Segler die Einfahrt in den einstigen Vulkankrater, die heutige Hafenbucht von Milos. In der Steinzeit, um die es in diesem Beitrag geht, lag der Meeresspiegel um mehr als 100 Meter tiefer als heute. Der Felsen, der damals über 100 Meter höher aus dem Meer aufragte, muss für die damaligen Menschen noch drohender gewirkt haben als heute.
Wann die Insel Milos eigentlich entstanden ist: kann niemand sagen. Nur, dass die gewaltige Detonation eines Vulkanes der Insel Milos ihre heutige Form gab, das weiß man. Es war nicht einfach nur ein Vulkanausbruch: Die komplette Spitze des Vulkankegel flog in die Luft, detonierte, schleuderte Abertonnen an Gasen, Asche, Gestein in Staubform in die Atmosphäre. Man kann nur mutmaßen, in welch gewaltigen Ausmaß diese Explosion das Klima der Nordhalbkugel auf Jahrhunderte beeinflußte. Und in den Eiskeller schickte.

Zurück blieb: Dunkelheit. Stille. Eine Kraterwunde in der Erdkruste, die langsam auskühlte. Und voll Meerwasser lief. Gesteine aus dem Erdinneren an der Oberfläche, die die Detonation in einer Hexenküche aus jenseitiger Hitze und aberwitzigem Druck erschaffen hatte. Wie das Vulkanglas Obsidian. Es ist ein Gestein, das tiefschwarz glänzt und hart ist. So hart wie Glas. Und Obsidian gibt es, glaubt man David Aboulafia's wunderbarer Monographie mit dem Titel DAS MITTELMEER, im Mittelmeer fast nur an dieser einen Stelle: auf Milos.

Irgendwann in der "neolithischen Revolution" lernten die frühen Menschen, nicht nur von dem zu leben, was sie umherziehend fanden. Sondern sie erwarben das Know-How, Getreide anzubauen, Vieh zu domestizieren. Irgendwann in dieser Zeit zwischen 7.500 und 5.000 vor Christus müssen Menschen auch Milos erreicht haben. Sie kamen in einfachen, geflochtenen Schilf-Kanus. Der Meeresspiegel lag weit über 100 Meter tiefer als heute, die Distanzen zwischen den Inseln waren deshalb kürzer. Aber trotzdem muss es auch für diese Steinzeitmenschen ein echtes Wagnis gewesen sein, über das offene Meer zu fahren. Man man kann den Mut, der sie beflügelte oder die Furcht und den Hunger, der sie trieb, nicht genug nachempfinden. Ob aus Not oder aus Neugier: Sie waren Entdecker und Sucher. Und sie stellten bei ihren Streifzügen über die Insel fest, dass es dort dieses schwarze Gestein gab. Und dass Klingen aus diesem Gestein härter waren, schärfer schnitten, widerstandsfähiger waren als jedes andere Gestein, das diese Menschen kannten. Obsidian wurde zum begehrten Gut.

Zur "neolithischen Revolution" gehört auch, dass die Menschen begannen, sich zu spezialisieren. Nicht mehr jeder im umherziehenden Nomadenclan machte alles und sammelte alles. Sondern die einen konzentrierten sich auf die eigentliche Landwirtschaft. Wieder andere im Clan begannen, Werkzeuge herzustellen. Und diese fortlaufend zu verbessern. Und vor allem: dieses Wissen auch an andere weiterzugeben. Nur so ist zu erklären, dass Pfeilspitzen und Messerklingen aus dem glasharten Obsidian immer perfekter, immer ebenmässiger und wertiger wurden. Die Obsidianfunde im Foto unten aus dem etwa 50 Kilometer entfernten Paros zeigen, was für perfekte Handwerker die Menschen um 4.000 vor Christus bereits waren:


Es bedarf eines unglaublichen Know-Hows und der Erfahrung vieler Generationen an Steinbearbeitern, bis die Menschen um 4.000 vor Christus in der Lage waren, die fein gearbeiteten, nur fingergroßen Pfeilspitzen in der oberen Reihe oder die Lanzenspitzen unten rechts herzustellen. Produkte wie diese müssen ausgesprochen begehrt gewesen sein: und ihr Rohstoff, der unbehauene Obsidian auf Milos wurde immer gefragter. Dies muss der Punkt gewesen sein, an dem unsere heutige Wirtschaftsform entstand: Handel. Angebot und Nachfrage. Bedarf und Begehren. Das große Feilschen, das bis heute anhält und unser aller Leben bestimmt, es begann hier.

