Ganz ohne Zweifel überrascht die Insel Spetses wie kaum eine andere Insel - und das gleich in vielerlei Hinsicht.
Monemvasia verließ ich, weil der Wetterbericht für die folgenden Tage Starkwind aus Nord ankündigte. Aber kaum, dass ich den Hafen von Monemvasia verlassen hatte, und voller Freude, dass endlich mal Wind wehte: schlief er auch schon wieder ein, der Wind. Die Ostseite des Peloponnes - ein Windloch, zumindest in diesem Jahr.
Am nächsten Tag das selbe Spiel: Wetterbericht 5 bft. aus Nord. In der Bucht von Kiparission wehte es - also nix wie raus, 1. Reff. Kaum hatten wir sechs Seemeilen von der Küste weg zurückgelegt: Aus. Flaute. LEVJE liegt klappernd weit vor der Küste in den Kalmen - und in sich überschlagenden Wellen, die meine LEVJE elend hin und herwerfen. Mein Schiff, ein wehrloser Spielball dieser mutwilligen Wellenbrüder aus allen Richtungen. Also Motor.
Und weil mich der kürzeste Weg an die Ostseite von Spetses führte, genau zwischen Spetses und dem kleinen, östlich vorgelagerten Inselchen Spetsopoula (ja. Genau so.) hindurchführte, kam ich an einer unwiderstehlichen Bucht vorbei. Windgeschützt nach Norden. Nur einer dieser Schiff gewordenen Segelträume vor Anker. Und das wunderschöne RIVA-Boot eines Deutschen, der im Strohhut in den Himmel schaute. Ich konnte nicht anders. Hier mußte ich sein. Und blieb drei Tage, bis mich der Wind scheuchte, der so garstig am Spätnachmittag des dritten Tages die Wellen in die Bucht trieb: dass ich LEVJE fast auf den Strand setzte, nur um im aller-allerinnersten Winkel der Bucht eine halbwegs geschützte Ecke für uns zwei zu finden.
Aber RIVA-Boot und Riesenyacht: Das hatte es in sich. Das mußte ich rauskriegen. Also ruderte ich am am späten Nachmittag mit meinem Dinghi an Land, ließ LEVJE allein schaukelnd in der Bucht zurück und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Spetses, etwa drei Kilometer im Norden.
Überraschung Nummer 2:
Während ich in der Hitze des Spätnachmittags auf der kleinen Teerstraße hügelauf, hügelab, nach Norden wackle, stelle ich zweierlei fest: Wunderschöne Villen zuhauf. Nein nicht "Neureichs", sondern wunderschöner alter Bestand. Keine einzige Architektur, die das Auge stört. Fast Südfrankreich: kleine, verschachtelte Gebäude in parkähnlichen Landschaften. Oder hinter hohen Mauern plötzlich ein bisschen Bretagne. Wo bin ich hier im Osten von Spetses bloß hingetreten?
Das andere: Dass auf meiner Straße zwar Verkehr ist: Oh ja, jede Menge Roller, Scooter, kleiner Motorräder - aber keine Autos. Spetses gebührt nach Venedig der Ruhm, Insel ohne Auto zu sein. Jedenfalls fast. Sie sind offiziell verboten, auf Spetses. Ein paar Taxen drücken sich schamlos durch engste Gassen, zusammen mit ein, zwei Lieferwagen. Aber das war es dann fast schon. Und noch etwas gibt es zuhauf: Golfcarts. Kleine Elektromobile vom Golfplatz, auf meiner Straße geht es eher zu wie auf einem Golfplatz, sie begegnen mir mehrfach. Und gerade als ich überlege, den Daumen zu recken, hält auch schon eins an. Roberta, mit dem Golfcart ihrer Herrschaft auf Einkaufsfahrt, nimmt mich einfach mit. Und weil sie Philippinin ist und seit 13 Jahren im Dienst ihrer Herrschaft ist, hat sie die Ehre, mir als Erste nahezubringen: Was es denn mit Spetses, das die Venezianer "Le Isole delle Spezie", die Insel der Gewürze tauften, so auf sich hat. Während wir also im kleinen Elektromobil ruckend und rumpelnd gen Norden rollen, erklärt mir Roberta: Einmal im Jahr kommt die Familie, für die sie arbeitet, in ihr Sommerhaus hierher nach Spetses. Diesmal für 10 Tage. Aber jetzt, im August, würden das auch die anderen reichen Athener Familien so machen. Jede, ausnahmslos jede der reichen Athener Familien hätte ein Haus, eine Villa auf Spetses, aber in den nächsten Tagen wäre noch besonders viel los, weil die Sprößlinge zweier der reichsten Athener Familien heiraten würden - und das würde wirklich alle, alle anlocken. Auf dem kleinen Betonfeld, direkt an der Straße, auf der wir rumpelnd vorbeirollen, landet gerade ein Hubschrauber, ein Mann im Business-Anzug steigt aus, der Hubschrauber hebt gleich wieder ab. "Time is Money, so leben hier die meisten", sagt Roberta, ohne ihre kleinen Füße vom Gaspedal zu nehmen, und Klein Tomi reibt sich die Augen, denn eigentlich wähnte er sich in Griechenland und nicht in New York.
