Montag, 21. August 2017

Windhosen über der Insel Mljet.






Insel Mljet. Mitte August. Alles begann harmlos. Harmlos und unauffällig. Die kroatische Wettervorhersage hatte für den Nachmittag möglicherweise Gewitter vorhergesagt. Möglicherweise. Für Nachmittag. Und Böen aus Nordwest bis Nordost mit 35 bis 45 Knoten. Dabei sah man auf wetteronline.de und blitzortung.org die Front am Morgen schon heranziehen.

Man tut als Segler in einem solchen Fall, was zu tun ist. Man geht in einen Hafen. Auf der Insel Mljet, der einsamen und langen Schönheit ein paar Segelstunden nördlich von Dubrovnik, gibt es keinen Hafen. Einen Fähranleger ja, an dem zweimal täglich der Katamaran von Split anlegt. Sonst? Nur ein paar Restaurantstege, an denen Wirte gegen ein Abendessen einen Segler kostenlos festmachen lassen. Einen Hafen gab es aber nicht. Also suchte ich nach einer Bucht. Einer, die geschützt ist, wenn Böen aus Nordwest bis Nordost mit 35 bis 45 Knoten drohen. An der Ostspitze Mljets gibt es so eine Bucht. Saplunara ist nach Westen, Norden, Osten von kiefernbewaldeten Hängen geschützt. Nur nach Süden ist sie offen, zum Meer hin. Von dort, so dachte ich droht ja keine Gefahr. Ich steuerte am Morgen von Dubrovnik kommend die Bucht an. Mied die Bojen, solange sich kein Verantwortlicher zeigte. Ließ meinen Anker neben einer italienischen Yacht fallen. 


Die Frage, ob man im Gewitter sicherer im Hafen oder auf dem offenen Meer ist, scheint leicht zu beantworten. Tatsächlich antworteten sogar ausgewiesene Schadens-Experten, die wir für unser Buch GEWITTERSEGELN interviewten, dass der einzige Unterschied zwischen „drinnen“ und „draussen“ der sei, dass im Hafen schneller Hilfe verfügbar sei. Sonst? Sei man „drinnen“ wie „draussen“ auf dem offenen Meer in Gottes Hand.

Der Himmel am Morgen war wolkenlos. Und gegen alle Vorhersagen wehte kraftvoll Wind aus Süd in die Bucht. Und machte das Liegen unbequem. „Er wird drehen“, dachte ich, „wenn erst das Gewitter kommt. Er wird drehen." Also achtete ich vor dem blauen Himmel nicht darauf.

Gegen Mittag erreichte eine graue Wolkenfront aus Nordwesten die Bucht. Es war nichts als ein Band grauer Wolken von Nord nach Süd, über dem links und rechts der strahlend blaue Himmel weiter leuchtete wie zuvor.

Das erste, was mir auffiel, war, dass das Wolkenband sich plötzlich nicht mehr bewegte. Er blieb genau über der Bucht von Saplunara einfach stehen. Ein langer dunkler Wolkenstrich, der von Norden quer über die Insel genau nach Süden hinaus aufs Meer ragte. Dorthin, woher der Wind kam. An der Unterseite des grauen Strichs zeigten sich plötzlich Wirbel. Und in deren Mitte Wolkenbeulen nach unten. Beginnende Windhosen, die wie eine Brust nach unten hängen und ein untrügliches Zeichen für Gewitter sind. Die große Wolke im Bild oben zog einfach einfach das Wolkenband entlang von Süden nach Norden. Wie auf einer Straße. Sie folgte dem Wind.

Plötzlich begann sich die Wolke, wie eine Zitze nach unten zu denen. Die Kreiselbewegung nahm deutlich zu, ein langer Schlauch entwand sich unten Richtung Wasseroberfläche der Bucht. Wenige hundert Meter nördlich lag ich mit LEVJE vor Anker.

Der Schlauch dehnte sich. Wurde länger. Und länger. Reckte den Rüssel nach unten, Richtung Bucht, wo die italienische Yacht neben mit lag. Plötzlich war sie da. Zog entlang des Wolkenbandes langsam nach Norden. Zugleich bildete sich eine zweite Windhose draussen hinter dem Hügel über dem Meer.

