Samstag, 29. August 2015

Die vergessenen Inseln: Heute auf Spetses. Oder: Reich und Arm, eng beieinander.


Ganz ohne Zweifel überrascht die Insel Spetses wie kaum eine andere Insel - und das gleich in vielerlei Hinsicht.

Monemvasia verließ ich, weil der Wetterbericht für die folgenden Tage Starkwind aus Nord ankündigte. Aber kaum, dass ich den Hafen von Monemvasia verlassen hatte, und voller Freude, dass endlich mal Wind wehte: schlief er auch schon wieder ein, der Wind. Die Ostseite des Peloponnes - ein Windloch, zumindest in diesem Jahr. 

Am nächsten Tag das selbe Spiel: Wetterbericht 5 bft. aus Nord. In der Bucht von Kiparission wehte es - also nix wie raus, 1. Reff. Kaum hatten wir sechs Seemeilen von der Küste weg zurückgelegt: Aus. Flaute. LEVJE liegt klappernd weit vor der Küste in den Kalmen - und in sich überschlagenden Wellen, die meine LEVJE elend hin und herwerfen. Mein Schiff, ein wehrloser Spielball dieser mutwilligen Wellenbrüder aus allen Richtungen. Also Motor.


Und weil mich der kürzeste Weg an die Ostseite von Spetses führte, genau zwischen Spetses und dem kleinen, östlich vorgelagerten Inselchen Spetsopoula (ja. Genau so.) hindurchführte, kam ich an einer unwiderstehlichen Bucht vorbei. Windgeschützt nach Norden. Nur einer dieser Schiff gewordenen Segelträume vor Anker. Und das wunderschöne RIVA-Boot eines Deutschen, der im Strohhut in den Himmel schaute. Ich konnte nicht anders. Hier mußte ich sein. Und blieb drei Tage, bis mich der Wind scheuchte, der so garstig am Spätnachmittag des dritten Tages die Wellen in die Bucht trieb: dass ich LEVJE fast auf den Strand setzte, nur um im aller-allerinnersten Winkel der Bucht eine halbwegs geschützte Ecke für uns zwei zu finden.

Aber RIVA-Boot und Riesenyacht: Das hatte es in sich. Das mußte ich rauskriegen. Also ruderte ich am am späten Nachmittag mit meinem Dinghi an Land, ließ LEVJE allein schaukelnd in der Bucht zurück und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Spetses, etwa drei Kilometer im Norden. 

Überraschung Nummer 2:
Während ich in der Hitze des Spätnachmittags auf der kleinen Teerstraße hügelauf, hügelab, nach Norden wackle, stelle ich zweierlei fest: Wunderschöne Villen zuhauf. Nein nicht "Neureichs", sondern wunderschöner alter Bestand. Keine einzige Architektur, die das Auge stört. Fast Südfrankreich: kleine, verschachtelte Gebäude in parkähnlichen Landschaften. Oder hinter hohen Mauern plötzlich ein bisschen Bretagne. Wo bin ich hier im Osten von Spetses bloß hingetreten?
Das andere: Dass auf meiner Straße zwar Verkehr ist: Oh ja, jede Menge Roller, Scooter, kleiner Motorräder - aber keine Autos. Spetses gebührt nach Venedig der Ruhm, Insel ohne Auto zu sein. Jedenfalls fast. Sie sind offiziell verboten, auf Spetses. Ein paar Taxen drücken sich schamlos durch engste Gassen, zusammen mit ein, zwei Lieferwagen. Aber das war es dann fast schon. Und noch etwas gibt es zuhauf: Golfcarts. Kleine Elektromobile vom Golfplatz, auf meiner Straße geht es eher zu wie auf einem Golfplatz, sie begegnen mir mehrfach. Und gerade als ich überlege, den Daumen zu recken, hält auch schon eins an. Roberta, mit dem Golfcart ihrer Herrschaft auf Einkaufsfahrt, nimmt mich einfach mit. Und weil sie Philippinin ist und seit 13 Jahren im Dienst ihrer Herrschaft ist, hat sie die Ehre, mir als Erste nahezubringen: Was es denn mit Spetses, das die Venezianer "Le Isole delle Spezie", die Insel der Gewürze tauften, so auf sich hat. Während wir also im kleinen Elektromobil ruckend und rumpelnd gen Norden rollen, erklärt mir Roberta: Einmal im Jahr kommt die Familie, für die sie arbeitet, in ihr Sommerhaus hierher nach Spetses. Diesmal für 10 Tage. Aber jetzt, im August, würden das auch die anderen reichen Athener Familien so machen. Jede, ausnahmslos jede der reichen Athener Familien hätte ein Haus, eine Villa auf Spetses, aber in den nächsten Tagen wäre noch besonders viel los, weil die Sprößlinge zweier der reichsten Athener Familien heiraten würden - und das würde wirklich alle, alle anlocken. Auf dem kleinen Betonfeld, direkt an der Straße, auf der wir rumpelnd vorbeirollen, landet gerade ein Hubschrauber, ein Mann im Business-Anzug steigt aus, der Hubschrauber hebt gleich wieder ab. "Time is Money, so leben hier die meisten", sagt Roberta, ohne ihre kleinen Füße vom Gaspedal zu nehmen, und Klein Tomi reibt sich die Augen, denn eigentlich wähnte er sich in Griechenland und nicht in New York.


