tk: Guten Morgen, Frau Marević. Wie geht es Ihnen heute?
Renata Marević: Wir sind alle gesund. In Kroatien gibt es derzeit etwa 400 Erkrankte. Soweit wir wissen, ist auf unserer Insel Krk von den knapp 20.000 Bewohnern niemand erkrankt. Aber das kann sich schnell ändern, denn Krk ist eine der wenigen unter den 1.240 kroatischen Inseln, die vom Festland aus über eine Brücke zu erreichen ist. Allerdings darf im Moment niemand mehr rüber, nur noch mit Sondergenehmigung.
tk: Wie haben Sie die letzten Tage erlebt?
Renata Marević: Ich bin 24 Stunden am Tag für die Marina-Mitarbeiter erreichbar. Die Versorgung hier funktioniert super. Wir haben nur den Stress, wenn wir nach der Arbeit nach Hause kommen, alles zu waschen, alles zu desinfizieren, um unsere Senioren zu schützen.
Meine beiden Söhne leben in Zagreb, am 22. März bebte dort die Erde und Teile der Altstadt wurden schwer beschädigt. Die Gebäude, in denen meine Söhne leben, haben das ausgehalten. Trotzdem sind bei den ersten Erdstößen morgens um halb sieben alle nach Draußen ins Freie gerannt, es fiel Schnee. Trotz der Angst vor dem Virus sind die Menschen in Gruppen durch die Straßen gerannt. Meine Söhne hatten zufällig ihre Autoschlüssel dabei, ich war froh, sie haben sich einfach ins Auto gesetzt. Und haben abgewartet.
tk: ... und wir sind nur mit COVID-19 beschäftigt. Und wie sieht Ihr Alltag auf der Insel Krk aus?
Renata Marević: Es ist nicht soviel anders wie bei Ihnen in Deutschland oder Österreich. In Kroatien gibt es seit kurzem Bewegungsbeschränkungen. Es ist verboten, die Stadt oder die Gemeinde zu verlassen. Das darf man nur mit Sondergenehmigung, wenn man seine Arbeit nicht vom Homeoffice aus erledigen kann. Und das gilt für die meisten Mitarbeiter hier in der Marina, vor allem für die Mitarbeiter auf den Stegen, die ja ständig auf den Booten nach dem Rechten sehen müssen.
tk: Auf Ihren Fotos tragen Sie alle Masken. Ist das Pflicht in Kroatien?
Renata Marević: Nein, das ist nicht Pflicht. Aber wir haben uns das hier in Marina Punat selber verordnet, um uns und unsere Mitarbeiter zu schützen.
tk: Wann ist denn das letzte Mal ein Schiff in die Marina Punat eingelaufen?
Renata Marević (überlegt lange): Da muss ich wirklich nachdenken. Das muss vor zwei Wochen gewesen sein. Ein kroatisches Boot war das. Das war tatsächlich das letzte Schiff, das in den Hafen einlief. Normalerweise wäre jetzt Anfang April ja Hochbetrieb in der Marina, vor allem an den Wochenenden.
tk: Es ist Frühjahr - zusammen mit dem Herbst die Hauptarbeitszeit einer Marina. Wieviele Schiffe haben Sie denn schon im Wasser?
Renata Marević: Die ganze Charterflotte ist bereits ausgewintert und bereit für die Fahrt im Wasser. 150 Schiffe im Charterhafen. Aber es wird vorerst keine Kunden dafür geben. Also bleiben sie im Hafen. Insgesamt haben wir derzeit 800 Schiffe im Wasser und noch einmal fast 500 am Land.
tk: Eine ganze Menge. Sind denn augenblicklich Bootseigner in der Marina?
Renata Marević: Letzte Woche waren noch einige Gäste hier, aber die sind alle heimgekehrt. Unter den gegebenen Bedingungen und den Einschränkungen ist es das Beste, einfach zuhause zu bleiben.
tk: ... und was würden Sie mir antworten, wenn ich jetzt in diesem Augenblick mit meinem Boot die Marina Punat ansteuern und Sie über Kanal 17 um einen Liegeplatz bitten würde?
