Es war Katrin, meine Frau, die sagte: "Fahr endlich los. Und schreib'. Du bist schon zu lang im Hafen." Vielleicht spürte sie einfach nur meine Unzufriedenheit. Vielleicht kennt sie mich besser als ich mich. Was immer es ist: Sie hatte recht.
Mit Häfen ist es wie im Leben überhaupt: Es gibt tausend gute Gründe, sie nicht zu verlassen. Nicht das zu tun, was man eigentlich für sich als das Richtige erkannte. Nicht loszusegeln. Hinaus aufs Meer nicht. Und nicht ins Abenteuer des Lebens. Scheinbar gute Gründe, sich mit Nebensächlichem aufzuhalten. Statt das Eine, das wirklich Wichtige zu machen. Da wär noch ein Lämpchen anzubringen. Hier wär noch ein Teil zu besorgen. Dort noch ein schadhaftes Scharnier auszutauschen. Gar mancher vergisst darüber, dass er ja eigentlich lossegeln wollte, aufbrechen wollte ins Leben oder hinaus aufs Meer.
Und manchmal spielt auch einfach das Wetter nicht mit.
Es war ein Wetter, das Unwetter gebiert. Und Wolkenbrüche speit. Tornados über der Lombardei, die Häuser zerstörten. Der Scirocco, der südliche Wind, schickte erst Schwälle saunaheiß-feuchter Luft aus dem Süden über den Hafen von San Giorgio di Nogaro. Um im nächsten Moment auf West zu drehen. Und kalte Luft heranzutragen. Und gleich darauf wieder Schwaden des heißen Saunabrodems aus dem Süden.
Am Nachmittag entlud sich der Himmel in heftigen Gewittern. Blitze, die nahe am Hafen krachend über dem Fluss einschlugen. Eine Yacht, die in den Regenfahnen langsam den Fluss hinauf irrte. Kein Wetter, in dem man einen Hafen grundlos verlässt. Ich schrubbte im Gewitterregen das Deck. Und war nach einer Minute triefnass. Für den folgenden Tag war Bora angekündigt, erst milde mit 4-5 bft. Ab 23 Uhr über Venedig mit 7 bft. Ich wollte den Wind aus Nordost nutzen, um mich nach Südwesten, nach Venedig blasen zu lassen.
Dann los. Am nächsten Morgen kam ich halb zehn aus dem Hafen - geplante Ankunftszeit in Venedig mit dem Wind neun Stunden später. 50 Seemeilen. Knapp 90 Kilometer. Kurz vor dem Unwetter. Kaum hatte ich den Fluss hinter mir, war draußen erstmal - gar nichts. Keine Wind. Keine Bora. Flaues Gefusel aus Südost. Und die Schönheit des Meeres, wenn man nach langer Zeit zum ersten Mal aus der Enge des Hafens wieder draußen ist, die Weite spürt. Und Platz zum Atmen hat.
Aber dann war sie da, die Bora. Erst 15 Knoten. Dann 20 Knoten. Dann 23 Knoten. Keine milden 3-4 bft. Ein Spaß, die Genua auszurollen und sich vor dem Wind auf der schaukelnden, wiegenden LEVJE II nach Südwesten treiben zu lassen. LEVJEs siebeneinhalb Tonnen geigten sanft durch die Wellen, als wäre ich auf einem dickbauchig-gusseisernen Wok durch die Wellen unterwegs.
Ein neues Schiff ist wie eine neue Beziehung, die man eingeht. Erst ist man richtig verknallt. Dann ist man endlich glücklich zusammen. Und dann wirds ernst - es beginnt das "sich zusammenraufen". Vielleicht entsteht irgendwann auch Liebe daraus, dies langdauernde, zusammenschweißende "Wir-durch-Dick-und-Dünn"-Gefühl.
Venedig erreichte ich eineinhalb Stunden schneller als geplant. Der Wind blies in die Einfahrt hinein, das Bacino vor San Marco ein schlimmes Gebrodel von hin- und her schießenden, preschenden Wassertaxis, Autofähren, Vaporetti und dem Nordost, der an die Tankpier schlug. LEVJE, mein gußeiserner Wok, flog so wild hin und her, dass mein Anleger misslang und LEVJE gegen die Dalben geworfen wurde und mein Kopf einen Post formulierte: "Tanken für ganze Kerle."
Und wieder irrte der Wetterbericht. Es ging nicht 23 Uhr los, sondern 19 Uhr. Kaum in Marina Sant'Elena festgemacht, beschleunigte die Bora auf 28, dann über 30 Knoten. Michele, der Marinaio, hatte mich sicherheitshalber nicht mehr in die Box bugsiert, sondern gleich an der Pier vertäut, auf die nun die Bora drückte. Fünf große Fender auf eineinhalb Meter Bordwand, drei Springs - das musste reichen.
Der Wind legte weiter zu, im Süden ballten sich die Gebirge einer zweiten Gewitterfront und die untergehende Sonne tauchte die Häuser des Lido für einen Moment in tiefes Rot. Und während über LEVJE die Möwen reglos im Starkwind in der Luft standen; während Blitze aus dem Kraftwerk über dem Lido zuckten; während die Italienische Flagge auf der Pier gestreckt knatterte und der Regen prasselte: Kam plötzlich der Vollmond hinter dem Gewitter hervor: Als wäre alles nichts. Und aller Schrecken der Welt nichts, was man irgend ernst nehmen müsste.
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