Freitag, 24. Juni 2016

Nachrichten vom anderen Ende Europas. Brexit.




Zeitsprung. Ich bin nun seit einer Woche in Sizilien unterwegs. Und die Nachricht vom Votum Großbritanniens erreicht mich an diesem Freitag Morgen im Hafen von Sciacca (gesprochen: Schakka) an der Südküste Siziliens. Sciacca: Ein 40.000 Einwohner-Städtchen mit Hafen und Thermalbad. Von hier aus sind es noch 100 Seemeilen nach Tunis, aber 250 nach Rom - geografisch. Mental ist Sciacca ganz klar Italien. Ein touristisch propper entwickelter Ort, der vorbildlich etwa in markierten historische Rundwege, eine zentrale Piazza oder einen eigenen kontrollierten "Sciacca DOC"-Weinbau investiert hat. Das bessere, das zukünftige Sizilien also, das Chancen nutzt und ergreift.

Was denken die Menschen hier in Sciacca an diesem Morgen über den Ausstieg Großbritanniens aus Europa? Was hoffen, was fürchten sie? Ich packe an diesem Morgen, kaum dass das Gewitter über LEVJE draußen vorüber ist, meinen Rucksack und ziehe los. Und frage einfach die Menschen auf der Straße.
















Ich habe das Gelände des CIRCOLO NAUTICO CORALLO, wo ich mit LEVJE liege, kaum verlassen, da läuft mir Vicenzo über den Weg. Er ist Marinero hier im Club, hat einen Vertrag für zwei, drei Monate, die er aushilft. Gestern unterhielten wir uns noch über die Kunst, Bistecca richtig zu braten. Und heute BREXIT.

Vincenzo: "Ich finde es vollkommen richtig, dass die Briten austreten. Europa funktioniert nicht - da essen zu viele aus demselben Teller. Auf politischer Ebene irgendwelche Honoratioren, auf Länderebene irgendwelche schwachen Länder. Nein. Wenn ich heute zu entscheiden hätte: Ganz schnell wäre Italien draußen.
Und überhaupt: ich mag die Deutschen. Aber ein starkes Deutschland, eine starke Merkel: Nein, das würde mir gar nicht gefallen."

Das fängt ja schon deftig an. Vincenzo lässt sich in seiner Meinung auch gar nicht beirren. Ich wackle weiter um die Hafenbucht und komme zu Nino.

Nino ist der Wirt des hiesigen RISTORANTE ITALIA. Ich kenne Nino, weil ich nun schon zwei Mal vergebens bei ihm angefragt habe, um einen Tisch zu bekommen - zwei Mal vergebens. Sein Fischrestaurant am Hafen brummt. 632 Bewertungen mit vier Sternen auf der einschlägigen Essensplattform muss sich nicht verstecken. Auch Wirt Nino hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Er zählt auf:

"Wir sollten auch raus aus Europa. Ich sage erstens, das funktioniert nicht mit dem Euro. Und zweitens: Früher, als alles schlechter war, war es besser. Damit meine ich, dass heute beim Essen jeder doch jeden Centesimo zwei Mal rumdreht, bevor er ihn ausgibt. Die Leute haben einfach kein Geld mehr. Nein, als wir die Lira hatten, war alles besser."

Ich wage einen Widerspruch: "Das mit den Steuern ist aber doch Eure italienische, nicht europäische Politik?"

Nino stutzt etwas: "Trotzdem. Raus aus dem Euro. Raus aus Europa."

Oh je. Wenn das nun so weitergeht? Naja, dann weiß ich wenigstens, was ich denken muss. 

Ein paar Meter weiter treffe ich Roberto in seinem Laden. Er steht vor seinem Brennofen und stellt in seinem Laden die wunderschön glasierten sizilianischen Platten und Schalen her. Sie werden zur Hälfte von Einheimischen, zur anderen von Touristen gekauft.

Roberto: "BREXIT? Was ist das? Ich habe nichts mitbekommen?"
Robertos Tochter, 12 Jahre: "Paaaapaaaa! Sie sind ausgetreten. Die Engländer."
Roberto: "Ach so?"

