Sonntag, 25. Mai 2014

Unter Segeln: Von Grado nach Venedig

Morgens um 5 bin ich in den Lagunen von Grado erwacht. Mein Lebensrythmus passt sich beim Draussen-Sein irgendwie an den Lauf der Sonne an: wenn sie aufgeht, bin ich wach. Und wenn sie untergeht, bin ich müde zum Umfallen.
Um sechs Uhr Anker auf und unter Motor die Dalbenstraße hinaus, nur die Fischer von Grado sind draußen, aber von denen viele. Auf See kommt Wind auf, der Himmel bewölkt sich, es sieht trotz guter Prognosen der letzten Tage nach Regen aus. Ich ziehe schon mal die gelbe Schwerwetter-Hose, Schwimmweste und die Stiefel an. Wenn es regnet, will ich bereit sein.
Der Wind pendelt sich ein zwischen 12 und 14 Knoten, das ist gut für Levje. Sie ist ein wunderbares Schiff, eine Meisterin darin, aus 9 Knoten Wind (das ist wenig!) 5-6 Knoten Speed (das ist ordentlich!) herauszuholen. Bei solchen Verhältnissen ist Levje ein echter Renner. Es ist Levjes Wetter also. Nur große Wellen: die mag sie nicht, und da haben größere und schwerere Jachten ihre Stärken.
Der Himmel bewölkt sich mehr und mehr, im Norden, da wo die Berge des Friaul sein müßten, stehen Gewittertürme. Der Wind dreht auf Süd, wir haben ihn querein, und das ist nun wirklich für jede Segelyacht das Größte, der schnellste Kurs. Levje läuft vollkommen allein unter Autopilot, schnürt durch die Wellen, ich kann mich ganz auf das Meer konzentrieren, die querab einkommenden Wellen, das mich immer wieder in seinen Bann ziehende Graugrün dieses Meeres, die Farbe ist nirgendwo so wie hier auf der nördlichen Adria. Es sind die Sedimente der großen Flüße und das Licht, die diese Farbe erzeugen. Oft, in angespannten Meetings oder stressigen Situationen im Beruf, habe ich mir diese Farbe in Erinnerung gerufen: die Farbe des Meeres an der Einfahrt zur Dalbenstraße nach Grado. Es ist auch die Farbe, die die Kanäle von Venedig haben.
Es ist Stunde um Stunde faszinierend, dem Meer zuzusehen. Ich wechsle öfter die Position, gehe an den Bug, schaue die Segel hinauf, wie sie ziehen, ob sie gut stehen, setze mich aufs Vorschiff, keine Minute ist langweilig, keine Minute ist wie die Andere.
Gegen Mittag werden die Wolken noch dichter, und der Wind schläft fast ganz ein. Wir laufen unter Motor weiter, aber der Wind ist nach 20 Minuten gleich wieder da. Früher, da fand ich Segeln nur bei schönem Wetter gut, aber seit einigen Jahren sind mir die liebsten Segeltage solche bei Regen. Das Meer ist dann intensiver in der Farbe, aber unaufgeregter, der Wind gleichmässiger, ich habe einige faszinierende Erinnerungen an Regen-Segeltage.
Gegen 14.30 stehen wir vor der Einfahrt nach Venedig, vor dem Lido. Hier wird am großen Sperrwerk MOSE gebaut, das Venedig vor den herbstlichen Sturmfluten aus dem Süden schützen soll. MOSE ist ein sehr umstrittenes Projekt, seit Jahren. Es ist als Schutz für Venedig gedacht, das sonst irgendwann untergehen würde, weil der Meeresspiegel im Mittelmeer ansteigt, unweigerlich. Seit der Römerzeit um 2-3 Meter. Auf der anderen Seite ist es ein Großprojekt: viele Interessen, viel Geld, das falsche Taschen füllt. Und am Ende: niemand weiß, wie das ökologische Gleichgewicht in der Lagune sich entwickelt, wenn der immerwährende zweimal täglich stattfindende natürliche Wasseraustausch in der Lagune von Venedig durch die riesigen Sperrwerke einfach "abgestellt" wird. Wird Venedig eine Badewanne, in der das Badewasser dann wochenlang stehenbleibt?
Trotzdem: die Einfahrt ist faszinierend. Auch wenn meine elektronische Navigation wegen Strommangels zur Hälfte ausgefallen ist (IPad ist mittlerweile eine Synomym für mich für "ein Kampf um Strom"). Dann also "the old way", mit Seekarte, nein, und vor allem die Navigation mit dem Iphone, sie funktioniert. Ich stehe im Regengrau mit dem Iphone in der Hand, wie Jack Sparrow mit seinem "Kompass der Sehnsüchte", nur nicht so cool, und fahre nach Venedig hinein.
Eine Schleife noch im Bacino gedreht, um Leinen, Fender, das Boot klar zum Anlegen zu machen: Und dann laufe ich in die Marina Sant' Elena ein. Ich habe mich für diesen Hafen entschieden, diesmal nicht für das spektakuläre San Giorgio, da waren wir mal im November, es liegt genau gegenüber von San Marco, wirklich einmalig und spektakulär. Aber eben auch teuer (31 Fuß, 80 € die Nacht), das summiert sich schnell. Und mitten im Touristenrummel. Also nach Sant' Elena, das ich noch nicht kenne. Und: es ist die richtige Entscheidung: Viele kleine Boote, ältere Segler, alles Venezianer unter sich, Roberto, der Marinaio, hilft mir beim Festmachen zwischen den Dalben. Ein netter Ort. Hohe Bäume, ein Kanal, ein Stadion daneben. Die fünfstöckigen venezianischen Autofähren gleich in unmittelbarer Nachbarschaft. Und dann, gleich nach dem Festmachen, und während der Gewitter-Platzregen losbricht, dies hier: Und wie immer berühren mich die Glocken von Venedig sehr.

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