"F*ck cancer go sailing" ist das Motto von Marc Naumann's Organisation SEGELREBELLEN, die es jungen, an Krebs erkrankten Erwachsenen ermöglicht, Segeln zu gehen. Mare Più begleitet ihn auf seiner Jungfernfahrt mit der Segelyacht ROXANNE. Lesen Sie auf Mare Più und auf Marc's Blog SEGELREBELLEN, wie es zugeht. Auf diesem KEIN GANZ NORMALER TÖRN. Von Marseille nach Mallorca.
Draussen nichts als grau. Das Grau sickert durch das einzige beschlagene, tropfnasse Fenster in meine klamme Kabine.. Es ist kalt. Regen schlägt in Böen draußen auf das Deck. Noch vor dem Aufwachen im Grau höre ich draussen den Mistral. Er ist hörbar, spürbar in vielerlei Formen: Heulen. Ein Pfeiffen in der Luft. Von Wanten und Stagen. Ein Krängen des Boots in den Böen. Ein Schlagen von Fallen an den Mast. Ein Knattern von Persenningen. Ein Knarzen, Quietschen von Fendern und Festmachern, wenn die ROXANNE sich an den Nachbarlieger presst. Prasselnder Regen, der aufs Deck schlägt.
Im Boot tropft es herunter, von vielerlei Stellen: Im Flur aus dem lecken Luk, unter dem sich eine Pfütze gebildet hat. Im Salon von den Fensterrahmen, an denen feuchtkalte Luft besonders schnell zu dicken Tropfen wird, die auf die Polster heruntertropfen. Vorne in der Bugkoje, in der Andrea und Susanne schlafen.
Im Grau halte ich die Uhr vor meine Augen. Es ist Mittwoch Früh, gegen 6.30 Uhr. Langsam stehe ich auf, schaue mich um. Es ist still auf dem Boot. Nur die Geräusche von draussen. Drinnen: ein Tropfen, der langsam von der Decke fällt. Pfützen unter dem Gangfenster, das nicht dicht ist. Zeitungspapier auf dem Boden, Zeitungspapier auf den Polstern, um die Nässe aufzusaugen.
Auf der ROXANNE sieht es nicht gut aus, die gestrige zwanzigstündige Überfahrt, die feuchte Mistralluft haben Spuren hinterlassen. Im Salon tropft es wegen der Kälte von den Alu-Fensterrahmen. Boden und Polster sind klamm und kalt. Überall liegen nasse Sachen herum, hängen nasse Wollmützen. Handschuhe. Segeljacken. Nasse Schwimmwesten und Lifebelts. Stiefel. Nach dem gestrigen Abendessen sind einfach alle nur noch erschöpft in tiefen Schlaf gefallen. Zeit fürs Spülen, Zeit fürs Saubermachen, Zeit: nach dem Boot zu sehen: war keine mehr. Nur noch schlafen.
Langsam kommt Leben ins Boot, schälen sich die anderen aus ihren Schlafsäcken in die feuchte Kälte, die im Boot steht. Andrea und Susanne beginnen zu spülen, da steht auch noch das Geschirr herum vom gestrigen Nudelessen.
Jetzt etwas Warmes in den Bauch. Ein heißer Tee. Ein spanische Tortilla. Und die geht so:
Zwei, drei Kartoffeln hobeln. In der Pfanne anrösten.
Zusammen mit gehobelten Zucchini und einer Tomate anschmoren.
Jo hat noch ein paar Zwiebeln fein gehackt.
Danach 10 verrührte Eier mit etwas eingeriebenem Gruyere, Salz, Pfeffer, Rosmarin, Salbei darüber.
Langsam in der Pfanne stocken lassen, bis das Ganze zu einem richtigen Kuchen wird.
Auf das standesgemäße Wenden dieses "Kuchens" in der Pfanne wird heute verzichtet. Die Sauerei ist eh schon zu groß hier um den Herd, im Salon.
Langsam kommt Leben ins Boot. Der Salon mit den blauen Polstern ist soetwas wie die Mitte des Bootes, so eine Art "Dorflinde". Hier trifft sich alles. Wer aus den Kojen kriecht: kommt hierher. Wer von Deck kommt, ebenfalls. Wer aus dem Vorschiff kommt oder den Toiletten, auch. Bald ist der Raum gefüllt mit halbnackten Körpern, Barfußgehern, Leuten, die warme Unterwäsche, ihre Pillen, wer-weiß-was suchen. Pullover, Wollsocken, etwas Warmes überstreifen, um der Kälte zu trotzen, mit Cremes oder irgendwas hantieren. Ein Durcheinander, in dem gleichzeitig die Backschaft (die, die an diesem Tag Küchendienst machen) versucht, ein begeisterndes Frühstück für die anderen auf den Tisch zu bringen.