Renata Marević (lacht zuerst): Natürlich haben wir einen Liegeplatz für jeden. Und sie dürften auch einlaufen wie immer. Aber danach ist alles anders. Sie könnten nicht auf ihrem Boot bleiben. Ein Krankenwagen würde kommen und Sie sofort in die nächste Quarantäne-Station bringen. Die ist in Rijeka, knapp 60 Kilometer von hier. In der Quarantäne würden Sie 14 Tage bleiben, die Behörden haben Anweisung gegeben, dass niemand auf seinem Boot in Selbstisolation verbleiben darf. Ihr Boot würde komplett desinfiziert werden. Die Quarantäne würde Ihnen ebenso wie die Fahrt im Krankenwagen berechnet.
Ich selbst musste übrigens 14 Tage in Selbstisolation - ich war mit 5 meiner Mitarbeiter Anfang März auf der AUSTRIA BOATSHOW in Tulln für 4 Tage. Bei unserer Rückkehr nach Kroatien hieß es dann, wir müssten jetzt vorsichtshalber in Quarantäne. Also hab ich 14 Tage das Haus nicht verlassen.
tk: Ein Boot wäre doch eigentlich der sicherste Ort in der Krise. Dürfte ich denn überhaupt auf meinem Boot noch nach Kroatien einreisen?
Renata Marević: ... seit Ende März gilt eine neue Regelung: Alle Seegrenzübergänge sind geschlossen: Umag, Rovinj, Pula, Korcula, alles: dicht! Die Saisonstellen haben gar nicht erst aufgemacht. Nein, Sie kämen auf dem Schiff derzeit nicht mehr nach Kroatien hinein, weil sie nirgends einklarieren könnten.
tk: Und wie ist die Stimmung bei Ihnen in der Marina und im 1.500-Seelen Örtchen Punat?
Renata Marević: Wir versuchen, uns vom Pessimismus nicht anstecken zu lassen - 'we keep upright the good spirit'. Im Moment stehen Sicherheit und Gesundheit an erster Stelle. Wenn das jetzt alles ein weltweites Schicksal ist, dann ist das auch unser Schicksal. Niemand ist eine Insel - auch wir auf Krk nicht.
tk: Mancher wünscht sich in dieser Krise gar auf die Insel. Sie kennen beides - die Großstadt und die Insel. Was ist denn jetzt gerade der bessere Platz in der Krise?
Renata Marević: Die Insel hat Vorteile und hat Nachteile. Die Infektion kommt auf eine Insel langsamer und später. In der Stadt verbreitet sich ein Virus schneller ...
tk: ... Kroatien ist ja überhaupt ein bevölkerungsarmes, über weite Strecken fast leeres Land. Von den 4,2 Millionen Einwohnern teilen sich im Schnitt 75 einen Quadratkilometer. In Deutschland sind das mehr als 3x soviele ...
Renata Marević: Ja, wir leben nicht nur hier auf der Insel Krk sehr isoliert und räumlich weit verteilt. Man kann hier gut sein in der Krise, kann den Garten geniessen, was den meisten Menschen in einer Stadt nicht vergönnt ist. Der Nachteil der Insel: Wir sind auf die Brücke angewiesen. Die ganze Versorgung läuft über die Brücke, über die man die Insel ja auch gut abschotten kann nach draußen.
tk: Was fürchten Sie gerade am meisten?
Renata Marević: Die kroatische Bevölkerung ist überdurchschnittlich alt. Das kommt daher, dass die meisten Jungen fortgingen, um ihren beruflichen Erfolg anderswo in Europa zu suchen - um als Ärzte oder sonstwie in Irland oder Deutschland oder USA zu arbeiten. Wir Kroaten werden immer weniger. Unsere Gesellschaft ist älter als die meisten. Und weil das so ist, müssen wir die Alten noch besser schützen als anderswo. Abgesehen davon wird es in und nach der Krise weniger Geld geben für Pensionen und Renten. Für öffentliche Dienste.
tk: Denken Sie viel ans "Danach"?
Renata Marević: Sehr viel. Wir leben vom Tourismus - jedenfalls unsere 1.700 Kilometer lange Küste. Die ist komplett auf den Tourismus angewiesen. Industrie gibt es eigentlich nur in unseren wenigen Großstädten. Offiziell sind es 11%, die der Tourismus am Bruttosozialprodukt ausmacht. Aber die Zahl ist zu niedrig gegriffen. Nehmen Sie einfach mal den Ort Punat mit seinen 1.500 Einwohnern. Die Marina Punat ist nach einer Baugesellschaft der zweitgrößte Arbeitgeber am Ort. Wir beschäftigen hier ständig 150 Menschen nur in der Marina. In der Hochsaison kommen noch einmal 10% in der Gastronomie hinzu. Und dann haben wir noch die angeschlossenen Partnerfirmen: Segelmacher, Rigger, Schiffselektriker. Wenn ich unser Örtchen Punat rechne, dürfte der Anteil des Tourismus am Bruttosozialprodukt also deutlich höher liegen.
tk: Was tun die Menschen in der Marina, wenn die Arbeit ausgeht?
