Seit Mitte Mai bin ich von Sizilien aus unterwegs,
um einhand für mein neues Buchprojekt um die Westküste Europas
bis in die Bretagne zu segeln.
Fast bis Ende Juli war ich in Portugal unterwegs, bevor ich Spaniens Nordküste erreichte.
Kap Finisterre. Das Ende der Welt. Es gibt viele Kaps in vielen Sprachen, die diesen Namen tragen.
Meine Reise entlang Portugals Küste bis Mitte Juli war klimatisch so ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte mit vielem gerechnet. Hitze. Hohe Wellen. Starkwind und gleißendes Licht. Stattdessen war ich meist bei Windstille unterwegs. Und in Dunst und diesiger Sicht. Selbst den Portugiesen war ihr Wetter nicht geheuer: Seit Mai war kaum ein Sommertag, wie sie es eigentlich gewohnt waren.
In Nordspanien war das Wetter nicht anders. Im Gegenteil. Die Grenze, die Portugal von Nordspanien trennt, war nicht erkennbar. Nördlich von Vigo, am Kap Finisterre, das spanisch Cabo Fisterra heißt und Spaniens äußerster westlichster Zipfel ist, steuerte ich stundenlang durch dichten Nebel. Galizien, Spaniens regenreichste Ecke, hieß mich willkommen. Fahren war nur mit Radar möglich. Es sah, was ich nicht sehen konnte. Das Kap vor mir. Und ein Boot, das wenige 100 Meter im Nebel verborgen mich begleitete. Ich sah es nicht, doch es wich nicht, wie ein treuer Hund. Nach einer halben Stunde wurde es mir unheimlich, wie es einem unheimlich ist, wenn man eine Grenze überschritten hat. Ob es in Nordspanien Piraten gab? Das Boot blieb mein Radarschatten, es folgte mir. Als für einen kurzen Moment der Nebel aufriss, sah ich, dass es ein Segler war, der wie ich auf Cabo Fisterra zuhielt.
Das Kap selbst fand ich nur auf dem Radar: Eine gelb geriffelte Linie, die das Auge des Radars sah und auf den Bildschirm zeichnete, auf die ich zuhielt. Als ich näherkam eine Handvoll Felsen, die aus dem Nebel hervor wie Gespenster lugten.
Wie so oft am Abend, lichtete sich der Küstennebel. Ich erreichte die Bucht von Camarinhos, ein traumhafter Platz, geschützt vor einem Sandstrand.
Am Morgen lag dichter Nebel über der Bucht. Kein Geräusch war von der noch am Abend lebhaften Kleinstadt am Ufer zu hören. Keine Lärm aus dem Hafen. Oder vom Volksfetsplatz. Alles war still, als wäre die Welt nicht nur in Nebel, sondern dick in Watte gehüllt.
Nur die Sonne war zu sehen, die an diesem Morgen irgendwo über den Wolken auf Levjes taunasses Deck schien. Taubehangene Spinnweben am Seezaun. Als wäre ich im September in meiner Heimat in Bayern unterwegs. Doch dies hier war zweifellos Spanien. Ich hatte es anders erwartet.
Als ich Camarinos am nächsten Mittag verließ, wurde das Wetter schlechter. Der Nebel verschwand nach kurzer Aufheiterung, Regenwolken zogen von Nordwesten heran. Der Himmel verdüsterte sich, die Sicht verringerte sich. Am späten Nachmittag zog ich mir Seestiefel und Regenjacke an. Feiner Nieselregen setzte ein, der englischen Herbstregen glich, während der Regenwind Levje weiter nach Nordosten Richtung A Coruna trieb, auf ein großes Bauwerk zu, das ich schon von weitem durch den Niesel sah. Und das irgendwie drohend im Grau aussah.
Es war Abend, als ich die Stadt erreichte. Genauer gesagt: Ich sah ihre Silhouette querab. Erst die Hochhäuser. Dann im Inneren einer Bucht den langen, nach Norden zugewandten Sandstrand. Und dann eine vorgelagerte einsame Insel, auf der jener riesige Turm stand, den ich seit Stunden vor mir durch den Nieselregen gesehen hatte.
