Donnerstag, 15. Oktober 2015

Auf der FRANKFURTER BUCHMESSE, im Meer der Bücher. Tag 2. Tag und Nacht.

Über die Frankfurter Buchmesse sagte der Schriftsteller Julian Barnes einmal:

"Frankfurt Taxidrivers are said to dislike the Frankfurt Bookfair.
Instead of being shuttled to prostitutes like members of other respectable shows
the Frankfurt Bookfair people prefer to stay in their hotel and fuck one another."

Das war, als die Frankfurter Buchmesse ihre besten Jahre gerade hinter sich hatte, in den späten 80er Jahren. Julian Barnes war damals jung, ich auch, und alles funktionierte noch bestens. Oder doch nicht? Die ersten Großverleger hatten spektakuläre Pleiten hingelegt (Molden), Marketing hatte Einzug gehalten (in manchen Verlagen heute noch nicht), und die Messe: sie war ein großer Spaß - aber das ist sie heute auch noch.


Beginnen wir unseren heutigen Messetag dort, wo das Herz der Messe schlug: bei den Agenten. Denn das meiste, was heute in Buchhandlungen an Literatur auf den Tischen unserer Buchhandlungen landet, kommt aus dem Ausland. Und wird nicht von Autoren direkt nach Deutschland exportiert. Sondern dafür gibt es: die Agenten. Die sitzen in einer kleinen Halle an kleinen Tischen, nichts vor sich ausser ein paar Listen und einem Becher Wasser, und empfangen im Halbstunden-Takt Verlagsleute, die wissen wollen: was die Agenten denn an neuer, unentdeckter bahnbrechender und bestsellerfähiger Literatur im Koffer haben. Auch wir von millemari. sind auf der Jagd nach dem Bestseller, besuchen Agenten, lassen uns dies und das zeigen. Aber die Jagd nach Bestsellern findet seit vielen Jahren ganzjährig statt - und die Frankfurter Buchmesse brauchts dafür kaum noch. Trotzdem: Businessmodelle - auch wenn sie in die Jahre gekommen sind - haben nun mal gewisse Beharrungskräfte. Das sollte man auch beim rückläufigen Buchgeschäft niemals außer Acht lassen.

Danach: ab in die Halle 8, die heuer in Halle 6 gepfercht wurde: Die Halle der Auslandsverlage. Sie war immer mein heimlicher Liebling, eine Messehalle, die mir immer wie das Abbild eines idealen Ortes erschien. Hier saßen die Auslandsverlage seit' an seit' und Nationen in merkwürdiger, seltener Eintracht: Inder verhandelten da mit Pakistanis, Russen mit Amerikanern, Amerikanern mit Arabern, Israelis mit allen. Was in der wirklichen Welt niemals stattfinden konnte: hier fand es statt, Buch vereinte sie alle, der Handel mit Buch und Buchrechten vereinte sie alle. Heute sind die internationalen Verlage auch noch da, angeführt von den großen amerikanischen Häusern. Für einen kleinen Verlag wie millemari. ist es wahnsinnig schwierig, bei den amerikanischen Verlagen einen Termin zu bekommen. Obwohl Susanne die Leute alle sehr gut kennt, ist es ihr nicht gelungen, bei den Verlagen, die uns interessieren, vorher Termine zu bekommen. "Fully booked out", hieß es vorher, "keine Termine mehr". Und obwohl an den Ständen wenig los ist und mancherorts die Damen gelangweilt am Stand sitzen: Bekommen wir auch vor Ort keine Termine. Man gibt sich blasiert. Empfangen wird, wer Namen hat - und das hat millemari. nun einmal nicht.

