Donnerstag, 9. Juli 2015

Heute in Griechenland (4): Warum ein Unternehmer sagt: "Everybody inGreece Pays like Hell."

Vor Wochen bin ich auf LEVJE von der Türkei über Marmaris, Rhodos nach Kreta gesegelt. Überrascht von den Ereignissen in Griechenland am Sonntag bin ich aus Deutschland gestern zurückgekehrt zu meinem Schiff LEVJE im Hafen von Agios Nikolaos, um von hier zu berichten.

                                                                             Weiterlesen bei: Heute in Griechenland, Teil 1. Hier.


Das ist Mikhalis Farsaris. Er ist Vorstand von DAEAN und damit zweierlei: Herr über fast alle Strände von Agios Nikolaos sowie der zugehörigen MARINA AGIOS NIKOLAOS mit 260 Liegeplätzen. Zwar gehören Ufer und Marina dem griechischen Staat, aber in Agios Nikolaos wurden - wie in anderen Gemeinden an der Küste auch - die Nutzungsrechte an eine private Gesellschaft übertragen, in diesem Fall DAEAN. Mikhalis Farsaris ist lange im Geschäft. Nebenbei betreibt er auch ein kleines Hotel.


MARE PIU: Wie läuft es bei Ihnen, drei Tage nach dem "Nein"?

MIKHALIS FARSARIS: Eigentlich läuft dieses Jahr für uns ganz gut. Wir haben bislang keine Einbrüche bei den Besuchern an den Stränden hier in Agios Nikolaos. Da gibts zwar immer mal die eine oder andere Verschiebung von Strand zu Strand. Mal läufts am einen besser. Mal am anderen. Aber in Summe sind wir im Umsatz auf Vorjahres-Niveau. 
In der Liegeplatz-Vermietung hier in der Marina Agios Nikolaos sieht es ähnlich aus: Etwa 40% sind Einheimische, etwa 60% auswärtige Langfahrtsegler. Wir haben etwa 160 Liegeplatz für Schiffe über 10 Meter Länge. Die Festbuchungen der Langfahrtsegler, der "Live-Aboards", die ihren Winter hier verbringen werden, sehen fürs Winterhalbjahr gut aus. Richtig vielversprechend sind die Reservierungen fürs Winter-Halbjahr, da haben wir mehr Anmeldungen als üblich.

MARE PIU: Wie geht das denn? Glaubt man der Presse in Deutschland, dann ist Griechenland in wenigen Tagen zahlungsunfähig, die Banken schließen und nichts geht mehr?

MIKHALIS FARSARIS: Die internationale Presse hat sicher auch einen großen Anteil an der chaotischen Situation, die hier herrscht. Vergangene Woche erschien in der FINANCIAL TIMES ein Bericht, nach dem griechische Spar-Guthaben ab einer Höhe von 8.000 Euro für außerordentliche Abgaben an den Staat herangezogen werden sollen - ein Alptraum. Selbst in Zypern wurden beim Crash vor einigen Jahren nur Konten ab einer Höhe von 100.000 Euro belastet. Die mussten einfach über Nacht die Hälfte ihrer Guthaben an den Staat abgeben.

MARE PIU: Das verstehe ich nicht. Die Stimmung hier in Agios Nikolaos ist doch gut. Augenscheinlich ist doch alles wie immer?

MIKHALIS FARSARIS: Ist es ja auch. Eigentlich leben wir seit fünf Jahren mit dem Gefühl, dass der Bankrott unserer Banken und unseres Staates jederzeit möglich ist. Bereits 2010 war der griechische Staat de facto Pleite. Alle wussten das. Aber vor allem die Verantwortlichen in der EU wollten dies nicht wahrhaben und ließen nicht zu, dass der damalige Präsident Papandreu damals den aus heutiger Sicht klügeren Weg eines griechischen Staatsbankrotts einschlug. Stattdessen: viele Hilfsgelder, für die wir dankbar waren. Und die Troika.

MARE PIU: Und wieso sind die Menschen in Agios Nikolaos angesichts dessen, was bevorsteht, dann so ruhig?

