Mittwoch, 13. September 2017

Ein Foto. Ein Stich im Herzen. Ein Ziehen in der Brust.
















Kennen Sie das? Herbst. Man schaut Fotos des vergangenen Sommers durch. Findet manche gut. Manche schlecht. Freut sich über das eine oder andere, das Erinnerung an den Sommer weckt. An gute Momente. Über gelungene Aufnahmen.

Und plötzlich ist ein Foto dabei, das einen tief berührt. Es muss nicht unbedingt eine gelungene Aufnahme sein. Es gibt bessere Fotos als dieses.

Die meisten Menschen werden beim Blick auf das Foto oben nicht viel empfinden. "Blau halt. Na und?" Es ist ja auch tatsächlich nichts Besonderes. Die Meeresoberfläche an einem windstillen September-Nachmittag draußen vor der Südküste Siziliens.

Für mich ist das Betrachten dieses Fotos, als würde ein Schlüssel im Schloss gedreht. Und eine Tür aufgehen. Es zieht in der Brust. Ein Stich im Herzen. Hätte ich nicht schon ein ähnliches Bild, das ich so aufgehängt habe, dass mein erster Blick nach dem Aufwachen darauf fällt: Ich würde mir dieses Bild vergrößern.

Das Foto oben, "Le grand Bleu": Ob es bei Ihnen dasselbe auslöst wie bei mir? Wär' ja schön... Aber letztlich ist das gar nicht so wichtig. Wichtig ist daran bloß: Dass es irgendein Foto gibt, irgendwo: Das bei Ihnen dasselbe auslöst wie bei mir das Foto vom großen Blau. Ein Stich im Herzen. Ein Ziehen in der Brust.





Montag, 4. September 2017

"Spaghetti al Mare". Oder: Vereinsabend. Auf sizilianisch.




Es ist Anfang September. Und Freitag Abend in Sciacca, einem Hafenort im südwestlichen Sizilien wie so manchem, der plötzlich an einer sonst leeren, vergessenen Küste wie aus dem Nichts auftaucht.

Sciacca hat 40.000 Einwohner. Und den Hafen teilt sich Italiens fünftgrößte Fischereiflotte mit zwei Segelclubs. Weil Freitag Abend ist, ist Clubabend. Man trifft sich ein paar Kilometer oberhalb Sciaccas, zwischen staubigen Feldern im ARCOBALENO, der Trattoria von Maurizio, in die sich weder TRIPADVISOR noch Tagesreisende je verirren. Stattdessen findet auf der Terrasse gerade Hochzeit statt, immer wieder skandieren 50 Kehlen "Viva, Viva i sposi", "Hoch die Brautleute“ in die Nacht über Sciacca.

Es geht zunächst bescheiden und beschaulich zu bei den Segelleuten. Zwei Flaschen Bier auf dem Tisch, den acht Kerle sich in ihre schnappsglasgroßen Weingläser füllen, als wäre es der neueste Schrei, TUBORG aus Portweingläsern zu nippen. Nur mir, dem Gast aus dem fernen Deutschland, gestehen sie Weißwein zu, ein Viertel bestelle ich, worauf die Kellnerin, ich weiß gar nicht wie, einen Liter vor mir auf den Tisch knallt. "Macht doch nix", tätschelt mir Baldo verständnisinnig den Arm, der als "Capo Tavolo" am Tischende den Vorsitz führt, während er mir randvoll einschenkt.

Es konnte nicht anders kommen. Wo das Schicksal mich doch an diesem Abend am Tisch neben Baldo verschlug. Baldo ist 71. Baldo hat sein Hemd fast bis zum Bauchnabel geöffnet. Dafür setzt Baldo seine Sonnenbrille nicht ab. Wenn Baldo spricht, verstehe ich ihn nicht. Tiefster kehliger Sciacca-Dialekt, von dem bei mir nur gelegentlich ein "...uzutlù", ein "...ullulu", ein "che minché" ankommt. Aus Bardo kommen die Worte nicht, sie kullern, sie kollern, sie gurgeln. Als ich Baldo gestern nach seinem Namen fragte, streifte er wortlos den Ärmel seines Hemdes nach oben und zeigte mir sein Tattoo. Ein Anker, verziert mit dem Wort 'Baldo'. Mein rasches Verstehen belohnte Baldo dann auch gleich mit einem Kuss aus fast zahnlosen Mund. Das lernt "Mann" auf Sizilien: Wer als Mann eines sizilianischen Mannes Freund ist, muss küssen. Nein, nicht auf den Mund, sondern den doppelten Wangenkuss unter Männern. Er ist Ehre, und Auszeichnung. Zumal für mich, das deutsche Greenhorn, das so bereitwillig vor einem Jahr im hiesigen CIRCOLO NAUTICO aufgenommen wurde.