Immer öfter müssen Menschen nach Milos gefahren sein, um den begehrten Rohstoff Obsidian dort zu holen: ihn entweder über die Insel streifend selber aufzulesen. Und mitzunehmen, was gefiel. Oder ihn korbweise zu sammeln. Oder ihn bei dort ansässigen Sammlern, die dessen Wert kannten, einfach einzutauschen gegen etwas, das die Obsidiansammler selbst benötigten. Saatgut? Purpurfarbe aus Muscheln? Der Handel entstand. Und mit ihm die Seefahrt.

Der Obsidian aus Milos verbreitete sich immer weiter. Bearbeitete Fundstücke finden Archäologenheute an der türkischen Küste, auf dem griechischen Festland und in Süditalien. Auf Sizilien, Sardinien. Gute Obsidianklingen wanderten von Hand zu Hand, von Generation zu Generation. Selbst als um 3.000 vor Christus einige hundert Seemeilen weiter östlich ein ganz neuer Werkstoff entwickelt wurde, die Bronze, blieb Obsidian weiterhin der begehrte Wertstoff und hatte seinen Höhepunkt erst noch vor sich. Die meisten bearbeiteten Obsidian-Werkstücke, die Archäologen heute finden, wurden vermutlich in der Bronzezeit hergestellt. Und das Rohmaterial dazu: das stammte aus Milos.


Bei meinen Wanderungen über die Insel Milos, über die ich bereits in einem vorigen Kapitel schrieb, fand ich oben auf dem Grat über dem Meer ein kleines Steinzeitmesser aus Obsidian. Dessen Schneide ist heute immer noch so scharf wie vor 5.000, 6.000 Jahren, als Steinzeitmenschen dieses Messer aus einem größeren Obsidianbrocken heraussprengten. Und es über Generationen verwendeten. Und wer heute wissen will, warum Obsidian über mehrere Jahrtausende so begehrt war: In diesem Video (HIER KLICKEN) zeige ich, wie man mit einem kleinen, auf dem Grat von Milos gefundenen Obsidianmesser heute, 5.000 Jahre nach Verwendung dieses Messers durch Menschen der Steinzeit, immer noch eine Zucchini schneiden kann.


Zum Video hier klicken.







Freitag, 19. September 2014

Video of the Day: Wann hat man eigentlich genug vom Türkis des Meeres?


Gestern fragte mich meine Frau: "Und wie gehts Dir, nach vier Monaten auf dem Meer: Ist Dir da das Blau nicht manchmal zuviel? Keine Sehnsucht nach Wäldern, nach Kühle, nach schneebedeckten Bergen?" 

Ich muss nicht lange nachdenken: Nein. Es gab keinen Moment, wo mir das Meer über gewesen wäre. Selbst in den letzten zehn Tagen, in denen ich mich mit Fieber und einer Virusgrippe herumschlug und alles andere als fit war: Das Blau des Meeres behält seine Faszination. Und selbst jetzt, wo die Tage in der Türkei kürzer werden: die Sonne geht gegen halb acht auf und gegen sieben hinter den Bergen unter, gibt es Stellen, wo das Meer noch ein klein wenig mehr Türkis ist als anderswo. Und das sanfte Rauschen ein klein wenig sanfter. Und das leise Wiegen des Schiffes noch ein klein wenig intensiver. So wie hier, in der Bucht von Bozburun, wo heute Morgen dieses Video entstand.




Dienstag, 16. September 2014

Im Vergleich: Sechs Onlinewetter-Dienste bei Starkwind-Vorhersage. Undwas man daraus lernen kann.