Na gut! Wenigstens einer, der keine schlechte Meinung hat über dieses zarte, zerbrechliche Plänzchen Europa. Das ist schon mal was! Meine Hoffnung wächst, als ich die 100 Stufen vom Hafen hinauf in die eigentliche Siedlung erklimme. Oben stehe ich dann auf der großen Piazza. Und da treffe ich dann Desirèe.

Desirèe stammt aus dem Norden, aus Treviso. Und überrascht stelle ich fest, dass sie das gleiche tut wie ich. Sie arbeitet an Segelbüchern. Na das ist ja eine Überrraschung! Trotzdem. Was denkt sie über das Votum Großbritanniens?

Desirèe: "Das ist überhaupt keine gute Nachricht. Das stellt doch Europa komplett in Frage. Ich mache mir Sorgen!"

Ähnlich sieht es auch Marco, de nach eineinhalb Stunden auf der Terrasse des Cafés zu uns stößt.

Marco und Desirèe leben auf einem Motorschiff. Es ist ihr Büro, und sie kartografieren von hier aus  die sizilianischen Häfen und Buchten. Und machen Seehandbücher daraus.

Marco: "Eigentlich ist das alles verheerend! Das ist doch ein ganz großes Signal der Schwäche, das dieses Europa aussendet. Es ermutigt doch andere Nationen, die gleiche Abstimmung loszutreten und vielleicht Europa ebenfalls zu verlassen. Nein. Kein guter Tag."

Nun ist mein Weltbild doch wieder einigermaßen geradegerückt. Nicht alle meine Gesprächspartner wollen Italien verlassen. Viele Italiener machen sich doch ihre Sorgen. Auf der Straße treffe ich zwei junge Deutsche, Manu und Kim. Die beiden Hamburgerinnen sind Mitte/Ende 20 und machen Urlaub hier Sciacca. Was Sie denn über den Abschied von England aus Europa dächten? Schließlich seien sie doch in Hamburg Großbritannien um so vieles näher als der Süden.

Manu: "Ich bin schon geschockt. Großbritannien ist schließlich eine der vier größten Wirtschaftsmächte in Europa. Das wird wirtschaftlich für Deutschland ganz sicher Konsequenzen haben. Ich fürchte vor allem die wirtschaftlichen Folgen für Deutschland."

Kim: "Ich finde es ganz gut, dass Großbritannien aus Europa austritt. Ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass die Briten immer noch an ihrer Monarchie festhalten - und die kostet doch unendlich viel Geld, auch unseres. Nein. Es ist gut, dass die Briten sich entschieden haben und rausgehen."

Als ich die beiden bitte, ob ich sie für meinen Beitrag fotografieren darf, sind sie nicht glücklich. Wie viele aus der deutschen "Generation Facebook" gehen sie anders als andere sensibel mit dem Thema Fotos um.

Ein paar Schritte weiter treffe ich Calogero und Ruggiero in einer Bar. Beide sind hier geboren, Calogero studiert und arbeitet in Rom im Bereich "Human Resources" und ist gerade auf Urlaub hier. 

Calogero: "Den Ausstieg Großbritanniens aus Europa finde ich gar nicht gut. Das ist schließlich nicht ein kleines Land wie Albanien, was da eben mal seine eigenen Wege geht. Ein ökonomisches Schwergewicht - und wie sollen jetzt die restlichen Länder denn die ganzen finanziellen Aufwendungen ohne Großbritannien schultern? Das ist nicht gut."

Auch Ruggiero denkt so. Er ist angehender Jurist in Palermo und ebenfalls auf Urlaub in seiner Heimat. Wie denn Italien heute entscheiden würde, wenn es auch hier eine Abstimmung gäbe? frage ich ihn. "Das sähe nicht gut aus, höchstwahrscheinlich. Vermutlich würde Italien ebenfalls rausgehen. Europa hat mit seiner Bürokratie zu viele verstört." Und Calogero lächelt versonnen: "Eine solche Abstimmung wird es in Italien wahrscheinlich nie geben. Sie würde einfach auf halbem Weg irgendwo hängenbleiben. Nein. Da mache ich mir keine Sorgen."