Stotternd läßt Roberta das kleine Gefährt rechts zum Hafen abbiegen. Und da wartet die nächste Überraschung: Kein Hafen, wie man ihn kennt: Sondern ein enger Wasserschlauch, doppelt, dreifach in Reihen vollgestopft mit Booten aller Art: Kleine Fischerboote. Überdachte superschnelle Schlauchboote. Hochmotorisierte Speedboote. Segelyachten. Kaiken und Kunststoffboote, Holzyachten und Was-weiß-ich-noch. Selbst die große Autofähre zur Nachbarinsel - auf dem Foto oben im Hintergrund - schiebt sich hinein in das Gedrängel und läßt ihre stählernde Bugklappe mitten auf den Strandkies knallen. Ein unglaubliches Durcheinander, augenscheinlich angerührt vom Gott des Chaos, aber - und auch das ist eine Überraschung - es steckt Ordnung drin. Was man im Bild oben sieht, ist nichts anderes als einer jener Werftbetriebe, die vor 200, 300 Jahren mit ihren dort gebauten Kaiken Furore machten. Und im Befreiungskrieg vor 200 Jahren mit ihrer Flotte den Griechen im Kampf gegen die Türken schenkten.


Aber weil heutzutage ja niemand mehr die Kaiken braucht, liegt so manches angefangene Schmuckstück einfach am Wegrand. Und die Werftbesitzer - seelig-lieblich-wohlig gefangen in griechischem Klein-Klein - vermieten einfach ihren knapp bemessenen Platz an Bootsbesitzer. Und so beschließe ich noch am Nachmittag, mit LEVJE genau hierher zu tuckern, mitten hinein in dies Chaos, und mein Glück zu versuchen, hier, wo nichts, aber auch gar nichts aussieht nach einem freien Liegeplatz.


Und so verschlägt ein launenhaftes Schicksal mich im Hafen von Spetses zum alten Kostas. Der betreibt die Betonmole im engen Hafen, genau gegenüber der weißen Autofähre. Aber: was heißt denn schon "betreiben"? Kostas hat Platz, wo kein Platz ist. Toiletten, Dusche? Gibts nicht. Landstrom? Auch nicht. Wasser? Da bringt Kostas einfach seinen schönen blauen Schlauch und schließt ihn irgendwo an einer geheimen Öffnung an, die nur er kennt. Duschen? "Use the shower of your boat", sagt George, der aussieht wie Kojack und mit seinem Boot neben mir liegt. Sportboot-Marina a-la-Spetses: Die Fischerboote liegen in zwei, drei Reihen links an der Mole. Und LEVJE wird irgendwo vorne am Molenkopf reingequetscht. Nach zähem "den-armen-Kostas-nerven" habe ich es auch geschafft, eine von Kostas' drei Murings zu ergattern. Denn meine Ankerwinsch will nicht mehr, wie ich will, und um sie zu reparieren, brauche ich einen sicheren Halt. Und für den Morgen ist Starkwind im Hafen angesagt.

Und weil das Leben auf Spetses ja voller Überraschungen ist, drum dirigiert Kostas eine der am Abend hereindrängenden Superyachten dahin, wo ja eigentlich nun überhaupt kein Platz mehr ist: Nämlich im Foto oben genau rückwärts an die Spitze seines Molenkopfes.


Also liegt plötzlich die BILMAR Zentimeter neben LEVJE. Der Auslass der sirrenden Klima-Anlage ist so groß wie LEVJEs Fock. Ich schaue die stählerne Wand drei Stockwerke hinauf, auf die Brücke. Die BILMAR: 376 Tonnen Gewicht (LEVJE: 3,76 Tonnen), 43 Meter Länge (LEVJE: 9,40 Meter) und 10 Meter Breite (LEVJE: 3,05 Meter), der Eigner der BILMAR ein echt chicer Endfünfziger im feschen Marine-Style (LEVJE-Eigner: steht gerade halbnackt auf der Pier, duscht aus seinem Wasserkanister, die Shampoo-Flasche knallt zum dritten Mal aufs Pflaster).

Roberta, Kostas, die BILMAR: Vielleicht ist dies ja der Zauber von Spetses, oder einer davon: Reich und arm. Eng beieinander. Zumindest für ein paar Wochen im August.




Wer keinen Post von Mare Piu versäumen und  jeden neuen Artikel gleich bei Erscheinen erhalten will: 
                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.



Sonntag, 23. August 2015

Die vergessenen Inseln: Monemvasia. Am Tag.


Übers Meer sind es nach Monemvasia nur drei Stunden vom Ak Maleas, dem Kap der Stürme, der Südost-Spitze des Peloponnes. Und von Kithira im Süden acht. Und von Kreta 18. Monemvasia, der Felsen mitten im Meer mit der Stadt, über den ich gestern schrieb, liegt günstig, gleich ob man von Ost nach West oder Nord nach Süd will. Entsprechend groß ist auch der Traffic auf dem Meer. Tanker die kreuzen. Containerschiffe, die am Ak Maleas den Kurs ändern, Kreuzfahrtschiffe auf dem Weg vom Bosporus nach Olympia. Es lohnt sich, an dieser Ecke die App von MARINETRAFFIC laufen zu lassen, um auf dem iPAD zu sehen, wer da gerade wohin will, um zu vermeiden, dass LEVJE und ich gerade dumm im Weg irgendeines dahinrauschenden Ozeanriesen herumstehen.

                                                          Weiterlesen bei: Monemvasia. Die Nacht am Meer. Hier.
                                                          Weiterlesen bei: Kithira. Wo Aphrodite dem Meer entstieg. Hier.

Der Fels von Monemvasia: Keine zwei Kilometer lang und wohl nur ein Viertel so breit. An der Südseite, wo der Hang mit 45 Grad ins Meer abfällt: da bauten die Byzantiner ihre Stadt, die an dieser Stelle sicher nicht die erste war. Und sie nannten sie "Moni Emvasi", "Einziger Zugang", denn auf die Insel kam man nur über eine 14bogige Brücke, ich schrieb im gestrigen Beitrag darüber.


