Dienstag, 29. Mai 2018

Mallorca - Die vergessene Insel: Ankern im wilden Gebirge.



Mitte Mai bin ich für mein nächstes Buchprojekt von Sizilien aus Richtung Westen aufgebrochen. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas alles begegnet. 
Heute: Unterwegs auf Levje im äußersten Nordosten Mallorcas.

Der markante Fels in die Einfahrt in die Cala Boquer im Morgenlicht - wie ein nach Beute schnappender Walhai.

Kennt man eine Sache wirklich, die man zu kennen meint? Den Menschen, neben dem wir jahrzehntelang leben? Das Fahrzeug, in das wir uns seit sieben Jahren jeden Morgen setzen? Eine Insel, auf der man schon 15 mal war und die man in und auswendig zu kennen meint?

Oft werde ich in Interviews wie am vergangenen Samstag gefragt: "Auf dem Cover der VERGESSENEN INSELN ist die Insel Mallorca abgebildet. Das ist doch keine vergessene Insel?" Natürlich nicht. Vielleicht geht es im Leben (wie in meinem Buch) um die Kunst, das Unbekannte genau in dem wiederzufinden, was wir alle doch so gut zu kennen meinen. An dem Ort, an dem wir leben. Auf einer Insel. In unserem eigenen Leben.

Mallorca meinen wir gut zu kennen. Schließt man die Augen und lässt man den Namen über die Zunge rutschen, hat man auch gleich ein Bild von der Insel im Kopf. Doch Mallorca kann etwas ganz anderes sein. 

Irgendwann, so wie jetzt, wenn das Wetter sehr durchwachsen ist, hält es einen nicht mehr im Hafen. Die Hafenliegerei unter wolkenschwerem grauen Himmel geht auf die Nerven. Es zieht mich hinaus, durchwachsenes Wetter hin oder her. Der Tag war grau. Die Wolken schwer. Also raus. Ziel: Cala Boquer.

Sie liegt, wo Mallorcas Bergregion anfängt: Ganz im Nordosten der Insel, wo die Sierra de Tramuntana beginnt, jener Gebirgszug, der wie eine massive Wand den Norden der Insel Mallorca entlangzieht. Gleich hinter dem Cap Formentor. Drei Stunden Fahrt von Port de Pollenca aus.

Cala: Das Wort gibt es nur im westlichen Mittelmeer. Es bedeutet"in den Fels einer Steilküste geschnittene Sandbucht". Aber das wäre für die Cala Boquer untertrieben. Als die Einfahrt in die Cala im regenverhangenen Grau vor uns auftaucht, sieht der Fels mit der riesigen Höhle vor uns aus wie ein Walhai, der aus dem Wasser auftaucht und nach Beute schnappt. Als wir weiter in die Cala einlaufen, finden wir anders als erwartet nicht Felsgrund, sondern auf sechs Metern reinen Sand zum Ankern. Also runter mit dem Anker. Und staunen.




Wir ankern hier in der rauen Bergeinsamkeit. Falken rufen aus steilen Wand links. Ein Zicklein schreit die Nacht über aus der Steilwand nach seiner Mutter. Und sonst? Nur Vogelgezwitscher.

Und: Wand, die irgendwelche Erdkräfte nach oben getrieben haben, so dass sie heute aussieht, als hätte ein Bäcker einen Laib Brot durch eine Brotschneidemaschine gejagt und in regelmäßige Scheiben zerteilt. 


Eine Felswand, die sich wie eine Schiefertafel steil aus dem Meer erhebt, über und über bedeckt mit vertikalen Riefen und Runen, die nur darauf warten, endlich entziffert zu werden. 


Die beiden Steinreihen am Ufer, die aus dem Wasser aufragen wie die Ornamente auf dem Rücken eines Riesenechse. 

