Montag, 18. Juli 2016

Einhand um Sizilien. Im Gewitter.




Sciacca, an der Südküste Siziliens gelegen, sollte auf meiner Reise zu einem besonderen Highlight werden.

Aber davon ahnte ich nichts, als ich am Morgen den Hafen von Porto Empedocle verließ und gen Nordwesten motorte. Der Tag hielt anderes für mich bereit.

Er begann mit schwachem Wind. Erst am späten Nachmittag gewann er an Kraft und ließ sich blicken. Aber er kam nicht allein: Am Nachmittag zeigten sich über der nahen Küste im Norden Gewitterwolken. Es begann harmlos. Das Gewitter stand nordnordöstlich von uns, bei vorherrschendem Nordwest sollte es also einfach nördlich an uns vorbeiziehen.

Tat es aber nicht. Es blieb zuerst, wo es war. Und erfreulicherweise nahm der Wind weiter zu, drehte jetzt und kam aus dem Gewitter heraus. Halber Wind also. Und schnelle Fahrt. Das wichtigste am Gewitter ist immer wieder, Klarheit über seine Zugbahn zu bekommen. Wohin zieht es? Liegen wir "genau auf dem Weg"? Oder zieht es an uns vorbei? Oder hat das alles gar nichts mit uns zu tun? Weil das Gewitter fernab seiner Wege geht.

Um das zu bestimmen, gibt es verschiedene Methoden:

1. Das Gewitter beobachten.
2. Im Internet verfolgen, in welcher Richtung sich das Gewitter entwickelt.

Wir hatten dazu in unserem Buch "Gewittersegeln" verschiedene Webseiten vorgestellt, die in Echtzeit die Blitzentwicklung darstellen. Anhand der Echtzeit-Darstellung erkennt man am unterschiedlichen "Alter" der Blitze, wo ein Gewitter entsteht. Wohin es gerade zieht.

Mein Rätselraten, wohin das Gewitter zog, hatte nach einem Blick ins Internet also ein Ende. Es bewegte sich - erstaunlicherweise - nicht mit dem Wind von Nordwest, sondern genau in entgegengesetzter Richtung. Von Südost nach Westnordwest - und damit im spitzen Winkel genau auf uns zu. Irgendwo dort vorne, 10 oder 20 Kilometer weiter, bei dem Ort Sciacca, würde es entweder vor uns durchgehen. Oder uns erreichen.

Ich beschloss, alles auszureffen, um mal zu sehen: Wer kommt schneller an in im Hafen von Sciacca: Das Gewitter? Oder LEVJE und ich?

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Was wirklich im Gewitter passiert - 
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Im Buch Gewittersegeln haben wir dargestellt, dass man Gewitter nicht "umsegeln" kann. Und kurz gesagt: Einem Gewitter "davonsegeln" klappt auch nicht. Es zieht schneller, als wir segeln. Vorausgesetzt, es entwickelt sich nicht (was gelegentlich vorkommt) orografisch über einem bestimmten Punkt, einem hohen Berg. Oder einem Gebirgszug. Und bleibt dort stehen einen ganzen Nachmittag, bis es zur vollen "Blüte" kommt.

Mein Gewitter tat derlei nicht. Es zog gemächlich weiter in spitzem Winkel zu unserem Kurs. Der Wind nahm zu, aber da er genau von querab kam, aus dem Gewitter heraus wehte, war es herrliches Segeln.

Noch eineinhalb Stunden bis Sciacca.
10 Seemeilen. Der Himmel wurde im Norden düsterer, das dunkle Bleigrau breitete sich immer weiter aus am Nordhimmel, wo es doch vorher nur einen Viertel des Himmels über der Küste eingenommen hatte. Kein gutes Zeichen. LEVJE spurtete, auf der Seite liegend, durch die kleinen Wellen dem Hafen von Sciacca zu.

Noch eine Stunde bis Sciacca.
Sechs Seemeilen. Der Wind, der heraus wehte aus dem Gewitter, hatte jetzt auf 5- 6 bft. zugenommen. Er wehte aber stabil und sehr beständig aus dem Unwetter heraus. Seine Temperatur hatte abgenommen, der Himmel nördlich und nordwestlich von mir hatte von hellem graublau in dunkles Bleiblaugrau gewechselt. Weder sah noch hörte ich Blitze, was mir Mut machte, dass es so schlimm nicht werden würde. Natürlich beschäftigte mich bei diesem Spielchen die Frage: Wann müsste ich reffen? Wann könnte ich es mir zeitlich leisten, zu reffen?