Renata Marević: Meine Mitarbeiter kümmern sich den ganzen Tag um die Boote. Die Eigner können auf unserer Marina-eigenen App sehen, wie es ihrem Boot geht. Gleichzeitig erhalten sie per App Berichte von den Mitarbeitern, die die Leinen und Persenninge und den Zustand der Boote überwachen. Wir haben im Frühjahr automatische Rauchmelder verteilt und Batteriestands-Messgeräte, so dass wir ständig kontrollieren können und die Batterien bei Bedarf an den Landstrom hängen können. Wir haben viel in die App investiert - aber es zahlt sich jetzt gerade aus, dass wir in engem Kontakt mit unseren Eignern stehen und diesen besonderen Service bieten.
tk: Wie gut ist die kroatische Gesellschaft auf die Krise vorbereitet?
Renata Marević: Sie meinen mit Material und Ärzten?
tk: Nein, von der Gesellschaft her. Während der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise 2016 war ich in Griechenland unterwegs. Trotz der Unruhen in Großstädten versicherten mir Griechen immer wieder, dass niemand hungern müsse. Jeder Grieche würde irgendwo etwas anbauen. Die Familienverbände wären intakt, man würde sich helfen, wo der Staat nicht helfen würde, tun es die Kommunen.
Renata Marević: Bis auf Slawonien haben wir kaum gut organisierte Landwirtschaft. Wir haben noch immer den Krieg in den 90er Jahren in Erinnerung - da waren wir plötzlich auch von einem Tag auf den anderen ohne den Tourismus. Viele haben damals die alten Olivenhaine wieder bewirtschaftet, um Olivenöl zu produzieren. Unsere Weinproduktion ist seit einigen Jahren sehr ambitioniert. Die Frage ist, ob wir einen Markt haben mit Europa, um das zu vermarkten.
tk: Was gibt Ihnen Hoffnung in diesen Tagen?
Renata Marević: Wir haben großes Vertrauen in unseren Krisenstab. Wir glauben den Spezialisten. Es gibt keine Panik. Die Menschen halten sich an die Vorschriften. Die Infiziertenzahlen steigen nicht exponentiell, sondern linear.
Daneben gibt mir Hoffnung: Kroatien hat jetzt die Chance umzudenken. Wir können gut von dem leben, was wir in diesem Jahr nicht für den Tourismus benötigen.
tk: Sind Sie eher Optimistin? Oder Pessimistin?
Renata Marević: Es geht nicht dauernd hoch. Und es geht nicht nur dauernd runter. Ich bin mehr Optimist als Pessimist. Ich kann derzeit nichts anderes als warten - gerade weil man Fragen zur Zeit einfach nicht beantworten kann. Es gibt keine Antworten - wir müssen vorbereitet sein auf viele Szenarien. Das ist alles, was wir tun können.
Ich glaube vor allem daran, dass Segeln wieder Zukunft hat. Segeln ist viel umweltfreundlicher als alles Motorgetriebene. Wenn ich über Alternativen nachdenke: Dann hat Segeln wirklich eine tolle Chance.
tk: Ich freue mich sehr, wenn wir uns wiedersehen. Ich weiß, ich werde eines Tages mit meiner Levje wieder vor ihrem Hafen stehen und Sie auf Kanal 17 um einen Liegeplatz bitten. Darauf freue ich mich schon jetzt.
An meine Leser:
Wir alle sind Europa - und Europa ist nicht nur eine Angelegenheit der "Brüsseler Spitzen"!
Das Leben der Anderen geht es uns etwas an. Wenn Sie nach Krk an Renata Marevic und ihre Mitarbeiter info@Marina-Punat.hr ein Winken und ein paar Zeilen senden würden, was Ihnen an den Aussagen gefallen hat, setzen Sie ein Zeichen.
DANKE! Ich freue mich, wenn Sie mich auch tk@millemari.de auf cc setzen.