Baldo ist der Zeremonienmeister des Abends. Als Starter hat er einige Teller "Patatine" bestellt, einfache Pommes Frites, die sich die Männer zum Bier mit den Fingern wie Kartoffelchips in den Mund schieben. Ich habe Hunger. Aber irgendwie nicht auf Pommes Frites. Meine Ungeduld wird belohnt, als die Kellnerin die ersten Teller mit Antipasti vor uns scheppernd auf den Tisch knallt. Eingelegte rohe Scampi aus der Gegend, in Limetten, und unter Öl. Gehäufte Berge von Heuschreckenkrebsen, die auf dem Grill lagen, bis ihr Fleisch zu einem Gedicht von Brühe wurde, das man aus dem Gehäuse schlürft.

Der Hafen von Sciacca mit den beiden Bootsclubs CIRCOLO NAUTICO und LEGA NAVALE.

Baldo tätschelt meinen Arm. Irgendein "... ullullu“-Laut, zu dem er die andere Hand im Halbkreis um den an die Wange gelegten Zeigefinger dreht. Die Geste unter Italienern für "hervorragendes Essen“. Aber auch "Was für eine unsterblich gutaussehende Frau", wobei ich nicht weiß, was Baldo gerade meint, weil seine Sonnenbrille gerade der Kellnerin folgt, während ich mit allen zehn Fingern mit dem Schlürfen der feinen Heuschreckenkrebs-Brühe beschäftigt bin.

"Mit Dir. Und sonst mit niemand. Willst Du mich heiraten?" An einer Hauswand in Sciacca.

Italiener haben ganz grundsätzlich eine andere Einstellung zu den Dingen des täglichen Lebens. Zum Auto. Zum Essen. Aber vor allem zum Lärm. Lärm ist für sie Leben. Lärm ist Daseinsbekundung, Zeugnis von erfülltem Leben und Ausdruck von Wohlgefühl, den man im ARCOBALENO gefälligst auch zu äußern hat. Und so umwabert die Trattoria von Maurizio ganz ungeniert ein akustisches Gesamtkunstwerk aus 
  1. Kindern, die lustvoll schreiend um die Tafeln "Fangen" spielen
  2. einer 60-köpfigen Hochzeitsgesellschaft, die zum 17-mal "Viva i sposi" über die Tische brüllt. 
  3. Einer Kellnerin, die Teller mit weiteren Antipasti auf die Tische knallt, während 
  4. Baldo seinen Nebenmann, den Club-Vizepräsidenten Carmelo wortreich darüber aufklärt, dass er für mich, den Gast aus Deutschland, extra noch einen Fisch bestellt hätte. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt. Wobei er genießerisch seine rechte Hand hin und her wendet, als ginge es gerade nicht um das beidseitige Grillen eines Fisches, sondern um das, wovon Frauen denken, dass es das einzige sei, was Männer mit ihnen im Sinn hätten. 
Neben mir landen nun: 
"Sarde a Beccafico", halbierte Sardinen in Bröselteig, knusprig paniert und gerollt. 
Eingelegte Sardinen mit süßen Zwiebeln und feinem Essig. 
Stundenlang in Tomatensud geschmorte und von ihm vollgesogene Auberginen. 
Platten mit in Weinsud gekochten Vongole.
Weitere Teller mit gegrillten Heuschreckenkrebsen.

Doch weil es noch nicht genug ist mit Lärm und Gelage, scheppern aus der Hand der Kellnerin drei Minuten später weitere Teller auf den Tisch: 
Couscous mit Fisch und Rosinen. 
Teller mit Fritto Misto aus Sardinen und Rotbarben. 
"...ullullù", sagt Baldo, und deutet auf das Fritto Misto. "Die schwammen heute Nachmittag noch im Meer. Ich hab gesehen, dass Maurizios Boot erst um vier reinkam in den Hafen." Und weil ich nach vierten Glas Wein ihn plötzlich wortlos verstehe, weiß ich, dass ich ihm jetzt einfach den Teller mit den Vongole reichen soll.