Erst in den folgenden Tagen sollte ich ihn bei Tageslicht sehen. Und herausfinden, dass es der älteste Leuchtturm der Welt war, der noch in Betrieb war. Ich sollte herausfinden, dass der "Torre de Hercules" Corunas Wahrzeichen war. Die Römer hatten den Turm errichtet, wenige Jahre, nachdem
im Osten ein Mann namens Jesus von Nazareth hingerichtet worden war. Davon wusste vermutlich im römischen Brigantium - so hieß die kleine Hafenstadt an der inneren Bucht - kaum jemand. Auch der Architekt nicht, den man mit dem Bau beauftragt hatte, Gaius Sevius Lupus. Er stammte aus Aeminium, dem portugiesischen Coimbra, und ließ in den 65 Meter hohen Bau alle Bau-Raffinesse seiner Zeit mit einfließen. Nicht ein einziger Turm sollte es werden, um dem Bauwerk Stabilität zu geben. Sondern an diesem extremen geografischen Punkt der römischen Welt, an der der Schiffsverkehr aus Gibraltar nach Britannien und zu den Rhein-Provinzen verlief, sollte etwas Dauerhaftes entstehen. Zwei Türme ersann der Architekt, beide von quadratischem Grundriss, doch ineinander gesteckt. Und verbunden durch eine Rampe, die zwischen dem Inneren und dem Äußeren Turm nach oben lief und die zugleich ähnlich einer Treppe als stufenloser Weg nach oben führte.
Man weiß nicht, wieviele Sklaven nötig waren, wie lange sie schufteten, um das gigantische Bauwerk fertigzustellen. Roms Wirtschaft war eine Sklavenwirtschaft, die fortwährenden Kriege an den Grenzen spülten immer neue Sklaven ins Reich. Sie waren in Hülle und Fülle vorhanden. Ihre Geschichte kennt man nicht.
Heute führt der Weg über normale Treppen nach oben, von der früheren Rampe, die nach oben führte, haben die Jahrhunderte nichts übrig gelassen. Doch das Licht des römischen Leuchtturms, das ist noch vorhanden. Eine überdimensionale Öllampe, groß wie ein Wagenrad, die man bei Ausgrabungen
vor ein paar Jahren entdeckte. Ein Stein wie ein Mühlstein. Eine Mulde in der Mitte, deren Öl die Lichtquelle war und die über einen großen Hohlspiegel aus der Turmkammer nach draußen geleitet wurde. Versuche von Studenten ergaben, dass das Licht auf eine Distanz von 10 Seemeilen gut sichtbar war. Dass man hier derartigen Aufwand hatte einen guten Grund: Eine Seekarte im Museum des Torre de Hercules zeigt hunderte von Wracks, die unmittelbar vor den Kaps Galiziens liegen. Schon die Römer müssen die Verluste gespürt haben, die an dieser wilden Küste entstanden.
Nach den Römern verfiel das Gebäude. Weder die Germanenstämme, Sueben und Westgoten, die nach den Römern kamen, noch die Mauren hatten die Kraft oder das Interesse, den Turm instand zu halten. Die Schifffahrt, wie die Römer sie gekannt hatten, Massengütertransport und Massentransportweg für Waren, neue Ideen und Religionen: Diese Art von Schifffahrt brach zusammen. Was sich danach an Seefahrt erhielt, blieb für 1.000 Jahre das gefahrvolle Geschäft einzelner. Bis man sich im Zeitalter der Entdeckungsfahrten auch am Kap wieder an den Turm der Römer als Leuchtturm erinnerte. Und gelegentlich nachts einen eisernen Korb mit brennenden Kohlen an die Turmspitze hängte.
Das Bauwerk verfiel. Der Außenturm wurde als Steinbruch genutzt fürs nahe Coruna, seine Kirchen, seine Festungen. Erst mit Napoleon kam das Interesse an einem Leuchtturm wieder in die Welt. Und seither ist das Licht auf dem Torre de Hercules nicht mehr erloschen. Allen Nebeln zum Trotz.
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