Dienstag, 20. Oktober 2015

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Frankfurt am Main und Korfu am Meer. Zwei Welten im Oktober?

Dies ist der erste Post einer Reihe von Artikeln 
über meine Reise auf LEVJE jetzt im Oktober von Korfu nach Sizilien.



In den letzten Tagen dachte ich viel über eine Frage nach, die mir Bine, Leserin meines Blogs, vor ein paar Tagen mailte: Wie es mir denn erginge, mit den vielen Welten, zwischen denen ich immer unterwegs wäre? Zwischen der Buchmesse in Frankfurt und Korfu: Ob ich gelegentlich Zeit bräuchte, mich zu sortieren? Oder ob ich immer "bei mir wäre" und sofort in jeder meiner Welten zuhause?

Natürlich ist letzteres der Fall, aber warum das so ist: Das ist eine interessante Frage, die doch an die "Wie-will-ich-eigentlich-leben?"- und "Was-ist-eigentlich-wichtig-im-Leben?"-Frage heranführt. Augenscheinlich sind Frankfurt und Korfu ja zwei ganz unterschiedliche Dinge. Frankfurt, die Messe: Es war schon gut, wieder in diese Welt einzutauchen, ich liebte sie immer. Die Buchmesse war immer irgendwie mein Ort, seit ich zu ihr zum ersten Mal 1987 in einem kleinen roten Golf anreiste. Sie war immer irgendwie ein Ort, an dem ich geistig zu Hause bin. Ich mochte die Büchermenschen, die sich da herumtreiben, ich mochte das Baden in den Myriaden von Ideen, die da in zwei Buchdeckel gepackt an den Ständen herumstanden, und es war mir eins, ob es gute oder schlechte Ideen waren. Ich möchte die langen Tage und die langen Nächte voller Diskussionen mit den Menschen dort, und es war fast egal, worüber wir diskutierten: Die Gespräche, die Ehrlichkeit: sie brachten mich imer weiter. Und sie trugen mich. Ich empfand diesen Ort als einen Ort der Freiheit, dort konnte ja jeder auswählen aus den Ideen, was immer er wollte. Vielleicht hat mein pauschales Wohlgefallen an den Gesprächen, an den Menschen dieser Branche, so unbedeutend sie sein mag, einfach damit zu tun, dass eben diese Gesichter auf der Messe für diese ungeheure Freiheit und Weite im Kopf standen. Und auch wenn ich heute, nach fast 30 Jahren Verlag eigentlich mich satt- und müde-diskutiert haben sollte an dem allem: So habe ich mit Freude festgestellt, dass sie mich immer noch "trägt", die Buchmesse, und mein alter Spruch für mich immer noch wahr ist: "Zur Buchmesse nach Frankfurt würde ich sogar auf allen Vieren kriechen, wenn kein Zug führe."


Einen Tag später zurück in Korfu, wo LEVJE zu Füßen des alten Leuchtturms unter der Festung in Port Mandraki friedlich schaukelt. Wo es in Frankfurt schrecklich kalt und naß war - zum ersten Mal in diesem Jahr fror ich, auf dem Weg zwischen den Hallen - und das Klima unwirtlich war, ist es in Korfu schwül und warm. Der Südwind, über den ich in meinem nächsten Post schreiben werde, brachte Regen mit sich. Das Pflaster ist feucht in der Stadt am Meer, der große Berg im Norden, der alles überragende Pantokrator, "der Erlöser", hat sein Haupt in wolkigen Dampf gehüllt, und nur am Abend reißt der Himmel kurz auf, um den Blick freizugeben oben vom Leuchtturm auf die Fetzen von Wolken am Festland.

Am nächsten Morgen streife ich durch die stille Stadt. Sie ist - anders als im Sommer - leer am frühen Morgen, so wie Frankfurt leer war am Abend in der Regenkälte. Nur im Kaffeneion sitzen die Alten, und diskutieren lebhaft.


Ich setze mich zu Ihnen, um herauszufinden, worüber. Aber so sehr ich mich auch anstrenge, mein weniges Griechisch, ihre Gesten reichen nicht aus, um herauszubekommen, worum es eigentlich an diesem Vormittag geht. Um die letzten Fußball-Ergebnisse, und dass Panathinaikos Athen den aus dem nahegelegenen Ioanina stammenden Fußballverein mit 3:1 abgewatscht hat?


Um den neueste Volte von Herrn Tsipras im griechischen Parlament? Gar über die FIFA? Das verlohnt die Spucke nicht! Oder um die Frau des Flickschusters, die nun schon zum x-ten Mal ihrem Mann die Hörner aufsetzt und ein Verhältnis hat ("Die sollte mir mal nach Hause kommen!"), nur leider, leider mit keinem von ihnen? Trotz aller Aufmerksamkeit komme ich nicht dahinter, was die Herren so erregt und ihnen den Vormittag wie im Flug vergehen läßt. Grieche müsste man sein. Und in der Lage, im Kaffeneion in der Schwüle zu sitzen und dem Vormittag beim Vorübergehen zuzusehen statt im regenkalten Frankfurt oder München auf einen Computerbildschirm zu starren.

Da ist sie wieder, die Frage: "Wie wollen wir eigentlich leben?" Da hat mich die dann die diesjährige Frankfurter Buchmesse denn auch eindeutig weitergebracht. BEIDE Welten. Denn beide Welten tragen mich: Das Gespräch, die Diskussionen, die Köpfe in Frankfurt. Und ein Vormittag in der Wärme der Gassen Kerkyras, in einem Kaffeneion gleich hinter dem großen Crickett-Feld vor der Festung, irgendwo zwischen erregt diskutierenden Alten. Beide Welten tragen mich - das ist die Antwort.

Und während ich noch im Kaffeneion sitze, den Alten lausche und über die Buchmesse nachsinne und warum alles, alles genau so richtig ist, wie es ist; während in meinem Kopf noch die Frage hallt "Wie wollen wir eigentlich leben?" nähert sich durch die Gasse die Besitzerin des gegenüberliegenden Ladens. Sie ist um die Mitte sechzig, fein gekleidet, die Schuhe geschmackvoll ausgewählt und  zum Rest passend, ich schaue einem Menschen immer erst auf die Schuhe, um zu wissen, was er für einer ist. Die alte Dame atmet schwer in der Schwüle, sie nähert sich mit kleinen Schritten, zerrt umständlich den Schlüsselbund aus ihrer Handtasche, die farblich zum Rest passt und schließt ihren Laden auf. Sie verschwindet in den Tiefen ihres Ladens, schwer atmend, so wie sie kam. Das Licht geht an im Laden, schwer atmend kommt sie aus dem Hintergrund ihres Ladens und trägt einen schweren Gegenstand langsam zur Tür. Der schwere Gegenstand ist ein Holzschild, das sie mühsam vor die Tür trägt und dort sorgsam neben der Tür, genau unter der alten Standuhr, aufstellt. 

Auf dem Schild steht:


Nein, das Leben, es versorgt uns schon mit den richtigen Antworten. 
Nur hinhören. Und nach diesen Antworten handeln: das müssen wir selber.


Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Im morgigen Post: In der Nacht von Griechenland nach Italien. Von Korfu nach Santa Maria di Leuca.


Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

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