Samstag, 31. Mai 2014

Wo die Bus-Häuschen Schlange stehen: Eine Liebeserklärung an einen unentdeckten Ort: Sant' Elena.

Einer der zwei, drei Kanäle von Sant' Elena, die in den Park
der Biennale münden.

Der Stadtteil Sant' Elena, genau genommen eine Insel, liegt ganz im Osten von Venedig, dort, wo die Stadt wieder aufs Meer trifft, am Wasserweg nach Murano. Es ist nicht zu vergleichen mit dem flippig-chicen Dorsoduro, wo die Künstler wohnen. Auch nicht mit dem Durchlauf-Erhitzer San Marco, wo an manchen Tagen Gott-weiß-wieviele Venice-in-a-Day-Touristen durchgedrückt werden, von wem eigentlich? Nein, Sant' Elena ist 'was Ruhiges. Vor einer Woche, bei meinem ersten Landgang, war ich verblüfft: 

Der Park im Süden zwischen Anlegestelle Sant' Elena und dem Wohnviertel

Ein Park? In Venedig? Mit einem Flair, ein bisschen wie der Central Park. Breite, kurze Gassen. Kaum Menschen. Hohe alte Bäume. Stille. "E una confusione", sagt einer, dessen Boot neben meinem im Segelclub von Sant' Elena liegt und den ich frage, warum er hier in Sant' Elena und nicht im Zentrum wohnt. Als ich in Leo.org nachschlage, was denn "confusione" genau bedeutet, erhalte ich zwanzig verschiedene Bedeutungen. Alles. Nur nichts Angenehmes.


Es ist ein Ort, an dem die einfacheren Menschen leben. Die Fahrer der Wassertaxis ("Mafia", schimpft meine reizende Bekannte Delfina, Venezianerin, die auf der Giudecca lebt), die Steuerer der kleinen Lastkähne, nein, ohne die geht hier gar nichts, alles wird von ihnen herangeschafft. Oder weggebracht. Die Leute, die dieses riesige Museum Venedig am laufen halten. 


Die Bootsmechaniker haben hier ihre Werkstätten. Es gibt kleine Cafes hier, und kleine Läden mit meinem geliebten prosciutto crudo, aber zum Einkaufen muß man schon Zeit mitbringen, denn die beiden älteren Damen, denen der Laden zu gehören scheint, schneiden den Schinken in aller Seelenruhe, obwohl der Laden voll ist.


Und ja, das rote Gebäude: da haben die Leute ihre officina, die die Leuchttürme Venedigs im Dunkeln am Blinken halten.

Von der Marina des "Diporto Velico" Nach Norden, zur Actv-Werkstatt

Mein Schiff Levje liegt hier in der Marina des Segelclubs in Sant' Elena, eingezwängt zwischen der gleichnamigen Bettelordens-Kirche aus dem 12. Jahrhundert, die dem Stadtteil seinen Namen gab, dem Stadion des venezianischen Fußballclubs (aber viel ist da nicht los, Fußball in Venedig, wie soll das denn auch gehen?). Und eine große Actv-Werft ist hier. Dies ist also der Ort, wo Vaporetti und die großen Fähren (siehe das Bild oben) gewartet, betankt, repariert werden. Und wenn ich morgens von Levje mühsam auf den Steg klettere, weil die Flut, die "alta marea", mal wieder heftiger ausgefallen ist als gedacht, dann sehe ich die in einer Schlange stehenden gelben Vaporetto-Häuschen, die nur darauf warten, eine prominente Karriere vor Redentore oder Ca' Rezzonico zu beginnen.


Ich glaube, Sant' Elena ist ein Ort, an dem ich leben könnte, hier in Venedig.









Menschen am Meer: France Thierard, Schmuckdesignerin und Autorin



Das ist France Thierard. Ich lernte sie vergangenen Samstag im Palazzo einer Freundin am Canale Grande kennen, wo die beiden den von Ihnen entworfenen Schmuck präsentierten. France kennt wahninnig gute Geschichten über das Meer, das war nach wenigen Sätzen klar.
France war nicht immer Schmuckdesignerin. Sie ist geboren in der Champagne, studierte in Paris und machte später ihren Abschluß in Contemporary Art in Santa Barbara, Californien. Sie sei ein "cultural girl" durch und durch, sagt sie in französischem Englisch, und es sei ihr leicht gefallen, sich in der Welt der Kultur zu bewegen. Beruflich landete sie in verantwortlicher Position bei der "Comédie  Francaise" und blieb dort 14 Jahre.

Mit Mitte 40 lernt sie berufsbedingt bei einem Abendessen die beiden Einhandsegler Titouan Lamazou und Jean-Louis Etienne kennen - und ist von den Geschichten der beiden so unterschiedlichen Segler tief beeindruckt. So beeindruckt, dass sie sich zu ihrem 45. Geburtstag eine sechsmonatige Auszeit schenkt: eine Weltreise, "Just Nature", wie sie sagt, es war und mußte alles immer am Meer, an den Oceanen sein. Indien, Australien, Neuseeland, Polynesien. Auf einfachen Frachtern unterwegs oder mit Tauchbooten. Als sie zurückkehrt, hängt sie ihren Job an der Comédie Francaise an den Nagel. Lachend erzählt sie, dass innerhalb einer Woche nach ihrer Kündigung 300 Bewerbungen auf ihre Stelle eingegangen wären. Ob sie's jemals bereut hätte, frage ich sie. "Jamais."



Und dann geht sie richtig auf Reisen. Besucht die Falklands, von denen das wunderbare Pinguin Foto stammt. Geht auf Exkursionen. Und kommt vor ein paar Jahren zum ersten Mal nach Venedig. Die Stadt hat es ihr so angetan, dass sie im ersten Jahr fünf Monate bleibt. Im zweiten Jahr sechs, und jetzt, in 2014, wird sie länger bleiben. Nur im August, im Ferragosto, flieht sie zurück nach Paris. Da sei Venedig schrecklich.

Durch Glück habe sie in Dorsoduro eine kleine Wohnung gefunden, mit Blick auf einen Garten, und zwischen zwei Kanälen. Das Haus, in dem sie lebt, würde sich im Rhythmus des steigenden und fallenden Wassers bewegen, man könne es spüren. Ebbe und Flut drückten auf den Schlick und die Holzpfähle, auf denen die Fundamente der Häuser ruhen.