Nein. Ein richtiger Trost ist mir das alles nicht, was ich gehört habe. Auch die Menschen in Sciacca denken sich ihren Teil, machen sich ihre Gedanken über das, was die Menschen weit nördlich an einem ganz anderen Meer für sich und ihre Zukunft entschieden haben. Es ist vor allem das junge Italien, das sich Sorgen macht, das Schwierigkeiten und negative Auswirkungen klar vor sich sieht.

Eines scheint mir allerdings klar. Auf dem bisherigen Weg gibt es kein weiter. Die Straße des "Weiter so!" ist versperrt. Es scheint, dass die bisherigen Institutionen, die bisherigen Formen, in denen Europa sichtbar ist und wirkt und tätig ist, ein Brüssel, ein Europa-Parlament Straßburg, ein Komissionspräsident Juncker und ein Parlamentspräsident Martin Schulz den Kontakt zu den Menschen verloren haben.

In Großbritannien. Aber auch hier in Sciacca, an der sizilianischen Südküste.






Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015














Einhand um Malta, Teil IV.




Tief beeindruckt von den Fels und Gesteinsformationen an Maltas Westküste schrieb ich vor einigen Tagen einen Post darüber, den ich heute fortsetze.

                                                                     Weiterlesen bei: Einhand um Maltas Westküste. Hier.

Eigentlich ist Malta fast rund. Geografisch stimmt das vielleicht. Aber für den Segler eben nicht. Denn in Wahrheit liegt die Insel mit ihrer Ost- und Westküste wie eine Wetterfahne in  Hauptrichtung der vorherrschenden Winde. Der Nordwest, der an Siziliens Südküste im Mai heftig wehte, streicht hier die Ostküste entlang von Nord nach Süd, so dass ich beschließe, die Insel im Uhrzeigersinn zu runden. Die zweite dominierende Windkraft kommt aus Südost - ideal, um die bereits beschriebene Westküste zu bereisen, denn selbst schwache Winde aus Südost sorgen durch Kap- und Küsteneffekt für flotte Fahrt nach Norden. Und wie beschrieben für heftige Fallböen in den wenigen Buchten an der Ostküste. Zu Umrunden ist die Insel eigentlich schnell: Mit meinem 31-Fuß-Schiff Levje könnte ich in vier Stunden die Südspitze erreichen und weiteren fünf, sechs Stunden meinen „Heimathafen“ Mgarr (gesprochen Im-Mdscharr) auf Gozo wieder erreichen.



Aber wer will schon schnell? Ich breche zeitig am morgen aus Mgarr auf und passiere im Morgenlicht die kleine Insel Comino, die genau zwischen Gozo und Malta liegt. Es ist einsam hier, nur ein paar Boote, die in der Passage zur Insel Cominotto ankern. Aber da will ich heute nicht hin, sondern mein Tagesziel heißt: Grand Harbour. Und Marsamxett Harbour. Die beiden tiefen Hafenbuchten der Hauptstadt Valetta.



Nach zwei Stunden kommt tatsächlich Wind auf. Aber dummerweise genau aus Südost - da wo ich hinwill. Die Lust am Segeln überwiegt, ich mache einen Kreuzschlag von Maltas Küste weg, genau Richtung Sizilien. Und weil LEVJE bei diesem Vierer grad so schön dahinschnürt, bin ich so hellauf begeistert, dass ich die Zeit vergesse, einfach wegsegle von der Küste, hinaus aufs offene Meer. Und dort fast der Versuchung erliege, einfach die acht Stunden mal schnell nach Sizilien… Aber nein! Valetta heißt mein Ziel. Disziplin. Jetzt nicht einfach nach Lust und Laune. Also gehe ich schnell auf den anderen Bug - und werde belohnt.



Denn die Einfahrt in die nördliche der beiden Hafenbuchten, den Marsamxett (gesprochen: Marsam’schett)-Harbour ist faszinierend. Wir ziehen unter Segeln in die Bucht, vorbei an Festungsmauern, Kuppelkirchen, alten Forts, die die Johanniter hier errichteten. 

