Donnerstag, 23. Juli 2015

Heute in Griechenland (10): Was der Doktor sagt. Und warum derDoktoreine Arche baut.

Die medizinische Versorgung in Griechenland: Thema oder Trauma? MARE PIU frägt den Mediziner Dr. Aris Pagkalos in Agios Nikolaos - und erhält einige verblüffende Antworten.

Das ist Dr. Aris Pagkalos. Er ist Hals-Nasen-Ohren-Facharzt und einer von 50 Medizinern, die sich medizinisch um die Bevölkerung von Agios Nikolaos kümmern. Zuvor war er an der Universitätsklinik von Heraklion, vor 15 Jahren ist er in seine Heimatstadt Agios Nikolaos zurückgekehrt, um sich als Facharzt niederzulassen. Er ist 50 Jahre alt und hat zwei Töchter, die in Athen Griechische Philologie studieren.

MARE PIU: 
Wie ist das so, als Arzt in Griechenland?

Dr. PAGKALOS: Wenn ich mir so die Entwicklung der letzten Jahre ansehe, scheint es nicht sonderlich attraktiv zu sein: Wir haben drei größere Tendenzen:

Erstens: 
Sehr starke "Wanderungsbewegung" unter den Ärzten: Abwanderung von Fachärzten an den Hospitälern. Auswanderung aus finanziellen Gründen. Abwanderung in den vorzeitigen Ruhestand, manchmal schon mit 60 oder jünger, da werden gerne gesetzliche Schlupflöcher genutzt. 

Zweitens:
Noch eine Wanderungsbewegung: Viele Ärzte in unserem Land nehmen öfter einen Ortswechsel vor innerhalb Griechenlands, ebenfalls aus ökonomischen Gründen. Für eine stabile medizinsiche Versorgung ist das nicht gut.

Drittens:
Generelle Reduzierung von Personal und Ausstattung an Kliniken. Die Kliniken in Griechenland sind - anders als in Deutschland - immer noch staatlich. Selbst wenn ich dem Leiter eines Krankenhauses nachweise, dass wir die Kosten für diese oder jene Anschaffung innerhalb kurzer Zeit wieder hereinholen, ist seine Neigung zu größeren Anschaffungen gering. Bürokratie. Mittlerweile ist es so, dass ich mir als Facharzt in meinen Räumen teilweise besseres Equippment leisten kann als die Kliniken.

MARE PIU: Gibt es zunehmend Schwierigkeiten, die Patienten hier in Agios Nikolaos zu versorgen?

Dr. PAGKALOS: Das nicht, nein. Wir haben alles, was wir brauchen. Was wir aber schon feststellen, ist, dass die Menschen weniger ihren Arzt aufsuchen. Das hat eindeutig mit Verunsicherung, mit ökonomischem Druck zu tun. Man geht nicht einfach so zum Arzt. Ärzte, die gute Arbeit machen, merken das weniger, sie sind nach wie vor gut frequentiert. Aber die anderen oder die, die ihre Praxis gerade gestartet haben, verzeichnen eindeutig Rückgänge.

MARE PIU: Es gibt hier in Griechenland ja viele Unversicherte ohne Krankenversicherung. Was geschieht jetzt eigentlich mit den Patienten, die sich einen Arzt nicht leisten können?

Dr. PAGKALOS: Die behandle ich natürlich trotzdem - jeder Arzt hier macht das. Ich habe Privatversicherte, Normalversicherte, Nichtversicherte. Wir behandeln alle - dafür bin ich Arzt. Und als Präsident des hiesigen ROTEN KREUZES stelle ich auch fest, dass es in den letzten Monaten mehr Menschen geworden sind, die nicht bezahlen können.


MARE PIU: Wenn es an Ihnen läge, wenn Ihnen Mittel zur Verfügung stünden: Wo würden Sie als Arzt investieren?

Dr. PAGKALOS: Ich würde noch mehr investieren in den Anbau traditioneller Produkte. Produkte, die wir hier vor Ort seit jeher anbauen und produzieren. Ich habe hierzu eine Organisation gegründet, die ARK OF SEEDS heißt, ARCHE DER PFLANZEN. Innerhalb dieser Organisation sammeln wir das Wissen um die Pflanzen, die wir hier auf Krtea immer angebaut. Wir schulen hier Leute, wie man das richtig macht, wann man sät, wann man erntet, was man braucht. Wir wollen die Menschen hier unabhängiger machen und haben zu diesem Zweck ein großes Stück Land erworben, das wir Menschen zur Verfügung stellen, die über geringes Einkommen verfügen. Wir schulen die Leute auch in Obst- und Gartenbau, zeigen, wie man auf unserer wasserarmen Gegend "Cultivation without Water" betreibt. Wir haben eine Bank mit Pflanzensamen gegründet. Und wir wollen Respekt gegenüber den traditionellen Anbaumethoden und Lebensweisen hier auf Kreta bewahren. Da war ja alles nicht verkehrt. Ich möchte gerne, dass wir bei jeder Art von Problem aus den Abhängigkeiten herauskommen. Und unabhängig werden.

MARE PIU: Wie kamen Sie denn auf die Idee?

Dr. PAGKALOS: Ich habe meine Großmutter sehr verehrt. Sie hat mich die Liebe zu den Dingen gelehrt, mit ihrer einfachen Lebensweise. Aber das erstaunlichste war: Sie hat immer dafür gesorgt, dass wir mehr zu essen hatten, als wir essen konnten - und das aus dem einfachen Landbau heraus. Und genau das möchte ich mit ARK OF THE SEEDS erreichen: das wir dieses alte Wissen weitergeben.


MARE PIU: In den siebzigern Jahren erschien in den nordeuropäischen Ländern eine Studie, in welchem Land die Menschen die größte Lebenserwartung hätten. Mit weitem Abstand lag Ihre Insel Kreta vorne. Man hat über Jahrzehnte versucht, die Gründe dafür zu finden. Sah sie vor allem in der mediterranen Küche: wenig Fleisch, viele wasserspeichernde Gemüsesorten. Können Sie die Ergebnisse der Studie bestätigen?

Dr. PAGKALOS (lacht): Von dieser Studie habe ich noch nie gehört.

MARE PIU: Wenn Sie die augenblickliche Krise in Europa betrachten - wo liegen Ihrer Meinung nach die Ursachen?

Dr. PAGKALOS: Ich glaube, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise weniger um eine ökonomische, sondern um eine Krise der Werte ("values") handelt. Wir Griechen haben nach der europäischen Einigung das Maß verloren. Wahlgeschenke: Menschen, die einfach im öffentlichen Sektor eingestellt wurden, ohne sie zu brauchen. Viele, die die Grenzen aus den Augen verloren, und die dann über ihre Verhältnisse lebten. Europa reagierte auf die Krise ebenfalls nicht richtig, weil es diese Krise derzeit ausschließlich aus dem wirtschaftlichen Blickwinkel sieht. Und das ist auch nicht richtig.

MARE PIU: Und wie kam es zu dem folgenreichen Referendum?

Dr. PAGKALOS (lacht): Das müssen Sie über die Griechen wissen: Ein "Nein" ist uns Griechen allemal IMMER gemäßer und auch näher. "Ja" ist manchmal nur ein höfliches Wort, das wir sagen, und es leider nicht so meinen.



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Vom Autor von MARE PIU: 

Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

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