Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt
bin ich auf Levje nach Menorca und Mallorca nun auf der westlichsten Balearen-Insel Ibiza angekommen. Und breche zurück zum spanischen Festland auf.
Anders als viele andere Gegenstände des täglichen Lebens kennt man sein Schiff auf vielerlei Arten. An seinem Äußeren, weil man sich bestimmte Stellen am Rumpf gemerkt hat, an denen der Lack weg ist. An den Geräuschen, die ein Schiff beim Segeln produziert, die einen nerven, wenn sie da sind. Oder besorgt dreinblicken lassen, wenn sie einmal nicht da sind. Ich kenne mein Schiff an seinem Mast, ertappe mich dabei, wenn ich irgendwo in der Stadt unterwegs war und mich dem Hafen wieder nähere, unwillkürlich nach dem einen Mast Ausschau halte, den ich unter hundert anderen im Hafen kenne. Levje II hat wie ihre Vorgängerin ein 7/8-Rigg, bei dem das Vorstag nicht im Masttopp, sondern 1/8 darunter angeschlagen ist.
Sein Schiff kennen heißt aber auch, die Signale zu kennen, die mein Schiff mir gibt, wenn ich in den Wellen zuviel gerefft habe und sie plötzlich zu stark zu geigen anfängt. Das Geklapper im Rigg zu deuten. Und auszureffen. Oder zu wissen, wenn ich ihm zuviel zugemutet habe.
Um halb sieben schlich ich mich auf leisen Sohlen aus dem Hafen von Sant Antoni de Portmany im Nordwesten Ibizas. Leise, weil alle meine Nachbarn noch schliefen und nur die Fischer auf der Pier gegenüber vor ihrer kleinen Hafenbar beim Auslaufen lärmten. Es war ein prächtiger Morgen. Tiefblauer Himmel. Absolute Windstille. Nur einmal die Ahnung einer Böe aus Nordwest, leicht, doch unmissverständlich. Sonst störte nichts die Schönheit und Majestät dieses Morgens auf dem Meer. Ich legte leise ab. Und sank hin beim leisen Tuckern von Levjes Motor und dem majestätischen Vorbeigleiten an den verschlafenen Hafenliegern nach dem Gröhlen und Lärmen in der Nacht.
Hätt ich nur mal ein bisschen die Augen aufgemacht. Wär ich nur aufmerksamer gewesen. Denn kaum hatte ich die Hafenmole hinter mir, kam uns arger Schwell aus Nordwest entgegen. Mein Schiff war nicht seeklar, ich hatte nichts aufgeräumt: Alle Fender noch draußen. Alle Leinen lagen an Deck, wie ich sie losgeworfen hatte. Unter Deck stand das Frühstücksgeschirr und die Thermoskanne noch neben der Spüle. Wenn mich etwas aus der Fassung bringt, dann sind es Leute, die ihr Schiff aus dem Hafen steuern, wenn es noch nicht seeklar ist.
Während ich überlegte, ob umdrehen und im Schutz der Hafenmole erstmal aufräumen nicht die bessere Lösung wäre, kam schon die unmissverständliche Antwort von unten. Das erste Poltern von Dingen, die nichts mehr an ihrem Platz hält und sich freudig über den Boden ergießen. Ein dumpfes Wumms als Abschluß. „Lieber Gott, lass es die Bücher sein. Und nicht die Kamera. Oder das Macbook. Oder die Thermoskanne.,“ denke ich, während ich die Fender am Seezaun staue. Levje jachtert schlimm in den Wellen, im Nu habe ich 17, 20 Knoten Wind auf dem Windmesser.
„Jetzt mach aber fix, dass Du Deine Segel endlich hochkriegst.“ Starkwind, Böen, das Auf und Ab in den Wellen in der Bucht von Sant Antoni: Das ist alles so gar nichts für eine Ausfahrt unter Motor. Es ist mal wieder der Moment, wo man wie der hinduistische Gott Schiwa gerne viele Arme gleichzeitig hätte, um alles zu regeln und meine Welt im Gleichgewicht zu halten.
Endlich stehen die Segel. Jetzt abfallen auf den richtigen Kurs, den die elektronische Seekarte vorgibt. Doch dann sehe ich, dass unser Kurs, den ich eingab, zwischen den westlich vorgelagerten Inseln hindurchführt. Ibiza ist anders als ihre Schwestern, die Insel der überspülten Riffe und Felsen, man findet viele hier, die man nur bei Wind erkennt, weil sich dann die Wellen daran brechen. Wo wir durch sollen, ist es gerade mal eine zwei Fußballfelder breite und nur 4 Meter tiefe Passage zwischen den Untiefen. Bei diesem Seegang und unseren 2 Metern Tiefgang scheint mir das ein unkalkulierbares Risiko - noch dazu, wo ich die Passage nicht kenne und selbst bei ruhigem Wetter noch durch bin. Also in den sauren Apfel beißen und die 4 Seemeilen Umweg um die Insel machen: Hoch an Wind, der Windmesser geht über 20 Knoten, und auch gleichzeitig das Vorsegel mit aller Kraft dicht ranholen und das Groß reffen. Shiva, der vielarmige Gott der Glückverheißung möchte ich gerade jetzt sein. Bei Windstille nehme ich mir vor, nachzulesen, wofür er sonst noch alles steht.