Die Johanniter. Weil ich ein Buch über die große Belagerung Maltas durch die Türken gelesen hatte, reiste ich als 19jähriger alleine hierher. Die Geschichte einer Handvoll Ritter, die eine Insel gegen ein osmanisches Heer verteidigten, faszinierte mich damals so, dass ich begeistert anrückte. Malta damals? Eine vergessene Insel auf der Suche nach einer neuen wirtschaftlichen und politischen Zukunft. Die Briten, für die Malta jahrhundertelang wichtigster Flottenstützpunkt gewesen war, waren abgezogen. Jede Menge Jobs in den Werften gingen mit der Selbständigkeit Maltas 1964 mit einem Schlag verloren. Nur die englischen Touristen blieben. Malta in den 80ern: Man liebäugelte mit den Sowjets, kungelte mit Ghaddafi. Und beim Attentat auf die PAN AM-Maschine über dem schottischen Lockerbie, bei dem …. ein Jumbo durch eine Bombe in der Luft auseinanderbrach, spielte Malta eine unrühmliche Rolle. Der Koffer und die Kleidung, in denen die Bombe an Bord geschmuggelt worden waren, waren in einer Boutique im Touristenort Sliema gekauft worden und via Frankfurt in die Maschine geschmuggelt worden. Die Spur - sie führte nach Libyen, zu Muammar al Ghaddafi.

Von der Armut der 80er ist heute nichts mehr zu spüren. Malta, der dichtbesiedelste Staat der EU, brummt und summt. Steuervorteile locken Firmen, Finanziers und Vermögende gleichermaßen auf die Insel. Die Immobilienpreise auf Malta haben längst Münchner Innenstadt-Niveau erreicht. Die Insel prosperiert. Und jedesmal bin ich wieder darüber erstaunt, wie sehr sich die arme Insel von einst gemacht hat.

Wer nach Valetta segelt, hat die Wahl: Vier, fünf Marinas stehen dem Segler zur Verfügung. Die etwas mondäne Camper+Nicolson-Marina im Grand Harbour vor dem historischen Vittoriosa ist für den gehobenen Geldbeutel. Für meine 31-Fuß-Levje müsste ich 67 Euro berappen, plus Mehrwertsteuer macht laut Preisliste 91 € die Nacht. Muss nicht sein. Mich verschlägt es stattdessen hinter Fort Manoel, ganz am Ende der Marsamxett-Bucht in die Msida-Marina, einen alten Flußarm auf der sonst wasserarmen Insel Insel Malta, in dem Platz für … Boote ist. Kaum ist das Groß in den Lazyjack gefallen, kaum drehe ich meine Runde im Hafenbecken, um Fender und Leinen zu klarieren, rauschen drei Marineros im Dinghi an und geleiten mich an meinen Liegeplatz. Der liegt diesmal nicht an Felswänden, sondern inmitten von Hochhäusern, dort, wo der Fluss, der "Creek" immer enger wird.

Einer der Marineros entpuppt sich als ... Chef, der sich nicht hinter Schreibtisch und Visitenkarte verschanzt, sondern selber die schmuddelige Mooring in die Hand nimmt. „Heiß heute“, meint er, „ich hab mir einen Sonnenbrand geholt“, sagt er und zeigt mir seinen roten Arm. Ein braungebrannter Malteser mit Sonnenbrand! Die Sonne ist hier nicht zu unterschätzen. 


Im Marinagebäude ist alles neu, die Waschräume sind im Hochhaus mit den runden Balkonen untergebracht. Zu einem meiner vielen ungeschriebenen Büchern, an denen ich jeden Tag im Geiste weiterfeile, gehört auch ein illustrer Titel, an dem ich, seit ich segle, im Geiste ständig schreibe: Er heißt „100 Toilets to Sea. Ein Europäischer Kloführer.“ und ist nichts anderes als ein Kloführer für Segler - von den Schären bis Malta. Von Quiberon bis Don. Würde ich ihn schreiben, kämen die MSIDA-MARINA-Räume (Stand 6/2016) mit glatten 4,8 von 5 Punkten weg. Und das auch nur, weil ich aus Prinzip keine Höchstpunktzahl vergebe. Alles ist nagelneu und gepflegt, Wasser sprudelt richtig heiß und richtig kalt aus der Leitung, ich genieße das Süsswasserbad im Hochaus, bevor ich mich in die Großstadt stürze. Valetta lockt, ich setze mich in den Bus, der ein paar Meter weiter ins Zentrum fährt, streife durch die Straßen der Stadt.



