Mittwoch, 31. Juli 2019

Von England nach Irland und Schottland (20): Islay, Laphroaig, Lagavulin und Ardbeg. Eine Insel und der Whisky.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles und von dort über  Dublin und Nordirland an die schottische Westküste  zur Insel Islay.




Es war einmal eine Insel. Sie lag weit im Westen vor der schottischen Küste, war wunderschön und viel, viel fruchtbarer als all die anderen Inseln ringsherum. Schafe grasten drauf und kernige Kerle wohnten auf ihr, mit Bärten lang wie Teppichfransen und ungeschorenem Haupthaar, die karierte Faltenröcke trugen und aus Spaß Messer in der Socke stecken hatten. Und weil die Kerle auf der Insel so kernig waren, beschlossen sie, ihr Getreide nicht rauszurücken, damit daraus das pappige Supermarkt-Scheibenbrot hergestellt würde, sondern es zu mälzen, um mit dem Malz die Hefepilze zu mästen, damit die Alkohol produzierten, den man dann destillieren könnte. 

Doch weil nichts langweiliger ist als Apothekenalkohol, drum beschlossen sie, das scharfe Zeug erst in gebrauchten Sherryfässern jahrelang wegzusperren, um nach einem Jahrzehnt oder so das ganze mit etwas torfigem Wasser aus den Gumpen der Gegend zu strecken. "Whisky" nannten die kernigen Kerle das brennende scharfe braune Zeug, das dabei herauskam.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann machen sie das noch heute.


Unsere Suche nach den wahren Werten und der heilen Welt, sie endet nie. Und die Insel, über die ich schreibe, heißt Islay. "Aaaailiiiii" wird das gesprochen. Von der Marina Port Ellen aus, dem einzigen Hafen, brechen wir zu einer Wanderung entlang der Südküste auf. Das ist reizvoll, nicht nur wegen der Schafe, sondern weil hier auf sieben Kilometern Weg gleich drei nahmhafte Whiskybrennereien liegen: Laphroaig. Lagavulin. Und Ardbeg.


Ich habe Levje am Morgen in der Marina von Port Ellen hinter den Getreidefrachtern geparkt und bin mit Sven und Ida von Port Ellen losgelaufen. Und 45 Minuten später stehen wir in Laphroaig, der ersten Destille am Meer. Eine Gruppe kerniger bayrischer Landsleute steht vor dem Visitor Center der ansonsten menschenleeren Destillerie, ein paar Schritte südlich der Küstenstraße entlang der Felsküste der Insel Islay. 

Meine bayrischen Landsleute strahlen, während sie unter dem Schild Visitor Center warten, als würden sie gleich zum Empfang beim wiederauferstandenen Franz Joseph Strauß vorgelassen. Sie sind Kenner von Whisky, keine Frage. Auf das hier haben sie lang gewartet. Drinnen unter dem grünen Schild Visitor Center geht es nüchtern her. Bücher, Schürzen, Shirts und Kappen mit der Aufschrift LAPHROAIG. Und natürlich die Flaschen in den aufwändig bedruckten Edelkartons. "Irgendwie siehts hier drin auch nicht anders aus wie im Duty Free von Palma de Mallorca", denke ich mir. Nur dass die Frauen in Palma ganz wuschig werden wegen des Parfüms, aber die bayrischen Männer sind nicht wuschig, aber eben voller heiliger Vorfreude auf die Bescherung, die wohl gleich kommt. Die Führung durch die Brennerei.

Ich boxe mich durch die hoffnungsfrohe Gruppe an den Schalter. "You want me to book you in?", fragt das freundliche Gesicht einer Studentin hinter dem Tresen. Dabei weiß ich doch noch gar nicht, welche Tour es gibt. Eine Verkostung? In etwa 5 Stunden. Kostet 30 schottische Pfund pro Person. Mit Klein-Ida, die mit ihren 20 Lenzen vegan gestärkt ist wie ein blütenweißes Hemd und sich nichts aus Whisky macht, sind das schlappe 110 Euro für  uns drei. Und ein paar Stamperl Whisky, die sie hier offensichtlich "drums" nennen. Aber mit der Führung wirds nichts. "Die nächste Führung ist erst in vier Stunden um halb drei", lässt mich die Studentin wissen. "You can visit the Bar", schlägt sie vor, sie meint es gut mit uns.

Naja. Ab jetzt vier Stunden lang den Kleiderständer mit den LAPHROAIG-Sweatshirts drehen und LAPHROAIG-Baseballkappen probieren ist kein wirklicher Pausenfüller. Und wenn ich mich in die Bar neben den Sweatshirts an den Tresen setze, brauche ich spätestens in einer halben Stunde keine "drums" mehr. Aber wir sind ja zu Fuß. Wandern wir doch einfach weiter. Eine halbe Stunde weiter liegt ja der kleine Weiler Lagavulin. So wollte ich mal mein Boot auf dem See nennen, viele Jahre ist das her.