Vom Meer hinauf zur Felswand sicherten sie ihre Stadt "Moni Emvasi" mit Stadtmauern, die steil vom  Meer hinaufsteigen. Und ganz oben, auf der Krone, dem Plateau des Felsens, mit einer Festung, die nur über einen einzigen Weg zugänglich ist. Und wüßte ich nicht ganz genau, dass "Helm's Klamm" in Tolkien's HERR DER RINGE ganz woanders liegt: Ich würde hier, genau hier denken: Ich stünde davor, so verschlungen, so verschachtelt, so uneinnehmbar mutet auch heute noch der Zugang an.


Eine Weile war "Moni Emvasi" Dreh- und Angelpunkt in den Plänen der frühen Byzantiner, das römische Reich zurückzuerobern von den Horden der Völkerwanderung, denen kein Limeswall und kein Alpenkamm zu hoch war, um nicht aus allen Ecken über das römische Europa hereinzubrechen. Was den Peloponnes, was Süditalien anging, gingen diese Pläne zunächst auf. Aber bald war Byzanz zu kraftlos, geschwächt in innere Zwistigkeiten verstrickt und konnte nicht einmal Monemvasia vor weiterer Verwüstung und Verheerung bewahren. Die Stadt war auf sich allein gestellt, bis sich Venedig der Felseninsel im 13. Jahrhundert annahm, nicht uneigennützig, wie immer, und nur bedacht, was sein Reich auf dem Meer, den "Stato da Mar" von der Adria bis zum Bosporus mehren und sichern könnte.


Die Stadt unter dem rötlichen Felsen gedieh. Monemvasia verlieh dem wichtigsten Mittelalterlichen Wein seinen Namen, er hieß  nur "Malvasier", weil er hier verladen und nach Nordeuropa verschifft wurde. Venedig baute Kirchen in Monemvasia, noch heute steht fast eine an der anderen und sei es nur als Ruine. Selbst, als die Stadt dann öfter den Besitzer wechselte und von den Venezianern an die Türken und von den Türken wieder an die Venzianer und wieder zurück ging: die Kirchen blieben, als wollte man den heidnischen Geist ausräuchern an jeder Ecke mit Weihwasser und Weihrauch und Sanctus.


Monemvasia: ein Ort der verwinkelten Gassen, in denen man sich leicht zurecht findet, weil die Stadt auf steilem Grund steht: Der Stadtplan kennt nur "nach rechts", "nach links", "nach oben", "nach unten": ein Labyrinth, das keines ist, die winkeligen Wege führen von Kirche zu Kirche. In der kleinen Basilika sitze ich ein Weilchen. Es war ein traumhafter Moment letztes Jahr: Die alte Küsterin, die die abgebrannten Bienenwachskerzen einsammelte, summte leise, leise einen gregorianischen Choral, ein leises Summen, das im Tonnengewölbe hallte, der Schlag eines Schmetterlingsflügels hier in der Kirche gegen den Lärm der Welt. Wenn ich ehrlich bin: wollte ich ja nur das wieder erleben. Aber wir sind ein Jahr weiter. Die Welt: Sie ist nicht stehengeblieben, sie hat sich weitergedreht. Statt der alten Küsterin ist es nun eine junge Frau, die die Bienenwachs-Kerzen, kaum dass sie entzündet, wieder herausnimmt und wegwirft. Als ich sie frage, nach der alten Frau, mehrfach, versteht sie mich nicht. So bleibt mir nur, für die alte Küsterin mit dem Choral zu beten, dass die Welt es gut gemeint hat mit ihr.

Und vielleicht ist es ein bisschen so auch mit Monemvasia heute: Die Stadt, sie verjüngt sich ständig. Der gelungene Relaunch einer Stadt, die noch vor 40 Jahren von Altern und Aussterben bedroht war, weil gerade noch ein paar Handvoll Leuten in den alten Mauern lebte. Heute: Einladende Hotels, kleine Bars, alles geschmackvoll, selbst die Kreuzfahrtschiffe ankern wieder auf der Reede und bringen mit kleinen Rettungsbooten im Pendelverkehr ihre Gäste an Land, auf die Felseninsel.

Mich aber treibt es aus den Mauern hinaus, auf abgelegene Wege, uralt, von wem auch immer zwischen den Felsen mit Meisseln hindurch geschlagen. Es ist ein alter Weg, der aus dem westlichen Stadttor genau unter dem Felsen entlang in die Abendsonne führt. Wieder einmal streift mein Fuß über Unmengen von Tonscherben, 1.500, 2.000, 3.000 Jahre, die da vor mir auf dem heute selten benutzten Weg liegen.


Der felsige, alte Weg im Abendlicht, hoch über dem Meer, ich könnte ihn ewig gehen in meinen Flipflops im Licht des Abends. Und bevor ich jetzt schon wieder in Jubel ausbreche: Wie schön die Felseninsel im Licht der untergehenden Sonne aussieht, verweise ich jetzt einfach auf meinen letzten Post. Denn der handelt ja nur von einem: Wie sie aussieht, die vergessene Insel: Wenn die Nacht hereinbricht. Über Monemvasia.





_________________________________________________________________________________
Vom Autor von MARE PIU: 


Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

_________________________________________________________________________________



Wer keinen Post von Mare Piu versäumen und  jeden neuen Artikel gleich bei Erscheinen erhalten will: 
                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.

                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.












Samstag, 22. August 2015

Die vergessenen Inseln. Monemvasia. Eine Nacht am Meer.



Zu den schönsten unter den vergessenen Inseln gehört ganz sicher Monemvasia vor der Ostküste des Peloponnes. Ein Felsen, der im Meer liegt, an den sich eine mittelalterliche Stadt schmiegt, jahrhundertelang nur erreichbar über eine Brücke, deren Mittelteil aus Holz bestand und das die Einwohner im Gefahrenfall einfach hochzogen. Und damit war die Insel - wieder eine Insel.