Valetta und Malta: Sie sind so ganz anders in ihrem Gepräge als Inseln wie die große Schwester Sizilien zehn Segelstunden entfernt im Norden. Wer ankommt, wird mit "Sir" begrüßt. Die Sprache ist arabisch, doch in lateinischen Buchstaben geschrieben. Die Insel ist wohlhabend - was man daran merkt, dass in der Main Road eines typisch maltesischen Hauptortes wie Valetta oder Victoria auf der Nachbarinsel Gozo mehr Immobilienhändler als Bäcker zu finden sind. Und Zufahrtsstraßen von Autohändlern gesäumt sind. Aus Furcht, wie 1980 mit den Schattenseiten der englischen Küche konfrontiert zu werden, habe ich mir aus Sizilien 10 Flaschen Wein und gutes italienisches Brot auf LEVJE gepackt. War gar nicht notwendig. Ist alles da: Malta produziert mittlerweile achtbaren Wein. Malta hat nette Fischläden, die jeden Tag geräucherten Lachs anbieten. Das Brot im Supermarkt ist wunderbar. Eine Insel auf dem Weg nach oben. Selbst eigene Ölbohrinseln im Süden betreibt Malta mittlerweile, das keinerlei Bodenschätze hat und zu den wasserärmsten Regionen der Welt gehört.




Was also ist es, was die Insel so brummen lässt? Eine Insel, auf der nichts produziert wird, auf der (fast) alles importiert werden muss?
Wieder einmal kommt mir die Frage meines besten Freundes Andal in den Sinn: "Kann eine Wirtschaft funktionieren, die davon lebt, dass jeder für jeden nur eine Pizza bäckt?" So eine Art "Perpetuum Mobile" der Dienstleistung - aber das hat ja schon in der Physik nicht funktioniert. Ich finde keine Antwort.

Am nächsten Mittag auch nicht in der großen Doppelbucht an der Südspitze Maltas. Der Wind am Vormittag war eingeschlafen, eigentlich merkwürdig, denn heute sollte es mit vier aus Südost wehen. Also motorte ich die Küste hinunter, zahllose Fischfarmen liegen vor der Südostspitze, ich musste aufpassen, dass ich zwischen den gelben Bojen und Aquakulturen nicht in einen Irrgarten geriet. Marsaxlokk (gesprochen: Marsah:schlokk) ganz im Süden ist das Tor, durch das hereinkommt, was Malta so zu brauchen meint. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus, was für riesige Schachtelfahrer (So nennen sie sich selber - ich bin zwei mal auf Containerschiffen mitgereist!) hier abladen. Das sind keine Fiederschiffe mehr, es wird direkt importiert. Und so geht es mir mit Malta und seinem Wirtschaftswunder so wie mir neulich der kluge französische Skipper bei einem Glas Wein sagte. Man hätte im Leben doch immer zwei Möglichkeiten:

"Entweder viel sehen. Und nichts kapieren.
Oder viel kapieren. Und nichts sehen."

Was das Begreifen von Maltas Wirtschaftswunder angeht, bin ich eindeutig im ersten Satz befangen.














Und weil es in Marsaxlokk nur Bojenfelder gibt, wo ich anlegen könnte, segle ich weiter und streife nun die Westküste hinauf. Aber das ist eben eine Geschichte, über die ich bereits schrieb.
                                                                 Weiterlesen bei: Einhand um Maltas Westküste. Hier.

Fazit: 
Malta ist seglerisch allemal einen Abstecher wert. Eine Handvoll Marinas, zwei Handvoll netter Buchten und atemberaubende Naturlandschaften von See aus sind Gründe genug, sich  hier herumzutreiben. Und die Tempel von Gigantija - sie sind es allemal wert!