Und überhaupt: Venedig erfahren: das ginge nur, indem man mit einem Boot die kleinen Kanäle abfahre. Das wäre überhaupt ein Muss, wenn ich Venedig wirklich kennen lernen wollte. Und beginnt, mir nach dem langen Abendessen das mitternächtliche Venedig zu zeigen. Die Piazza San Gervasio, das nach dem großen Brand buchstäblich aus der Asche wiedererstandene Theatro Fenice, die dunkle Scala del Bovolo, die Kanäle, die in dieser Nacht bis 2cm unter die Randsteine gefüllt sind, Brücken, Gärten, Plätze. 1.000 Gesichter ihrer Stadt, solange, bis ich, der ich immer gut zu Fuß war, nicht mehr kann. Und aufgebe. Und nachdenklich mit dem allerletzten Vaporetto nach Sant' Elena zurückfahre.

France hat eben das Manuskript für ihr erstes Buch über Venedig abgeschlossen. Es wird in Italien und Frankreich erscheinen. Danach folgen Bücher über New York und Istanbul. Es werden immer Städte am Meer sein, über die sie schreibt.





Donnerstag, 29. Mai 2014

Was Mann unbedingt können muss (2): So macht man beim Anlegen des Vaporetto in Venedig den richtigen Knoten.


Es gibt Hunderte davon in Venedig, und es ist immer noch das Fortbewegungsmittel in Venedig, der Stadt ohne Auto und Fahrrad: der Vaporetto. Oder wie ihn die Venezianer liebevoll nennen: "il battello", wie fast immer im Italienischen mit Akzent auf der vorletzten Silbe.
Jedes Batello besteht aus zwei Mann Besatzung: dem Pilota ("Steuermann"), der im Häuschen sitzt und den Vaporetto steuert. Und dem Marinaio ("Seemann"), der den Festmacher ausbringt und den Anlegerknoten macht, in den jeder Vaporetto einbremst und dann langsam eindampft.

Der Knoten sieht so aus. Und es ist keiner, den man in der deutschen Segelausbildung lernt.

Verstanden? Kapiert? Gleich mal am Couchtisch nachmachen!

Nein?

Dann nochmal. Diesmal von einem weiblichen Marinaio.

Der Knoten heißt "Dopino", mancher Marinaio nennt ihn auch "nodo di otto" oder "nodo marinaisco". Meiner Meinung nach ist es ein angefangener Belegknoten mit einem halben Schlag am Ende, nur andersherum wie beim normalen Kopfschlag. Jeder Marinaio benutzt den Dopino. Ich habe nur einen Marinaio gesehen, der das gemacht hat, was ich eigentlich machen würde: einen Webeleinstek. Das war Vorgestern. Ich habe noch nie einen Marinaio so fluchen hören beim Ablegen, weil sich der Webeleinstek so zugezogen hat, dass ihn der Marinaio nur unter äußerster Kraftanstrengung, nach minutenlangem Ziehen und Zerren und Fluchen und Drehen aufbekommen hat.
Ich werde mich nie wieder fragen, warum ein Marinaio keinen Webeleinstek benutzt.

Übrigens ist die Arbeit eines Marinaio ziemlich hart. Gestern habe ich einen weiblichen Marinaio, nennen wir sie Annalisa, gefragt, wie oft sie einen Dopino am Tag machen würde. "Una Centinaia", war ihre Antwort nach kurzem Überlegen, mehr als Hundertmal. Annalisa, die mir ihren richtigen Namen nicht sagen und auch nicht wollte, dass ich sie fotografiere, ist etwa Mitte 20 und arbeitet bereits seit sieben Jahren als Marinaio. Und träumt, wie so viele Marinaio, davon, Pilota zu werden, in der Kabine zu sitzen und einen Vaporetto zu steuern. Aber es ist Krise, sagt sie, es sei schwer, zur Zeit zum Pilota aufzusteigen. Aber alles dies, die Schwere ihre Arbeit, ihre Sorgen, merkt man den Marinaio nicht an. Ich bin oft überrascht, wie freundlich sie sind, wie schnell sie einem älteren Menschen beim Aussteigen helfen, wie achtsam sie jeden Reisenden auf die schwankende Stufe zwischen Pier und Boot aufmerksam machen. Auf derartige Freundlichkeit in einem so stressigen Beruf  traf ich in Deutschland nur selten.

Und was mich dann nicht überrascht, ist: dass die Vaporetto-Besatzungen am morgigen 30. Mai 24 Stunden streiken werden. Die Eisenbahner und Busfahrer wohl auch. Die offizielle Actv-Seite, die ich wegen der Fahrpläne anhänge, informiert darüber. Das gibt ein Chaos.



Mittwoch, 28. Mai 2014

Was Mann unbedingt können muss (1): So rudert man eine Gondola.



Es sieht ja immer ganz einfach aus, wie diese Jungs das auf den Kanälen machen, eine Gondola rudern. Einfach und lässig, und eben das macht die Schönheit aus, die einem oft am Meer begegnet: Ein Fischer, der mit wenigen Handgriffen in einem türkischen Hafen ablegt. Ein Gondoliere in einem Kanal in Venedig, der sein Schiff mit scheinbarer Leichtigkeit bewegt.

Hier also das Video, wie man eine Gondola rudert.

Verstanden? Ganz einfach. Noch mal ansehen.

Und dann den nächsten Beitrag über die Fórcola, den kleinen hölzernen Arm in der Gondola rechts, lesen. Und verstehen, dass die spielerische Bewegung des Gondoliere im Video eine sehr komplexe - und nur eine von neun! - ist.

Eine Gondola ist übrigens ein ziemlich kompliziertes Gerät. Aus neun verschieden Holzarten und in der Längsachse asymetrisch gebaut, und mit einem 22kg schweren Bugschmuck bestückt - um den Gondoliere hinten links auszugleichen. Der Wikipedia-Artikel ist richtig lesenswert.

Und wenn Mann jetzt wirklich Gondoliere werden will: die Aufnahme in die Kurse hat am 25. April begonnen. 60 Novizen werden ausgebildet.

PS: Übrigens gibt es unter den Gondoliere Venedigs auch eine Frau. Eine einzige. Ich habe sie gestern rudern sehen. Steht den Jungs in Lässigkeit in nichts nach.



Dienstag, 27. Mai 2014

Menschen am Meer: Saverio Pastor, der Meister der Fórcola.