                                                                                                       Weiterlesen bei: Monemvasia. Hier.


Das ging so, bis die Insel um die Jahrhundertwende verwaiste. Und 1971 gerade noch 31 Einwohner zählte. Heute ist Monemvasia wieder "in": Cafes, Galerien, Tavernen haben in den alten Mauern geöffnet, die Straße entlang des Felsens hoch zur autofreien Stadt ist vollgeparkt bis in die Nacht. "Wir sind nichts ohne ihn", sagt die Besitzerin der Taverne, die eigentlich aus Kanada stammt, aber seit Jahren hier in der Heimat ihrer Eltern glücklich ist, und deutet mit dem Kopf hinüber ins Dunkel zum Felsen, zur alten Festung von Monemvasia.

Womit wir dann auch beim Thema wären: Der Nacht über Monemvasia. Wenn die Sonne hinter den Bergen des Peloponnes versinkt, dann werfen die Berge ihre Schatten auf den Felsen von Monemvasia. Sie klettern höher und höher am Felsen von Monemvasia, bis die Insel schließlich vollkommen im Dunkel liegt.


Das geht ganz schnell - es dauert keine halbe Stunde vom ersten Schatten am Fuß des Felsen bis zum letzten Zipfelchen Abendröte oben.


Wenn die Nacht fällt, im Sommer, am Meer: Das ist kein gleichmässiges Verdunkeln des Himmels, wie wenn man eine Lampe herunterdimmt. Dämmerung - das ist ein Theaterstück in mehreren Akten. Da gibt es schnelle Akte und dramatische. Und langsame.
Schnell liegt der Felsen im Schatten. Aber dann liegt er lange, lange im Abendlicht, ein schartiger Klotz vor hell erleuchtetem Abendhimmel, während unten, in den Häusern, die ersten Lichter angehen. 


Vielleicht ist dies das Beständigste an einem Sommerabend am Meer: Wie lange der Himmel sich in Helligkeit hüllt. Kein schnelles Fallen des Dunkels, als ob die Welt unter ein großes Handtuch geriete. Der Himmel: er bewahrt lange, lange sein Leuchten, auch wenn der Rest schon im Dunkel liegt.


Und dann, irgendwann: geht alles doch ganz schnell: Das Licht des Tages schwindet. Die Lichter der Nacht kommen: Die Lichter des kleinen Vorortes, die Lichter der Tavernen, die die Nacht zum Tag machen und die der Fels und das Meer von Monemvasia begierig spiegeln, fast wie ein Feuer. Und: die Sterne im tiefen Dunkelblau über uns.

Die Nacht am Meer: Ein Schauspiel.






Mittwoch, 19. August 2015

Die vergessenen Inseln: Kythira. Wo Aphrodite dem Meer entstieg.


Woher sie nun wirklich kam: Man weiß es nicht. Irgendwoher aus den Tiefen von Zeit und Raum, den unermesslichen Meerestiefen der Menschheitsgeschichte, aus denen Mythen aufstiegen, Blasen gleich, zur Oberfläche, die "Gegenwart" heißt. Mythen, die sichtbar werden in Geschichten. Mündlich weitergegeben von Generation zu Generation, gedreht und gewendet, umgedichtet, umgedeutet, neu erzählt. Doch im Kern immer dieselbe Geschichte.

Wann und wo entstand ein Abbild eines weiblichen Wesens als Förderin allen Wachsens? 
Wann und wo begann die Anbetung einer Frau als Gebärerin? 

Mit der faustgroßen Venus-Statuette, die man im österreichischen Villendorf fand? Verfertigt um das Jahr 25.000 vor Christus aus einem Kalksteinbrocken, gesichtslos und üppig und schön in ihrer Fülle, Muttergottheit? Die es nicht nur einmal gibt, sondern gleich vielfach und weiträumig, wie die große Eiszeit-Ausstellung in Stuttgart Anfang unseres Jahrtausends zeigte? Was wiederum ein Hinweis wäre, dass der Kult um "die große Frau" schon zwischen den Eiszeiten weit verbreitet war?

Begann es im Zweistromland mit Ishtar, der wichtigsten Göttin Babylons um 3.000 vor Christus bis in die Jahre der Hellenen? Ishtar, zuständig für Krieg und sexuelles Begehren gleichermaßen, für Wachsen und Gedeihen und Verkümmern und Vergehen? Verehrt in Hymnen, ihr Symboltier, der Löwe, angebracht am großartigen Ishtar-Tor, an dem jährlich im Berliner Pergamon-Museum Hunderttausende vorbeischreiten? Ishtar, die der Hymnus besingt:

"05   Sie voll schwellender Kraft // mit Liebreiz bekleidet
06   geschmückt mit geschlechtlicher Kraft, // Verführung und Fülle.
...
14   Das Schicksal von jedeinem // hält sie in der Hand,
15   in ihrem Anblick ist geschaffen Frohsinn,
16   Lebenskraft, Gesundheit, Lebensfülle, Schutz!