Die sind schlicht und einfach göttlich. Nein, es sind nicht die kleinen verschrumpelten Dinger, die mageren Sommer-Vongole des heißen August. Sondern: Einfach. Fette. Muscheln. Wie im Winter. Der Himmel weiß, wo Maurizio jetzt im Hochsommer die herbekommt. Wie ständig bin ich erstaunt über die Qualität des Essens. Andächtig essen die Männer, kleine Schlucke Bier aus Weingläsern trinkend, während Angelo zu meiner rechten mich mit mahlenden Kiefern aufklärt, das die im CIRCOLO NAUTICO untergekommenen Angler gleich mit drei Sparten vertreten seien: 
Den Anglern, die den Fischen vom Strand aus nachstellen. 
Denen, die vom Strand aus angeln. 
Und denen, die ihre Angel von der Mole aus werfen. 
"...uzutlù", meint Bardo zu meiner Linken, eine Muschel schlürfend, was Angelo mir übersetzt mit "... und wieder anders macht es Baldo: Der fischt mit Langleinen von seinem Boot aus allein draußen auf dem Meer".

Die geschmorten Auberginen habe ich unterschätzt, wie immer. Geschmacksexplosion im Mund, der ich mich hingebe, während Baldo der Kellnerin etwas hinterherruft. Es war nichts, was dem Pfarrer gefiele, weil Carmelo, der Vizepräsident, streng den Kopf schüttelt. "Sag doch bitte nicht 'Amore' zur Kellnerin, Baldo. Sondern 'Signora'. Wie sich das gehört" Was Baldo veranlasst, weiter etwas hinter der Kellnerin herzurufen, die vor Baldo nun einen zweiten Teller mit Muscheln auf den Tisch knallt. Was diesen wiederum zu einem Kommentar über das unerschöpfliche Thema "Muscheln & Manneskraft" veranlaßt, der die Kellnerin erröten läßt. Und die Diskussion über den weiteren kulinarischen Verlauf des Clubabends erst so richtig in Schwung bringt. Auch da ist Baldo in seinem Element: “Also: Es gibt zwei Sorten Primi: Erstens Spaghetti con melanzane e pesce spada, Pasta mit Auberginen und Schwertfisch. Zweitens Spaghetti allo Scoglio, Muschelspaghetti. Und für Thomas hab ich noch einen Fisch bestellt. Ein Dorädchen. Schön von beiden Seiten gegrillt.“ Wieder wedelt Baldos Rechte schwelgend hin und her, als wäre sie nicht hier, sondern ganz woanders.

Zustimmung am Tisch. Zu den Primi jedenfalls. Doch die währt nicht lang. Denn auf dem Tisch landen mit vernehmbaren Knall nacheinander vier große Platten. Zwei mit roter Pasta. Zwei mit weißer Pasta mit unzähligen Muscheln drauf. 

Ungläubiges Stieren auf die riesigen Platten. Gebrüll. "Baldo, sei scompostata“, sagt Angelo und starrt auf die vier Platten. Das Wort hatte ich noch nicht in meinem Wortschatz, beschließe aber, gelegentlich nachzusehen, was es wohl heißen mag. „Er ist verrückt.“ „Wer soll denn das essen?“ „Viel zu viel.“ 

„Ich weiß gar nicht“, ullullut Baldo voller Unschuld hinter seiner Sonnenbrille, während er dick geriebenen Parmesan über der roten Pasta verstreut, "wo wohl die Pasta mit dem Schwertfisch ist? Die hatte ich doch auch bestellt..." Er blickt sinnend der Kellnerin hinterher, was ihm aber noch nicht ausreichend scheint, denn er jagt röhrend noch ein "Amore" hinterher, was wiederum Carmelo zu einer vorwurfsvollen Äußerung veranlaßt.

Die Männer machen sich an die Arbeit. Was so aussieht, dass sie ihre Köpfe tief über ihre Teller beugen. Und die Gabel tief in ihren Pranken verschwindet, bis sie nicht mehr Werkzeug, sondern Körperteil ist. "Weißt Du eigentlich, dass Carmello reich geworden ist, weil er Särge gebaut hat, mit seinen Brüdern?“, erzählt Carmelo, während er zum vierten Mal die Gabel mitten in den hausgemachten Spaghetti dreht. Nein, wusste ich nicht. Aber neben mir könnte jetzt gerade Antonio Vivaldi sitzen und es wäre mir schnuppe, weil die Pasta mit den Melanzane und dem Schertfisch so einzigartig ist. 