Katrin fragt, ob ich hier nicht Angst hätte, so ganz allein, in der Bergeinsamkeit. Zugegeben: Die Cala Boquer ist ein unwirtlicher Ort. Doch merkwürdigerweise begreife ich an Orten wie diesen viel über mich. Woher ich komme. Wohin ich gehe, wenn ich auf die Runen in der Felswand der Cala Boquer schaue. Alles und jedes an diesem Ort ist so alt, so mächtig, die Felsblöcke so riesenhaft und majestätisch, dass ich mich ganz klein darin fühle. Winzig. Verloren. Und doch eingebettet und gehalten als Teil des mächtigen großen Ganzen.

Jeder von uns hat einen Ort, an dem er sich zugehörig fühlt zur Welt, an dem er sich empfindet als Teil des großen Ganzen, als Teil dieser Welt. Für manchen ist das ein Ort in der Stadt. Ein Cafe. Ein Stadion. Das Getriebe einer lärmenden Stadt. Wieder andere empfinden sich auf dem Gipfel eines Berges. Für mich ist es ein Ort wie die Cala Boquer. Wild. Einsam. Unendlich überlegen. Unauslotbar gleichgültig gegenüber mir winzigem Wesen und all dem, was mich umtreibt.

Wie gleichgültig, das zeigt die Cala Boquer nachts um zwei. Da zeigt die Cala Boquer die Zähne: Fallböen aus Westen reißen mich Nachts aus dem Schlaf. Benommen torkle ich ins Cockpit. Es pfeifft erst mit 20, dann mit 25 Knoten aus der Dunkelheit heran. Levje schwingt mächtig an der langen Ankerkette - also mal wieder Ankerwache gehen. "Herr, lass es nicht mehr werden!"Wir haben zwar genug Ankerkette gesteckt, ich bin am Nachmittag noch schwimmend an den Quallen vorbei zum Anker geschnorchelt, der gut in den Sandgrund eingefahren ist. Das ist immer eine Beruhigung. 

Die Wolken jagen vor dem Vollmond vorbei, plötzlich hat ihn das große Grau verschluckt, als die nächsten Böen heranpfeiffen. Ich sorge mich etwas um mein Schiff und beobachte zwei Stunden im Cockpit, wie die harten Böen durch das Tal zu Levje herunterpfeiffen. Dann treibt mich die Müdigkeit in meine Koje. Ich überlasse mich dem großen Ganzen, das so viel größer ist als ich. Und schlafe friedlich ein, während die Böen Levje in der engen Bucht tanzen lassen.

Am Morgen tanzen die Böen immer noch durch die Schlucht wie durch eine Trillerpfeife. Gar mancher würde sagen: Wozu das alles, die Mühen, die Anstrengung, das sich-die-Nacht-im-zugigen-Cockpit-um-die-Ohren-schlagen. Doch ich verlasse diesen Ort unendlich reicher, als ich kam.

Übrigens: Die Cala Boquer kann man auch zu Fuß erreichen. Sie liegt nur eine Stunde Wanderung durch ein reizvolles Tal im Norden von Port de Pollenca. Nur den auftauchenden Walhai, der nach Beute schnappt: Den kann man nur vom Meer aus erkennen.


Donnerstag, 24. Mai 2018

Von Sizilien nach Mallorca. Nachtfahrt.

Mein jüngstes Buch DIE VERGESSENEN INSELN ist nach über drei Jahren Arbeit 
im vor wenigen Wochen endlich erschienen. Weil ich reisen und unterwegs sein will, 
stürze ich mich in mein nächstes großes Buchprojekt, das mich um die Westküste Europas mindestens bis in die Bretagne führen soll. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas  alles begegnet.

Der Leuchtturm von Cap Formentor an der menschenleeren Nordostspitze Mallorcas im Morgenlicht. Von Sizilien bis dorthin braucht man aber fast vier Tage und vier Nächte nonstop, um ihn zu erreichen. Im folgenden ein Bericht übers Nachts Unterwegssein auf dieser Etappe.


Kurz nach Mitternacht, irgendwo auf dem Meer auf halbem Weg zwischen den Inseln Sardinien und Menorca. Die Navigation auf dem iPAD sagt, nach Mallorca seien es noch 107 Seemeilen. Oder 1 voller Tag und 9 Stunden.