Wer Infos über Preise und Marinas möchte: Bitte einfach schreiben über das Kontaktfeld ganz unten auf der Seite.














Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015








Sonntag, 19. Juni 2016




Wieder einmal hilft mir LEVJE, mein Boot, das Land zu entdecken. 

Zurückgekehrt aus der Türkei, beschließe ich beim Aufwachen, doch mal die Motorbilge zu kontrollieren. Das kann man auf LEVJE machen, indem man sich im Bett einfach nach links dreht, so als wollte man beim Aufwachen seine Gefährtin liebevoll betrachten. Dann öffnet man eine kleine Klappe, und schon kann man hinunterschauen in den Motorraum und ….  -  Mist! Wieso steht da jetzt eigentlich Wasser drin????

Wasser im Schiff ist blöd. Vor allem, wenn es dort ist, wo es gar nie sein soll. Meine Laune geht auf minus 15 Grad, ich überlege, während mir nach Fluchen zumute ist, beim Zähneputzen, wie ich das Leck finde. Und das Problem löse.

Hauptverdächtiger ist der Wassersammler aus Edelstahl. Also schraube ich flux Auspuff, Krümmer, Schläuche, Dieselfilter, siebenerlei Schlauchschellen ab. Und keine Dreiviertelstunde später habe ich den Übeltäter ausgebaut in der Hand. Tatsächlich. Eine rostige Stelle. Angefressen. Aus der es seffzt und seicht und trielt. Wie das? Ist doch Edelstahl?



Das gute an der Malaise ist: Ist doch Edelstahl! Man kann es also schweißen. Ich muss jetzt nur auf Gozo, der kleinen Nebeninsel Maltas, jemanden finden, der das kann. Ich packe mir das baumstammdicke Teil in eine große Tasche und trotte zum Hafen. In der Ecke, in der die Fischer ihre ranzigen Kähne aus dem Wasser hieven und überholen, ist tatsächlich jemand. Und die Antwort, die ich von ihm erhalte, liest sich wie eine Ereignisfeld-Karte: 

„Gehe nach Victoria, in den Hauptort der Insel Gozo. 
An der Straße nach Marsalforn gibt es einen Schlosser. Er baut Boote. Und er heißt Frankie. Er schweißt Edelstahl.“



Keine halbe Stunde später, in der der Bus hinauf ächzt und mich und meinen Freund, den Wassersammler, hinaufkarrt zum höchsten Punkt der Insel, zur Hauptstadt Victoria, stehe ich vor Frankie. Der verblüfft mich, weil er sofort weiß, warum das Teil angefressen ist. „Zu viel Elektrizität im Wasser. In den Häfen ist zu viel Elektrizität. Von anderen Booten. Das erzeugt galvanische Effekte. Und die fressen dann den Edelstahl. Oder was immer.“

Right or wrong: Da hat einer nachgedacht über das, was im Wasser so vor sich geht. 
Und während Frankie sich an die Arbeit macht, streune ich ein bisschen in seiner Werkstatt hin und her. Und bin begeistert. Frankies Werkstatt ist so ganz anders als die Werkstätten, die ich kenne. Keine tolle STANLEY-Werkzeugkiste. Keine tollen „WÜRTH-wir-machen-ihr-leben-leichter“ Werkzeugschränke mit Vollauszügen. Nichts. Gar nichts dergleichen.

Das Gehäuse eines alten Schiffsgetriebes am Boden, wer weiß, wie lange schon. Da liegt es, wie ein leeres Schneckenhaus, wenn der Schneck, das Leben, längst ausgezogen und fort ist.
Vier Edelstahltrommeln von Waschmaschinen in der Ecke. Wer weiß, was Frankie daraus bauen wird?



An der Wand: ein fünfblättriger Bootspropeller. So einen habe ich ja noch gesehen. Eine Schiffsschraube, die aussieht wie eine PRIL-Blume aus den siebzigern, wie irgendetwas, das aus einer anderen Zeit stammt. Hineinragt in die unsere. Und hier einen Ort gefunden hat, wo sie einfach nur sein darf. Zweckfrei. Jahrzehnte. An der Wand hängen. Und von den Zeiten träumen, als fünfblättrige Bootspropeller einfach hip und der letzte Schrei waren.