17   Über Geflüster, Erhörung // Liebeserweisung, Güte
18   und Zustimmung verfügt sie.
19   Das Mädchen, das ausgesetzt wurde // findet in Ihr eine Mutter.
...
25   Grausig ist sie unter den Göttern // ist übergroß ihre Stellung
26   Gewichtig ist ihr Wort, // und über diese ist sie mächtig.
27   Ishtar: Unter den Göttern // ist übergroß ihre Stellung."
(zitiert von: UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN, INSTITUT FÜR EVANGELISCHE THEOLOGIE unter  https://www.uni-due.de/~gev020/courses/course-stuff/meso-ishtar-hymn.htm)

Oder: Beginnt es mit Astarte, Göttin der Syrer, der Phönizier und anderer westsemitischer Völker an der Küste des heutigen Syrien, Libanon und Israel? Die Astarte verehrten als Himmelskönigin und Liebesgöttin? Mein guter Herodot dachte sich das so jedenfalls, dass damit alles begann, mit den Männern aus Thyros, den Phöniziern, die nach dem großen Zusammenbruch der alten Reiche um das Jahr 1.000 wieder begannen, als Händler das Meer Richtung Westen zu befahren. Herodot erzählt in seinem 1. Buch vom Tempel der Aphrodite Urania in Askalon: "Es ist dies, wie ich erfahren habe, der älteste von allen Tempeln, die die Göttin hat. Auch der Tempel auf Kypros ist von Askalon aus gegründet worden ... und den Tempel in Kythera haben Phoiniker, also Bewohner jenes syrischen Landes, gegründet." (Herodot I, 105).


Schenken wir also, während ich LEVJE von Süden, von Kreta kommend, auf die Insel Kythira zusteuere; schenken wir also Herodot für diesmal Glauben, auch wenn die archäologischen Beweise für seine Version bislang fehlen. Glauben wir Herodot und seinen Geschichen in mindestens zwei-,  dreifacher Hinsicht: Dass der Kult um die Göttin aus dem Osten kam. Dass er verbreitet wurde von Seefahrern, Händlern: Die aus dem Osten kamen und den Kult mitbrachten. Dass der Kult in der Welt der frühen Griechen hier auf Kythira seinen Ausgang nahm und hier neben Zypern vielleicht ein erstes, wichtiges Heiligtum der Aphrodite entstand. Dass also hier, genau hier auf Kythira, Aphrodite dem Meer entstieg. Botticelli hat sie so gemalt, sie, die später bei den Römern Venus hieß. Aber so anmutig, wie sich die italienische Renaissance das ausmalte, lief das nicht. Der Gründungsmythos, und hierin entspricht er ganz der mörderischen, kriegerischen, der archaischen Welt der Bronzezeit erzählt es wesentlich grausamer. Unversöhnlicher. Chronos war es, Sohn der Gaia und des Uranos, der Erde und des Himmels, der seinem Vater auf Anstiftung der Mutter mit einer Sichel das Gemächt abschnitt. Und es hinter sich ins Meer warf. Eben jener Chronos, der aus Angst, selber entmachtet zu werden, die eigenen Kinder auffraß, auch den Demeter. Nur eines der Kinder überlebte, weil Chronos' Frau es vor ihm im Gebirge auf Kreta, nicht weit von hier, keine 50 Seemeilen, versteckte: Zeus. Aber auch da sind wir noch nicht mit unserer Geschichte.

Sondern bei dem, was Chronos verächtlich ins Meer geworfen hatte. Das brodelte und gischtete im Meer, und brandete und schäumte, das Blut, das Gemächt, der Same des Uranos, der sich mit dem Meer verband, schäumte. Und dem Geschäume entstieg, so überliefert es Hesiod, Aphrodite, die "Schaumgeborne". Zum Umfallen schön. Im Styling die Ahnherrin anderer Meeres-Schönheiten wie Brigitte Bardot oder weiland Bo Derek. Und stieg ähnlich wie Bo Derek an Land, hier auf Kythera. Und später auf Zypern.
  

Was aus all dem wurde?

Chronos? 
Natürlich überwand ihn sein Sohn Zeus, als der vom Honigwein berauscht dalag. Als Zeus ihn band, spuckte er alle Kinder, die er zuvor gefressen hatte, wieder aus: Hera und Demeter, Poseidon und... Zeus aber steckte Chronos auf eine abgelegene Insel, die Elysischen Gefilde. Und da, so geht der Mythos, lebt Chronos noch heute.

Aphrodite? 
Sie legte eine unglaublich steile Karriere hin. Als Liebhaberin, als Göttin, als Model. Als Liebhaberin, weil sie chronisch untreu war. In die Liste ihrer außerehelichen Amouren - verheiratet war sie nämlich auch, mit demübellaunigen Hephaistos, dem Schmied, Gott des Feuers und der Schmiede. Aber der reichte ihr nicht, in ihr Repertoire gehören ettliche prominente Namen, das "Who-is-who" der griechischen Mythologie. Ares, der Kriegsgott, zum Beispiel. Dem jungen Paris verdrehte sie den Kopf, als der sich unter den drei Göttinnen für sie als Schönste entschied und ihr, genau ihr den Apfel reichte - was ihm schlecht bekam. Da ist sie wieder, die uralte Geschichte von Schönheit und Zerstörung. Oder der Trojaner Anchises, ein Irdischer. Aus dieser Beziehung entstand Aeneas, einer der wenigen, die den nachfolgenden Untergang Trojas überlebten. Und als Gründer Roms dann auch gleich der Ahnherr von Julius Caesar selbst wurde.
Als Göttin machte sie Karriere, weil die Griechen sie als vielerlei verehrten. Als Himmelsgöttin und Symbol für die überirdische Liebe. Aber auch als Symbol für das irdische Begehren, Göttin der Hetären, Dirnen, Lustknaben, als Aphrodite Porné. Als Männermordende und Dunkle. Aber auch als Beschützerin der Seefahrer. Was sich Männer in Jahrtausenden eben so alles ausdenken.

Und die Römer? Sie steigerten diese Verehrung noch einmal, indem sie einfach in heilloser Griechen-Bewunderung aus Aphrodite Venus machten, eine Göttin für ein Weltreich, das das gesamte Mittelmeer umfasste. Ein Symbol für Jahrtausende.