Es ist windstill. Ich bin etwa 10 Stunden vom nächsten Land entfernt. Über mir nur Himmel.  Um mich nur Schwärze. Und das gleichmässige monotone Brummen des Motors. Unter mir nur Wasser. Wie tief es ist, kann ich nicht sagen.  Der Tiefenmesser, der eigentlich nur bis zu einer Tiefe von 100 Metern verlässlich arbeitet, ist schon am Nachmittag ausgestiegen. 183 Meter hat er unter uns gemessen, dies war die letzte Messung. Seitdem schickt der sinnreiche kleine Apparat mehrmals sekündlich einen akustischen Strahl in die Tiefe, der eigentlich vom Meeresgrund zum Sensor zurückgeworfen werden. Doch seit Stunden wird der Strahl nicht mehr reflektiert, sondern versickert irgendwo grundlos, ohne auf Widerstand zu treffen. Das Meer ist hier über 2.000 Meter tief.

Hinter einer Wolkenbank im Westen erleuchtet der Mond seit einer Viertelstunde wie eine Fackel den Himmel darüber. Das ist erstaunlich. Denn jetzt Mitte Mai ist der Mond, wo ich ihn hinter seinem Versteck weit im Westen erahnen kann, nichts anderes als eine hauchdünne liegende Sichel. Neumond. Dies ist ein Teil dessen, was den Zauber des Reisens unter Segeln ausmacht: Ich lerne wieder mehr die Natur zu beobachten, auf das zu achten, was sie von sich preisgibt. Gestern, an diesem Regentag, als ich lang am Vorstag stand und nach Westen in den regenschweren Himmel voraus betrachtete und die langeggezogene, nach oben bösartig gezackte Wolke entdeckte, die wie eine liegende Zigarre den Himmel vor uns bedeckte. Die Meeresschildkröten, an denen wir häufig vorbeisegeln und die sich hier draußen, fernab von allem tummeln. Die Spitze einer Front, die Regen und guten Wind verhieß. Jetzt der Mond hinter seiner Wolkenbank, der mich tiefer Schwärze zurücklässt. Alles, was ich gerade wissen muss, erfahre ich in diesem Augenblick nicht aus dem Internet, sondern aus der Weite, die mich umgibt.

Ich blicke kurz nach vorn. In der Dunkelheit voraus etwas rechts hinter der Kimm ein schwindender roter Schein. Noch so ein kleines Schiff wie meines auch. Freude erfast mich kurz, noch jemanden zu treffen hier draussen, der es nicht aushielt daheim, den es hinauszog wie mich. Es ist so klein, dass selbst mein Radar, das zur Sicherheit nachts immer mitläuft und 20, 30 Kilometer oben von meinem Mast aus für mich Ausschau hält nach Dingen, mit denen ich in der tiefen Dunkleheit kollidieren könnte, es noch nicht erfasst hat. Einen Monent lang sehe ich den roten Schemen. Was tut der Skipper um diese Tageszeit hier draussen? Wohin fährt er? Was bewegt ihn? Hat er jetzt um diese Nachtzeit ähnliche Gedanken wie ich? Dann wird das Licht dünner und dünner, bis die Schwärze es verschluckt hat und mich wieder allein zurücklässt.

Müdigkeit überfällt mich, urplötzlich, wie aus einem Eimer mir ausgekippt. Meine Lider brennen, meinen Arm zu heben oder die Pupillen so scharf zu stellen, dass sie in der Dunkelheit diese Zeilen lesen können, kostet Kraft und Überwindung. Doch ich muss wachbleiben. Auch wenn Levje sich selbst auf dem eingegebenen Kurs hält, kann ich es mir hier so wenig wie am Steuer eines Autos leisten, dem Wunsch nach Schlaf nachzugeben plötzlich einfach einzunicken. Der Wunsch, im Brummen des Motors einfach nach unten zu gehen, das zugige Cockpit gegen die Wärme meines Bettzeugs einzutauschen und meinen Platz vor den Instrumenten zu verlassen, ist übermächtig.

