Für die meisten Menschen ist der Herbst eben der Herbst. Die Zeit, in der die Blätter fallen. Das Wetter grau wird. Wer ein Boot besitzt, für den ist der Herbst die Zeit, in der man sein Boot aus dem Wasser holt. Das Ende des Sommers. Und es hilft auch kein noch so türkisfarben leuchtendes Meer, kein noch so warmer Herbsttag: Das Boot ist nicht mehr in seinem Element, wo es hingehört. Sondern dort, wo es eben nicht hingehört: An Land.
Aber um das Boot aus dem Wasser zu kriegen, ist einiger Aufwand nötig. Fünf Männer und ein Kran rollen Montags um halb elf an der Hafenpier an, wohin ich Levje am Morgen hinbugsierte. Etliche Schaulustige kommen auf ihren Mopeds auf die Pier gerollt, um dem Spektakel beizuwohnen: Hafenarbeiter ohne Job. Fischer an ihrem jobfreien Hafentag. Rentner, deren Job längst in der Vergangenheit liegt. Und solche, deren Job es ist, die Dinge aus sicherem Abstand zu kommentieren. Und jene, die sich ums Kranen kümmern sollen, mit allerlei Anfragen von ihrem eigentlichen Job abzuhalten.
Dann: Sind Levjes siebeneinhalb Tonnen sicher auf dem fahrbaren Trainer gepackt. Mein Schiff beginnt, an den parkenden Wohnmobilen vorbei über die Hafenmole zu ihrem Winterliegeplatz auf dem Hügel zu rollen. Ein Schiff, das so fremd aussieht, als wäre es eine Fata Morgana über der Weite der Mole von Sciacca.
Nur dort, wo die emsig befahrene Hafenstraße kurz den Weg meines Schiffes kreuzt, wird es kurz spannend. Die Autos stoppen wie am roten Licht eines Bahnübergangs vor dem im Schritt-Tempo heranrollenden Transport. Italiener mögen chaotische Autofahrer sein, denkt man oft als Deutscher, doch das stimmt nicht, sie fahren nur anders als wir Deutsche, es ist weniger jene selbstverliebt wie Narziss um sich kreisende Dominanz, die den Straßenverkehr bestimmt, sondern dass einer vom anderen weiß, was er jetzt gerade vorhat. Und da mein Schiff ferngesteuert von dem ein paar Schritte hinterherlaufenden Carmello klar seinen Weg zu kennen scheint: Drum halten auch alle einen kurzen
Moment, bevor mein Schiff ansetzt und den steilen Weg erklimmt, hinauf zum alten Bahnhof von Sciacca. Da oben, auf dem Hügel, von dem ich eine gute Aussicht habe hinunter auf den Hafen, aufs Meer und zum Centesimo-Supermarkt mit seinen fantastischen Schinken und den intensiv nach Salz und Meer und Anchovis schmeckenden schwarzen Oliven: Da oben neben dem alten Bahnhofsgebäude wird Levje die nächsten Monate am Land stehen zwischen wenigen anderen Schiffen. Dort, wo die Schienen der alten Schmalspurbahn enden, die einst von Agrigento am Strand entlang und an der alten Thunfischfabrik vorbei lief: Da wird mein Schiff jetzt den Winter über sein. Ich hoffe, ich kann oft hier sein. Denn kaum irgendwo ist der Winter so schön wie in Sizilien.
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