Der erste dünne Schlauch zog hinter dem Hügel auf dem Meer. Er fand hinter uns draußen auf dem Meer statt, zog langsam nach Norden, das Wolkenband entlang, das nun schwarz war. Doch der zweite Rüssel wanderte ebenfalls das Wolkenband entlang. Nach Norden. Er erreichte die Einfahrt in die Bucht, reckte sich weiter nach unten, wo sich ein Wirbel gischtenden Wassers bildete, der genau auf die Mitte der Bucht zukam. Auf die italienische Yacht und mich.

Es ist ein unguter Moment, wenn eine Windhose auf eine ankernde Yacht zusteuert. Ein Boot ist seiner einzigen ihm innewohnenden Abwehrmöglichkeit beraubt - nämlich einfach abzuhauen. Ich saß auf LEVJE, spürte mein Herz schneller schlagen. Und wusste, dass die Windhose uns erreicht hätte, bevor ich auch nur den Anker zur Hälfte geholt hätte. Ich begann, in Eile alles Bewegliche an Deck festzuzurren. Oder einfach unter Deck zu werfen. Sollte die wirbelnde Gischt uns erreichen, würde es an Deck unweigerlich Bruch geben. Ich beschloss in den wenigen Augenblicken, dass der sicherste Ort für mich ebenfalls unter Deck wäre, sollte die Windhose uns tatsächlich erreichen.

Zwischen mir und der Windhose lag nur noch ein Fischer. Er arbeitete zusammen mit seinem Sohn, mit dem Rücken zur Windhose, holte Reusen vom Grund der Bucht herauf. Er sah den langen dünnen Schlauch, der nun vom Himmel bis zur Wasseroberfläche reichte, in seinem Rücken nicht. Ich begann, aus Leibeskräften zu brüllen, um ihn zu warnen. Er hörte mich im Lärm seines Außenborders nicht. Plötzlich sah er den wirbelnden Schlauch in seinem Rücken. Die Reuse ins Wasser fallen und Gas geben waren bei ihm eine einzige Bewegung. Er motorte eilends ins Innere der Bucht. Der Schlauch kam nun unvermittelt weiter auf uns zu, folgte dem Wolkenband mit dem Wind von Süden nach Norden, das sich einfach nicht bewegen wollte.

Es sind genau diese Momente, in denen ich an das Interview in unserem Buch GEWITTERSEGELN denke. Nein, eine Bucht ist bei Gewitter nicht unbedingt sicherer. Es ist eine trügerische Sicherheit, die sie verspricht. Ich? Hatte meine Entscheidung getroffen. Und saß fest. Ich konnte nichts tun, als den Schlauch weiter zu beobachten, der da auf uns zukam. 

Ich gebe gerne zu: Ich vergaß in diesem Moment zu fotografieren. Es war kein großer mächtiger Tornado. Aber wenn sich eine Windhose genau auf Dich zubewegt und Du nichts mehr tun kannst, nicht weglaufen, nicht wegducken, hat man anderes im Sinn als den Auslöser zu drücken.

Die Windhose kam auf ein Fußballfeld heran. Wirbelte, wand sich - und neigte sich plötzlich aus einem unerfindlichen Grund nach rechts, dem felsigen Ufer in der Bucht, 75 Meter von mir. Im selben Moment, in dem sie die Felsen berührte, verschwand der Schlauch. Er zog sich langsam nach oben zurück, in die Wolke, wo von ihm nichts blieb, wie Wolkenfetzen, die wie Qualm aus der Mündung eines Geschützrohrs waberten.

Nichts blieb vom Schlauch als nur ein kreiselnder Wirbel am Himmel, der langsam in sich verwehte. Und erstarb.

Das Ende meiner Geschichte? Das Wolkenband stand für etwa eine Stunde fest über der Bucht am Himmel. Weitere Mammatus-Wolken bildeten sich in ihr. Genau über der Bucht. Ich zählte an diesem Nachmittag insgesamt acht verschiedene Windhosen, die rings um die Bucht aus dem Wolkenband entstanden. Aber keine von ihnen kam uns so nahe wie die eine.





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