Samstag, 28. Mai 2016

Einhand um Malta (III): Entlang an den Dingli-Cliffs.





Man kennt das. Die Westküsten von Inseln haben oft drei Dinge gemeinsam: Vom Wasser aus sind sie felsig.
Steil.
Und langweilig.
Das gilt für Capraia wie für Lefkas im Ionischen Meer wie für Symi in der türkischen Ägäis. Locken kann das nur, wenn es gleich steil auf über 100 Meter ansteigt wie in Irland, in den Cliffs of Moher - unvergesslich.

Also war auch für mich die Entscheidung nicht einfach. Der Blick in die Seekarte verhieß genau obiges. Und obendrein kaum eine Bucht (nur im äußersten Nordwesten eine Handvoll), kein Ort,
nichts, nirgendwo. Hinzu kam der vorhergesagte Südost mit 4-5 bft. Ideal um im Osten hochzugehen, mit schöner Brise auflandig. Im Westen? Ablandig? Böig und unstet? Geh' ich linksrum? Geh ich rechtsrum?

Wer weiß: Wenn ich mich nicht so vollmundig hier auf diesen Seiten zur "Umsegelung Maltas" vergattert hätte: Ich wäre die Ostseite, an der Valetta und die großen Orte liegen, wieder zurückgesegelt. Ich tat es nicht. Sondern fuhr unter Segeln aus Maltas südlichstem Hafen Marsaxlokk (gesprochen: Marsa:hschlokk), Malta's Industrieviertel, wie es scheint, an den Containerfrachtern vorbei hinaus gen Westen. Und die Westküste zeigte sich erstmal wie angenommen. Felsig. Steil. Und etwas langweilig.



Der Wind brachte Spannung in die Sache. Hätte ich das für diesen Tag verinnerlicht, wäre es einfacher geworden. Er blies brav aus Südost. Wehte dann noch braver genau die Küste entlang, folgte ihr dann brav, selbst als sie nach Norden schwenkte. Frischte brav auf, was dann LEVJE unter Schmetterlingssegeln zu immerhin sportiven acht Knoten trieb. Mir wars zuviel. Ich drehte bei. Reffte zumindest das Groß. Und stellte dabei fest, dass es mit guten 18-24 Knoten blies. Flotte Fahrt, mit dem Wind.

Es waren die Gesteinsformationen, die ab der Mitte mehr und mehr meinen Blick auf sich zogen, als ich nah an ihnen vorüber segelte. Turmhohe Kanzeln, wie aus einem Block gehauen. Grotten und Höhlen. Tief eingeschnittene Kerben, Kare und Schluchten.

Und plötzlich wurde meine Reise nach Norden zu einer sonntäglichen Passeggiata. Einem Spaziergang unter Segeln entlang an Erdzeitaltern, entlang an dem, was man Ewigkeit nennt. Ich bin kein Geologe. Ich habe von Gestein nun wirklich nicht die geringste Ahnung. Sich an den Schichten entlang bewegen, die aus dem Meer aufgestiegen sind und die das Meer freigelegt hat wie das Messer eines Chirurgen, machte mich still. Und staunen.



Und was war nun zuerst? Die dicke Schicht Kalkstein, die irgendein fernes Meer hinterließ aus seinen Sedimenten? Wie ist das: 10 Jahre Sedimente = 1/100stel Millimeter Kalksteindicke? Wie lange braucht es dann, um Sedimente in dieser Dicke aufzutürmen?
Die dünne Schicht Kalkplatten oben darüber? Wann ist das entstanden? Kenne ich die Anzahl von Nullen, die die Jahreszahl haben muss, "vor unserer Zeitrechnung"?



Das schwarze Gestein auf Meereslinie ganz rechts? Riesige Brocken, vielleicht Basalt, ausgespien in der gewaltigen Vernichtung irgendeines Vulkanausbruchs, ergossen glühend aus dem Erdinneren und langsam abgekühlt.
Oder die Schichten hellen feinen Sandes, angeweht, zu einem Hügel aufgetürmt. Wie lange musste der Wind Sand herüber tragen aus den Wüsten Afrikas? Welche Art von Trockenheit, Jahr-Hunderttausendelang, ist notwendig, um einen Sandberg, Sandschichten wie die im Foto zu erschaffen? Und die unter dem Druck, dem Gewicht darüber liegender weiterer Gesteinsschichten zu festem Sandstein zu verpressen, luftdicht, dauerfeucht zu verbacken? Sandstein, aus dem noch heute die Mauersteine heraus gesägt werden, die der Architektur der Insel ihr Gesicht, ihre Farbe geben, weil noch heute jedes Haus auf Malta daraus gebaut ist?

Was ist das für eine Schicht ganz obenauf, rötlich, wabenartig porös, die überallem ganz zuoberst liegt? Waren es ein weiteres Mal berstende Vulkane? Oder wieder jahr-hunderttausende irgendwelche anderen Kräfte, die notwendig waren, die wabenartige rote Schicht zu formen, oben am Grat, von der Trümmer in Hausgröße abbrachen und zum Meer hinunterrutschten?




Vom Land aus ist diese geheime Welt kaum sichtbar. Man muss schon hierher ans Meer kommen. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal, wenn ich hier entlangsegele und der Wind nicht gar so treibend ist, hier anzulanden. Und mir das alles genauer anzusehen. Die Formen, die Wind und Witterung und Wellen in den Sandstein hinein gehaucht, hinein gewaschen haben, sind wie Monumente. Und während ich noch darüber nachdenke, wie ich das machen könnte mit dem anlanden an dieser faszinierenden Steilküste, tauchen vor mir im Sandsteinberg zwei Höhlen auf. Die zwei Höhlen sind genau auf der Wasserlinie, mit dem Dinghi müsste das doch möglich sein, zu der einen



hinüberzurudern, die ungefähr drei Mannslängen aufragt. Ein vollkommen abgelegener Platz, den ich hier erreicht habe - hier an der Westseite Maltas kommen keine Ausflugsboote entlang, das spielt alles drüben an der Ostküste. Die Höhle, auch sie setze ich auf meine Liste für einen windstillen Tag, ich werde sie mir ansehen. Aber jetzt, während sie langsam zurückbleibt, sieht sie mich an, ein dunkles Auge, das mich aus einem fernen Zeitalter ansieht wie das Auge eines riesigen Urwelt-Haies.




So begeistert bin ich von den Farben, den Formen, die ich hier draussen finde, dass ich meinen ursprünglichen Plan aufgebe, gleich heute zurückzusegeln in die Marina von Mgarr auf Gozo. Nach dem Sandsteinberg kommt ein tiefer Einschnitt, durch den der Südost böig von den Höhen herunter- pfeifft.  Sehr einsam hier. Dann noch eine Bucht. Und weil da ein Segler drinliegt, unter dem Berg aus dem grauen Sand, gehe auch ich dorthin, und lasse meinen Anker fallen, mitten in den Formationen. Mit Folgen. Denn kaum ist die Sonne untergegangen, fegt es zunehmend in Fallböen die Hänge herunter, bis 30 Knoten um Mitternacht. Und während ich kein Auge zumache, weil LEVJE grimmig hin- und hergeschüttelt wird in den heftigen Böen, während ich Ankerwache gehe, denke ich an unsere Lieblingsbucht Tomozina auf Cres - ebenso faszinierend schön. Ebenso einsam. Und jedesmal, wenn ich dort war, tat ich nachts wegen der Fallböen kein Auge zu.

Vielleicht haben gerade diese Buchten das ja so an sich. Wer weiß.


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