MIKHALIS FARSARIS: Im Wissen um das, was kommen kann, haben die meisten Zuhause Reserven an Bargeld aufgebaut. "Pocket Money". In Euro. Soweit es ging, wurden Spar-Guthaben aus den Banken heraus "ins Kopfkissen" verlagert. Deshalb wird auch im Fall einer Bankenpleite alles weitergehen. Solange jemand, der ein Brot kauft, bar bezahlen, wird es nicht so übel. Schlimm wird es für die, die keine Reserven aufgebaut und keine Angehörigen haben.


MARE PIU: Schlägt denn die Begrenzung der täglichen Abhebung auf maximal 60 Euro nicht heute schon richtig durch?

MIKHALIS FARSARIS: Eigentlich nicht. Man geht halt täglich an den Bankautomaten und holt sich 60 Euro. Das macht 1.800 Euro im Monat: Das ist in Griechenland eine ganze Menge Geld... und es reicht in jedem Fall zum Leben. Richtig Probleme bekommen Menschen, die keine Bankkarte haben: Pensionäre, Menschen ohne Absicherung. Diese Personen dürfen pro Woche einmal 120  Euro am Schalter persönlich abheben. Auch das ergibt 480 Euro monatlich. Problem ist aber, dass sich jeden Tag bei den Banken etwas ändert und die Situation dort auch nicht einfach ist.

MARE PIU: Die Banken haben aber doch offiziell geschlossen?

MIKHALIS FARSARIS: Das ist richtig. Offiziell sind die Mitarbeiter der Banken im Urlaub. Aber die arbeiten weiter, denn hinter den zugezogenen Vorhängen sind Millionen von Transaktionen und Überweisungen täglich durchzuführen. Es ist viel mehr als sonst.

MARE PIU: Mehr Überweisungen kurz vor dem wirtschaftlichem Kollaps?

MIKHALIS FARSARIS: Das ist das Problem - und jedes Unternehmen, jeder Grieche und jede Griechin hat es: Keiner will wegen des über uns schwebenden Cuts viele Euros auf dem Konto haben. Also zahlt jeder seine Rechnungen sofort. "Everybody pays like hell." Ich habe zum Beispiel heute Vormittag meine Unternehmens-Steuern für 2014 an den griechischen Staat in Höhe von 73.367 Euro in einem Rutsch überwiesen. Normalerweise können wir das in sieben Raten machen, aber ich habe es aus den genannten Gründen vorgezogen, das gleich und sofort zu tun. Nur nichts auf dem Konto liegen lassen. Und unsere Pacht für die Strände an den griechischen Staat habe ich ebenfalls gleich überwiesen. Jeder versucht, jeden sofort zu bezahlen, und was Überweisungen angeht, so schnell wie möglich anzuweisen. Der Staat profitiert davon, in diesen Tagen macht er nur eins: Geld einsammeln.

Das alles funktioniert aber nur innerhalb Griechenlands. Überweisungen auf Auslandskonten sind nicht möglich. Und das macht es für uns Unternehmen sehr, sehr schwer, denn Griechenland ist Import-, nicht Export-Nation wie Deutschland. Wir müssen importieren. Und was wir einführen, das müssen wir auch bezahlen. Aber das derzeitige Chaos bei den Banken mit täglich wechselnden Vorschriften macht es nicht leichter.

MARE PIU: Was denken Sie als Unternehmer, was wirklich insgesamt schief ging?

MIKHALIS FARSARIS: Niemals hätten wir die Schulden so anwachsen lassen dürfen, wie das jetzt passiert ist. Ich wiederhole mich: Die beste Lösung wäre gewesen, Griechenland 2010 in die Insolvenz gehen zu lassen, als Griechenland tatsächlich insolvent war. Damals wäre nur Griechenland betroffen gewesen. Aber durch die Aufkäufe der maroden griechischen Bonds durch die EZB hängt nun auch jeder Europäer mit drin. Damals wären nur die griechischen Banken pleite gegangen, heute hängt Europa mit drin. Letztlich hat die Politik, haben EZB und IWF aus dem griechischen Drama ein europäisches gemacht. Und unsere Schulden wuchsen ins Untragbare. Das andere: Die von außen verordneten Ausgaben-Kürzungen trafen viele Griechen hart, sehr hart. Griechenland musste eine Menge vom IWF verordneter Cuts auf sich nehmen. Das hat der Wirtschaft nicht gut getan. Was wir gebraucht hätten, sind Reformen, die Geld in die Wirtschaft bringen und nicht abziehen.

