Beginnen wir bei ganz einfachen Dingen, zum Beispiel beim Blau des Meeres. An diesem Morgen nach dem langen Nachtschlag von Korfu bis hierher, den ich im vorigen Post beschrieb, sind wir unterwegs auf dem menschenleeren Lunghomare, dem Spazierweg von Santa Leuca entlang des Meeres. Ganz links: das Meer. Und während ich jetzt hinausschaue, kann ich nicht anders als festzustellen: Dies eigentümliche Glitzern auf dem Meer: das gibt es so doch nur an einem Ort: das kann doch eigentlich nur in Italien sein.
Natürlich stimmt das nicht, denn Meeresglitzern ist ja nun überall gleich, egal ob Ägäis oder Atlantik, ob Poros oder Puerto Rico: Meer ist schließlich Meer, und Glitzern ist Glitzern. Und doch: Hätte mir jemand an diesem Morgen nach der langen Überfahrt eine Augenbinde abgenommen und mir das obige Foto gezeigt: Ich hätte ganz sicher auf Italien getippt.
Am Strand, im Wasser unter dem Lunghomare tummeln sich nur eine Handvoll Unentwegter, nicht mehr, obwohl es doch in dieser Jahreszeit am schönsten ist, am Meer zu sein. Die Lufttemperatur ist bei 21 Grad, das Meer bei 23 Grad, es ist also drinnen im Wasser wärmer als draußen, das konnten wir an diesem Morgen deutlich spüren, als wir uns noch vor dem Einlaufen in den Hafen ins Wasser stürzten. Und doch ist Santa Maria die Leuca herrlich verwaist an diesem Morgen. Im Supermarkt erklärt man uns, dass man heute für ein halbes Jahr schließen würde, die leeren Regale werden gescheuert, kaum, dass man dort noch etwas kaufen kann. Santa Maria lebt im und lebt vom Sommer, wie die meisten Orte am Meer, das ist das eine.
Das andere: Dass dieser Ort offensichtlich eine lange Tradition als Sommerfrische, als Ferienort hat. Denn auf der anderen Seite des Lunghomare reihen sich Ferienvillen und Sommer-Residenzen der anderen Art aneinander. In irgendeiner Phase seiner langen Existenz scheint eine merkwürdige Bauwut in Santa Maria gewütet zu haben. Nein, nicht der Stil des italienischen Futurismo, den ich so sehr liebe, die modernistische italienische Spielart des Bauhaus, sondern hier in Santa Maria di Leuca ein architektonischer Stil-Mischmasch, ein wildes Deklamieren und Zitieren von Baustilen allen Epochen und aller Länder. Als da wären:
Ein klein wenig orientalisch-muselmanisch unter duftenden KIefern (siehe oben).
Ein klein wenig maurisch:
Ein klein wenig US-amerikanisches White House, ohne Oval Office:
Und dann:
Ein klein wenig von Allem mit rosa Streifen drauf und getoppt von einem Leuchtturm, den der heutige Besitzer nachts von innen mit roter Laterne erhellt. Ein rotes Licht, das in die heranbrechende Nacht über Santa Maria di Leuca leuchtet und mich an die alte Warnung an die Seefahrer denken lässt, auf dem Meer und in Hafenvierteln wachsam zu sein:
"Nicht immer hält das rote Licht,
was es dem Fahrensmann verspricht."
Dazu noch die schönen Ochsenaugen im linken und rechten Flügel mit bemerkenswert schön gearbeiteten Fensterläden behängt.
Und weiter findet man:
Ein klein wenig Neugotik (hab ich mir verkniffen, zu fotografieren).
Ein klein wenig Neuromantik (hab ich mir auch verkniffen).
Ein klein wenig Neu-Renaissance.
Alles sieht so aus, als hätten irgendwo zwischen Gründerzeit und erstem Weltkrieg die wohlhabenden Sommerfrischler aus dem nördlichen gelegenen Lecce dazu verführt, genau hier ihrer Lust am Märchenhaften zu frönen und sich in einzigartigen Villenbauten auszutoben, ein Disneyland der Baustile, das sich fröhlich dem Betrachter darbietet. Santa Maria di Leuca, von dem die Legende erzählt, dass hier der Ort war, an dem früher Sirenen von den Klippen herunter die Seefahrer in die Irre gesungen hätten, verwirrt die Sinne heutiger Reisender mit einem herrlich bunten Allerlei alter Sommerresidenzen, von denen die meisten nur darauf warten, aus ihrem Halbschlaf wachgeküsst zu werden. In den leeren Gärten und kleinen verfallenden Parks vor den Gebäuden niemand, niemand, außer einem humpelnden alten Gärtner, der vor dem WHITE HOUSE dürre Planzen begießt. Die Villen von Santa Maria di Leuca: Sie werden aufgenommen in die lange Liste meiner ungeschriebenen Bücher.
Als die Sonne im Meer versinkt, wandern wir schnell hinauf zum Leuchtturm auf der Sirenenklippe. Und erleben dort oben, genau unter dem Halbmond, im Dämmer genau den Moment, in dem der Leuchtturm seine Arbeit beginnt: Sein Licht in der Dämmerung über der stillen Piazza plötzlich anspringt und sich mit langsamer, unendlich langsamer Bewegung drei Linsen um das Licht zu drehen beginnen, drei geschliffene riesige Glaslinsen, die in der Nacht um das Licht herum kreisen, unentwegt und mit langsamer, gleichmäßiger Bewegung. Und den Schiffen bis 50 Kilometer weit draußen, die halbe Strecke nach Korfu hinüber den Weg weisen mit einem einfachen Lichtsignal, das auch uns bis hierher geführt hat.
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