Wärme verbreitet sich vom Küchenherd. Kaffeegeruch. Der Duft von aufgebackenem Stangenbrot, von Bratkartoffeln in der Luft. Irgendjemand schneidet Äpfel, Obst für Müslis. Irgendjemand macht Musik. Irgendjemand deckt den Tisch. Das Boot: es ist erwacht. Was noch von einer halben Stunde ein kalter, klammer Ort der Unwirtlichkeit war: jetzt ist es ein gemütliches Zuhause. An keinem anderen Ort der Welt möchte ich jetzt sein, als sich alle neun jetzt zum Frühstück setzen auf die mit Zeitungen bedeckten blauen Salonpolster setzen.
Kaum sitzen alle, hämmert es draussen im Regen ans Steckschott, zwei Mal, kräftig. Ein Bulle von Mann steht vor dem Niedergang. Mindestens so groß wie breit. Nicht in Nikolaus-Rot, sondern Segler-Blau gekleidet. Und er spricht mich auf Tirolerisch an: Der Beat sei er, Schweizer. Das spricht man [be:at]. Und weil er Marc's Chef kenne und selber hier mit seiner Firma SEGELABENTEUER den ganzen Sommer über mit Leuten segle: drum habe er unsere Reise im Internet verfolgt. Ganz großartige Sache!! Und mit diesen Worten knallt er zwei große Tüten auf den Tisch. Die eine voll mit Sixpacks SAN MIGUEL- Bier. Die andere mit Osterhasen.
Und dann beginnt Beat, Osterhasen zu verteilen. Jetzt ist endgültig Ostern und Weihnachten auf der ROXANNE! Obwohl um den Tisch kein Platz mehr ist, muß sich der Beat setzen. Und bekommt seinen Kaffee. ROXANNE ist plötzlich Dorfkneipe geworden. Gelärme. Lachen. Gruppen im Gespräch, während draußen der Regen auf Boot prasselt und Böen das Boot schütteln. Drinnen ists gemütlich unter dem weißen Netz, in dem wir Brot, Gemüse, Obst aufbewahren, damit es nicht schimmelt. Grüppchen haben sich gebildet, reden durcheinander. Beat, Jo und Marc reden übers Segeln, wie es ist, wenn es nicht Mistral hat oder regnet, hier auf um Mallorca. Susanne, Anna und Hauke reden darüber, was Ärzte teilweise über ihre Patienten auf dem OP-Tisch reden, wenn sie annähmen, der Patient läge schon in Propophol-Betäubung - und ist's noch gar nicht. Andrea steuert ihre Geschichte bei, wie eine Assistenzärztin versuchte, kurz nach Mitternacht ihren Zugang für die Stammzellen-Transplantation zu legen - nur mit Lokalanästhesie. "Ich hab' einfach nur in meine Hand geweint, bis dann zwei andere Ärzte kamen und die Punktierung auf Anhieb hinbekammen." Das Verloren-, das Ausgeliefertsein im Klinik- und Pharmaziebetrieb ist Thema an desem Vormittag. Es ist kein Mißtrauen gegen Ärzte oder Klinken allgemein, worüber geredet wird. Sondern Unverständnis, dass "Klink" eben nichts anderes als eine "Firma" ist, die manchmal eben überhaupt nicht das Beste für ihre Kunden im Sinn hat, die hier "Patienten" heißen. Sondern manchmal irgendetwas Unverständliches, angesiedelt auf einer Skala zwischen Gleichgültigkeit, Bürokratie, Geldgier. Viel Lob immer wieder für die einfachen Pflegekräfte: Für kleine Gesten. Für ein "die Hand halten" während einer schmerzhaften Prozedur. Für eine kleine Geste des Mit-Leidens. Des Nicht-Vergessens, dass es sich eben doch um Patienten handelt.
So gehen die Gespräche. Und weil es LUFTHANSA nicht geschafft hat, Susanne's Gepäck heranzuschaffen und Susanne ihre erste, allererste Seereise in Anorak und Slippern unternimmt - oder: wenn sie Wache hat: in geliehenen Jacken, Strümpfen, Seestiefeln und Seejacken der anderen - und ihren Dienst klaglos versieht: drum machen wir uns auf, für Susanne im verregneten Alcudia etwas Warmes zum Anziehen zu kaufen. Und so stapfen wir durch die vom Winter entvölkerte, leere Hafenstadt, in der Kneipenwirte und Ladenbesitzer voller Ungeduld auf das Ende des Winters: auf die Rückkehr der Zugvögel warten.
Marc blogt über diese Reise zeitgleich auf seinem Blog SEGELREBELLEN.
Weiterlesen bei: Der Anfang dieser Geschichte. Hier.
Weiterlesen bei: Warum Susanne ihr Gepäck
Weiterlesen bei: Segeln mit Nichtseglern. Hier.
Weiterlesen bei: Beat. Und seine SEGELABENTEUER.
... und weil diese Reise KEIN GANZ NORMALER TÖRN ist: bitte ich die Leser von MARE PIU, unsere beiden Posts möglichst an viele andere Interessierte weiterzuleiten.
Um Marc und seine Idee zu unterstützen.
Danke.
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