Das Meer. Die Nacht. Die Müdigkeit. Vor mir nur die Instrumente und rechts das kreisende Radar, das Ausschau hält.

Ein Uhr.  Ich prüfe mit einem raschen Blick, ob Levje noch den eingegebenen Kurs steuert. Dann ein kurzer Blick auf die Instrumente vor mir. Und auf den schwarzen Bildschirm des Radars-Bildschirms, der meine ganze Existenz auf einen kleinen gelben Punkt in der Bildschirmmitte reduziert. Der gelbe Punkt darauf bin also ich. Und rund um den kleinen gelben Punkt nichts anderes als 20 Kilometer im Umkreis gähnende Schwärze.  Nichts und niemand. Kein Mensch, kein Schiff. Wie weit, wohin müsste ich gehen in dem Land, das ich meine Heimat nenne, um das zu finden: In einem Kreis von 40 Kilometern Durchmesser keine Menschenseele, niemand anderes, nur mein Schiff allein.

Um die Müdigkeit zu vertreibe, stehe ich kurz auf und werfe einen Blick nach vorne in die Schwärze. Kalter Fahrtwind streicht mir über die Wangen. Obwohl es auf den Juni zugeht, ist es gerade nicht warm im Mittelmeer. Der Nordwind bringt kalte trockene Luft, es gibt keine Hauswand, keinen Baum, der die Kühle von mir abhalten könnte. Ich sehe vor mir das grüne Licht der Positionslaterne am Bug, die anderen Schiffen anzeigt, welchen Kurs wir steuern. Hinter dem schwachen grünen Lichtschein endet meine Welt. Jedenfalls die, die ich wahrnehmen, erkennen kann. Aus tiefer Schwärze kommend gleitet Levje hinein in die Schwärze, die mich umfängt. Anders als in einem Auto sehe ich nichts, rein gar nichts, wohin wir jetzt in eben diesem Augenblick gleiten. Ich sehe noch das Vorsegel und das rotgrün des Positionslichts, doch vor uns nichts mehr. Hier endet meine Welt. Ich muss darauf vertrauen, dass uns nichts in die Quere kommt. Kein Schiff, das plötzlich auf Kollisionskurs ist und keiner, der auf der Brücke Wache hält wie ich oder wie Sven, der unten schläft. Kein treibender Baumstamm wie in manchen Winternächten, in denen ich auf der nördlichen Adria unterwegs war. Kein scharfkantiger Container, der knapp unter der Meeresoberfläche träge driftet. Ich schaue eine Weile in die Dunkelheit, doch als der kalte Fahrtwind meinen Nacken auskühlt, ziehe ich mich wieder unter die schützende Sprayhood zurück. Ich muss meinem Schiff vertrauen. Auch das lehrt das Reisen auf einem Boot. 

Plötzlich unterbricht ein durchdringender Piepton das monotone Brummen des Motors und das gleichmässige Rauschen entlang der Bordwand. Ein nerviges Piep-Piep-Piep, das nicht enden will. Eine Warnung vom Motor? Nein. Es scheint alles in Ordnung. Eine Warnung vom Radar? Tatsächlich. Da hat sich aus Norden ein kleiner Lichtpunkt angeschlichen, der auf meinen gelben Punkt in der Mitte des Bildschirms zustrebt. Ich lösche den nervigen Piepton. Danach spähe ich in die Dunkelheit vor mir. Tatsächlich. Halblinks von Levjes Kurs erkenne ich ein schwaches rotes Licht. Und darüber ein weißes. Offensichtlich ein Segler auf Gegenkurs. Er ist noch ein Stück weit enntfernt. Auf dem Radar habe ich einen Kreis von 6 Seemeilen Durchmesser , also 11 Kilometern gezogen. Wen irgendetwas in diesen Kreis eindringt, das sich einigermaßen über die Wasseroberfläche erhebt, ertönt eben jener nervige Piepton. Das ist eine sinnvolle Einrichtung. Die Route, auf der ich unterwegs bin, ist zwar kein vielbefahrener Dampfertrack, aber jeder Segler, jeder Motorbootfahrer, der zwischen Menorca und Sardinien unterwegs ist, wird mehr oder weniger auf meinem Trampelpfad unterwegs sein. Ich beobachte den näherkommenden Segler. Es muss ein kleines Segelschiff sein, denn eifrig nickt der Mast in der Welle, als er uns in etwa 50 Metern Abstand passiert.


