Montag, 2. Juni 2014

Landschaften der Seele: Unter Segeln durch die Lagunen von Venedig nach Torcello.

Durchfahrt durch Burano
Venedig und das auf- und ablaufende Wasser, das war für die Venezianer schon zu einem frühen Zeitpunkt eine wichtige Frage. Arne Karsten, dessen wunderbare kurze "Kleine Geschichte Venedigs" ich bestimmt fünf, sechs mal gelesen habe und auf meiner Bücher-Bestenliste immer unter den Top 15 rangiert, schreibt, dass die Venezianer bereits ab frühester Zeit alle Jahrhunderte hindurch zwei großen Versuchungen widerstanden hätten. Die eine: in Notzeiten ihre eigene Währung, Dukaten, Scudo, was immer durch Beimischung von schlechtem Metall zu entwerten. Die andere: Müll in die Kanäle zu werfen. Bereits ab einem frühen Zeitpunkt, nämlich im 11. Jahrhundert, hätte sich der Große Rat darum gekümmert, ab dem 13. Jahrhundert "verbot der Große Rat kategorisch, Abfälle in die Kanäle zu werfen oder Verkaufsstände direkt an den Ufern der Kanäle zu errichten ... mehr als hundert technische Patente wurden zwischen 1492 und 1797 beantragt, von denen man sich die endgültige Lösung der Kanalreinhaltung versprach." (Karsten, S. 62) Das ist auch der Grund dafür, dass das Wasser in der Lagune, vor allem auf dem 37 Kilometer langen Kanalsystem durch die Stadt, ganz erstaunlich sauber ist. Bis auf treibendes, wogendes Grünzeug schwimmt da nur selten etwas.

Die Gefahr des Verlandens oder Versandens ihrer Wasserwege war den Venezianern durchaus bewußt. Wie zart und fragil dieses Ökosystem ist, zeigt diese

Interaktive Karte der Kanäle von Venedig.

Wie die Schlagadern und Arterien eines lebenden Organismus sind darin die Hauptwasserwege eingezeichnet, fast wie Blutbahnen in einem Gehirn. Und über sie vollzieht sich zweimal täglich der Wasseraustausch in der Lagune.

Die Karte ist aber auch sehenswert, weil sie meine Frage beantwortet, ob ich mit Levje's Tiefgang von 1,60m von Venedig nach Torcello oder Chioggia auf den Kanälen fahren kann: es geht offensichtlich nicht, denn es gibt einige Stellen, die mit 1,30m ausgewiesen sind. Wer die Karte am Tablet-PC ansieht, kann sich den Weg nach Torcello ansehen: Zuerst Venedig finden, das in dieser Karte wohltuend unauffällig eingezeichnet ist. Dann ganz im Osten Sant'Elena. Dann Murano. Dann Burano. Und dann: Torcello. Zuletzt die Wassertiefen der einzelnen Wasserarme "heranzoomen". 

Trotzdem lassen wirs mit dem "geht nicht" natürlich nicht gut sein und probieren's am Freitag Morgen einfach aus. Also jetzt "in echt": Links raus aus Sant' Elena und ins Bacino fahren, es erfordert immer etwas Mut, denn das Hafenwasser in der großen Bucht von Venedig scheint zu kochen durch den Kreuz- und Querverkehr der Vaporetti, Lastkähne, Motoryachten, Fähren, Linienschiffe, was weiß ich. 


Und einen Riesen im Fahrwasser gibts auch gelegentlich. Am Schlimmsten sind Wassertaxis, wie Giuseppe, ein Bekannter, der in Venedig lebt, bemerkt. Er rudert mit seiner Sanpierota hier öfter herum und machte mich darauf aufmerksam, dass diese Gleiter die übelsten Wellen verursachen.

Aber vor Murano wird's dann ruhiger. Der Weg durch die Dalbenstraßen ist herrlich an diesem Morgen. 


Manchmal ist das Fahrwasser breit, manchmal ist es schmal, manchmal sind die Dalben, die "Briccolone", links und rechts aufgestellt, manchmal nur in einer Reihe, man muß schon ein wenig aufpassen. Und natürlich genauso viel auf den Tiefenmesser schauen, wie auf das Fahrwasser voraus. Aber es geht. 





Murano links liegen lassen, an den alten Glasbläsereien vorbei, durch Burano durch, es ist zauberhaft an diesem Morgen, lauter bunte Häuser. 