Stotternd läßt Roberta das kleine Gefährt rechts zum Hafen abbiegen. Und da wartet die nächste Überraschung: Kein Hafen, wie man ihn kennt: Sondern ein enger Wasserschlauch, doppelt, dreifach in Reihen vollgestopft mit Booten aller Art: Kleine Fischerboote. Überdachte superschnelle Schlauchboote. Hochmotorisierte Speedboote. Segelyachten. Kaiken und Kunststoffboote, Holzyachten und Was-weiß-ich-noch. Selbst die große Autofähre zur Nachbarinsel - auf dem Foto oben im Hintergrund - schiebt sich hinein in das Gedrängel und läßt ihre stählernde Bugklappe mitten auf den Strandkies knallen. Ein unglaubliches Durcheinander, augenscheinlich angerührt vom Gott des Chaos, aber - und auch das ist eine Überraschung - es steckt Ordnung drin. Was man im Bild oben sieht, ist nichts anderes als einer jener Werftbetriebe, die vor 200, 300 Jahren mit ihren dort gebauten Kaiken Furore machten. Und im Befreiungskrieg vor 200 Jahren mit ihrer Flotte den Griechen im Kampf gegen die Türken schenkten.
Aber weil heutzutage ja niemand mehr die Kaiken braucht, liegt so manches angefangene Schmuckstück einfach am Wegrand. Und die Werftbesitzer - seelig-lieblich-wohlig gefangen in griechischem Klein-Klein - vermieten einfach ihren knapp bemessenen Platz an Bootsbesitzer. Und so beschließe ich noch am Nachmittag, mit LEVJE genau hierher zu tuckern, mitten hinein in dies Chaos, und mein Glück zu versuchen, hier, wo nichts, aber auch gar nichts aussieht nach einem freien Liegeplatz.
Und so verschlägt ein launenhaftes Schicksal mich im Hafen von Spetses zum alten Kostas. Der betreibt die Betonmole im engen Hafen, genau gegenüber der weißen Autofähre. Aber: was heißt denn schon "betreiben"? Kostas hat Platz, wo kein Platz ist. Toiletten, Dusche? Gibts nicht. Landstrom? Auch nicht. Wasser? Da bringt Kostas einfach seinen schönen blauen Schlauch und schließt ihn irgendwo an einer geheimen Öffnung an, die nur er kennt. Duschen? "Use the shower of your boat", sagt George, der aussieht wie Kojack und mit seinem Boot neben mir liegt. Sportboot-Marina a-la-Spetses: Die Fischerboote liegen in zwei, drei Reihen links an der Mole. Und LEVJE wird irgendwo vorne am Molenkopf reingequetscht. Nach zähem "den-armen-Kostas-nerven" habe ich es auch geschafft, eine von Kostas' drei Murings zu ergattern. Denn meine Ankerwinsch will nicht mehr, wie ich will, und um sie zu reparieren, brauche ich einen sicheren Halt. Und für den Morgen ist Starkwind im Hafen angesagt.
Und weil das Leben auf Spetses ja voller Überraschungen ist, drum dirigiert Kostas eine der am Abend hereindrängenden Superyachten dahin, wo ja eigentlich nun überhaupt kein Platz mehr ist: Nämlich im Foto oben genau rückwärts an die Spitze seines Molenkopfes.
Also liegt plötzlich die BILMAR Zentimeter neben LEVJE. Der Auslass der sirrenden Klima-Anlage ist so groß wie LEVJEs Fock. Ich schaue die stählerne Wand drei Stockwerke hinauf, auf die Brücke. Die BILMAR: 376 Tonnen Gewicht (LEVJE: 3,76 Tonnen), 43 Meter Länge (LEVJE: 9,40 Meter) und 10 Meter Breite (LEVJE: 3,05 Meter), der Eigner der BILMAR ein echt chicer Endfünfziger im feschen Marine-Style (LEVJE-Eigner: steht gerade halbnackt auf der Pier, duscht aus seinem Wasserkanister, die Shampoo-Flasche knallt zum dritten Mal aufs Pflaster).
Roberta, Kostas, die BILMAR: Vielleicht ist dies ja der Zauber von Spetses, oder einer davon: Reich und arm. Eng beieinander. Zumindest für ein paar Wochen im August.
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