Hölzerne Schablonen, oben in der Ecke. „Die sind noch von meinem Vater. Er war Bootsbauer hier in Malta und hat hier in dieser Werkstatt die traditionellen Holzboote gebaut. Sie heißen Luzzu oder Dghajsa.“



Treibriemen, die von der Decke hängen, für alles mögliche. Um alles mögliche oder unmögliche damit anzutreiben.

Überall im Raum verteilt Maschinen. Um aus Stahlteilen etwas heraus zu drehen, Späne wegschälend freizulegen, zu schweißen. Eine alte englische Drehbank aus der Zeit, als die Engländer, Kolonialherren über die Insel, plötzlich abzogen. Die Insel sich selbst überließen. Die Werften, die zweihundert Jahre die Menschen beschäftigt hatten, plötzlich sich selber überließen, sie nicht mehr benötigten. Was man alles wissen muss, um die Drehbank einzusetzen.



Eine Muschel unter dem eingestaubten Blatt einer uralten Säge. Wer weiß, wen sie woran erinnern soll. Stahlteile. Soweit das Auge reicht.












Frankie erzählt. „Mein Boot habe ich mir selber gebaut. Aus GFK. Es ist ein einfaches 
Fischerboot, mit dem ich zum Angeln rausfahre, wenn es hier nichts zu tun gibt. Es ist nicht groß, gerade mal sieben Meter. Aber es reicht, um …. zu fangen. Wo kommst Du eigentlich her?“

Als Frankie erfährt, dass ich Deutscher bin, nimmt er mich am Arm: „Das hat mein Vater im Krieg aus einem abgeschossenen deutschen Flugzeug. Es ist der leergeschossene Gurt eines deutschen Kampffliegers, der oben an der Straße nach Ta’Pinu abstürzte.“



Leer geschossene Patronen eines Kampfflugzeugs. Und plötzlich ist sie da, die Geschichte, wie sich deutsche und italienische Flieger vom nahegelegenen Sizilien aus aufmachten, manchmal 10 mal, 20 mal am Tag die Insel Malta angriffen. Die hundert Kilometer übers offene Meer hinüberflogen, die Inseln zwei Jahre lang bombardierten, um sie niederzuzwingen, damit noch verwegener, noch monströser: Die deutsche Armee in Nordafrika ihren Nachschub bekam und Richtung Ägypten marschieren konnte. Was wollten, all die Georgs, die Hansens, die Sebastians und Rolfs denn in Nordafrika? So ganz werde ich es nie verstehen. 



Teile aus einem englischen Flugzeugwrack. Das Rad, um die Sauerstoff-Zufuhr zu öffnen, wenn das Flugzeug in zu große Höhen aufgestiegen war. Teile aus einer anderen Welt. Frankie's Werkstatt: Ein Museum dessen, was einmal war. Und heute Teil unserer Geschichte ist. Teile, die still an der Wand hängen und vielleicht dort an der Wand hängen bleiben, bis Frankie eines Tages seine Werkstatt aufgibt. Und im boomenden Malta an die Stelle seiner Werkstatt irgendetwas anderes dort gebaut werden wird.





Und während ich meinen Gedanken nachhänge, ist Frankie schon beim nächsten Teil. Eine verbackene Wasserpumpe aus einem Trawler will wieder gängig gemacht werden. Frankie macht sich mit Liebe an das Teil heran. Spannt es in einen Schraubstock. Und klopft mit einem kleinen Hammer auf Schrauben und Muttern, um sie zu lösen. Ich aber lasse Frankie weiterarbeiten. Lasse ihn ankämpfen, den Mann mit den klugen, wissenden Augen, gegen den Zerfall, die Enthropie, das Vergehen, das sich noch gegen jedes vom Menschen geschaffene Teil richtete. Für kurze Zeit wird Frankie in seiner Werkstatt den Kampf gewinnen.