Das ist Saverio Pastor, der Meister der Fórcola, in seiner Werkstatt in Venedig am Fondamenta Soranzo detta Fornace. Seine Werkstatt liegt genau zwischen Santa Maria della Salute und der Guggenheim Collection. Und allein die Lage von Saverio Pastor's Werkstatt zwischen Tradition und moderner Kunst ist ein wunderbares Bild dafür, was eine Fórcola ist. Ein jahrhundertealtes Präzisionswerkzeug, um eine Gondel zu steuern. Aber in seiner aus einem Stück Hartholz geschnitzten Einzigartigkeit ein Kunstwerk, das es als Ausstellungsobjekt bis ins Metropolitan Museum in New York geschafft hat. Saverio Pastor stellt in seiner Werkstatt mitten in Dorsoduro Fórcole und Ruder (italienisch: reme, deutsch: Riemen) für Gondeln her. Er ist einer der vier letzten Fórcole-Schnitzer in Venedig.

Was ist eine Fórcola im Detail? Sie sieht so aus, hier sind drei, und dieses Bild verdanke ich Giuseppe, der sich vor wenigen Tagen eine 30 Jahre alte Sanpierotta gekauft hat, um mit ihr auf dem Canale Grande zu rudern:


In die Fórcola wird das Ruder eingelegt, und mit diesem einen Ruder, das der Gondoliere in rhythmischen Bewegungen ins Wasser der Kanäle eintaucht, treibt er sein Schiff voran. Als wir diese drei Fórcole dem Meister Saverio zur Begutachtung zeigen, schüttelt der zur Enttäuschung Giuseppe's mißmutig den Kopf. Die würden zu nichts mehr taugen und bloß die Ruder beschädigen. Ein Holzboot ist Leidenschaft und Leiden gleichermaßen.


Saverio Pastor schnitzt seit 39 Jahren Ruder für Gondole - und Fórcole. Pro Jahr entstehen in seiner Werkstatt (und wie, zeigt dieses kleine Video) ungefähr 120 Fórcole. Sie werden vor allem aus Harthölzern geschnitzt, aus Walnuss, und allgemein Nusshölzern, aber auch aus Eiche. 120 Fórcole: das ist enorm, den es heißt, dass er fast jeden zweiten Arbeitstag eine fertigstellt. Aber auch die Nachfrage ist da: Gondelbauer, Bootsliebhaber der alten Bootstypen, und natürlich Fischer. Während wir mit Saverio sprechen, legt einer auf dem Kanal vor Saverio's Eingang an und ruft seinen Wunsch vom Kanal aus einfach in Saverio's Werkstatt hinein.






Die Fórcola, so sagt Saverio, gibt es seit dem Spätmittelalter. Sie hat die gewundene Form eines nach oben gereckten Armes, weil der Gondoliere das Ruder in neun verschiedene Positionen einlegen kann. Die Postkarte unten im nächsten Foto ist aus 2mm starkem Nußholz. Sie stammt von Peppe Clemente und man kann sie in Saverio Pastor's Laden kaufen. Er hat mir freundlicherweise erlaubt, sie in diesem Blog vorzustellen. Das Ruder muß in die einzelnen Positionen eingelegt und in ganz bestimmter Weise bewegt werden.





Hier die Positionen im Gegen-Uhrzeigersinn beschrieben:

Position 1: "Partenza". Der Start
Ganz unten.

Position 2: "Voga soto Morso".
Morso bezeichnet die Gabel, in die das Ruder eingelegt wird.

Postition 3: "Voga Lenta nei Canali stretti". Die langsame Fahrt in engen Kanälen.

Position 4: "Spostamento a Sinistra". Bewegung der Gondel nach links.

Position 5: "Voga". Die schnelle Fahrt, das Ruder in der obersten Einkerbung eingelegt.

Position 6: "Arresto con Virrata a Sinistra". Rückwärtsfahrt mit der Gondel nach Links hinten.

Position 7: "Spostamento in Dietro a Destra". Rückwärtsfahrt nach hinten rechts.

Position 8: "Voga all' indietro". Rückwärts.

Position 9: "Slada bassa". Rückwärts nach rechts.

So. Und für alle, die wissen wollen, wie es geht: einfach das Video oben "Wie man eine Gondel rudert" noch einmal in Ruhe ansehen.


Übrigens: am kommenden Sonntag, den 8. Juni findet die Voga Longa in Venedig statt. Alles, was Paddel und Ruder hat, bewegt sich auf einem einem 30 km langen Rundkurs in und und um Venedig. Viel Spaß!


Der Mensch und seine Sachen: Die Glocken von Venedig

Ich gebe es gerne zu: aber die Glocken von Venedig beschäftigen mich mehr, als ich es zugeben mag. In Sant' Elena, wo Levje gerade liegt, steht dieser Glockenturm, der mich bei meiner Ankunft im Gewitter schon so freundlich begrüßte - siehe das Video in meinem Beitrag unten "Unter Segeln: Von Grado nach Venedig". Aber dieser Glockenturm verblüffte mich: Er hat mehr drauf. Viel mehr. Sonntag Morgen überrascht er mich damit - und so etwas kenne ich eigentlich nur von den englischen Kathedralen, aus Winchester, Durham oder Salisbury.

Venedig habe, so sagt es Julian, Historiker zur Geschichte Venedigs, über 100 Kirchen. Das glaube ich sofort. Denn in dem einzigen Buch, das ich jemals begonnen habe zu schreiben über "Die Kirchen am Starnbergersee" kam ich allein im Umkreis von 2 Kilometern um den See auf fast 50 Kirchen. Es gibt mehr Kirchen, als wir glauben.

Während ich durch die Stadt gehe, höre ich die Glocken Venedigs. Gar nicht so die große Glocke vom Kampanile von San Marco, die längst und prominent ihren Weg in Youtube gefunden hat. Sondern die kleinen haben es mir angetan. Meist ist es eben kein majestätisches Geläut, sondern oft nur das leise Gebimmel einer Glocke, fast wie ein Totenglöckchen, wie ein "Memento-Mori", wie ein "Vanitas-Mundi". Es ist dies, was die Glocken Venedigs ausmacht: ihre Traurigkeit, ihre Melancholie, ihre barocke Mahnung. Und daraus ergibt sich ein wunderschöner Gegensatz, den ich in dieser Art und Weise von keinem Ort der Welt kenne: Unten drängen sich Touristen vor Gucci-Läden und Prada-Stores. (Na? Wer hat draufgeklickt?? ;-)) Und oben drüber, für den, der Hören kann, dann dies - und man beachte bei nachfolgendem Video natürlich die Glocken, aber vor allem den gewaltigen Hintergrund, der sich im Bild bewegt, ein riesiger Haufen Stahl und Glas, der sich vor der Giudecca unter dem wolkenlosen Himmel von rechts nach links bewegt und Venedigs Gemüter entzweit ob der Seefahrt quer durch ihre Stadt. Ein seltener Schnappschuß, der mir da über den Dächern Venedigs gelang.