Und während das Schiff an uns vorbeigleitet, entdecke ich, dass über uns die Wolkendecke aufgerissen ist und die Sterne sich zeigen. Wir sind unterwegs Richtung Mallorca doch ich entdecke, dass wir eben die Milchstraße mit ihren Milliarden Sternen durchquerten. Wenn wir uns von A nach B bewegen, denken wir nur daran, eben von A nach B zu kommen. Und vergessen doch, dass jede Fahrt, und selbst die allerkleinste Stadtfahrt, eine Reise durch ein  anderes Universum sein könnte, wenn wir denn nur die Augen hätten, genau das zu sehen.

Eineinhalb Stunden später, meine Uhr zeigt vor meinen übermüdeten Augen halb vier. Die windstille Nacht hat einem Wind genau von Vorne Platz gemacht. Er nimmt zu. Leichter Regen setzt ein. Mein übermüdetes Gehirn mahlt Gedanken: Weiter unter Motor gegen den Wind anboxen? Noch geht das. Es hat etwa 10 Knoten, doch er nimmt zu. Ich spüre, wie wir Fahrt verlieren, nicht viel, doch merklich. Was wäre die Alternative: Segel setzen? In mühsamem Zickzack gegen den Wind Richtung Menorca aufzukreuzen, um weiter an Mallorca heranzukommen? Das alles in übermüdetem Zustand. Nein. Ich will mich jetzt nicht bewegen. 

Der Regen wird stärker. Was nicht weiter schlimm ist. Sicht hatte ich ohnehin keine. Doch die Sprayhood, unter der ich sitze, ist nicht ganz regendicht. Wasser vom prasselnden Regen tropft aufs Radargerät, fällt neben dem iPAD in dicken Tropfen herunter, tropft mir langsam in den nassen Kragen, wenn ich nicht passgenau mir einen Platz zwischen den fallenden Tropfen suche. Der Wind nimmt jetzt deutlich zu, in Spitzen haben wir jetzt über 15 Knoten gegen uns, unsere Geschwindigkeit sinkt, die See wird hackiger. Kein Spaß für Sven, der unten im Bug schläft und der jetzt wie im Schleudersitz dauernd auf und ab fährt. Ich muss was tun. Segel setzen? Aufkreuzen? Noch zögere ich. Wenn der Wind in den nächsten 10 Minuten zunimmt, gibts keine andere Wahl. Also warte ich. Plötzlich meldet sich das iPAD ab. Damit ist meine Navigation futsch. Auch das ist Segeln: Das sich in kritischen Momenten der Stress gleich durch mehrere Faktoren gleichzeitig nicht linear, sondern exponentiell steigert. Ich hole mein Smartphone aus der Jacke, denn dort habe ich die Navigationssoftware samt meinen Kurs vorsichtshalber ebenfalls gespeichert. Kein Problem also, soweit.  Wenn nur die 15 Knoten und der prasselnde Regen nicht wären.

Nach einer Weile, in der ich im Starkregen den Leuchtturm Menorcas aus den Augen verlor, lässt das Geprassel nach. Der Wind beruhigt sich auf unter 8 Knoten. LEVJE schnürt wieder dahin, als wäre nichts gewesen. Als der Regenmorgen die Dämmerung bringt, sehe ich vor mir unter den Wolkenbänken die Südostküste Mallorcas. Wir sind da. Nach dreieinhalb Tagen fast am Ziel.