Katrin, die ein paar Tage zu Besuch ist, fotografiert wie eine Wilde die bunten Häuser. Und den schiefen Kirchturm von Burano. Venedig ist die Stadt der schiefen Kirchtürme, aber der von Burano, der schießt den Vogel ab. Etwas mutig geworden, beschließen wir, in Burano anzulegen und zu tanken. Aber manchmal, wenn aus Mut Übermut wird, gibt's eins auf die Mütze, der Diesel kostet an der Wassertankstelle 1,87 €. Wie immer gilt: alles, alles muß in den Lagunen mühsam übers Wasser herangeschafft werden.


Nach Torcello ist es durch den Canale di San Antonio nur noch ein kurzes Stück, wo wir ankern und schwimmen. Der Anleger vor der Kathedrale ist nicht ganz komod, aber es geht halbwegs, und die Besichtigung ist es wert. Es sind Mosaiken aus dem 11./12. Jahrhundert in unglaublicher Qualität, wie ich sie bisher nur in der Hagia Sophia in Istanbul sah. Das jüngste Gericht zeigt, wie so häufig im Früh- und Hochmittelalter, den alttestamentarischen Gott, nicht den liebenden, vergebenden, sondern den strengen, strafenden Gott, und er kennt auf den Mosaiken auch kein Erbarmen mit den Herren. Und der, ganz links außen, seine Engel die Posaune blasen läßt, um die im Meer Ertrunkenen aufzuwecken. Kaum 50 Jahre nach Entstehung dieser Mosaiken mussten die Bewohner Torcello aufgeben. Durch ökologische Veränderung hatten Versumpfung und daraus resultierende Malaria-Epidemien überhand genommen.

Immer wieder wird auch klar: Venedig orientierte sich im Mittelalter weit stärker an Byzanz als am Festland, wirtschaftlich wie auch künstlerisch. Das erklärt manche Fremdartigkeit, zum Beispiel die Wirkung von San Marco auf den heutigen Betrachter.
Von der Gründung Venedigs bis zur Eroberung 1204 war Byzanz Herrscherin auch über Venedig, so formal das auch immer gewesen sein mag, man darf das nie vergessen. Venedig schaute in seiner 1200jährigen Geschichte immer nach Osten, nach Byzanz und später Konstantinopel. Selten nach Westen oder Südwesten, kaum nach Norden. Der Seeweg, das Mittelmeer war ein verbindender, und kein trennender Faktor.

Am Nachmittag, rechtzeitig vor dem großen Gewitter, das regelmässig niedergeht, sind wir wieder zurück in Sant' Elena, wir haben diesmal den Weg über Punta Sabbioni am Lido entlang und an der großen MOSE-Baustelle vorbei gewählt. Vor Punta Sabbioni konnten wir dann auch wirklich Segeln wie auf einem See.

Nautische Anmerkungen:
Navigation: 
Wir fuhren ausschließlich nach der obigen Seekarte (aus 2006) auf dem Ipad. Reicht völlig aus. Kartenplotter versagen, da zumindest in meinem die Dalbenstraßen nicht ausgewiesen sind. Geringste gelotete Tiefe auf beiden Strecken: ca. 2,50m durchfahren bei Hochwasser. Meistens zwischen 3,50 - 5,00 m Tiefe, Stand Mai 2014. Die mündlichen Angaben der Mitglieder des Segelclubs Diporto Velico Veneziano lauteten, dass man bis Tiefgang 1,80 m  ohne Rücksicht auf Gezeiten die Kanäle durchfahren könnte. Wegen der Strömung sollte man aber immer vorher im Internet auf die Gezeiten schauen. Es kann gerne mal zwei, drei Knoten Strömung haben. Wetterbericht beachten. Strömung plus aufkommender Gegenwind oder Herbstnebel, wir hatten das mal, können beeindruckend sein.

Seerecht:
Entgegen den Angaben in manchen älteren Handbüchern benötigen nur Schiffe über 10m in der Lagune eine Registrierung und ein Nummernschild. Nach Augenschein, wie denn die Bootseigner im Segelclub von Sant' Elena das handhaben, würde ich sagen: eher lax. Mein Schiff mit 9,40 Länge wurde in den Lagunen ohne Nummer nie angehalten. (Stand Mai 2014)

Wetter:
Die Nordadria ist ein  gewitterreiches Revier. Während der fast 10 Tage meines Aufenthalts gab's fast jeden Abend Gewitter mit Platzregen. Generell: Kanal 68 hören.





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