Montag, 20. Juli 2015

Heute in Griechenland (9): Heute am Strand in Agios Nikolaos.

Vor Wochen bin ich auf LEVJE von der Türkei aufgebrochen und über Marmaris, Rhodos nach Kreta gesegelt. Überrascht von den Ereignissen in Griechenland bin ich unmittelbar nach dem Referendum aus Deutschland zurückgekehrt zu meinem Schiff LEVJE im Hafen von Agios Nikolaos, um von hier zu berichten.

                       Weiterlesen bei: Heute in Griechenland, Teil 1. Hier.
                                                                              

Am Strand im Süden von Agios Nikolaos treffe ich Sven. Sven ist zuständig für die Vermietung der  Sonnenschirme und Sonnenliegen an diesem Strand.

Sven ist Ende 30 und Belgier. Er ist in Antwerpen geboren, zur Schule gegangen, hat dort eine Ausbildung gemacht und eine feste Anstellung beim Wasserwirtschaftsamt bekommen. „Ich hatte einen sicheren Job, verdiente gutes Geld, hatte ein Haus zwischen Antwerpen und Brüssel. Aber vor fünf Jahren hab’ ich gedacht: Das wird nix mit Europa. Und mit Belgien gehts bergab. Ich wollte weg aus Belgien.“ Es sind vor allem soziale Probleme und steigende Kriminalität, die ihm in seiner Heimat zu schaffen machten. Besonders, als er Vater wurde. Er deutet auf sein Kind, Noemi, die mit anderen Kindern 50 Meter weiter in den Wellen plantscht. „Das wäre in Belgien ganz unmöglich: Dort am Meer würde ich Noemi keine fünf Meter weit von mir weg gehen lassen. Ständig gibt es in Belgien Kidnapping, Entführung, Erpressung. Und Kindesmisshandlung. Es gibt viele Leute, die sich an Kindern vergehen in meinem Land. Ich wollte nicht, dass mein Kind dort aufwächst, obwohl Belgien meine Heimat ist.“ 
Antwerpen und vor allem Brüssel - woran liegt es, dass dort die Kriminalität so zunimmt? Sven meint, vor allem die Integration der dritten Einwanderer-Generation sei dort gescheitert. „Die erste Generation von Maghrebinern, die in den Nachkriegsjahren nach Belgien und auch nach Frankreich kam, die wollte ein besseres Leben und suchte einfach Arbeit. Die fanden sie in der Industrie. Und damit waren sie zufrieden. Die zweite Generation ist aus diesen Industriejobs rausgeflogen, als die Firmen wegrationalisiert wurden und die Fertigungsbetriebe schlossen oder abwanderten. Die dritte Generation, die Jungen, die haben gar nichts. Die hatten nie Arbeit. Keinen Job, nichts dergleichen. Sie hängen in den Banlieues herum, der Staat bezahlt sie als Arbeitslose - fürs Nichtstun. Keiner ermuntert sie, irgendwas zu machen. Keine Perspektive. Sie laufen durch die Fußgängerzone und verprügeln irgendjemand, nur so, weil es Ihnen eben mal Spaß macht. Die Polizei kämpft in Belgien einen aussichtslosen Kampf.“ 


Sven ist kein Weichei, sondern einer, der etwas wegstecken kann. Abends, nebenbei, hat er als Türsteher gearbeitet. Als „Bouncer“, wie er sagt, in Diskotheken und Clubs, weil es ihm Spaß machte. „Aber im letzten Jahr, da wurde es immer krimineller. Immer öfter war ich in Kämpfe verwickelt, geriet in Schlägereien. Drogenleute, Agro-Typen, Kleinkriminelle auf der Suche nach Zoff.“ Es wurde ihm zuviel. Nach zwei Griechenland-Urlauben beschloss er mit seiner Frau Sophie, die Zelte in Belgien abzubrechen, das Haus zu verkaufen und mit der damals zweijährigen Noemi nach Griechenland zu gehen. Bei Null anfangen. „Hier hab ich Noemi den ganzen Tag im Auge, sie spielt mit den anderen Kindern. Griechenland ist im Vergleich zu Belgien eine heile Welt. Mir gefällt es hier. Klar gibt es hier auch Probleme. Aber im Vergleich zu dem, was wir zuhause hatten, ist das Nichts.“ Ob er denn nicht Angst hätte, vor den Folgen eines Finanzcrashs in Griechenland? „Hier läuft doch alles. Mein Barometer, wie es den Leuten wirtschaftlich geht, heißt „IPhone - Ipad - NIKE“: Jeden Tag kommen Leute an den Strand, die alle drei Dinge besitzen, auch Griechen. Solange das so ist, mache ich mir keine Sorgen. Die Alten sitzen noch jeden Tag im Kafeneion. Nein, hier gehts noch gut.“ 