Memento Mori.


Sonntag, 25. Mai 2014

Unter Segeln: Von Grado nach Venedig

Morgens um 5 bin ich in den Lagunen von Grado erwacht. Mein Lebensrythmus passt sich beim Draussen-Sein irgendwie an den Lauf der Sonne an: wenn sie aufgeht, bin ich wach. Und wenn sie untergeht, bin ich müde zum Umfallen.
Um sechs Uhr Anker auf und unter Motor die Dalbenstraße hinaus, nur die Fischer von Grado sind draußen, aber von denen viele. Auf See kommt Wind auf, der Himmel bewölkt sich, es sieht trotz guter Prognosen der letzten Tage nach Regen aus. Ich ziehe schon mal die gelbe Schwerwetter-Hose, Schwimmweste und die Stiefel an. Wenn es regnet, will ich bereit sein.
Der Wind pendelt sich ein zwischen 12 und 14 Knoten, das ist gut für Levje. Sie ist ein wunderbares Schiff, eine Meisterin darin, aus 9 Knoten Wind (das ist wenig!) 5-6 Knoten Speed (das ist ordentlich!) herauszuholen. Bei solchen Verhältnissen ist Levje ein echter Renner. Es ist Levjes Wetter also. Nur große Wellen: die mag sie nicht, und da haben größere und schwerere Jachten ihre Stärken.
Der Himmel bewölkt sich mehr und mehr, im Norden, da wo die Berge des Friaul sein müßten, stehen Gewittertürme. Der Wind dreht auf Süd, wir haben ihn querein, und das ist nun wirklich für jede Segelyacht das Größte, der schnellste Kurs. Levje läuft vollkommen allein unter Autopilot, schnürt durch die Wellen, ich kann mich ganz auf das Meer konzentrieren, die querab einkommenden Wellen, das mich immer wieder in seinen Bann ziehende Graugrün dieses Meeres, die Farbe ist nirgendwo so wie hier auf der nördlichen Adria. Es sind die Sedimente der großen Flüße und das Licht, die diese Farbe erzeugen. Oft, in angespannten Meetings oder stressigen Situationen im Beruf, habe ich mir diese Farbe in Erinnerung gerufen: die Farbe des Meeres an der Einfahrt zur Dalbenstraße nach Grado. Es ist auch die Farbe, die die Kanäle von Venedig haben.
Es ist Stunde um Stunde faszinierend, dem Meer zuzusehen. Ich wechsle öfter die Position, gehe an den Bug, schaue die Segel hinauf, wie sie ziehen, ob sie gut stehen, setze mich aufs Vorschiff, keine Minute ist langweilig, keine Minute ist wie die Andere.
Gegen Mittag werden die Wolken noch dichter, und der Wind schläft fast ganz ein. Wir laufen unter Motor weiter, aber der Wind ist nach 20 Minuten gleich wieder da. Früher, da fand ich Segeln nur bei schönem Wetter gut, aber seit einigen Jahren sind mir die liebsten Segeltage solche bei Regen. Das Meer ist dann intensiver in der Farbe, aber unaufgeregter, der Wind gleichmässiger, ich habe einige faszinierende Erinnerungen an Regen-Segeltage.
Gegen 14.30 stehen wir vor der Einfahrt nach Venedig, vor dem Lido. Hier wird am großen Sperrwerk MOSE gebaut, das Venedig vor den herbstlichen Sturmfluten aus dem Süden schützen soll. MOSE ist ein sehr umstrittenes Projekt, seit Jahren. Es ist als Schutz für Venedig gedacht, das sonst irgendwann untergehen würde, weil der Meeresspiegel im Mittelmeer ansteigt, unweigerlich. Seit der Römerzeit um 2-3 Meter. Auf der anderen Seite ist es ein Großprojekt: viele Interessen, viel Geld, das falsche Taschen füllt. Und am Ende: niemand weiß, wie das ökologische Gleichgewicht in der Lagune sich entwickelt, wenn der immerwährende zweimal täglich stattfindende natürliche Wasseraustausch in der Lagune von Venedig durch die riesigen Sperrwerke einfach "abgestellt" wird. Wird Venedig eine Badewanne, in der das Badewasser dann wochenlang stehenbleibt?
Trotzdem: die Einfahrt ist faszinierend. Auch wenn meine elektronische Navigation wegen Strommangels zur Hälfte ausgefallen ist (IPad ist mittlerweile eine Synomym für mich für "ein Kampf um Strom"). Dann also "the old way", mit Seekarte, nein, und vor allem die Navigation mit dem Iphone, sie funktioniert. Ich stehe im Regengrau mit dem Iphone in der Hand, wie Jack Sparrow mit seinem "Kompass der Sehnsüchte", nur nicht so cool, und fahre nach Venedig hinein.
Eine Schleife noch im Bacino gedreht, um Leinen, Fender, das Boot klar zum Anlegen zu machen: Und dann laufe ich in die Marina Sant' Elena ein. Ich habe mich für diesen Hafen entschieden, diesmal nicht für das spektakuläre San Giorgio, da waren wir mal im November, es liegt genau gegenüber von San Marco, wirklich einmalig und spektakulär. Aber eben auch teuer (31 Fuß, 80 € die Nacht), das summiert sich schnell. Und mitten im Touristenrummel. Also nach Sant' Elena, das ich noch nicht kenne. Und: es ist die richtige Entscheidung: Viele kleine Boote, ältere Segler, alles Venezianer unter sich, Roberto, der Marinaio, hilft mir beim Festmachen zwischen den Dalben. Ein netter Ort. Hohe Bäume, ein Kanal, ein Stadion daneben. Die fünfstöckigen venezianischen Autofähren gleich in unmittelbarer Nachbarschaft. Und dann, gleich nach dem Festmachen, und während der Gewitter-Platzregen losbricht, dies hier: Und wie immer berühren mich die Glocken von Venedig sehr.