Die Kykladen sind im August als Starkwindrevier bekannt. Prompt kündigen Windguru (oben) und Windfinder für Montag/Dienstag 18./19. August Starkwind bis 7 bft. an. In der Isobarenkarte sieht das Ereignis so aus:

     Griechenland ganz rechts außen, neben dem grünen Balken. Zwischen einem Hoch über Sizilien und einem Tief über der Osttürkei "stauchen" sich die Isobaren ein klein wenig. Nichts Ungewöhnliches. Aber eben bis 7 bft.

Ich beschließe, mich in die Nordecke von Paros, in die Bucht von Naousa zu verholen und dort vor Anker sechs Online-Dienste zu testen: 
Wie zutreffend sind die Vorhersagen? 
Wie präzise?
Reichen denn die kostenlosen Online-Dienste aus? Braucht man wirklich einen Kostenpflichtigen?
Wie sieht die optimale Törn-Vorbereitung aus?
Und: gibts tatsächlich "The-One-and-Only": den einen Online-Dienst, der besser ist als alle anderen? Und alle anderen überflüssig macht?

Hier die Ergebnisse:

Die getesteten Wetterdienste
1.1 Die "Tabellarischen"
Sie geben in übersichtlicher Tabellenform die Ergebnisse wieder.



Ist seit Jahren im Standardrepertoire der meisten Fahrtensegler: vor allem auf Kiter, Paraglider, Surfer, Segler spezialisiert. Aber ist er "der Beste"?



Weniger bekannt, von mir seit Jahren bevorzugt ob seiner vielfältigen Programmier- und Einstellungsmöglichkeiten: www.windguru.cz. Genauso wie Windfinder auf weltweit auf Kiter, Paraglider, Surfer, Segler spezialisiert. Aber finde ich ihn nach dem Test immer noch gut?




Der Online-Wetterdienst des HELLENIC NATIONAL METEOROLOGIC SERVICE. Was Offizielles. Ich benutze hier besonders die Seite mit den WARNINGS. Schmucklos, spartanisch, lakonisch, wertvoll. Reicht das?




1.2 Die grafischen Windkarten




Allen Griechenland- und Türkei-Fahrtenseglern bestens bekannt. Windkarten im Drei-Stunden-Takt. "Blau" für Entwarnung, "Gelb" ist dann schon 5 bft., "orange" entsprechend darüber bei 6,7, 8 bft.





Weniger bekannt. Ebenfalls einfache Windkarten im 3-Stundentakt.


1.3 Kostenpflichtige App

Meteo Consult



Für mich der Neuling im Sextett, eine Empfehlung eines MARE PIU-Lesers. Wartet mit einer verblüffenden Informationsdichte auf: Lokales Wetter, frei wählbares, einstellbares Streckenwetter, Isobarenkarte, die das "große" Wettergeschehen erklärt. Aber liegt METEO CONSULT auch richtig?



PocketGRIB


PocketGRIB kann man sich im Appstore herunterladen für wenige Euro und liefert dafür regionale Windkarten für animierte, eine Woche weit reichende Wetterfilme inklusive Regenvorhersage. Großer Vorteil: Klitzekleine Download-Mengen von wenigen kb (!!) machen PocketGRIB auch für den Download in Gebieten mit ganz schlechtem Empfang attraktiv. Aber macht das allein schon PocketGRIB zu einem guten Instrument?



Was sich tatsächlich am 18./19. August in Naousa/Nord-Paros abspielte


Pünktlich und gemäß allen Vorhersagen stieg der Wind in der Nacht von Sonntag auf Montag deutlich an. Höchste gemessene Knotenzahl dann am Montag Abend mit 36 Knoten. Höchster Durchschnittswert knapp 19 Knoten. Dienstag Vormittag Wetterberuhigung, Nachmittag erneut auffrischender Meltemi. 

Und an Bord vor Anker fühlte sich das so an wie im Video:


Zum Video hier klicken.