Samstag, 19. Mai 2018

An Europas Küsten (1): Mein Segelprojekt in diesem Jahr. Der Aufbruch.

Mein jüngstes Buch DIE VERGESSENEN INSELN ist nach über drei Jahren Arbeit 
im vor wenigen Wochen endlich erschienen. Weil ich reisen und unterwegs sein will, 
stürze ich mich in mein nächstes großes Buchprojekt, das mich um die Westküste Europas mindestens bis in die Bretagne führen soll. Unter dem Titel AN EUROPAS KÜSTEN werde ich in den kommenden 6-7 Monaten von dem berichten, was mir in diesem Sommer auf meinem fast 4.000 Kilometer langen Weg um die Süd- und Westküste Europas  alles begegnet.

Wenn der Westwind weht wie hier Mitte April im Westen Mallorcas vor Palma, dann ist an Segeln in diese Richtung nicht zu denken.


Eigentlich sollte es schon viel früher losgehen. Anfang April wollte ich von Sizilien auf meinem Schiff nach Westen aufbrechen, auf direktem Weg Richtung Sardinien und Balearen. Doch es war, wie häufig in den letzten Jahren. Der Winter ist - was seine Stürme angeht - fast eine freundliche Jahreszeit. Die Zeit des Übergangs ist die schwierige - und kaum war das Frühjahr da, fegten die Frühjahrsstürme los. Einer von ihnen ist der Mistral, der nicht nur lokal durch das Rhonedelta und hinaus in den Löwengolf weht, er beeinflusst das Wettergeschehen von Südfrankreich über Balearen, Korsika, Sardinien die Westküste Italiens bis hinunter nach Sizilien.

Und wenn nicht gerade der Mistral entlang der Südküste Siziliens wehte, dann war es der Scirocco, der einmal die Woche roten Regen voller Saharastaub über Sciacca stürmisch auskippte. Oder sein gewalttätiger Bruder, der Libeccio, der selten, doch wenn, dann hart weht und hohe Wellen aus Südwest in den ungeschützt daliegenden Hafen von Sciacca treibt. So sehr ich auch jeden Tage die Wetterkarten studierte, um eine geeignetes 5-Tage dauerndes Wetterfenster für die ebenso lang dauernde Überfahrt von Sizilien nach Mallorca zu finden: so sehr änderte sich das Wetter gleich wieder nach zwei Tagen. Es blieb blieb mürrisch und launisch und trüb und instabil und änderte sich alle zwei Tage. Ich saß daheim in Iffeldorf, ließ mindestens zwei, drei Flugtickets verfallen, es half alles nichts.



Doch vergangenen Freitag kündigten die Wetterberichte eine einwöchige Ost- und Schwachwindphase an - zum ersten Mal seit 6 Wochen. Ich schnappte mir meinen Seesack, der gepackt im Keller wartete, flog nach Sciacca, ließ das Boot in der Werft ins Wasser und verließ am vergangenen Donnerstag kurz nach 7 Abends zusammen mit Sven den Hafen. Wir wollten die Strecke Sizilien-Balearen direkt segeln - es sind etwa 450 Seemeilen - etwa 800 Kilometer. Es war die Tage schön gewesen, in Sciacca, doch kaum waren wir aus dem Hafen, zogen Regenwolken auf.

Ich mag den Regen beim Segeln. Doch vielleicht ist das leicht gesagt, ich kenne nur den Mittelmeer- und nicht den Nordsee- oder Ostseeregen, der 14 Tage einen Urlaubstörn verhageln kann. Im Mittelmeer ändert sich das Wetter nach einem Tag, und meist ist Regen hier etwas, was man sich herbeiwünscht, um der trockenen Landschaft etwas Feuchtigkeit zu spenden. Regensegeltage im Mittelmeer: Eine leises Tröpfeln, das auch die letzten Wellen auf der Meeresoberfläche plattdrischt. Ein konstantes Lüftchen mit 4 Windstärken, das Levje wie auf Schienen gleiten lässt: So kam die mondlose Nacht mit leichtem Regen, ich ließ Levje laufen und passte bis 2 Uhr morgens auf, bis Sven mich ablöste und bis 6 Uhr morgens das Schiff steuerte.
