Als Model machte Aphrodite aber die größten Furore. Botticelli! Watteau! Die Venus von Milo! Die weniger bekannte Venus von Knidos, geschaffen vom unglaublichen Praxiteles! Beide sind noch heute erhalten und können im Internet bestaunt werden. Und von der Venus von Knidos geht die Geschichte, dass die Stadt, über die ich in einem früheren Post schrieb, einst so verschuldet war, dass ihr der Gläubiger anbot, alle Schulden zu erlassen: Wenn sie nur die schöne barbusige Marmorstatue ihm überliessen. 
Es spricht für die griechischen Bewohner von Knidos, dass sie genau das nicht machten. Und lieber ehrenhaft ihre immensen Schulden abbezahlten.


Kythira?
Zu wichtig das Eiland auf dem Seeweg vom Peloponnes nach Kreta nach Ägypten und nach Syrien, um vergessen zu werden, zunächst einmal. Die kretischen Minoer hatten hier einen Handelsposten. So wichtig, dass Krieg entbrannte, unter anderem auch darum zwischen Spartanern und Argeiern. Herodot erzählt auch diese Geschichte, wie beide Heere, um größeres Blutvergiessen zu vermeiden, jeweils dreihundert auswählten, die kämpfen sollten. Die sie waren sich ebenbürtig, die dreihundert, die auf die dreihundert trafen, und nur drei von ihnen lebten am Abend des Tages noch, zwei Argeier und ein Spartiat. Die Argeier eilten darufhin in ihre Heimatstadt, um den Sieg zu übermitteln, derweil der Spartaner den toten Gegnern die Rüstungen auszog, als Beute. Als am nächsten Morgen die Heere anrückten, um zu erfragen, wer denn gewonnen hatte: Da beanspruchten beide Seiten den Sieg für sich. Streit brach aus, die Schlacht begann, die Spartaner siegten. Und "seit dieser Zeit schoren die Argeier ihr Haupt, während früher langes Haar Gesetz war." Kein Argeier solle lange Haar tragen, bevor die Schmach nicht getilgt sei, erzählt Herodot in dieser Geschichte von der Klugheit und der Dummheit der Menschen.

Kythira aber versank danach im Vergessen. Die Venezianer errichteten eine Festung, zur Sicherung des Hafens, der türkische Korsar Cahireddin Barbarossa überfiel und plünderte die Insel, wie so viele andere in den Scharmützeln zwischen Venezianern und Osmanen.

Und heute? Ist Kythira, das man [ki:thira:] spricht, irgendwie ein Geheimtipp unter meinen vergessenen Inseln. Irgendwie tatsächlich vergessen, das Inselchen gleich südlich des Peloponnes. Und auch Kythira hat seine schöne Tochter fast vergessen, fast. Nur ein einziges Hotel hier in Kapsali, dem netten verträumten Hafenstädtchen unter der venezianischen Festung, heißt nach ihr. Vergessen also - fast. Wären da nicht all die Anbeter der Aphrodite, die auf Kreuzfahrtschiffen wie der CLUB MEDITERANEE 2 hierher kommen mit der Durchsage des Bordfunks: "Welcome in Kythira. Where Aphrodite was born!" 
Der Mythos - er lebt.



_________________________________________________________________________________
Vom Autor von MARE PIU: 

Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

_________________________________________________________________________________



Wer keinen Post von Mare Piu versäumen und  jeden neuen Artikel gleich bei Erscheinen erhalten will: 
                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.

Ich freue mich, wenn Sie unten auf "Tolle Geschichte.." klicken. Dann weiß ich, ob Ihnen diese Geschichte gefallen hat.




Sonntag, 16. August 2015

Unter Segeln um Kreta: Unterwegs im Gewitter. Um die Westspitze Kretas.


Jedes Gewitter ist anders. Und keine zwei gleichen sich. Jedes Gewitter läuft anders ab. Und jedes wartet mit Gefahren ganz eigener Art auf.

In Chania blieb ich länger als gedacht. Und dies, weil Chania sich als bisher schönster Ort an der kretischen Nordküste entpuppte. Ein fesselnde Mischung aus venezianisich und türkisch, ein brodelndes Etwas aus TECHNO-Youngstern und Pferdekutschen, aus Kopfsteinpflaster und gut gemachtem Tourismus. In einem der nächsten Posts in ENTLANG AN KRETAs NORDKÜSTE werde iich mehr über Chania schreiben.

Das mit der TECHNO-Musik war dann aber doch einer zuviel. Denn die Zentren des TECHNO-Beats liegen in Chania - als hätte es sich verschworen - dort, wo der Segler ankert: Am Ankerplatz vor der nur von Steinböcken bevölkerten Insel Agios Theodori. Und in Chania's rieisigem Hafen 10 Meter von den Gastliegeplätzen entfernt. Also hält man es, obwohl man noch gerne in Chania verweilen möchte - ich konnte mich nicht sattsehen an dem, was ich da fand - zermürbt von zuwenig Schlaf nicht aus und zieht weiter.

Der Morgen war windstill und dumpf. Schwül. Ein paar dicke Regentropfen aus dem Nichts, die gleich wieder verschwanden, als ich im Coffeeshop meinen Orangensaft schlürfe und über die byzantinische Stadtmauer sinniere - sie hat es mir angetan, weil die Byzantiner in den Bedrängnissen der Völkerwanderungszeit, es musste schnell gehen, einfach alles vermauerten, was sie an der Antike fanden: Gesimssteine, Kapitele, ganze Säulen sind in der Stadtmauer vermauert, ein Lehrbuch der antiken Baustile, vor meinen Augen in der Stadtmauer. 

Der Wetterbericht ist normal: kein Wind, maximal 2-3 bft. Etwas Regen. HNMS WARNINGS, der lakonische Nationale Griechische Wetterdienst, sagt für KITHIRA SEA und WEST KRITIKO Thunderstorms voraus. Gewitter. www.blitzortung.org, zeigt tatsächlich eine breite Front aktiver Blitze weit im Westen an, vom Peloponnes bis weit südlich, aber die Front bewegt sich seit drei Stunden nicht. Ich schaue mich um. Außer den paar dicken Tropfen eben, die irgendwie aus dem Nichts kamen, fast nur blauer Himmel. Es sollte halten bis heute Abend. Also los.

