Donnerstag, 9. Juli 2015

Heute in Griechenland (3): Warum Despina kein Geld von mir annimmt.


"Medikamente, Lebensmittel, Gas und Öl - vielen Griechen fehlt es schon jetzt am Nötigsten. Über eine humanitäre Katastrophe will kaum ein Spitzenpolitiker reden, doch intern und bei Hilfsorganisationen werden schon Szenarien durchgespielt", schreibt SPIEGEL ONLINE heute abend auf seiner Titelseite. Zeilen wie diese legen den Schluß nahe, dass ein Land am Abgrund steht. Ich bin hier, um nachzusehen.

Heraklion, mit fast 175.000 Einwohnern immerhin viertgrößte Stadt Griechenlands: Lange Schlangen finde ich - aber nicht vor Banken und Geldautomaten, an denen ich vorbeischlendere. Sondern vor der Kasse des archäologischen Freigeländes von Knossos, wo Mittags alle Parkplätze belegt sind. Die Schlange ist mehr als 50 Meter lang. Ich höre: Ungarisch, Italienisch, Griechisch, Französisch, Englisch, Portugiesisch, Tschechisch, Russisch. In der Warteschlange vor Minotaurus' Palast scheint Europa wunderbar zu funktionieren.

Nachmittags im CARREFOUR-Supermarkt: Es ist nicht viel los - ist ja auch Nachmittag. Fehlen - siehe oben - tut in den Regalen eigentlich nichts. Niemand verdächtigt mich der Hamsterei, als ich - ganz Segler beim Aufbruch - einen Berg Mineralwasser zur Kasse schiebe, getoppt von einem Hügel Tomatenkonserven und Sardinendosen. Nein, in Hamsterstimmung aus Furcht vor dem Zusammenbruch ist hier auf Kreta auch kaum jemand. Ein griechisches Pärchen am prall gefüllten Käseregal, das sich irgendwie fürs Abendessen nicht entscheiden kann. 

Keine Krise? Alles nur Medien-Fake? Es fällt mir jedenfalls schwer, hier auf Kreta Krisenstimmung zu entdecken. Die zwei Wirte, mit denen ich sprach, sind zufrieden mit dem Geschäft in diesem Sommer bisher. Der Autoverleiher von SIXT auch. Der grinst, als ich ihn auf die westlichen Medien anspreche. Ja, das würde er auch lesen. Und sich wundern. 
Kann es sein, dass ein Land, das nur Tage vor dem großen Kollaps steht, so entspannt ist? Griechen, die in Kaffees ihren Frappé schlürfen? Ältere Dämchen, die gemächlichen Schrittes ihr Hündchen Gassi führen? Es passt alles nicht ins Bild des Landes, dessen Banken nur noch einen Hauch von der Insolvenz entfernt sind.



Fast schon denke ich, im falschen Land zu sein, so wie der Mann, der nach Brasilien wollte und dafür extra Spanisch paukte, nur um festzustellen: dass man das überall in Südamerika, nur in Brasilien nicht gebrauchen kann. Irrtum, denke ich also. Bis ich ins Museum von Heraklion gehe. 
An der Kasse des Museums will ich meinen Rucksack abgeben, aber man weist mich ein paar Schritte weiter, um das Museum herum, am Caffee vorbei. Und dort sitzt: Despina, Mitte 40, im Freien vor einem Blechregal mit zwei Koffern. Freundlich nimmt sie meinen Rucksack, ich frage, ob der bei ihr auch sicher sei, schließlich sei mein Computer drin, "ohne" sei ich wertlos. Despina, offensichtlich halbseitig gelähmt, lächelt und sagt in gebrochenem Englisch, ich solle mir keine Sorgen machen, der Rucksack sei sicher bei ihr. Mühevoll malt sie eine "Sechs" auf einen kleinen gelben Zettel, den solle ich nur ja wieder mitbringen. Und weil mir Despina das sagt, drum gebe ich den gelben Zettel mit der Sechs die Stunden, die ich im Museum verbringe, nicht mehr aus der Hand. 
Als ich zu Despina zurückkehre, sitzt sie immer noch im Freien vor dem Blechregal, in dem einsam mein schwarzer Rucksack liegt. Artig zeige ich meine "Sechs", Despina händigt mir meinen Rucksack aus, ohne etwas dafür zu verlangen. Also greife ich in meine Tasche, will ihre Mühe vergelten. Aber Despina lehnt energisch ab. Nein nein, das ginge nicht. Nein, wirklich nicht.
Fast schon will ich gehen, da greife ich zu einer kleinen List, damit sie, die es sicher brauchen kann, doch noch etwas von mir annimmt: Ich gehe zurück und bitte sie, doch das Wenige anzunehmen und einem Menschen zu geben, den sie kenne und der gerade in Not sei. Wieder schüttelt Despina ihr Haupt: Das ginge nicht. Das dürfe sie nicht. Und lehnt entschlossen ab.

Belassen wir es bei dieser Geschichte von der aufrechten Despina. 

PS:
Ins Museum ging ich eigentlich nur wegen des Stier-Reliefs auf dem Foto oben. Es erschien vergangenes Wochenende in der SÜDDEUTSCHEN mit dem Hinweis, der Tourismus auf Kreta sei stark zurückgegangen seit Ausbruch der Krise. 
Das Stier-Relief fand ich im Museum. Als ich hinkam, war es umlagert von etwa 30 Chinesen. Die nächste Reisegruppe dahinter wartete bereits...

_________________________________________________________________________________

_________________________________________________________________________________

Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.

                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

_________________________________________________________________________________


Wer keinen Post von Mare Piu versäumen und  jeden neuen Artikel gleich bei       


                             Erscheinen erhalten will: 
                             1. Einfach E-Mail-Adresse oben rechts bei "News & neue Artikel... eintragen". 
                             2. Bestätigungsmail von FEEDBURNER abwarten.
                             3. Den Link im FEEDBURNER-Mail einfach anklicken. Fertig.

Ich freue mich, wenn Sie unten auf "Tolle Geschichte.." klicken. Dann weiß ich, ob Ihnen diese Geschichte gefallen hat.




1 Kommentar:

  1. Es ist eine eigenartige, aber gleichzeitig schöne Geschichte. Ich bin auch der Typ, der gern Bedürftigen Etwas geben möchte und man ist dann richtig vor den Kopf geschlagen, wenn Derjenige nicht annimmt (war bei mir super-selten der Fall - bisher). Wenn sich aber Jemand so kategorisch wehrt, wäre mir auch nichts weiter eingefallen.
    Was eigenartig ist, sind doch die prall gefüllten Geschäfte und die Mentalität, mit der die Griechen leben.

    LG Sabine

    AntwortenLöschen