Die Testergebnis in sieben Punkten:

1. Der Beste
Gleich vorweg: Den gibt es nicht! Bei diesem "eindeutigen" Windereignis lagen alle getesten Wetterdienste mehr oder minder richtig. Unterschiede gibt es, wie genau die Wetterdienste an die gemessenen Knoten-Spitzenwerte herankamen. Und da war am zuverlässigsten der lakonisch-wortkarge Grieche HNMS. Der sagt aber einfach nur "NW 6 or 7". In der Knotenzahl stimmt das annähernd. Aber im zeitlichen Verlauf ist es zu wenig aussagefähig.

Fazit: Einer allein reicht nicht. Es hilft nicht: zwei bis drei Wetterdienste sollten nach wie vor herangezogen werden.


2. Die Spitzenwerte: zu niedrig vorhergesagt
Der Montag brachte in Naousa auf Nordparos fast durchweg Spitzenwerte in den Dreissigern. Das ist in diesem Starkwindrevier immer mal "drin". Nur: endeten die Vorhersagen fast aller Wetterdienste bei 26 und 27 Knoten.

Fazit: Zukünftig immer 10 Knoten zum Spitzenwert dazurechnen. Dann liegt man - was die Ägäis angeht - nicht verkehrt.


3. Die Durchschnittswerte: zu hoch vorhergesagt
22-27 Knoten - wie die meisten prognostizierten - war selten. Der höchste drei-Stunden-Durchschnittswert am Montag Nachmittag lag bei 18,9 Knoten, also weit geringer.

Fazit: In den Spitzen wirds deutlich mehr als vorhergesagt. Das Mittel liegt drunter.


4. Was ist besser: kostenlos oder "paid"?
Die kostenlosen Wetterdienste reichen für mich als Fahrtensegler vollkommen aus. und lassen wenig Wünsche offen. Lokale Gegebenheiten wie Kap- oder Düsen-Effekte, Winddreher zwischen Inseln halte ich für schlicht nicht voraussagbar, zumal in der Ägäis. Da gibts immer nur Näherungswerte.
Ebenso ist eine Vorhersage von mehr als einer Woche kritisch zu betrachten - so gerne man es auch hätte.

Eine Einschränkung: Da nur eine kostenpflichtige App im Test war und PocketGRIB für mich eher "mittelmässig" abschnitt, ist der Anteil der getesteten "Kostenpflichtigen" nur mit Einschränkung repräsentativ.


5. Was ist besser: Tabellarisch oder Grafisch?
Auch hier ergibt sich kein "besser", kein "schlechter". Der Mix aus beidem macht es: Eine "tabellarische" Wettervorhersage wie die von WINDFINDER oder WINDGURU erlaubt eine halbwegs verlässliche Vorausschau auf eine Woche. Mit einem Blick.
Eine gute Windkarte wie die von POSEIDON erlaubt einen Überblick über über das großräumige Wettergeschehen. Auf einen Blick. 
Aus beidem kann man gut Schlüsse ziehen, was die eigene Taktik angeht: Gehe ich die nächsten drei Tage in den Kykladen südlicher? Oder hat's da ein Beaufort mehr Wind? Bleib ich, wo ich bin? Oder sieht's im Norden von Paros besser aus?


6. ... ja aber: was ist denn jetzt wirklich der Beste?
Klarer Punktsieger: METEO CONSULT.
- lag (in diesem Fall!) ziemlich richtig.
- bietet mit Tabellarischer und grafischer und Isobarenkarte informativ am meisten.
- bietet auch "Streckenwetter"
Sollte man sich auf alle Fälle ansehen. Allerdings habe ich später in der Türkei die Erfahrung gemacht, dass METEO CONSULT gerne mal "Starkwind" vorhersagt, wo alles ruhig bleibt.

Zweiter Sieger: Windguru, fast gleichauf Windfinder
- lag ziemlich richtig; zuverlässig
- für jeden Ort ist das Wetter programmierbar

Dritter Sieger: HNMS, fast gleichauf Poseidon
- nationale Wetterdienste, die man einfach immer auch heranziehen sollte.