Meinen Kurs habe ich zum Ak Spathi gesteckt, das weit in den Norden ragende Kap. Und sollte schneller als erwartet doch etwas heranziehen: Sind es von der Insel Agios Theodori nur etwas mehr als eine Stunde in den Fischereihafen von Kolumvari, genau südlich von Ak Spathi am Fuß der Halbinsel.

Es ist später Vormittag, und Agios Theodori liegt weit hinter mir, als die Welt um mich herum grau wird. Nicht das leiseste Lüftchen, nur ein Grau ringsum, aus dem ich dann auch eindeutig im Motorgeräusch Donner höre, dummerweise genau aus der Richtug meines Ausweichhafens Kolumvari südwestlich von mir.


Also weiter Richtung Ak Spathi, nach Nordwesten. Dumm nur, dass ich dann den nächsten Hafen, den von KIssamos in der Nähe von Kretas nordwestlichster Insel Gramvousa, erst gegen 17 Uht erreichen werde. Und bis dahin kann viel passieren.

Regen setzt ein. Erst leicht. Ich liebe die Tage auf See im Regen, wenn das Meer spiegelglatt ist, irgendwie bleigrau schillernd, harmlos, das ganze Gegenteil des ungebärdigen Wesens an einem stürmischen Tag. Der Regen wird dichter. Ich habe keine Segel draußen, also nicke ich nur kurz, als mir der alte Merkvers einfällt:

"Kommt der Regen vor dem Wind,
Skipper birg die Segel geschwind."

Die Welt wird immer grauer. Eine Yacht auf Gegenkurs. Langsam kriecht sie um Kap Spathi herum, das Grau hat sich nun hinter mir zu einer dichten grauen Masse  geballt, aus der es donnert. Die Yacht auf Gegenkurs hat aufgestoppt. Bug zum Unwetter, als würde der Skipper einen Augenblick verharren. Und warten. Warten auf das, was sich da entwickelt, was vor ihm steht.  Die Yacht verharrt stehend im Regen auf der weiten Wasserfläche, den Bug dem Unwetter zugewandt, unverwandt. Wie ein Stier in der Arena. Plötzlich ist klar: dass das Gewitter hinter mir nicht wie erwartet von West nach Ost zieht, sondern umgekehrt: Von Ost nach West. Wo ich eben noch dachte, alles hinter mir zu haben, habe ich jetzt plötzlich alles vor mir. Das Gewitter: Es verfolgt mich. Und kommt auf die stehende Yacht zu, die wenige Augenblicke später in der grauen Wand verschwunden ist. 


Wind kommt auf aus dem Osten. Auch das ist ungewöhnlich. Ostwind, der LEVJE nun ohne Segel nach Westen schiebt, Richtung Ak Spathi. Das Grau wird dichter, der Regen nimmt weiter zu, der Wind weht jetzt so kräftig, dass es den Regen trotz aufgespanntem Sonnensegel von achtern den Niedergang hinuntertreibt. Also das Steckschott eingesetzt, und das Schiebeluk zugezogen. Als ich den ersten Ausläufer von Ak Spathi erreiche, kommen die Blitze näher. Vergingen vorher 10 Sekunden zwischen Blitz und Donner, sind es jetzt nur noch vier oder fünf. Das ist nah, 1.200 bis 1.600 Meter.


Ich schaue zum Ak Spathi hinüber. Plötzlich ein Blitz, der oben irgendwo in die Felswand einschlägt. Dann keine zwei Sekunden später ein Donnerschlag. Das war jetzt echt nach, Mist. Das Eine ist: dass die Versicherungsexperten von PANTAENIUS und von SHOMAKER bei unseren Interviews für das Buch GEWITTERSEGELN uns handfest mit Zahlen bestätigten, dass Blitzeinschläge auf Yachten äußerst selten und zuallermeist im Hafen, am Landstrom hängend, zu Schäden führen. Das Andere ist: wenn der Blitz einfach 500 Meter entfernt über der Yacht in eine Felswand einschlägt. Statistische Gewißheiten zerfallen augenblicklich wie modrige Pilze.

Dann steigen in mir Bilder auf eines barocken bayrischen Welttheaters vom jüngsten Gericht, "... hat ein Buch herausgebracht über GEWITTERSEGELN... Daheim bleiben hätt' er sollen...", aber kaum schießen mir derlei Gedanken in den Kopf: da lichten sich die Wolken über Ak Spathi. Die Sonne bricht hervor, das Gewitter, es zieht weiter nach Nordwesten, Richtung Kithira, Und ich: schlage gleich nach dem Kap, unter dem sich winzig, winzig ein Schlauchboot verkrochen hat, um an der scharfen Felsenkante, die einer Wetterscheide gleicht, clever abzuwarten, aus welcher Richtung er nun wehen wird, der Wind, ich schlage gleich einen Haken nach Süden, auf den Hafen von Kissamos zu.


Im Sonnenschein empfängt mich der äußerste Westen Kretas. Ich ziehe Lifebelt, Schwimmweste, Segeljacke aus. Und Kreta endet, wie es für mich weit vor einigen Wochen weit im Osten begann, vor dem Strand von Vai: als überraschend grüne Insel, jetzt mitten im August. Und als wäre es noch nicht genug mit Atlantikstimmung und Atlantikwetter, verdichtet sich der Himmel, kaum dass ich eine Viertelstunde noch vom Hafen von Kissamos entfernt bin, erneut. Und keine 300 Meter östlich von mir ist alles grau in grau. Und der Regenbogen signalisiert mir: Dass es doch kein bayrisches Weltenende-Gericht geben wird. Zumindest heute nicht.