Als ich ihn am Morgen ablöste, lag Marettimo, die letzte und unnahbarste der Inselgruppe ganz im Westen Siziliens, querab im bleigrau. Von hier ab für 200 Seemeilen bis Sardinien nichts mehr. Der angekündigte Nordost setzte gleich hinter Marettimo ein und trieb Levje für 28 Stunden mit halbem Wind nach Westen. Segeln, das habe ich erst viel zu spät begriffen, hat viel mit Warten können zu tun, mit Zeit haben. Und auf den richtigen Moment warten, in dem der Wind, egal ob im Hafenmanöver oder auf einem langen Schlag, Dir einfach hilft, Dein Ziel zu erreichen. Doch wer kann schon warten, wenn er nur 14 Tage Zeit hat, weil eben jetzt der Urlaub ist und man genau jetzt eben segeln will.


Vor dem Aufbruch zu dieser Reise habe ich mich wochenlang vorher immer wieder gefragt: Warum tue ich das? Und was finde ich da  draußen?
Eine mögliche Antwort steckt in dem Foto dort oben. Betrachten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, es genau. Es ist wenig darauf zu sehen. Es zeigt eine x-beliebige Stelle irgendwo auf dem 350 Kilometer langen Strecke zwischen Sizilien und Sardinien. Können Sie sagen, was Sie dabei empfinden?
Die meisten Menschen werden beim Anblick dieses Stück Meeres an einem Regentag nicht viel anderes empfinden als Trostlosigkeit und Leere. Damit sind Sie nicht allein, den meisten Menschen wird es so gehen. 

Für mich steckt etwas anderes darin. Es war am Morgen. Ich war allein an Deck. Sven hatte wachfrei und schlief. Ich wanderte, fasziniert von dem was ich sah, auf dem Schiff herum zum Vorstag. Ich beobachtete die Seevögel, die nur wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche durch die Wellentäler glitten, weit weit entfernt vom nächsten Festland. Ich sah die lange Wolke, auf die wir zuglitten und aus der nach oben bösartige Krallen ragten, weil sie Regen und Wind brachte. Ich hätte stundenlang weiter am Vorstag so stehen und fasziniert schauen mögen in dem Wissen, genau in dieser Trostlosigkeit und Leere dieses Ortes irgendetwas Wahres, Tröstliches wieder und wieder zu finden, etwas, was die 1.000 Waagen, die in meinem Inneren beständig in Bewegung, in Unordnung sind und pausenlos und ohne Unterlass wiegen und wägen, urplötzlich in ein Gleichgewicht bringt.

Vielleicht ist darum dieser Ort, der niemals einen Namen tragen wird, so wichtig. Für mich. Aber auch für viele, viele andere Menschen. 


Ich freue mich, wenn Sie mich auf marepiu auf dieser Reise wieder begleiten.





Donnerstag, 10. Mai 2018

Preiserhöhungen Nationalpark Kornaten. Neue Preise 2018.

Über die Preiserhöhungen in den kroatischen Marinas 
Zum Saisonstart erhöhen auch die Nationalparks ihre Preise. 
Heute ein kurzer Bericht über die Kornaten.



























Der Nationalpark Kornaten hat seine Preise für 2018 drastisch erhöht. Das Eintages-Ticket (!) kostet nun für eine 37ft-Yacht bis zu 162 € (!!) - wenn man nicht aufpasst und sein Ticket nicht vorher Online kauft oder eine der Marinas in und um Murter ansteuert.

Noch eklatanter fallen die Preiserhöhungen für Boote kleiner 8m aus. Hier kostet das Tagesticket 108€, wenn man es im Nationalpark löst. Beim Kauf außerhalb des Nationalparks sind stolze 54€ pro Tag fällig.