7. ... und wie ermittle ich jetzt das Wetter auf meinen nächsten Törn?
Nicht anders wie bisher:
- Täglich in drei Wetterdienste der unter 6. genannten Testsieger schauen: 
In einen "Lokalen". 
In einen "Tabellarischen". 
In einen "Grafischen".
- deren Vorhersagen für die nächsten drei Tage in mein Logbauch aufnehmen;
- nach der besten Vorhersage fahren. Aber einen "Plan B" in der Tasche haben, wenn die schlechteste Vorhersage eintritt.

Montag, 15. September 2014

Menschen am Meer: Heute beim Bäcker. In der Bucht von Bozzukale, Südtürkei.


Das hier ist Süle. Jeden Morgen, so gegen sieben, heizt Süle in der Bucht von Bozzukale, dort, wo in der Antike die Stadt Loryma lag, den großen Steinofen an. Und backt Brot für die Yachties, die in der Bucht ankern. Der Ofen ist aus einfachen Bruchsteinen gemauert, man sieht ihn rechts im Hintergrund. Süle schichtet einfach dürres Reisig und wenige trockene Kiefernäste in die Ofenöffnung und zündet das Holz an. Der Ofen hat keinen Kamin, der Rauch wogt und wabert und haucht im Wind durch die Ofenöffnung, bis die Innenwände heiß sind.


Das dauert nicht lange. Vor dem Ofen warten in feuchte Tücher eingeschlagene Teigfladen, die Süle in die Öffnung schiebt. Davor kommt dann ein Blech, das aussieht, als wäre es von einem alten Ölfass übriggeblieben (Foto oben). Süle klemmt es mit dem Brotschieber fest.

Und wiederum keine Viertelstunde, dann sind die Brote fertig. Ihr Duft ist unbeschreiblich.



Und wieviel muß man für das Vergnügen ausgeben, eines von Süle's Broten zu probieren? 
Ein Brot kostet bei Süle 5 Türkische Lira, umgerechnet 1,35 €. Für türkische Verhältnisse ist das nicht wenig - ein Brot kostet im Durchschnitt 1 TL, etwa 27 Cent (!). Ein Brot, nicht ein Brötchen! 
Aber in die Bucht von Bozukkale führt keine Straße, es gibt keinen Strom, und Wasser nur aus dem Brunnen. Alles muss mit Booten auf dem Seeweg mühsam herangeschafft werden. Und der Umgang mit den Yachties, die einfach ganz andere Preise für Brot gewohnt sind als 27 Cent, tut ein Übriges.
Also sind 5 Türkische Lira ein ausgesprochen fairer Preis für die Brote, die Süle jeden Morgen heiß verkauft.




Donnerstag, 11. September 2014

Die vergessenen Inseln: Milos. Oder: Wenn Tonscherben erzählen.

Die Bucht Agiou Dimitriou im Norden des Vulkankraters, der die Insel Milos heute bildet. Genau gegenüber, auf der anderen Seite der Bucht, ein Hang voller Tonscherben. Um ihn geht es in diesem Beitrag.
Es gehört zu den Besonderheiten einer Reise durch die griechische und türkische Ägäis: Wo immer man den Fuß an Land setzt, tritt man in antike Tonscherben. Für einen Historiker ist allein das schon jeden Tag ein Fest: Scherben von Tonkrügen. Von Weinbechern, mit denen gefeiert und gelacht wurde. Reste von Amphoren, in denen Brotgetreide, Haselnüsse, Fischsauce transportiert wurde. Tonkrüge, in den Kräuter, Weihrauch, Parfüm, Gewürze gehandelt wurden. Zeugnisse des Lebens vor 2.000, 3.000 Jahren, wohin man auch schaut, wohin man auch tritt. Siedlungen, Händlerorte, Festungen, Hafenstädte, Werften zur Reparatur von Kriegsschiffen oder dickbauchigen Handelskähnen. Belebt in den 1.000 Jahren vor Christi Geburt. Untergegangen, aufgegeben, verlassen meist 500 Jahre nach dessen Ende.