Es war wie eine Regatta. Nur keine Zeit verschwenden mit Korrekturen der Segelfläche. Lieber mit voller Lage und hohem Ruderdruck weiterpreschen auf Sciacca zu, denn fünf Minuten Zeitverlust wegen Reffen könnten dafür sorgen, dass ich meinen Anleger im Hafen im Platzregen fahren würde. Oder wegen einsetzenden Starkregens und schlechter Sicht gar nicht den Hafen ansteuern und das Gewitter vor dem Hafen kreuzend abwettern müsste. Ich entschied mich dafür, obwohl zu viel Tuch drauf war, vorerst nicht zu reffen. Aber ich müsste höllisch aufpassen, um frühzeitig auf dem Wasser im Norden und Voraus die ersten Gewitterböen zu erkennen. Und in ihrer Stärke richtig einzuschätzen. Und genau im richtigen Moment die Segelfläche zu kürzen. Oder die Segel ganz einzuholen. Die Regatta gegen das Gewitter ging also weiter.

Eine halbe Stunde bis Sciacca.
Das Gewitter war nun ganz nah und bedeckte den Himmel nördlich von uns vollständig. Ich war noch etwa zwei, drei Seemeilen von der Küste entfernt - die richtige Distanz, damit der Wind keine Welle aufbauen konnte. Blitze sah ich keine,  Donner war nicht zu hören - was trügerisch war. Denn im Internet sah ich, wie sich "jüngere" Blitze weiter Richtung Sciacca entwickelten und Kurs darauf zu hielten. Genau wie LEVJE und ich. Der schwarze Himmel war jetzt ganz nah. Ich beobachtete das Wetter unablässig, ich schenkte der dunklen Front mehr Aufmerksamkeit als Segel und Boot. Ein erstes Warnzeichen: Ein kurzer Schlauch, der genau nördlich aus einer dunklen Wolke zu ragen begann, Wolkenfetzen, die um den Stummelschlauch aus der Wolke herumwehten. Eine Windhose in der Entstehung? Ich wartete drauf, wie sich der Schlauch, das Kreiseln weiter entwickeln würde; ob der Rüssel sich bis zur Wasseroberfläche aufbauen würde. Aber das Kreiseln um den Schlauch verebte, plötzlich war der Rüssel weg. Und nur noch seine Mutter, die grauschwarze Wolke war da.



Die Distanz zur Gewitterfront war jetzt nur noch gering - es ist immer schlecht zu schätzen, wie groß die Distanz denn nun wirklich exakt ist. Nordwestlich vor mir ein kleines Schiff, das kleine, weiße Boot eines Fischers, verloren in der Weite, das ebenfalls auf die Hafeneinfahrt von Sciacca zustrebte, allerdings eng unter der Küste. Plötzlich - gerade eine Viertelstunde vor der Hafeneinfahrt - aufgeworfene Schaumkronen zwischen dem kleinen Fischer und mir, ein Moment, in dem ich ihn aus den Augen verlor, weil ich mich auf die Windböen konzentrierte, die nun von Norden - finalmente - heranrollten. Zeit, endlich den Bug in den Wind zu stellen. Zeit, blitzschnell alle Schoten und Fallen loszuwerfen. Zeit, zuerst die knatternde Genua, dann das Groß zu bergen. Zeit, sich geschlagen zu geben. Im Rennen mit dem Gewitter zum Hafen von Sciacca.



Denn die Regatta gegen das Gewitter: Die hatte ich verloren. Es begann, über dem Hafen von Sciacca zu regnen, ich sah die Blitze voraus im Westen. Das Gewitter: es hatte die Ziellinie als erstes und eine Viertelstunde vor mir passiert. Ich hielt den Bug einige Zeit im Wind, motorte mit langsamer Fahrt. Und lief im regennassen Sciacca eine halbe Stunde später ein. Glück gehabt.








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