MARE PIU: Aber was ging denn generell schief? Der europäische Grundgedanke "Wir geben Geld gegen die Einführung verbindlicher Standards": warum hat die Umsetzung hier in Griechenland nicht funktioniert? Warum konnte kein funktionierendes Steuersystem aufgebaut werden? Warum bleiben die Reichen unbesteuert bis heute?

MIKHALIS FARSARIS: So traurig das klingt: Letztlich war jeder Regierung der politische Preis dafür zu hoch - den wollte keine griechische Regierung bezahlen. Wir sind damit tatsächlich gescheitert, unser Land grundlegend zu reformieren. Das andere: Irgendwann erschöpften sich Troika und IWF im Einfordern von Maßnahmen statt echter Reformen. Die Angst in den Geberländern begann, zu überwiegen.

MARE PIU: Können Sie ein Beispiel geben?

MIKHALIS FARSARIS: Zuletzt verlangte der IWF die Besteuerung der Tourismus-Unternehmen hier auf Kreta mit einem Schlag von 6,5% auf 23% zu erhöhen. Dies ist keine Reform, dies ist eine harte Maßnahme, die die wirtschaftliche Initiative auf der Insel im Zweifel eher abwürgt statt forciert. Das kann nicht gut gehen. Maßnahmen wie diese machten die Menschen richtig wütend.

MARE PIU: Und was lief am vergangenen Sonntag beim Referendum verkehrt? Wie kam es dazu, dass hier in Agios Nikolaos und in Heraklion tatsächlich mehr Menschen als im nationalen Durchschnitt mit "Nein" stimmten?

MIKHALIS FARSARIS: Auch dies ist vielschichtig. Da war einerseits die berechtigte Wut der Menschen hier über die Ausgabenkürzungen, deren Folgen jeder zu spüren bekam. Das Zweite: Unsere Regierung ließ uns unfairer Weise nicht über die GRIECHISCHEN Reformvorschläge abstimmen; sondern über die der Geberländer, die zudem vom Tisch waren. 
Das Dritte: Unsere Regierung erklärte uns: "Yes": das wäre nichts anderes als "to live as Europe's slave". Ein "Nein" wäre gleichbedeutend mit "Wir verhandeln in Würde. Und kommen innerhalb 48 Stunden mit Europa zu einer Einigung." Das haben die Leute geglaubt. 
Den letzten, fatalen Ausschlag gaben dann aber die Stimmen europäischer Politiker, die den Griechen im Falle eines "Nein" mit einem Ausscheiden aus Euro und Europa drohten. Das löste bei den meisten genau den gegenteiligen Effekt aus: Trotz. Und Ablehnung. Eben ein griechisches "Nein". Die letzte Woche: das war hier in Griechenland wie nach 1945, es war Bürgerkrieg. Wer "Ja" sagte, war fast Verräter.

MARE PIU: Und was wird jetzt passieren? Wie wird es weitergehen?

MIKHALIS FARSARIS: Da habe ich zwei Optionen im Kopf. Die erste ist schlimm. Die zweite ist bestenfalls ungewiss. 
Die erste: Es gibt langfristig keine Einigung. Wir fliegen aus dem Euro. Griechenland wird Venezuela: trotz vieler Assets (Griechenland ist ja nicht arm) bleiben die Regale der Supermärkte leer. Wir bekommen einen "Commandante" als Regierungschef.
Die zweite: Wir bekommen parallele Währungen. Es ist unklar, wie das mit den Transaktionen auf internationaler Ebene dann laufen soll. Und es weiß keiner, wohin das führen wird. Aber letztlich, ob so oder so: Wir werden überleben, ob mit, ob ohne Euro. Es wird weitergehen.



                           Wer mehr über die MARINA AGIOS NIKOLAOS auf Kreta erfahren möchte, wo ich                        mit LEVJE derzeit liege: Hier klicken.
       
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Vom Autor von MARE PIU: 

Ein Mann verliert seinen Job.
Aber statt zu resignieren, begibt er sich einfach auf sein kleines Segelboot.
Und reist in fünf Monaten: Von München nach Antalya.

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