Zwei Wenden, die mir so gotteslästerlich schlecht geraten, dass selbst die Riesen-Motoryacht, die wegen der Wellenhöhe ganz demütig nahe an meinem Bug verbeischleicht, irritiert dreinschaut. Naja, wir sind wohl nach zwei Hafentagen auf Ibiza etwas aus der Form. Doch dann haben wir die Nordumfahrung der Felsen von Sa Conillera erreicht. Ich halte gut Abstand - NAVIONICS sagt, dass eine halbe Seemeile vor den Felsen die Wassertiefe nur sieben Meter beträgt. Vorsichtshalber fahr ich also einen ganz großen Bogen. Kaum vorbei, muss ich feststellen, dass mein Tiefenmesser unverändert 79 Meter anzeigt und NAVIONICS halt von der Zahl „79“ mal eben die „9“ wegließ und nur die „7“ übrigblieb.
Mich darüber zu wundern, bleibt wenig Zeit. Mein Segeltrimm stimmt nicht. Ich rutsche im starken Seegang auf meinem Lieblingssitzplatz hinter dem Steuer einmal die Schiffsbreite entlang auf die andere Seite, wo die vorstehende Schotklemme mich schmerzhaft stoppt und mich an meine morgendliche Dämlichkeitkeit erinnert.
Doch irgendwann sitzt alles. Die 20 Knoten Wind werden bei 8 Knoten zu purer Lust. Der Anblick der unbewohnten Felseninsel hinter den Wellenkämmen, das Schweben der Möwen über den Inseln: Meine Welt ist wieder in Ordnung. Ich bin wieder da, wo heute morgen alles begann: Was für ein schöner Morgen.
Wenn da nicht das Gefühl bliebe, die Dinge mal wieder alles andere als souverän angepackt zu haben. Ich denke in solchen Momenten oft an Gudrun Caligaro, die Einhandsegelerin, die mit Mitte 40 die Welt auf einem 8-Meter-Schiff umrundete und auf der ganzen Strecke nur sieben Mal anlegte, weils gar so schön war da draußen. In Ihrem Buch mag ich die Stellen, in denen sie streng mit sich ins Gericht geht und sinngemäß schreibt: „Nicht mein Schiff ist irgendwie unzulänglich. Oder das Meer. Ich allein bin es, dessen Unzulänglichkeit mir und meinem Schiff hier draußen immer wieder Probleme schafft.“
Sechs Stunden später. Es ist halb eins. Seit fast drei Stunden sehe ich das spanische Festland halbrechts vor mir. Ich habe jetzt die Hälfte der 68 Seemeilen bis nach Calpe geschafft. Nicht nur ich überlege, einzuschlafen, der Wind hat gerade die gleiche Idee. Mit einem kurzen Nickerchen wirds deshalb nichts, weil ich zur Sicherheit das Radar mit eingestelltem Alarm mitlaufen lasse. Alle zwei Minuten ertönt jetzt „Kolisionsalarm“, wenn ein Schiff in meine vor mir definierte „2-Meilenzone“ eindringt. Die Technik ist sinnreich und funktioniert. Doch sie ist nervig, wenn wie jetzt vor dem Festland der Schiffsverkehr deutlich zunimmt. Tatsächlich ist hier viel los. Segler, Fähren, Motoryachten - und Containerschiffe. Denn die Balearen-Inseln sind nur zum allerkleinsten Teil „Selbstversorgerer“. Jede Tüte Spaghetti, jede Tube Zahnpasta, jeder Kochtopf, jede Steckdose, jede Radmutter: Alles und jedes wurde und wird für die 875.000 Mallorquiner, die 95.000 Menorquiner, die 140.000 Ibithenk und 12.000 Formenteros auf Containerschiffen. Und für die fast 14 Millionen jährlichen Besucher der Balearen auch. Die Inseln hängen am Tropf, was ihre Versorgung angeht, sind sie ausgesprochen fragile Existenzen. Oder maßlose Verschwender wertvoller Ressourcen - je nachdem. So wie wir alle.
So geht Levje die zweite Hälfte der Tagesetappe jämmerlich klappernd im alten Mistral-Schwell an. Meinem müdes Hirn malt erst eine Glühlampe, das Zeichen für „Idee“, und dann das große gelbe Blisterteil an die Innenwand seines Gehäuses. Aber Lust auf einen erneuten unfreiwilligen Tauchgang wegen „Schot-im-Propeller“ hab ich heute keine. Ich lasse das. Und freue mich lieber am Anblick des markanten, großartigen Felsens von Calpe, der am späten Nachmittag vor mir auftaucht und vor dem ich ankern und draußen die Nacht verbringen will. Vielleicht geh ich ja morgen da hoch? Wer weiß?
Es ist immer das nachlässig werden, wenn man etwas schon so oft macht. - Manchmal schleichen sich auch bei uns Fehler ein. Deswegen habe ich mir jetzt eine Liste gemacht, die liegt im Logbuch. Und wenn mein ungeduldiger Mann mal wieder allzu schnell die Leinen loswerfen will, frage ich sie stur ab. Das Gleiche gilt beim Schiff klar machen am Ende eines Törns ;-)
AntwortenLöschenschöner aus dem Seglerleben genommener Bericht :-)
AntwortenLöschenWas ist denn nun beim überstürzten Aufbruch zu Boden gegangen? Du löst das leider nicht auf...ich hoffe ja mit Dir, daß es wirklich nur ein paar Bücher waren...
AntwortenLöschen