Gesagt. Getan. Lagavulin ist tatsächlich ein Weiler. Und das Betriebsgelände von Lagavulin sieht auch nicht anders aus wie das von Laphroaig. Groß. Weiß. Von der Schlichtheit eines  amerikanischen Shaker-Möbels. Mit ein paar Jaguars und großkalibrigen Range Rovers auf dem Firmenparkplatz. Und verlassen unter den beiden kirchturmartigen Mälzerei-Hauben, die an ein strenges Schweizer Karthäuserkloster erinnern.


Im Visitor Center sagt mir eine der beiden freundlichen Studentinnen hinter dem Kassentresen, wo man Lagavulin-Sweatshirts und -Baseballkappen kaufen kann, dass die nächste Tour bereits ausgebucht sei. Ich sehe zwar niemand, aber zum Glück gäbe es ja die nächste Tour. In viereinhalb Stunden wäre die.

Wir wandern ein bisschen auf dem Firmengelände herum. An den Wänden hängen Fotografien kerniger Kerle, mit Bärten lang wie Teppichfransen und ungeschorenem Haupthaar, die sich im Kilt um einen Mann im Kilt mit stahlhartem Blick scharen. Man hat es wenigstens schön gemacht bei Lagavulin, ein Raum ist noch so dekoriert, wie er zu Zeiten der kernigen Kerle auf den Fotos war, Feuer im Kamin und tiefe Sessel, ja, schön war die alte Zeit. Eine der Studentinnen empfiehlt uns, doch bis zur nächsten Führung die Bar aufzusuchen, aber wir sind noch nicht am Ende mit unserem Latein und wandern einfach eine halbe Stunde weiter. In der nächsten Bucht, da liegt ja Gottseidank der kleine Weiler Ardbeg. Weil das am weitesten von Port Ellen weg ist, kommt da bestimmt keiner so leicht hin.

Die Wanderung entlang der Küste ist wunderschön. Und wo kann man schon so herrlich an einem Inselufer auf einem durchgehend geteerten Wanderweg von Destille zu Destille wandern, während auf der winzigen Straße große Automobile und gewaltige Traktoren an einem vorbeirauschen? Auf Islay scheinen die Dinge prächtig zu laufen, das merkt schnell, wer hier entlangwandert.


Die Schafe, sie haben jedenfalls nichts von ihrem Gleichmut verloren. "Hauptsache kauen", denken sie, während ich dem Segler draußen vor der Küste zusehe. Eine halbe Stunde später, nach einer Wanderung über Hügel und durch Wälder und über torfige Flüsschen stehen dann vor der Destille am Meer.


Auch hier ist das mit der Führung nicht so leicht hinzubekommen, sagt mir die freundliche Studentin hinter dem Tresen bedauernd. Aber wir könnten doch inzwischen in die Bar gehen. 

Doch Ardbeg hat gegenüber den Anderen die Nase an einer Stelle vorn. Hier gibt es ein Restaurant. Es kommt ungefähr so daher wie die Klosterwirtschaft von Andechs bei mir daheim um die Ecke. Groß, und viele Menschen werden hier von meist ahnungslosen jungen Leuten bedient, die halt in Teilzeit hier jobben. Aber das Essen ist mindestens so gut wie in Andechs. Ich entscheide mich erneut für Haggis - obwohl ich weiß, was für ecklige Sachen da drin sind (siehe meinen vorvorletzten Post) schmeckt das doch gar zu gut. Auch diesmal 


kommt der Haggis als kleines Törtchen daher: Unten Haggis. In der Mitte "Neeps", Steckrübenpüree. Obenauf "Mash", Kartoffelbrei. Was mich dann aber wirklich begeistert, ist das harmlos dreinschauende Glas mit unverdächtigem Whisky links. Der haut mir mit seinen 56% schon mittags alle Lampen aus der Fassung. So langsam wird der Tag mein Freund.

Und die kernigen Kerle im Kilt? Die mit den Bärten? Die, die das Zeug destillieren? Gibt es sie noch irgendwo hier auf dem Gelände?


Soweit es mein Zustand erlaubt, mache ich mich draußen auf dem Firmengelände auf die Suche. Alle Türen stehen offen, doch die Gebäude sind verwaist und stehen unbelebt herum wie ein Freilichtmuseum. Nur die riesigen Lagerhallen scheinen voll belegt.

Ich werfe einen Blick in die Mälzerei. Kein Mensch. Kein Geräusch. Ein paar Schritte weiter höre ich jemand arbeiten. Ja richtig. Da steht einer auf der Trittleiter und schleift die Türe ab. Wartung im Heimatmuseum. Und sonst? Macht denn hier keiner Whisky? 

Auch bei den übermannshohen kupfernen Destillationskolben ist kein Mensch. Besucher irren vor der Tür hin und her, ein Chinese strahlt mit seiner Freundin übers ganze Gesicht, es hierher geschafft zu haben. Marketing ist die Droge, die Geschichten erzählt und Menschen für ein Produkt einnimmt. Selbst der einzige Mann mit Bart und Kilt zwischen den Whiskyfässern trägt etwas ratlos seine Wasserflasche hin und her, ein Besucher und Wanderer, wie ich. 