Und weil das Entdecken dieser untergegangenen Welt so fesselnd ist, habe ich schon vor längerer Zeit ein Abendritual entwickelt. Wo immer ich gerade bin, rudere ich mit dem Schlauchboot an Land. Und streife bis Sonnenuntergang in der Landschaft umher. Den Kopf gebeugt, immer auf der Suche nach der einen Tonscherbe, die plötzlich zu reden beginnt. Es ist wie eine Detektivarbeit.

Für die meisten Menschen sind Tonscherben - wie alles aus der Antike - "tote Steine". Auch für Andreas, der mich bei meinen Wanderungen auf Milos begleitet. Aber auch er wird leise, als ich ihm die Geschichte erzähle, die eine Handvoll Tonscherben vom Leben in dieser Bucht vor über 2.600 Jahren erzählen, die wir oberhalb der Bucht von Agiou Dimitrou, unserem Ankerplatz, finden. 

Tonscherben sind so eine Art "Plastiktüten-Reste der Antike": Behälter für Transport und Aufbewahrung. Von Nahrung und anderem. Und genauso wie Plastiktüten sind Tonscherben individuell gestaltet: Mal sind sie dickwandig, aus grobem Material, von grobschlächtiger Hand geformt. Mal ganz fein und zerbrechlich und zeugen von teurem Geschmack. Mal sind sie geriffelt, mal bemalt. Mal dünnwandig, mal dick. Mal Bruchstücke eines großen Gefäßes, einer Amphore, mal von einem kleinen Weinbecher, einem Krater.  

Das besondere an antiken Tongefässen ist zweierlei: Meistens wurden sie nicht an dem Ort hergestellt, an dem man sie findet. In verschiedenen Phasen der Antike gab es jeweils andere Produktionsstandorte, die den Markt beherrschten: Die Minoer auf Kreta um 1.500 vor Christi Geburt. Danach die Mykenier, die das Handelsnetz der Minoer übernahmen, bis 1.200 v. Chr. Danach die dunklen Jahrhunderte. Dann die Korinther ab 800. Dann die Athener um 500. Zuletzt die Römer. Und jede dieser Keramik-Produktionsstätten hatte eine ganz eigene Art, Tongefässe zu gestalten. So dass sich aus Verarbeitung und Gestaltung Hinweise ergeben, welchem großen Exporteur und welcher Epoche die Tonscherben zuzurechnen sind.

Und je nachdem, was man so findet, kann man sich ein bisschen von dem zusammenreimen, wer hier wann, warum und wie gelebt hat. Das geht auch als Laie. Zwar nicht annähernd mit der Treffsicherheit der Archäologen. Aber die liegen oft auch Jahrhunderte daneben.

Und das ist, was wir an diesem Abend auf Milos entdeckt haben:



Und diese Scherben erzählen folgende Geschichte über die Besiedlung der Bucht (im Uhrzeigersinn, beginnend ganz oben):

Die ersten Menschen kamen übers Meer, und sie siedelten hier vermutlich bereits zwischen 5.000 und 3.000 vor Christi Geburt. Damals lagen die Meeresspiegel noch mehr als 100 Meter tiefer, es war erheblich kälter, die letzte Eiszeit lag gerade mal 5.000 Jahr zurück. Wegen des niedrigeren Meeresspiegels waren die Inseln alle etwas näher als heute. Trotzdem müssen die Siedler, die das kleine Steinzeitmesser, das Microlith (ganz oben im Bild auf 12 Uhr) benutzten, schon eine weite Strecke über das Meer gefahren sein - und das vermutlich in kleinen, aus Schilf geflochtenen Kanus. Es war eine Gemeinschaft von Jägern, die an dieser Stelle lebte. Und: weil sie ganz oben auf dem Grat lebten, nach damaliger Rechnung 200 Höhenmeter über dem Meer, muss es in einer Zeit gewesen sein, in der kriegerische Auseinandersetzung zwischen einzelnen Clans auf der Tagesordnung waren. Auch dies: Krieg, die Waffen gegen die eigene Art erheben, ist eine Erfindung des neueren Menschen.