Die Leute mögen Sven, es macht Spaß, ihm zuzusehen, wie er mit den Menschen umgeht, auf seinem Strand herumwerkelt, ständig überall ist. Liegen geraderückt, Sand herunterklopft. Mal setzt er sich zu diesem Pärchen auf einen Schwatz. Mal zu den beiden älteren Damen, mal zu der einsamen Schönheit, die sich als russisches Model entpuppt und Sven bittet, doch ein paar Fotos von ihr zu machen. „Wenn Du als Türsteher nicht lernst, wie Du mit Frauen sprechen musst, lernst Du es nirgendwo.“ 

Sven ist seit vier Jahren in Griechenland. Er arbeitet hart, als Vermieter der Sonnenliegen steht er jeden Morgen um halb sieben auf und ist zeitig am Strand. Von Sonntag bis Sonntag. Sieben Tage die Woche. Von Mai bis Oktober, ohne einen Tag Pause. Jeden Tag vom frühen Morgen bis um 17 Uhr. Pünktlich um fünf, nachdem er seinen Strand aufgeräumt hat, geht Sven dann in den Laden in der Touristenzone, den seine Frau Sophie dort betreibt. „Noemi’s Shop“ haben sie ihn nach ihrer Tochter benannt. Dort löst Sven dann seine Frau ab, steht noch bis zehn Uhr Abends im Laden und verkauft. „Frauenklamotten und T-Shirts. War Sophie’s Idee. Das lief anfangs sehr gut, aber wir spüren die Krise, sie ist überall in Europa, die Leute schauen schon aufs Geld. Hinzu kommt, dass jetzt auch In Agios Nikolaos ein Hotel nach dem anderen auf „All-inclusive“ umstellt. Als wir vor vier Jahren öffneten, war es kein Thema: Leute kamen rein ‚das T-Shirt, und das, und das‘ und legten 40 Euro hin. Heute heißt es bei ‚3 für 2‘: Ich nehm’ doch lieber nur eins. Die Krise: sie ist in ganz Europa, das spüre ich bei unseren Kunden.“

Am nächsten Tag treffe ich Sven erst spät am Strand. Er ist wütend. Irgendein griechischer Bus hat sein Auto am Straßenrand beschädigt. Und ist einfach weitergefahren. „Ich war bei der Polizei. Ich mag Griechenland echt gerne, aber das ist die Schattenseite, wie sie mit den Sachen umgehen. Einfach weiterfahren. Dabei ist an dem Bus viel mehr beschädigt als bei mir: Der ganze hintere Blinker und das Bremslicht des Buses sind zertrümmert. Das merkt man doch.“ Die Polizei? Würde nichts unternehmen. „Das ist so leicht herauszubekommen, welcher Bus das war. Ruft einfach die paar Busgesellschaften von hier und von Heraklion an. Nach einer Stunde wisst ihr, wer es war. Wenn ihr es nicht tut, mach ich es. Ich kümmere mich selber darum.“ 


Noch wütender ist Sophie, Sven’s Frau. Von ihrem Vater ist aus dem Senegal hat sie die dunkle Hautfarbe, unter der es jetzt gerade kocht und brodelt. „Es ist nicht leicht hier“, sagt sie und schaut hinaus aufs Meer. „Sven ist hier glücklich. Trotz der anstrengenden Arbeit, den ganzen Tag in der Hitze und der Sonne. Aber für mich ist es schwierig. In Antwerpen hab ich toughe Sachen gemacht. Erst hab ich mit 18 Klempner gelernt. Das war nicht einfach, in so einem Männerberuf. Ich mochte mein Handwerk, die Arbeit, aber irgendwann hat es mich genervt, immer als Mädchen angemacht zu werden. Heute wüsste ich, wie ich mich zu wehren habe - damals hab ich nach ein paar Jahren aufgehört und begonnen, in Kneipen und Clubs im Service gearbeitet. Das war mir dann nach ein paar Jahren zu langweilig. Danach hab ich als Türstehern gearbeitet, als „Bouncer“ wie Sven. In Antwerpen bin ich bekannt wie ein bunter Hund, jeder kennt mich. Hier? Ist es schwer für mich, ich selber sein zu können. Und nur wegen meiner anderen Hautfarbe nicht gesehen, nicht respektiert zu werden. Aber Sven ist glücklich hier. Ich gehe mit ihm, wo immer er hingeht.“


Als Noemi müde vom Spielen kommt, hab ich die drei vor mir. Europa. 


Es ist lustig, den dreien zuzuhören, wie sie flämisch sprechen. Flämisch unter Griechen.

Vielleicht ist das der Kern von Europa: Menschen, die bereit sind, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen. Selbst und nicht irgendwem, einem Land, einem Staat, einer Firma, dafür die Verantwortung zu geben.



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