Ich vermisse ein altes Gesicht auf dem Gelände. 

Ein ehrliches altes Gesicht, das davon erzählt, wie es ist, in guten wie in schlechten Tagen für "seine" Whisky-Destille jeden Morgen aufzustehen. Wie es ist, 20, 30 Jahre hier seinen Job zu machen. In schwierigen Zeiten und an Tagen, an denen es etwas zu feiern gibt. Aber langsam bin ich mir sicher, hier in Ardbeg werde ich dieses ehrliche alte Gesicht so wenig finden wie in Lagavulin oder Laphroaig. Und auch nicht in Caol Ila wenige Kilometer nördlich oder in Bowmore oder in Bruichladdich. Neun Destillen, wo hier auf der Insel vor 150 Jahren doch mal über die doppelte Anzahl saßen mit so wohlklingenden Namen wie Octovullin, Scarrabus, Glenavullen.



Am Ende unserer Wanderung über Islay finde ich das ehrliche alte Gesicht dann doch, als ich mich mit Sven mit einem Sack Wäsche unter dem Arm zum Büro des Hafenmeisters aufmache. Ian heißt der Hafenmeister der kleinen Marina. Er ist Ende sechzig, trägt eine Halskrause. Jeden Tag um 17 Uhr dreht er seine Runde in seinem Hafen, um nach den Schiffen zu sehen.

"Ich bin auf der Insel Lewis geboren, weit draußen auf den äußeren Hebrideninseln. Als junger Mann hab ich Arbeit gesucht und kam hierher nach Islay. 1986 war hier auf Islay alles am Hund. Leute, die weggingen. Häuser die verfielen, weil eine Destille nach der anderen hier dicht machte. Whisky wollte keiner mehr haben, Bitter Lemon und Gin Tonic waren angesagt. Ich war Telefontechniker hier, und wer von den Destillereibesitzern Glück hatte, der konnte verkaufen, bevor er dichtmachten musste.

Und irgendwann ging das alles wieder los. Ich glaube ja, dass alles mit Fernost anfing, dort kam die Sache mit dem Whisky wieder ins Laufen. Aber von den alten Destillerien sind nur nur noch Namen geblieben. Aber seitdem gehts aufwärts in Islay."

Ian grinst, als ich ihn frage, warum ich keine Arbeiter in den Destillerien sah.

"Die Mälzereien auf dem Gelände sind längst außer Betrieb, für die neun Destillerien auf Islay wird alles zentral hergestellt, was an gemälztem Getreide benötigt wird, hier in der Mälzerei von Port Ellen hinter dem Hafen. Gebrannt wird in den Destillen immer noch, aber das wird alles zentral ferngesteuert, da kannst Du niemandem bei der Arbeit zusehen. In den einstigen Destillen wird vor allem der Brand in den großen Lagerhallen gelagert. Ich wünschte, Du hättest eine Führung mitgemacht. Aber ganz verkehrt sind Deine Beobachtungen ja nicht. Viel zu sehen? Gibts beim Whisky-Brennen wirklich nicht mehr."

Und Islay?

"Die Insel ist heute wohlhabend, dank dem Whisky. Der Whisky brachte die Besucher zurück. Ohne Whisky keine Besucher. Ohne Besucher kein Geld. Viele Besucher finden die Insel so schön, dass Sie auch bleiben wollen. Häuser sind auf Islay längst keine mehr zu kaufen, die Preise schossen enorm in die Höhe. Und ich? Ich träume, je älter ich werde, von dem Ort und der Insel, von der ich komme. Von Lewis. Und von den äußeren Hebriden."


Was Ian nicht sagt, ist, dass das Geschäft mit dem Whisky nicht mehr in der Hand der kernigen Kerle mit den langen Bärten ist, sondern dass Lagavulin und Talisker längst Marken börsennotierter Spirituosenkonzerne mit einem Jahresausstoß von knapp einer Milliarde Liter sind.

Islay ist tatsächlich eine schöne Insel. Einen guten Whisky wird man hier in passender Kulisse finden. Und die Wanderung vom Hafen entlang der Südküste Islays würde mir fehlen. Ians Grinsen, das wird mir in Schottland noch häufiger begegnen, wenn ich einen Schotten auf das Thema Whisky anspreche und frage, ob aus den kleinen Destillen entlang der Küste wirklich all das Zeug sprudelt, das sich regalmeterweise in den Flughafen Duty Frees von Berlin bis Beijing stapelt. "There are some question marks", wird mir ein älterer schottischer Skipper sagen, als wir in den Schleusen des Crinan Canals nebeneinander liegen und unsere Geschichten austauschen. 

Als er es sagt, ist es wieder da. Das Grinsen wie bei Ian, dem alten Hafenmeister von Port Ellen. 





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