Jetzt lesen: 
40 spannende Geschichten, wie es ist, im Gewitter zu Segeln:

40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.





                                    Sie möchten jeden neuen Artikel von Mare Più gleich bei Erscheinen erhalten?    
                                    So geht's : 
                                    1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                                    2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                                    3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken.









Freitag, 7. August 2015

Heute in Griechenland (13): Wie Marios, der Fischer den Sommerverbringt.


Es gibt Orte, die machen es einem einfach, anzukommen. Alles ist, wie man es sich wünscht. Vor allem die einfachen Dinge: Licht. Wärme. Geräusche. Das Treiben rundherum.
An anderen Orten ist es schwer, anzukommen. Nichts passt: Es ist heiß. Die Luft steht über aufgeheizten Betonmolen. Orte, Gegenden, Landstriche: die touristische Durchlauferhitzer sind. Voller Busse, die in stetem Rhythmus Menschen aus nordeuropäischen Ländern an- und abtransprtieren.

Eine solche Landschaft ist die Region östlich von Heraklion. Hier hat sich der Tourismus auf Kreta entwickelt, bevor Orte wie Agios Nikolaos im Osten nachfolgten und einen eigenen Stil entwickelten. Östlich von Herklion: Die Hochburgen Chernissos, Mallia: Pelzladen an Pelzladen mit Ladenschildern in Russisch, davor Fotos von Models, die sich Pelze kuscheln, ein Anblick im August bei 40 Grad so richtig wie ein Eisbär in der Sahara. Gouves: Retorten-Orte, in denen Leben nur von Mai bis Oktober ist, die dann stillgelegt werden, von Oktober bis Mai. Bis die blauen Busse wiederkommen und Raupen gleich die Erhlungssuchenden aus den Nordländern einsammeln. Und hier wieder ausspucken in eine Maschine: die heißt Tourismus.

In Porto Gouves treffe ich Marios. Eigentlich ist er ja Fischer, wie sein Vater, mit dem zusammen er sein Boot hier liegen hat, die KAPTAN MBEIS. Das ist der Spitzname von Marios' Vater, Fischer seit vierzig Jahren. Von ihm hat Marios den Beruf des Fischers gelernt. 

Den Sommer über arbeitet Marios als Hafenmeister in der kleinen Marina von Porto Gouves. Die Marina ist nicht groß: Platz für etwa 60, siebzig Boote, wenn überhaupt. Im Augenblick liegen nicht viele Schiffe in Porto Gouves: ein griechisches Gület und eine 40 Fuß Yacht, die tagsüber Ausflugsfahrten für die Gäste der Hotels veranstalten, die sich in Gouves, nur unterbrochen von wenigen Tavernen, fast nahtlos aneinanderreihen. Eine große, graue Motoryacht. Zwei Fischer, die KAPTAN MBEIS und die NIKI, von Marios Freund Kaptan Niki. Sonst ist die Marina bis auf die kleineren Boote leer.




Marios ist stolz auf "seine" Marina. Er und George, der Marina-Manager sowie Kostas, der Marinero,  haben überall an der Betonmole sauber Autoreifen aufgehängt, die sie weiß angestrichen haben, als Fender. Der Strom an den Säulen funktioniert, das Wasser auch. In dem kleinen Häuschen, das man oben hinter Niki's Fischerboot sieht, ist eigentlich immer einer von den dreien.

"Im Sommer bin ich hier in der Marina und verdiene mein Geld. Aber im Winter: da bin ich mit der KAPTAN MBEIS draußen, manchmal drei, vier Tage am Stück, bis hinunter in den Osten, nach Siteia. Im Winter kriegt man die Fische leichter." Und die Restaurants?, frage ich. Ob er denn dann Abnehmer hätte, im Winter, wenn die Restaurants ialle geschlossen seien? "Hier in Gouves ist alles zu. Aber in Heraklion geht schon was. Wir haben unsere Abnehmer. Ich rufe da einfach an und sage: 'Hey, ich habe heute ein paar Kilo 'Red Mulett' oder 'Sea Bream' oder 'Octopus'. Das kann ich dann immer gut verkaufen. Manchmal fährt im Winter auch mein Vater mit raus. Oder Freunde. Auf der KAPTAN MBEIS können bis zu vier Leute übernachten, dann gehen wir zu mehreren raus." Ob er denn als Fischer irgendwas spüren würde, von der EU, von Vorschriften, von Bankenkrise? Er deutet hinter sich, hinaus aufs Meer. "Da draussen mache ich, was ich will. Das ist das Schöne: Da sagt mir keiner was."


Eigentlich macht Nikos einen ganz zufriedenen Eindruck, wenn er so vor seinem Fischerboot steht. Er hat ein Boot. Er kann rausfahren. Und sonst? "Ich würde mir mehr Segler hier in der Marina wünschen," sagt Marios. "Wir strengen uns schon sehr an, wirklich auf die Boote aufzupassen und alles richtig zu machen. Aber irgendwie kennen uns zuwenige."

Gouves, einer der großen Touristenorte östlich des Flughafens von Heraklion. Auf den ersten Blick nicht unbedingt ein Ort, der einem Segler das Ankommen leicht macht. Und doch: LEVJE lag hier sicher im Meltemi, die Menschen freundlich, die Anlage sauber und gut in Schuß, die Waschräume gepflegt. Und die Fischer, die fast jede Nacht um halb drei aus dem Hafen tuckern, haben ihre Geschichten, darüber, wie man ein einfaches Leben lebt. So wie Marios, George und Niki, der den Morgen dösend und rauchend nach langer Nacht auf dem Meer zwischen den Netzen auf seiner NIKI verbringt.