Menschen am Meer: Die Ferramenta des Cirillo Marocco in Grado


Zu meinen vielen gedachten und niemals geschriebenen Büchern (allesamt wären sie wirtschaftlich ein Flop. Aber schöne Bücher, ja, das wären sie.) gehört auch eines über die italienische Ferramenta. "Ferramenta" kann man näherungsweise übersetzen mit dem, was in Deutschland vor Aufkommen der Baumärkte als "Eisenwarenhandlung" bezeichnet wurde. Aber das trifft's nur unzureichend. In einer Ferramenta gibts - außer Essbarem und Versicherungen - praktisch alles: Es ist ein kombinierter Laden für SchraubenLackeGartengeräteAngelausrüstungFischerflickzeugKinderschwimmflügel
FahrradreparaturMotorölfilterKratzernSpachtelnSchabernToolsGeschirrbürstenKaffeekochernFlanschenFittingsHähnenHanf(neinnichtzumRauchen)AbflussrohrenMessernKüchengerätenGartenharkenTauchermaskenGasanschlüssen. Und diese Aufzählung gibt nur sehr unvollständig wieder, was man in einer richtigen Ferramenta bekommen kann. 


Ich erinnere mich daran, wie wir oft bei irgendeiner Bootsreparatur in Livorno an der Westküste oder in San Giorgio an der Ostküste dringend irgendeine spezielle Schraube oder Schelle (am Meer muß es immer Edelstahl sein, alles andere rostet sofort weg, allein das ist in einem deutschen Baumarkt ein Unding) suchten, Sven mich losschickte, weil ich von uns drei Bootseignern das leidlichste Italienisch sprach. Ich die örtliche Ferramenta betrat und mich an den Typen hinter dem Tresen wandte, der mit einer bis auf den Filter heruntergerauchten Kippe im Mundwinkel in die hinteren Galaxien seiner Ferramenta verschwand und nach geraumer Zeit mit dem gewünschten oder aber immer mit Alternativvorschlägen auftauchte. Es ist ein Ort, an dem man klare Antworten bekommt.


Die "Ferramenta Marrocco Cirillo", so verkündet es das Ladenschild, gibt es seit 1932 in Grado. Sie liegt direkt am Hafen. Cirillo sagt, sein Vater habe sie gegründet, "il mio bravo papa", und von ihm habe er sie übernommen. Cirillo steht jeden Tag allein im Laden, freundlich und resolut und mit dem Leben vollkommen versöhnt. Kennen gelernt haben wir ihn vor zwei Jahren. Wir betraten seinen Laden auf der Suche nach einer Caffettiera, dieser einfachsten aller italienischen Espressomaschinen. Cirillo war nicht im Laden, der Laden war leer. Katrin, die an sich ein respektvoller Mensch ist, aber beim Fotografieren urplötzlich weder Freund noch Feind und nur noch Beute kennt, fotografierte im Universum munter drauf los, als Cirillo, wie immer im blauen Hemd, den Laden betrat und uns resolut des Universums verwies. Er war nicht unhöflich, aber eben mit Recht resolut ob der Tatsache, dass wir ihn nicht vorher gefragt hatten, ob wir fotografieren dürften. Aus Scham und Schuld haben wir, um den zornigen Gott zu besänftigen, gleich die größte Caffettiera gekauft und noch eine kleine dazu.


Als ich Cirillo vorgestern fragte, wieviele Teile er denn in seinem Laden habe, zuckte er mit den Schultern und lächelte. Er wisse es nicht, aber er habe sie alle im Kopf, und tippte sich dabei lächelnd an die Schläfe. Und: er habe jede einzelne Schachtel selbst beschriftet. Ich habe die Schachteln nie gezählt, es nicht mal versucht.


Cirillo ist heute 82. Er hat einen Sohn, aber der macht etwas anderes und wird den Laden nicht übernehmen. Ich kann mir auch nicht denken, dass ein Anderer einfach in Cirillo Marocco's Ferramenta eintritt und sie einfach weiterführt. Man kann ein Universum nicht weiterreichen. Und so wird in einigen Jahren an der Stelle, wo heute Cirillo's Universum seinen Platz hat, vermutlich eine Gelateria oder "Pizza a volo" eröffnen. Für einen weiteren marittime Geschenke- oder Markenladen ist der Platz von Cirillo's Ferramenta zu klein.


Am Ende dieses Artikels noch eine Bitte: Cirillo Marocco freute sich über meine Idee, etwas über ihn zu schreiben. Er bat mich, ihm doch ein Foto zu senden, und resolut, wie er ist, erbat er dieses Foto im Format 30 x 20 (gibts das?). 
Aus technischen Gründen ist es mir nicht möglich, das von unterwegs zu machen. Wäre einer meiner Leser so freundlich, das für ihn und mich zu übernehmen. Ich bin dankbar, wenn sich jemand meldet. Ein Foto und die Adresse schicke ich. 





Donnerstag, 22. Mai 2014

Landschaften der Seele: die Lagunen von Grado.


Zwischen Chioggia im Südwesten über Venedig bis nach Grado im Osten erstreckt sich eine Landschaft, die eng mit meinem Segeltraum verbunden ist: die Lagunen. Es ist eine riesige Wasserwüste, unterbrochen von unzähligen Inseln und Sandbänken, Anspülungen, Kanälen, Schlickbänken. Manche der Inseln haben nur die Größe eines Vorgartens, und doch steht das reetgedeckte Haus eines Fischers drauf. Andere Sandbänke sind richtig groß, über Dämme mit dem Festland verbunden, und mit Städten darauf: Grado, Lignano, Venedig und Chioggia sind einige davon. Die Einfahrt durch die Kanäle auf dem eigenen Boot - hier in das Stadtzentrum, den Stadthafen von Grado - ist immer wieder ein Genuss:


Obwohl Schwemmland, ist es doch eine uralte Kulturlandschaft. Auf Ravaiarina, genau nördlich von Grado, ist eine Römerstraße eingezeichnet, gegenüber auf dem Inselchen Reste eines Tempels, dem Belenus, einem in römischer Spätzeit für Krieg zuständigen Gott, wer weiß von wem in welcher Bedrängnis geweiht und errichtet. Venedig ist im fünften und sechsten Jahrhundert in dieser Landschaft entstanden, aus den Überschüssen der Salzproduktion und des Fischfangs in den Lagunen entstand die größte Seemacht des Hochmittelalters. Doch davon später.


