Mittwoch, 6. Juli 2016

Einhand um Sizilien, Teil II. Der Südwesten. Licata. San Leone. Agrigento. Porto Empedocle.

In lockerer Reihenfolge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 
Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER.



Das nautische Sizilien hat viele Gesichter. Nicht jedes davon ist schön.

Von Malta nach Licata auf Sizilien zurückgekehrt, hält es mich nicht im Hafen. Zwar dauert es einen Tag, bis ich wieder von maltesischem auf italienisches Internet umgestellt habe (schon merkwürdig: einen Tag 'frisst' die Internet-Organisation beim Grenzübertritt immer. Warum eigentlich?), aber danach: Nichts wie raus. Zwar fegt der Wind aus Nordwest die Küste entlang, aber am Ende siegt die Unvernunft: Ich lege am frühen Nachmittag ab. Reffe noch im Hafen aufs zweite Reff. Und dann: Los gehts!

Aber Hand aufs Herz: Das zu machen ist wirklich reine Unvernunft.
Erstens wehen draußen 6bft.
Zweitens genau die Küste entlang. Und von dort, wo ich doch hin will.
Drittens wäre der nächste Hafen San Leone (Agrigento). Was ganz ohne aufkreuzen schon fünf Stunden entfernt wäre.
Viertens käme ich mit Aufkreuzen frühestens neun Uhr Abends an.
Fünftens: ... ach was soll's.

Also gehe ich raus. Lasse LEVJE hoch am Wind laufen, um auszuprobieren, wie sie sich so verhält. Es herrscht ziemlich Seegang. Wellen, die dumpf dröhnend an LEVJE's Bordwand brechen. Im Nu bin ich nass vom überkommenden Wasser - aber trotzdem macht das alles Riesen-Spaß. Eineinhalb Stunden lasse ich LEVJE hinauslaufen ins große Blau, hinüber nach Malta wäre heute ein echtes Vergnügen mit halbem Wind. Aber da bin ich ja gestern erst herüber motort. Grundregel für Malta scheint zu sein wie folgt: Hinüber? Einfach. Retour? Schwierig.



Als ich meinen Wendepunkt erreiche und meine erste Wende hingelegt habe, stelle ich fest, dass wir auf die Strecke nur wenige Seemeilen nach Nordwest gutgemacht haben. Wind, vor allem Welle ist zu stark, die Abdrift ist zu groß. Es dürfte also Mitternacht werden, bis ich San Leone erreiche. Nein, das lassen wir lieber. Ich falle ab. Mit halbem Wind spurtet LEVJE zurück Richtung Hafen Licata, dass es reine Freude ist. Das bräuchte ich mal an dieser Küste: 5 bft. aus Südsüdwest, um mit halbem Wind Richtung Westspitze Siziliens zu schießen. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Der Nordwest: Er ist und bleibt an der Südküste Siziliens in den Sommermonaten der bestimmende Faktor. Weil mich der Hafen nicht lockt, ankere ich in dessen Lee, draußen, allein, auf Reede. Und über mir entfaltet sich die ganze Pracht eines sizilischen Abendhimmels, für die ich sonst wie weit laufen würde. Und die mich noch öfter beschäftigen wird.



Natürlich herrscht am nächsten Tag Windstille. Nix geht. Ich motore also brav die fünf Stunden nach Westnordwest, vorbei am Castello di Montechiaro, das irgendwie irisch von seinem Felsen herunter grüßt. Nördlich davon dreht die Küste nach Nord am Capo Finanza - heißt wirklich so. Kostet auch nix, dran vorbeizusegeln.

Es ist später Nachmittag, als ich San Leone erreiche. Ein moderner Sportboothafen, scheint es. Meine Seekarte auf dem iPAD zeigt in NAVIONICS im und vor dem Hafen ein Dreieck mit Ausrufezeichen. Als ich drauf klicke, erhalte ich den dürren Hinweis "Caution Area". Und: "See Sailing Directions".  Etwas kryptisch. Die Einfahrt zwischen den beiden Steinmolen ist breit. Sieht gut aus. Angler sitzen friedlich auf den Molen. Halten ihre Ruten ins Wasser. Sizilischer Spätnachmittagsfrieden, denke ich. Und schon im ersten Anlauf auf die breite Zufahrt: Rrrrrumms! LEVJE ist genau in der Hafeneinfahrt auf Grund gelaufen. Irgendwas Hartes, Steinernes. Dabei liegt keine Markierung aus. Keine Boje zeigt Gefahr an. Und während ich mit meinen fast vier Tonnen Schiff fluchend auf Grund sitze: Tun die Angler am Ufer keinen Mux. Und starren weiter konzentriert auf ihre Ruten ins Wasser.

Mühselig motore ich LEVJE wieder nach hinten zurück, komme frei, während mir hundertfünfzig Meter vor mir der Hafenmeister zeigt, dass er eine Grundleine in seinem Hafen für mich hat.

