Dienstag, 9. September 2014

Menschen am Meer: Giorgos. Oder: Muränen sterben langsam.


Der da nach unserem Anleger auf Milos an LEVJE vorbeischwimmt, ist Giorgos. Er ist Lehrer und lebt eigentlich in Athen. Aber wie so viele Griechen, die ich unterwegs kennenlerne, kehrt auch Giorgos einmal im Jahr zurück, dorthin, wo er aufgewachsen ist: Nach Milos. Und dort verbringt er eine gute Zeit. Meistens mit Freunden, und auf einem kleinen Motorboot, Auf dem kleinen Motorboot sind zwei Familien versammelt: Giorgos' Freund mit Frau und Kind. Eine Freundin. Mit Kind. Und Giorgos. Sie liegen da. Schaukeln in den Wellen. Machen Musik. Ein friedliches Völkchen.

Und weil ja Abends etwas auf den Teller muss: zieht Giorgos mit seiner Harpune los. Im Bild oben ist er schon auf dem Rückweg. In der Felswand hat er eine mittelgroße Dorade harpuniert. Und eine braune Muräne. Man sieht sie, oben, im Foto, an der Spitze der Harpune.

Giorgos ist stolz über sein Jagdglück. Muräne gegrillt sei köstlich. Und das weiß auch ich, seit ich in diesem Winter in LEVJE's Heimathafen Izola in Slowenien gegrillten Meeraal vorgesetzt bekam. Im RIBICA, das von Fischern betrieben wird. Es war einer der besten Fischteller, die ich je vor mir hatte.


Aber leider ist die Muräne noch nicht verendet. Sie kämpft. Und krampft. Und windet sich zu einem Knäuel. Und versucht, sich irgendwie von der Harpune zu befreien, das scheußliche Ding loszuwerden.


Eh ich michs versehe, hat mir Giorgos die Harpune in die Hand gedrückt, samt der sich windenden Muräne. Er schnorchelt zum Grund, und als er wieder auftaucht, hat er eine Steckmuschel in der Hand. Gegrillt ein Gedicht, meint Giorgos. Und er will sie mir schenken.


Aber so weit geht meine Experimentierlust heute nicht. Während ich noch mit der Muräne in der Hand dastehe, fällt mir dazu schon nichts Vernünftiges ein, wie ich dem Leiden der sich windenden Kreatur auf der Harpune ein schnelles und für mich nicht akzeptables Ende setzen könnte. Keines, über das ich hier gerne schriebe. Nein. Heute keine Steckmuschel auf dem Grill.
Die Muräne erinnert mich daran, wie wir überall mit Tieren umgehen, auch bei uns in Deutschland. Das Schwein, das meine Großmutter zu ihrer Goldenen Hochzeit schlachten ließ, bei sich im Hof. Der Metzger, der Fischer-Seppl, ging zielstrebig zu Werke, er wußte, wie er es machen mußte. Aber trotzdem ließ die ganze Prozedur samt fröhlichem Kesselfleisch-Essen der Gäste den Achtjährigen verstört zurück. Ich habe nie Kesselfleisch gegessen. 
Da ist sie dann wieder, die moralische Frage: 
Auf der Stelle Vegetarier werden? Ändert nichts an der Tatsache, dass genau in diesem Augenblick, wo immer wir uns gerade befinden, in geringster Entfernung Tiere geschlachtet werden. Und uns in guter deutscher Manier raushalten? Ich fürchte, die Zukunft wird uns Anderes abverlangen. 
Augenblicklich eine Initiative gegen das Harpunieren gründen? Aufkleber verteilen? 
Oder einfach den freundlichen Giorgos schelten? Und was, wenn er mir das Wort WIESENHOF und WIETZE um die Ohren haut? 432.000 geschlachtete Hühner. Pro Tag. Und das ist nur EINER von vielen Hühner-Schlachthöfen in Deutschland. Die Fischfarmen, die mich auf meiner ganzen Reise von Triest bis hierher begleiteten?
Nein, ich fürchte, dies ist, was man "Leben" nennt, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Wir können den Kreaturen, die für uns ihr Leben lassen, mit Respekt begegnen. Für artgerechte Aufzucht und ein erträgliches Ende ohne Qual sorgen. Das ja. Aber das "Stirb und Werde" und unsere Rolle dabei: daran werden wir wenig ändern. 

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