"Wo bloß die Pasta mit dem Schwertfisch bleibt?“, murmelt Baldo, während Angelo ihm mit vollen Backen seinen Teller vorsetzt, aufsteht, und mit der Gabel vorwurfsvoll unter seine Pasta deutet: "Und was ist das hier, Baldo? Was? Schwertfisch! Der Schwertfisch ist unter den Melanzane! Siehst Du? Siehst Du das, Baldo?“

So richtig überzeugt das Baldo aber immer noch nicht, während er mit vollem Mund kaut und mir stattdessen mit der Hand den Arm tätschelt. "Du musst unbedingt mit Deiner Frau kommen. Dann gehen wir hier zu viert essen, meine Frau und Deine Frau, ja?" Ich kaue angestrengt, während mir Angelo von den Spaghetti allo Scoglio auflädt. "Und vergiss nicht", sagt Baldo, "Du kriegst noch einen Fisch. ‚Arrosto‘, schön gegrillt, von beiden Seiten…“, während über dem Hochzeitstisch gerade das 78. "Viva i sposi" detoniert.

"Un sorbetto. Un sorbetto a limone", schlägt Angelo vor, während die anderen ächzend ihre Gabeln beiseite legen. "Ein Sorbett aus Limonen, das wäre jetzt das richtige!" Ich verdrehe die Augen. Wie komme ich aus dieser Nummer jetzt bloß raus? Wo ich doch weiß, dass mich die zwei Kugeln Limetteneis heute Nacht mit Magenschmerzen senkrecht im Bett stehen lassen. Ich lehne ab. Und winde mich geschickt, mit dem Hinweis auf den Fisch raus, schön gegrillt von beiden Seiten, von dem ich hoffe, dass er nie kommen möge. Und alles nur ein schlechter Witz von Baldo sei.

Um das Limetten-Sorbett komme ich herum. Um den Fisch natürlich nicht, plötzlich kommt die Dorade auf dem Tisch angescheppert. Sie ist klein. Sie ist frisch. Sie ist ein Gedicht.


Und während sich der Abend langsam seinem unvermeidlichen Ende entgegen neigt; während auch ich ächzend Messer und Gabel beiseite lege; während Baldo mit Maurizio darüber streitet; ob wir nun zu acht oder neunt um den Tisch herum saßen und Baldo mindestens drei Zähl-Versuche unternimmt, bis als Ergebnis die Zahl "8" zweifelsfrei feststeht; während Maurizio auf einem Zettel "8 x 17 Euro" malt und Baldo kollernd und gurgelnd von jedem 17 Euro einsammelt; während sich die anderen langsam zu Maurizio, dem Wirt nach drinnen an den Tresen begeben und wiehernd drumherumstehen; während ich all dies wahrnehme: Kann ich nicht anders, als einfach nur staunen. Über die Männergesellschaft Siziliens. Über den ungeheuren Reichtum der Insel. Auf der alles, was man in die Erde steckt, wächst. Und zu Tomaten. Zu Getreide. Zu Brot und Pasta und Käse und Wein und feinem Aceto und einzigartigem Genuss wird. Ich kann nur staunen über den ungeheuren Reichtum dieses Sizilien, das so ununterbrochen in wirtschaftlichen und politischen Krisen steckt. Und nicht auf die Füße zu kommen scheint. 

Ich beginne zu verstehen, warum kaum ein Sizilianer diese Insel eintauschen möchte gegen irgendetwas anderes. Und die jungen, die es tun und ihr Glück in der Ferne suchen, mit dem Herzen immer hier auf der Insel sein werden.


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Samstag, 2. September 2017

Sizilien. Im Hafen von Siracusa. Die Geschichte von Aretusa und Alpheios.

Ob heute noch jemand sein Kind Aretusa nennen würde? Das ist wohl nur was für Unverbesserliche. Und das weniger, weil der Name nicht schön klänge oder nicht auf -a enden würde, wie das die "Top-Ten-2017" unter den weiblichen Vornamen sämtlich tun. Derzeit vorne liegen Lea, Lina, Lena, Lara, Lana (Quelle: hier!) - um den Namen "Aretusa" kommen also die meisten Namenssucher glücklich herum.

Um Siracusa aber kommt der Segler nicht herum: Hinter der Insel Ortygia liegt - vom Meer geschützt - die große Hafenbucht, ein Ort, an dem man in Ruhe liegt und einen einzigartigen Blick auf die Front der Palazzi hat, die sich Wohlhabende in der Gründerzeit auf der "sunny side" der Insel Ortygia errichteten.