In den Jahrhunderten zwischen 1.700 und 1.300 vor Christus schufen die Kreter zum ersten Mal ein Handelsnetz im östlichen Mittelmeer: Die Bronzezeit war angebrochen, der Hunger nach dem neuen Werkstoff für Werkzeug und Waffen unersättlich. Die Kreter schafften Kupferbarren von der Kupferinsel, von Zypern, heran. Und die für die Legierung erforderlichen 10% Zinn aus dem Schwarzen Meer. Und von dort überall hin im östlichen Mittelmeer, bis hinunter nach Tameri, nach Ägypten. Und später Getreide, Wein, Textilien, Weihrauch, Bauholz, wer weiß was noch alles, in alle Richtungen. Es war eine Welt in der Blüte. Und die kleine Bucht von Milos war Teil dieser Welt: hier existierte vermutlich eine kretische, wahrscheinlicher: eine mykenische Handelssiedlung - die kleine Tonscherbe rechts neben dem Microlith gehört aufgrund des geometrischen Musters vermutlich in die Zeit um 1.000 vor Christus. Händlersiedlung: das bedeutet Händler. Und Handwerker, die Waren schufen, die ihrerseits für den Export geeignet waren. Wer weiß, worauf sich die Handwerker von Milos spezialisiert hatten. Und Bauern, die für die Versorgung der Bevölkerung zuständig waren.



Um 1.200, zeitgleich mit dem Untergang Troyas, brach diese Händlerwelt im östlichen Mittelmeer komplett zusammen. Die Seevölker, aus Völkerwanderungsprozessen hervorgegangene Gemeinschaften von Plünderern verheerten, zerstörten, plünderten binnen Stunden, was Jahrhunderte lang ein funktionierende Wirtschafträume waren. Vom Peloponnes über die türkische und libanesische Küste bis hinunter nach Ägypten zog sich sich die Verwüstung über 200 Jahre. Erst die Phönizier, die Purpurhändler um 1.000 vor Christus aus Tyros im heutigen Libanon, begannen, wieder ein Handelsnetz aufzubauen. Doch diesmal noch weiter: Erst bis Sizilien, dann Sardinien, dann Nordafrika, wo sie Karthago gründeten. Bis über Gibraltar hinaus nach Protugal zog sich ihr Handelsnetz. 

Um 800 vor Christus trat Korinth als führender Händler neben den Phöniziern mit auf den Plan, wurde um 500 vor Christus durch Athen abgelöst. Korinthische und athenische Töpferwaren fanden reissenden Absatz, man findet ihre Überreste fast im gesamten Mittelmeer-Raum - auch in unserer Bucht auf Milos: Die braun bemalten Tonscherben rechts oben im Bild stammen aus dieser Zeit und zeigen, dass Milos wieder eine Händlersiedlung hatte. Und eine, die funktionierte: Denn auch der Großteil der übrigen Tonscherben gehört vermutlich in diese Zeit, in der die Siedlung wahrscheinlich am größten war. Hier müssen viele Menschen gelebt haben, der Hang ist voll von Amphorenhenkeln, Krugscherben, Becherresten.



Ganz oben auf dem Grat finde ich Teile eines fein gearbeiteten, dünnwandigen Weingefässes aus dieser Zeit. Vielleicht war es - wie so oft - so: Am Hang, um den heute verlandeten Hafen, lebten Händler, Handwerker, Sklaven. Produzierten, fabrizierten, trieben Handel, kochten. Stritten, liebten, lebten. Oben auf dem Grat war die Garnison, die den Händlerort schützte. Vielleicht auch ein Tempel. Und vielleicht war mein kleiner Tonrest Teil eines Weihegeschenks, bevor der Ort vermutlich am Ende der Römerzeit aufgegeben, verlassen und nie wieder richtig besiedelt war. So wie in der Antike.











Alle im Bild gezeigten Tonscherben verblieben an ihrem Fundort: dem Nordhand über der Bucht Agiou Dimitrou auf der Insel Milos.
Special Thanks to Andreas Meyer for Fotography.