In dieser fast menschenleeren Wasserlandschaft, wo sich Salz- und Süsswasser ständig verbinden, herrscht die perfekte Stille. Alles, was ich in diesem Agenblick höre, ist das Rufen von Möwen, Wattvögeln, einer Wildtaube und - einer Nachtigall. Durch diese Landschaft führen - bis auf die Dämme - keine Straßen. Lediglich in den Schlick gerammte Pfähle, die Dalben, markieren Wasserstraßen für die Boote. Es gibt Verkehrsschilder, Wegkreuzungen, Gabelungen, und unmittelbar neben den Dalben ist das Wasser oft nur noch 30 Zentimeter tief.


Vor vielen Jahren, als noch gute Landkarten produziert wurden, gelang es mir, eine Wegkarte aller Wasserstraßen in den Lagunen zu ergattern, die ich wie einen Schatz hüte. Was die Karte nicht beinhaltet, sind die ständig sich ändernden Untiefen. Ein ums andere Mal sind wir mit Levje auf Sandbänke gelaufen und saßen plötzlich fest. Nichts ging mehr, weder Vorwärts noch rückwärts. Als beste Technik hat sich herausgestellt, einfach auszusteigen und voraus zu schwimmen. Und wenn's passiert ist: aussteigen und Levje's knapp vier Tonnen einfach über die Untiefe drüberschieben. Geht leicht - wenn's lediglich ein Buckel ist. Denn Levje hat nur einen Tiefgang von 1,60m, das Wasser reicht mir gerade bis zur Brust.

Es ist eine Landschaft, die mir fehlen wird. Die Nacht werde ich heute hier draussen verbringen.

Mittwoch, 21. Mai 2014

Ein Rätsel. Und ein Abschied.


Es ist Vollmitglied der EU seit 2004, so groß wie Hessen, hat weniger Einwohner wie der Großraum München, aber eine Meeresküstenlinie von 46,6 km Länge mit vier Hafenstädten?
Na? Litauen? Lettland?? Albanien??? Slowakei???? Slowenien???? Richtig! Vor fünf Jahren kam ich mehr durch Zufall und fast wider Willen hierher. Kaum guter Wein damals. Eher postsozialistische Urlaubsatmosphäre.  Heute gibt es in Izola ein wunderbares Weinlokal und mindestens zwei Restaurants, deren Besitzer selbst Fischer sind und ihren eigenen, selbst gefangenen Fisch (nix Aquakultur!) auf den Tisch bringen. Ich bin sicher, dass die fast 50 km Küste in 10 Jahren ein sehr begehrtes Fleckchen sein werden, es ist - von München und Wien aus gesehen - die kürzeste Distanz zum Mittelmeer.
In Europa ist Slowenien so gut wie unbekannt und wird bestenfalls mit der Slowakei verwechselt. 
Bis 2008 war Slowenien ein Musterknabe in der EU mit besten Wirtschaftszahlen. Mittlerweile aber ist das Land unter den EU Rettungsschirm geschlüpft, die Angst geht um bei meinen Bootsnachbarn, allesamt gesetzte, ältere Slowenen. Als ich 2009 nach Izola kam, war jeden Tag Party auf dem Steg, dem "Pontile C", die Slowenen feierten ab Samstag Vormittag bis Sonntag Abend lautstark. Es ist leise geworden auf unserem Steg, gefeiert wird nur noch selten. Der Fabrikbesitzer aus dem Norden, der vor ein paar Jahren im Vollrausch seinen nagelneuen A5 vor meinen Augen im Hafenbecken versenkte - er schwamm tatsächlich ein paar Minuten an der Wasseroberfläche, dann sank er auf Grund mit eingeschaltetem Fernlicht, das den Grund erleuchtete und nach fünf Minuten erlosch, zwei KOffer schaukelten noch friedlich an der Oberfläche - aber das ist eine andere Geschichte vom Meer! - der Fabrikbesitzer hat sein Boot vom Steg an die viel günstigere Boje im Hafen verlegt, er sagt, er weiß jetzt wieder, was das Brot im Laden kostet. Der Stuhlfabrikant hat Krach mit den Nachbarn, weil er Leute entlassen mußte. Es ist, was überall passiert in Europa: Fabrikproduktion als Arbeitsplatzbeschaffung verschwindet. Es bleiben? Kleinbetriebe, Dienstleistung. Kann das funktionieren? Es sind jedenfalls andere Geschichten als die vor fünf Jahren.
Heute Mittag habe ich Izola nach fast fünf Jahren verlassen und bin zu meiner großen Reise aufgebrochen. Ich gebe zu, ich bin traurig, aber wir haben jedes Boot nach fünf Jahren an einen anderen Platz verlegt. Zuerst waren wir in Livorno, dessen wunderbare jüdische Vergangenheit ich erst in diesem Winter begriffen habe. Dann südlich von Ancona an der Adria. Dann in Preveza in Westgriechenland. Und jetzt Izola. Es ist Zeit, zu gehen.

Was ich mitnehme? Wie folgt:

Die erfolgreichsten slowenischen Exportartikel:
1. Slavko Avsenik und seine Original Oberkrainer
Kennt man den noch? Aber ja, war doch in jedem Musikantenstadel. Und ist gaaaanz typisch für das Hump-Tata, das einem an jeder Ecke Sloweniens um die Ohren fliegt. Musikalisch IST Slowenien ein Musikantenstadel.
2. Giuseppe Tartini. Naja. Im 18. Jahrhundert in Piran geboren, das wie die ganze Küste von den Venezianern weniger "beherrscht" als vielmehr wirtschaftlich sachverständig "verwertet" wurde.
3. Slowenischer Honig. Als Exportartikel noch nicht entdeckt. Aber auch für einen Nichthonigesser wie mich ein Genuß - und was ganz anderes, als das Zeug, das unter großem allbekanntem Goldlogo mit dem kleingedruckten Vermerk "Honig kann auch aus nichteuropäischen Ländern und Südamerika stammen" bei uns auf den Tisch kommt.
4. Fuzi. Eine istrische Pasta-Spielart. Am liebsten mit Frutti di Mare.