Die Bucht ist weit. Doch wenn ab Nachmittag der für den Süden Siziliens typische Südwest die Bucht erreicht, liegt man auf Reede und vor Anker tatsächlich ruhiger als an den auflandigenTransit-Schwimmstegen der eigentlichen Marina von Siracusa.

Aber auch aus anderen Gründen kommt man um Siracusa nicht herum. Die Stadt war immer ein sehenswerter Spot, es gibt Tempel und Theater aus der griechischen Zeit lange vor Christus, und alles ist so beeindruckend wie das in den Fels gemeisselte Ohr des Dionysos, eine frühe Form einer Abhöranlage, mit der der Tyrann den Geheimnissen der von ihm gequälten Gefangenen lauschte. 

Doch von all den Attraktionen Siracusas zieht mich immer wieder die Arethusa-Quelle an, ein paar Schritte von meinem Ankerplatz, man erkennt ihre Einfassung auf dem obersten Fotos ganz rechts neben dem roten Gebäude.

Quellen, auf die man unvermutet trifft, sind ja an sich schon etwas entzückendes. Aber eine Quelle sprudelnden Süßwassers keine drei Schritte vom anbrandenden Meer entfernt: Das grenzt tatsächlich an ein Wunder. Aber wie es mit Siracusas Attraktionen so ist, ist mit der ungewöhnlichen Nähe von süß und salzig die Attraktion noch nicht erschöpfend erklärt. An der Aretusa-Quelle gibts noch mehr zu bewundern: Inmitten des Beckens ein kleiner Wald aus Papyrus, pinseligen Schilfhalmen - einer der wenigen in Europa, wenn nicht der einzige. Vermutlich kam er mit den Phöniziern, diesen Meistern des "Aus-allem-Geld-machen, was-in-der-Natur-uns-umgibt" auf die Insel, sie trieben sich vor den Griechen in der Gegend herum. Doch keiner weiß, auf welchem phönizischen Händlerschiff vor wievielen zigtausend Jahren die ersten Urahnen-Ableger eines Papyrus-Hälmchens hier eintrafen.

Goldfische schwimmen im Süsswasserbecken - zu gerne würde ich denken, dass es Koi-Karpfen sind, während über dem Papyrus-Wäldchen am Meer die Libellen ab und an über den Beckerand schwirren, um mal kurz im umgebenden Gewirr aus Autolärm, Pizzerien, Gelaterien neben der Quelle andere Optionen für ein erfülltes Leben zu prüfen als das dauernde Sein in wiegenden Schilfhalmen. Sie kehren jedoch schnell wieder zum wundersamen Süßwasser zurück, wie mir scheint, jetzt bloß keine Experimente. Auch die großen Meeräschen halten es so, die hin und wieder von draußen vom Meerwasser kurz ins Süßwasserbecken zur Quelle schwimmen, um sich hier ein bisschen zu amüsieren. Ein Wunder ist irgendwie auch das - oder ist jedem klar, dass ein Salzwasserfisch auch im Süßwasser anstandslos an seine Luft rankommt? Und Salzwasser-Kiemen auch im Süßwasser tadellos funktionieren, Hybrid-Kiemen sozusagen, die nicht von Zucker verklebt den Geist aufgeben.



Ihre Süßwasserquelle muss schon den Griechen aus Korinth, die beschlossen, hier ihre Stadt zu gründen und die, die vorher da waren, wegzuekeln, irgendwie als Wunder vorgekommen sein. Und um das zu erklären, woben Findige aus all den Mirakeln rund um die Quelle am Meer die folgende Geschichte: 

Alpheios, ein Jäger verliebte sich unsterblich in die schöne Aretusa. Er wollte. Sie aber nicht. Sie floh den Unerwünschten. Und verwandelte  sich in eine Quelle. Und wanderte unterirdisch, von Nebeln umhüllt, von Griechenland hierher auf die Insel der Griechen.

Wer nun denkt, dass damit die Geschichte zu Ende wäre, der irrt. Alpheios weinte. Er weinte über die Verlorene so sehr, das er sich in einen Fluss verwandelte, der nach langem Irren und Suchen übers Meer endlich auch die Ortygia erreichte. Und sich dort als Fluss endlich, endlich mit Aretusa, der Quelle, vereinigte.

Womit dann dem unwiederstehlichen Zauber der Aretusa-Quelle in der Abenddämmerung noch ein weiterer Zauber hinzugefügt wurde.