Trotzdem: hier ist neben der Halle der Agenten das zweite Zentrum: Was an Literatur in Deutschland auf die Büchertische kommt, kommt überwiegend aus USA, aus England, aus Skandinavien. Die aktuelle SPIEGEL-Bestsellerliste ist ein "Who-is-who" ausländischer Verlage. Und hier sind wir an der Quelle, dort, wo das alles herkommt. Die Zeit, in der ein deutschsprachige Autoren MIT FUG UND RECHT Furore machten, ist lang vorbei und der Literatur-Nobelpreis landet heute eher versehentlich im deutschsprachigen Raum, wenn er sich in der Zimmertür irrt und bei Elfriede Jellinek anklopft. Aber: auch hier schwächelt die Messe. Aus der großen, leuchtenden Halle 8 wurden die großen Verlage nun in die Halle 6 auf zwei Etagen gepfercht, an einem Vormittag sind wir nun durch, wofür wir zwei Tage eingeplant hatten, eben die großen amerikanischen Verlage abzuklappern. Als wir nach McGRAW-HILL, der einige schöne Segelbücher im Programm hat, heißt es gar: "Kurzfristig Teilnahme abgesagt" -  einer der größten US-Verlage, der für die angemeldeten 30 Leute kurzfristig entschied: Wir kommen nicht mehr nach Frankfurt. Schwund, an den sich Messe und Verlage längst gewöhnt haben.

Der Abend. Ich streife durch die Hallen, schaue mir Bücher an. Baden konnte ich in diesem Meer der Bücher schon immer. Ich freue mich über wunderschöne Cover, delektiere mich an buchverlagstechnischen Großtaten ebenso wie Schwachsinn gleichermaßen. Wenn er denn gut gemacht ist. Ich sammle Ideen. Treffe Andreas, der mich unter den Arm klemmt und mich mitnimmt auf eine der großen Messe-Veranstaltungen, die RANDOM-HOUSE-Party in Bockenheim. Er hat eine Eintrittskarte und schleust mich in die Veranstaltung, indem er mich als seinen Lebensgefährten ausgibt. Verheiratet sind wir zwar, aber eben nicht miteinander, aber "drin-ist-drin", und da ist nun ein weiteres Herz dieser Messe: der große abendliche Branchentreff. Hier sind sie alle: Der große THALIA-Einkäufer mit der Streifenkrawatte, an dessen unergründlichem Lächeln ich mir die Zähne ausbiss, vor Jahren, weil er meine Produkte nicht wollte. Wir grüßen uns freundlich. Die Dame im hellblauen Kleid, die mich anspricht und mit der ich mich nett unterhalte. Ich kenne sie, wir wurden uns vor vielen Jahren vorgestellt, wie heißt sie bloß? Bei ihr gelingt mir das seltene Kunststück, sie nach zehn Minuten zu fragen: "Für welchen Verlag arbeiten Sie?" Die dann nonchalont und wie ein Mann das niemals könnte, sagt: "Ich bin Geschäftsführerin Vertrieb und Marketing bei RANDOM HOUSE." Ich stehe der Gastgeberin der vielen hundert Menschen am heutigen Abend gegenüber. Und fühle mich wie ein Idiot. Was sich die Dame im hellblauen Kleid aber nicht anmerken lässt. Und dafür werde ich sie immer verehren, für den Rest ihres Lebens.

So geht der Abend dahin. Ich lerne den Mann kennen, der die SZ-Bibliothek erfunden und gemacht hat. Und wir unterhalten uns nachsinnend über die Kunst langsam zu reisen. Über die Bücher. Und was das Leben für uns bereithält, wenn die wilden Jahre vorüber sind. Solange palavern wir an der Bar: Bis die Musik auf "Disco" umschaltet und so laut wird, dass der Mann, der die SZ-Bibliothek erfand und ich beschließen, dies unseren Ohren nicht anzutun. Und den Ort verlassen.

Ach. Wenn doch nur immer Buchmesse wäre!



                           Am kommenden Samstag führt mich meine Reise von der Buchmesse zurück aufs   
                          Meer. Und kommende Woche schreibe ich hier auf MARE PIU über:
                          Unter Segeln: Unterwegs im Oktober von Korfu nach Sizilien. 
                          "Stay tuned!"


  


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