Hier die Preisübersichten:

Preise für Yachten <8m


                                                             Preise für Yachten 37ft

Entsprechend teurer sind auch die 3-Tagestickets. Vorsicht auch beim Besuch des angrenzenden Telascica-Nationalparks - denn der ist im 1-Tages-Ticket nicht enthalten.

Würden die eingesammelten Beträge wenigstens dem Schutz und Ausbau des Kornati-Nationalparks zugute kommen, könnte man damit leben. Doch dem ist nicht so, wie Kornaten-Buchautor Bodo Müller berichtete. Er interviewte im Frühjahr den Direktor des Nationalparks, der in den kommenden Jahren die Nationalparkpreise noch erheblich weiter erhöhen will, während die Kosten für die aufgestellten Müllcontainer weiter die Wirte in den Konoben zu tragen haben.


Geld, Zeit und Ärger gespart: 
Die im April 2018 erschienenen MARINA REPORT KROATIEN reden Klartext, 
was Sie diesen Sommer in Kroatien erwartet.

  







Montag, 7. Mai 2018

Manchmal ist es nur ein Sprung ins Meer, der ein Leben verändert.

Wenn wir aufs Meer gehen, ob allein oder mit Crew, sind es meist die großen Dinge, die wir fürchten. Jeder Skipper, der ein Schiff steuert, hat etwas, das ihm einen Kloß im Hals erzeugt, wenn er nur dran denkt. An den Motor, der mitten im Anlegemanöver im Hafen aussetzt. An den Anker, der im Starkwind nicht hält. An einen Sturm, der größer ist als alles, was man bislang erlebt hat und einen an die eigenen Grenzen bringt.
Wer viel segelt, hat vieles davon schon mal erlebt. Das meiste davon ist nicht so schrecklich, wie man es sich vorstellt. Manches aber schon.

Es sind die großen Gefahren, um die unser Denken kreist. Doch oft sind es nicht sie, die ein Leben verändern. Die großen Gefahren, unsere Angstgegner, haben wir beim Segeln im Blick. Sie spielen in unseren Überlegungen stets eine Rolle. Meist ist es das, was wir nicht beachten, etwas ganz Alltägliches, das ein Leben verändert. Ewas Unauffälliges. Eine Leiter, von der man ausrutscht. Ein Seezaun, an dem man hundertmal entlangging. Eine Planke im Hafen, auf der man ausrutscht. Eine falsche Körperdrehung auf dem Vordeck. Oder ein einfacher Hechtsprung ins Meer. 

So wie bei Leon. Es waren Ferien. Schulstress vorbei, Abitur in der Tasche, endlich Ferien. Leon mit Freunden auf dem Weg in den Süden. Ein Dorf an der italienischen Küste. Das Meer. Ein einfacher Hechtsprung ins tiefe Blau. Er veränderte alles.
























Leon knallte im Wasser auf einen Stein. Auf seiner Spendenseite schreiben seine Angehörigen: „Seit diesem Badetag 2017 ist der 19-jährige Abiturient vom Hals abwärts gelähmt... Selbst das Atmen ist seitdem keine Selbstverständlichkeit mehr.“ 

Wenn wir also in den kommenden Wochen lossegeln: Seien wir achtsam. Behalten wir vor allem die kleinen Dinge im Blick. Die Dinge, die wir beiläufig tun. Dann verliert auch manches Gewitter und mancher Sturm seine Schrecken.


PS: 
In der Reihenfolge der Wichtigkeit:

Leon wird voraussichtlich im Sommer nach fast 1 Jahr in der Unfallklinik Murnau nach Hause entlassen. Damit er sein Leben bei seinen Eltern so leben und seine Ziele weiter verfolgen kann, muss das Haus für ihn umgebaut werden. Seine Eltern stemmen den Umbau nicht allein. 
->Hier gehts zu Leon's Geschichte. Und zur Spendenaktion.

Wer mehr über Stürme und Gewitter in diesem Sommer erfahren will: 
->Hier.