Meine fünf Vorurteile über Slowenien:
1. Slowenien ist ein bißchen wie Auenland, Slowenen sind wie Hobbits: Am liebsten sitzen sie zusammen in größerer Gesellschaft, mit Hump-Tata Hump-Tata, sind fröhlich, tanzen auf den Tischen und stoßen mit einem laut ansteigenden Ooooooooooooopa an. Sie feiern gerne. Und wenns in der Ecke irgendeines Hafens an der kroatischen Küste laut und ausgelassen herging: warens meist Slowenen. Es hat sein Gutes, diese auenländische Ausgelassenheit.
2. Slowenen sprechen in der Öffentlichkeit laut. Auch telefoniert werden muß so, dass der Hafen es mitbekommt. Egal was öffentlich gesagt wird: laut muß es sein, klar und deutlich für jeden, der siebzig Meter entfernt steht. Aber auch das hat sein Gutes: Es sagt ganz klar "Stasi oder Securitate hatten wir hier nicht", wir waren immer wir.
3. Tito überall an der Wand. Oft trifft man in Bars oder auch Bäckereien Fotokalender mit offiziellen Fotos von Tito an der Wand. Ich habs nie begriffen. Aber auch die habe ich mittlerweile lieben gelernt als stimmungsvolle Relikte der vermeintlich heilen 70er Jahre. In St. Tropez halt Brigitte Bardot, hier Tito. Nur blöd, dass der in den 70er und 80er Jahren für Morde an Exil-Yugoslawen verantwortlich war, die erst in den letzten Monaten wieder aufgerollt wurden. 
4. Die Geschichte ihres Austiegs aus Ex-Jugoslawien? Beeindruckend. Slowenen waren die ersten, die als Kollektiv beschlossen: wir machen unser eigenes Ding. Und steigen aus dem Bundesstaat aus. Sie haben das innerhalb weniger Wochen sehr entschlossen durchgezogen. Auch gegen militärische Aggression der Bundesarmee. Eine gute Geschichte.
5. Ljubljana. Jung, studentisch, architektonisch ein Mix aus Habsburger-Reich und Plattenbau. Sehr netter Platz. Und Hauptort der Hobbits.



Dienstag, 20. Mai 2014

Menschen am Meer: Slobo. Oder: Sprache ist überbewertet.


Wer heute von Deutschland kommend die Grenze kurz hinter Triest nach Slowenien überquert, stellt fest, dass es immer noch eine mächtige Grenze ist. Eine Sprachgrenze. Kommt man eben noch mit romanischen Grundkenntnissen glänzend durch die Welt, ist mit Betreten des slawischen Sprachraums alles anders. Von eins bis drei gehts noch ("ena", "dwa", "tri"), aber spätestens bei vier ("schtiri") fliegt man aus der Kurve. Die Wurst heißt "Klobase", "Popušt" der Rabatt, Männer sind plötzlich "moški" und Frauen "Zenški". Zwar kommt man in Istrien mit Italienisch besser durch, obwohl unmittelbar nach dem Krieg die Vertreibung aller Italienischstämmigen einsetzte. Aber man trifft oft auf Slowenen, die eben nur slowenisch sprechen. Und zu denen gehört Slobo.

Slobo arbeitet in Izola im Hafen. Er nimmt in die Hand, was viele Bootsbesitzer nicht gerne in die Hand nehmen: den Pinsel mit den giftigen Antifouling-Farben, mit denen das Unterwasserschiff einmal jährlich gestrichen werden muss, weil es ohne diese Brachialbehandlung innerhalb weniger Wochen einen glibberigen Bartähnlichen Bewuchs aus Tausenden verschieder Organismen tragen würde.

Meine Bekanntschaft mit Slobo begann mit einem handfesten Krach. Er strich um mich und Levje, mein Schiff herum, als ich es am Land auf Hochglanz polierte. Erst sah er mir skeptisch zu. Dann stand er plötzlich mit seiner eigenen Poliermaschine, die er liebevoll "Polirka" nannte und seiner eigenen Polierschmiere neben mir. Und wollte loslegen. An meiner Levje! Mit seiner Schmiere!
Ich verscheuchte ihn. "Thomas = Problem!" maulte er, was fortan seine Begrüssungsformel für mich war. Und trottete davon, seine Polirka traurig unter dem Arm.
Am nächsten Tag stand er plötzlich neben mir, als ich Levje's Unterwasserschiff mit Antifouling strich. Hatte plötzlich eine Farbwalze in der Hand. Und strich neben mir Levje's Unterwasserschiff. Ich argwöhnte Finsteres. Da will einer Geld. Der will bestimmt hinterher 200 €. Was solls.


Ich muss zugeben: Slobo machte seine Sache gut. Er war doppelt so schnell wie ich und bekam das Giftzeug gleichmässiger drauf als ich. Ich war beeindruckt. Und fragte Slobo am nächsten Tag, was ich ihm denn für die vier Stunden Arbeit geben dürfte. Er brummelte irgendwas unverständliches, winkte ab. Und ging davon. Ich war noch mehr beeindruckt. Und stand in Slobos Schuld.

Von Katrin habe ich gelernt: echte Geschenke müssen dem Schenker wehtun. Ich ging an Levje's Whiskyschapp und nahm die teuerste Flasche für Slobo raus und hielt sie ihm hin.
Slobo äugte. Wollte sich schon wegdrehen.
Ich: "Slobo, sei kein Idiot. Das ist echter schottischer Whisky."
Slobo's Miene hellte sich auf. "Jaa Jaa" sagte er und schenkte mir sein schönstes Zahnlücken-Lächeln. 


Eine Woche später verzweifelten Sven und ich bei der Demontage des Vorstags. Wir bekamen eine etwa handgroße Verschraubung einfach nicht auf. Eisensäge, Gummihammer, Betonklotz, gusseiserner Hafenpoller, schwerer Hammer, Zangen, Meissel, Telefonate mit Deutschland: alles versagte. Nach drei Stunden gaben wir auf. Wir saßen ratlos rum. Das Teil hatte uns geschafft. 
Ich ging zu Slobo. Er grinste.

Slobo: "Jaa Jaa. Thomas = Problem".
Ich (kleinlaut) hielt ihm das Teil hin, das für die meisten aussah wie Schrott. Er begriff sofort.
Slobo: "Jaa Jaa."
Ich: "Meinst Du, Du kriegst das auf?"
Slobo: "Jaa Jaa."
Ich (Hoffnungsschimmer): "echt?"
Slobo: "Jaa Jaa."
Ich: "Wie willst Du das denn machen?"
Slobo: "Jaa Jaa." Ein unverständlicher Wortschwall.
Ich: "Wenn Du's kaputtmachst, bin ich geliefert."
Slobo: "Jaa Jaa."
Ich: "Das kostet mich 3.000 Euro, wenns kaputtgeht. Ist Dir schon klar."
Slobo (ungerührt): "Jaa Jaa."
Ich: "ich tret Dich echt in den Hintern, wenns kaputtgeht."
Slobo: "Jaa Jaa".

