Mittwoch, 16. Juli 2014

Menschen am Meer: Und was geht ab in Errikousa?


Mittwoch morgen, gegen halb neun, in der Bar von Achill und Penelope: Spiro, 76, sitzt da und rührt in seinem Kaffee. Er sieht eigentlich nur zur Hälfte aus wie ein Grieche, die andere Hälfte ist etwas ganz anderes. Als ich ihn anspreche, ist sein Englisch perfekt. Genauer: sein Amerikanisch. Spiro wurde hier auf Errikousa geboren. Wie sein Vater. Aber 1952, da holte sein Vater ihn nach New York. Mit Vierzehn. Der hatte in der amerikanischen Armee gegen die Deutschen gekämpft. Und dafür die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Also ging Spiro weg von Errikousa. Nach New York, wie sein Vater. Zuerst Handelsschule. Dann Einstieg ins Immobiliengeschäft. Als ich ihn frage, wo er da wohnt, rührt er weiter ungerührt im Kaffee: "Long Island". Spiro hat's gepackt. Als ich ihn mit der Bemerkung kitzle, "you made a fortune", sagt Sprio ungerührt: "If you don't earn money in New York you won't earn money anywhere." 
Jeden Sommer verläßt Spiro Haus und Familie auf Long Island. Und geht zurück nach Europa. Zuerst nach Berlin. Dann nach Errikousa. Da lebt er dann acht, neun Wochen im Haus seiner Eltern, oben auf dem Hügel. Geht raus aufs Meer, zum Fischen mit Nachbarn.


Derweil plagen Achill, den Barbesitzer, andere Überlegungen. Vor 20 Jahren ist er wie seine Frau aus Albanien geflohen. Hat zuerst ohne Papiere in Korfu in Restaurants geschuftet. Kam dann ins fast verlassene Errikousa, wo vor 30, 40 Jahren noch über 1.000 Einwohner lebten. Die meisten von Ihnen gingen nach Amerika. So wie Spiro. Heute hat Errikousa noch 40 Einwohner. Zehn Griechen. 30 Albaner. Achill und seine Frau haben sich auf Errikousa etwas geschaffen: Die Bar. Ein kleines Restaurant. Den einzigen Laden mit frischem Obst und Brot. Wegen der zwei Söhne wollte Achill die griechische Staatsbürgerschaft. Büffelte für den Test griechische Geschichte. Und fiel durch, als er nach dem Vornamen des Architekten des Parthenon gefragt wurde. Es war eine Fangfrage, denn Kallikrates hat gar keinen Vornamen.
Errikousa: das ist Achill's Ding. Er ist stolz darauf, dass sie für die vier auf der Insel heranwachsenden einen Lehrer gewinnen konnten, der frei hier wohnen kann. Wenn Achill zwischen seinen Gästen steht, dann lacht er von einem Ohr zum anderen. Es ist sein Ding. Jetzt überlegt er, vielleicht wegzugehen. Nach London. Ein Restaurant eröffnen. Mit 38 noch mal voll starten. Der Kinder wegen. Denn die haben keine Chance, obwohl in Griechenland geboren, auf einen griechischen Pass. Also wird Achill, wenn die kurze sechswöchige Saison auf Errikousa vorbei ist, mal nach London gehen. Und sich das ansehen.

Alex im einzigen Hotel gegenüber beglückwünscht mich zum Gewinn der WM. Es ging hoch her vor seiner Großleinwand beim Endspiel unterm Vollmond. Bis zu Mario Götze's Tor wußte ich nicht, wie viele Deutsche auf der Insel sind. Ich gratuliere ihm zum vollen Haus an dem Abend. Er blickt einen Moment aufs Meer, so, als könne er mit diesem Blick einen Ausflugsdampfer mit 700 Gästen herbeirufen. Und sagt: "Eigentlich müßte es um diese Zeit jeden Abend so sein."


Am Strand herrscht Ferienstimmung und Sommerfreuden bei den fünf, sechs Handvoll Badenden. Die meisten sehen griechisch aus, sprechen amerikanisch. Wie Maggie, selbst hier geboren, aber heute in New York lebend, es mir vor ein paar Tagen prophezeite: Mitte Juli kommen die Amerikaner nach Errikousa, die Nachfahren der Ausgewanderten.

Das Leben könnte schön sein an einem Mittwoch auf Errikousa.




Wo liegt eigentlich Errikousa? Hier anklicken.



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