Also nochmal. Langsam nähere ich mich wieder der Einfahrt. Rrrrumms. Wieder ein Knall. Wieder ein Schlag. Wieder sitzen wir fest. Gottseidank bin ich diesmal nur mit eineinhalb Knoten unterwegs gewesen, habe mich rangetastet. Aber das Ergebnis ist dasselbe. Wieder hängt LEVJE fest, obwohl sie ja nur 1,60 Tiefgang hat und nichts in der Fußballplatzbreiten Einfahrt darauf hinweist, dass hier eine Untiefe ist. Wieder fluche ich. Mehr aus Sorge um mein Schiff, das bei Derartigem ernsthaften Schaden nehmen kann. Ich stürze nach unten, zitternd vor Sorge, hebe alle Bodenplatten an. Alles trocken. Kein Wasser. Die Kielbolzen sind fest. "LEVJE, tut mir echt leid. Ich hab so Scheiße auf Dich aufgepasst..."

Von den Anglern regt sich keiner. Als wäre ich - nicht da. Auch der Hafenmeister hält nur interessiert seine Muring in der Hand. Wo komme ich hier bloß rein?

Wieder mühsam freikommen. Mein dritter Anlauf. Diesmal auf zwei Drittel nördlich. Rrrrrrumms. Zum dritten Mal aufgelaufen. Der Hafen scheint auf zwei Dritteln seiner Einfahrt unpassierbar zu sein - und niemand findet es für nötig, irgendeine Markierung auszubringen. Ich koche vor Wut, Flüche prasseln aus mir. Stünde jetzt einer vor mir...

Erst im vierten Anlauf schaffe ich - ganz an die nördliche Molenkante geklemmt - die Zufahrt. Hier hat der Hafen über drei Meter Wassertiefe. Was erstmal einer wissen muss!

"Ich sah, dass Du Probleme hattest", sagt Giovanni, der Hafenmeister, als ich nach unten stürze, um mein Schiff gründlich zu untersuchen, ob sie nicht doch irgendeinen Schaden davontrug, kaum, dass die Festmacher steif sind. Nein. Alles heile. Zart streichle ich meinem tapferen Schiff über den Mastfuß. So weit hat sie mich getragen. In die Türkei. Und von der Türkei durchs halbe Mittelmeer. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich jetzt Bruch gebaut hätte.

Doch nun Giovanni. Der ist eigentlich ein netter junger Kerl. Aber er hat das Pech, der einzige Mensch zu sein, der nun gerade vor mir steht. Erst weise ich höflich darauf hin, ob schon mal jemand daran gedacht hätte, die Untiefe mit roten Bojen zu markieren?

"Rote Bojen?" Giovanni fragt das so ungläubig, als hätte ich ihm eben vorgeschlagen, auf einem Sack Rote Beete (italienisch: "Barbabietola") den Atlantik zu überqueren.

Als er mich dann darüber informiert, dass der Hafen die Nacht 45 € kosten würde, Toiletten und Duschen aber gerade - leider! - nicht funktionieren würden, platzt mir endgültig der Kragen.

Ich möchte nicht wiedergeben, was der arme Giovanni von mir und seinem Sch...-hafen zu hören bekam. Ich warf einfach meine Leinen los, und steuerte meine arme LEVJE raus, weg von diesem Unglückshafen und diesem Unglücksraben.

Es war halb sieben geworden. Die Sonne sank. Aber eine Stunde weiter westlich lag der Hafen von Porto Empedocle, der Industriehafen von Agrigento. DA MUSSTE zumindest die Hafeneinfahrt frei sein. Und irgendein Eckchen würde ich da schon finden, irgendwo in der Dämmerung zwischen Frachtern und Fischern. Als wollte ich wieder etwas gut machen, motorte ich  LEVJE ganz sacht in die untergehende Sonne. Und gerade, als die Sonne hinter den Bergen versank, liefen wir hinein in den weiten Industriehafen. Drehten langsam eine weite Kurve, dorthin, wo hinter zwei Molenstücken der enge innere Stadthafen mit der Fährpier lag.



Kein schlechtes Hilfsmittel für die erste Orientierung in italienischen Häfen bietet die Website www.cruiserswiki.org. Doch von den über 100 Liegeplätzen, die mir die Seite für Porto Empedocle versprochen hatte, war so gut wie nichts zu erkennen. Eine Telefonnummer war angegeben, von Giuseppe Filippi, dem Hafenmeister. Aber der ging nicht ran. Langsam drehte ich auf die Stege in der Nordwest-Ecke zu.



Da winkte ein Mann, hielt eine Grundleine in der Hand. Es war Giuseppe, mit dem zusammen ich LEVJE in einem Winkel seines Steges vertäute, während sich über mir der sizilische Abendhimmel in ganzer Pracht entfaltete. Ein Feuerwerk von Abendröte am Himmel, während gerade die Fähre aus Malta in den Innenhafen gleitet und wenige Meter vor LEVJE dreht, um kunstvoll auf engem Raum ihren Rückwärtsanleger zu vollführen.

Das nautische Sizilien: Es hat viele Gesichter. Nicht jedes davon ist schön. Aber viele.







Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015













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