Eine Stunde später stand Slobo mit seinem Freund Tomasz von TS Yachtservice vor mir. Beide grinsten um die Wette. Das Teil war auseinander. Allein der Hinmel weiss, wie die beiden das angestellt hatten. 

Ich (begeistert): "Echt große Klasse! Mensch, dafür habt Ihr Euch einen Kasten Bier verdient."
Slobo's Zahnlücken grinsten noch breiter: "Whisky."






Montag, 19. Mai 2014

Menschen am Meer: Gregorz, der Hammer und die Frage, ob Rettungsinselnbrennen können?


Das ist Gregorz. Er hat meine Rettungsinsel gewartet und sich danach an die Prüfung meiner Schwimmwesten gemacht. Auf dem Bild sieht man drei davon im aufgeblasenen Zustand. Gregorz hat sie mit Überdruck aufgepumpt um ihre Dichtigkeit zu prüfen. Die armen Dinger.
Gregorz fand ich irgendwo hinter Koper in Slowenien. REMOP (www.remop.si), die Firma zur Wartung von Rettungsinseln, wurde von seinem Vater gegründet. Es ist ein kleiner Betrieb, der heute Gregorz' Schwester gehört und sicher von Sloweniens einzigem Großschiffahrtshafen Koper und den geschätzt 1.500 Yachten an Sloweniens Küste lebt. Wieder einmal hatte ich das Gefühl, es sind die Familienbetriebe, die das Land tragen, und nicht die Industrie.
Gregorz fand ich, weil ich mit der Wartung meiner Rettungsinsel in Deutschland nicht zufrieden war. Es dauerte in Deutschland sehr, sehr lange, mit Versand fast sieben Wochen. Gregorz machte das an einem Vormittag. Und er machte es sehr, sehr gründlich und gewissenhaft.
Nur auf meine Frage, ob Rettungsinseln brennen können, wußte Gregorz, so fit er auch sonst mit Rettungsinseln war, keine Antwort. Er zuckte nur mit den Schultern. Und hatte von dem Film, der überwiegend in einer Rettungsinsel spielt, noch nie gehört. Gottseidank. Denn der war nicht gut.

Reden wir mal über: Die Rettungsinsel. Oder: Ein Anblick, den ich niemals sehen möchte.


Dies ist die Rettungsinsel meines Segelboots, geöffnet von Gregorz, einem Servicetechniker, vorgestern für die Wartung. Sie ist konstruiert für vier Personen, enthält Trinkwasser (nicht viel), einen Spiegel (nein, nicht um zu sehen, ob ich schon wie Robert Redford in ALL IS LOST aussehe) für Notsignale, Signalraketen, ein paar Kekse, Angelhaken und verschiedene andere Dinge für den Ernstfall. Im Bild oben ist sie entfaltet, aber noch nicht aufgeblasen. Es ist ein Anblick, der mich schaudern macht. Und den ich si niemals auf See erleben will.

Und so sieht eine Rettungsinsel im ge-, aber noch nicht verpackten Zustand aus. Sie wurde samt Inhalt fünf Minuten vakuumisiert (die Kekse???) und fühlt sich an wie ein überdimensionierter Gummihammer:


Der Inhalt ist auf ein Bruchteil geschrumpft und passt in einen mittelgrossen Koffer - der allerdings 25 Kilogramm wiegt.
Im Ernstfall - die Yacht ist unmittelbar vom Sinken bedroht - wird der Koffer mit der Reissleine am Boot befestigt und der Koffer ins Wasser geworfen. Die Rettungsinsel bläst sich dann mit einem Knall auf.
Auf Skippers Kommando und nach Anweisung geht die Crew in die Insel, und die Leine wird getrennt.
Allerdings sollte man - solange es irgend geht - an Bord des Bootes bleiben. Solange es schwimmt - und man kann einiges tun, um es am Schwimmen zu halten, nicht alles ist TITANIC - ist das Überleben dort sicherer. Mehr Trinkwasser, mehr Lebensmittel, mehr für jede Art von Notfall, ob Werkzeug oder Medizin. Und nicht nur Kekse und etwas Wasser.

Montag, 12. Mai 2014

Menschen am Meer: Enzo, Rosario und die Unternehmer-Yacht


Das sind Enzo und Rosario, zwei Werftarbeiter aus Palermo. ich lernte sie in Izola kennen, wo mein Schiff liegt. Sechs Wochen hatte Ihr Chef sie in den Norden, nach Izola geschickt, um dort eine 70-Fuß-Motoryacht fit für den Sommer zu machen. Sie gehört einem italienischen Unternehmer. Ich habe die beiden nie über Fußball reden hören.
Während Enzo (links) hauptsächlich die hölzernen Handläufe der Yacht schmirgelte und lackierte, kratzte Rossario die riesigen Schiffsschrauben und das endlose Unterwasserschiff von Algen und Muscheln frei. Tag für Tag. Mit erstaunlicher Fröhlichkeit und Ihrem palermitanischen Singsang rückten sie den 70 Fuß des Schiffes und den Spuren des Meeres zuleibe. Beeindruckend und shakespearisch war es, als Rosario unter dem Bauch der Motoryacht kratzend "Non dimentica che tu devi morire" (Vergiss nicht, dass Du sterben wirst) sang. So schön war der Dialekt der beiden, dass mich die Lust überkam, im Sommer um Sizilien zu segeln. Ich fürchte, das muss noch warten.

Sonntag, 11. Mai 2014

Ein Crash schreibt Geschichte.


Das ist mein Schiff, eine DEHLER 31, gebaut 1987 im Sauerland, in Freienohl, auf der DEHLER-Werft. Weil das neue Material GFK, aus dem die Yacht gebaut wurde, gerade mal seit eineinhalb Jahrzehnten im Yachtbau üblich war und keiner wußte, was diese Verbindung aus Harz und pieksigen Glasfasern eigentlich auf See aushält, veranstaltete die Zeitschrift YACHT 1988 einen Test: Eine DEHLER 31 kollidierte absichtlich unter Höchstfahrt mit Hindernissen: Zuerst einem Stahlfass, dann einem Baumstamm, einem Stahlfloß. Und zuletzt krachte die Yacht auf die Steinmole des Ostseebades Damp. Drei mal. Wer wissen will, wie  die Crashs endeten:
Der Youtube DEHLER 31 Crashtest.

Vielen Seglern hat dieses Video Vertrauen zu Ihrem Schiff gegeben.

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Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.



                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

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