Ob denn der Carnevale in Venedig genauso fröhlich ist wie der Rheinländische? Er kann so sein. Wo die Menschen aus der Stadt sich auf der Straße zum Feiern treffen wie in Castello oder Sant'Elena, ist es laut und wird auf den Straßen getanzt. Die Regel ist das in Venedig dennoch nicht.
Aber ich bin nicht vor wenigen Tagen auf LEVJE neun Stunden über die neblige Adria motort, um zu schunkeln. Nein. Ich bin da wegen der Masken.
Und welcher Teufel mich da geritten hat, weiß ich nicht. Schließlich bin ich erstens Faschingshasser, weil ich zweitens denke, dass unser Leben tagtäglich genug Kostümierung, Verstellung, Verkleidung enthält. Welchen Sinn macht es, sich zu verkleiden, wenn man eh das ganze Jahr sich mit allerlei Attributen behängt, wie man denn so eigentlich wahrgenommen werden möchte.
Doch ich täuschte mich, wenn ich dachte, Verkleiden wäre spießig und bar jeden Reizes. Natürlich gibt es hier in den Straßen auch die Darth Vaders, die Prinzessin Lejas und Teile aus der Sesamstraße. Auch schleichen manche Zeitgenossen immer noch als Scheich ganz in weiß gewandet auf die Piazza San Marco. Aber sollten sie da auf einen Preis spekuliert haben: Sind sie hoffnungslos abgeschlagen.
Denn was hier an Masken und Verkleidung und Schminke aufgefahren wird, ist es echtes "So-noch-nie-gesehen".
Ob das einfach nur die geniale Rokoko-Replica mit perfekter Attitüde des alternden venezianischen Conte ist oder...
... einfach nur funkelnd die Gesandtschaft aus Konstantinopel imitiert: Es ist perfekt.
Die Kostüme, die Maskierten bewegen sich einfach durch die Menge. Nicht Laufsteg. Nicht Umzug. Man geht einfach nach San Marco - und dort und drumherum sind sie. Die schönsten Kostüme. Ich stehe einfach. Und staune. Vielleicht war das so, im Venedig des 14. Jahrhunderts, wenn ...
... plötzlich jemand hier ankam, der aussah, als käme er von einem anderen Stern und wäre das Fünfte Element.
Und gerade hier wird es spannend, wenn es weg vom historisch Exakten in den Bereich geht, der zwischen "Historisch" und "Phantastisch" liegt.
Die Masken. Ich gebe gern zu, dass viele von ihnen mir nahegehen. Das Unbewegliche. Das Starre. Ich erinnere mich an die silberne Maske des römischen Reiteroffiziers, die man auf dem Gelände von Kalkriese fand. Eine aus silber getriebene Maske, vollkommen ohne Regung. Wir sind darauf angewiesen, zu kommunizieren und während der Kommunikation stets unser Gegenüber einschätzen zu können...
Und was, wenn dies wegfällt? Wenn wir keine Regung mehr ablesen können an einem Gesicht? Dann sind wir auf uns allein gestellt. So wie nachts allein in einem verlassenen Park.
Wer sich hinter den Masken verbirgt? Das ist schwer zu sagen. Es sind nicht nur Italiener, im Gegenteil. Belausche ich die Masken, wenn sie sich unterhalten, sind Engländer, Franzosen, auch Deutsche darunter. Ich vermute, Menschen mit Passion. Menschen, die sich einzig und allein auf dieses Event vorbereiten, ein Jahr lang.
Aber so ganz durchschaut man das Spiel nicht. Sind es Menschen, die einfach nur ihrer Passion folgen und einmal im Jahr wie die Zugvögel zu diesem Event nach Venedig ziehen? Sind es Menschen, ausgestattet von professionellen Kostümbildnern? Venedig ist in diesen Dingen allen anderen Städten, was lautlose Selbstvermarktung angeht, turmhoch überlegen. Wo sonst gibt es eine Stadt, die sich eine mehrere Mann starke Abteilung hält, die jedem Hollywood-Filmemacher kostenlos beratend zur Seite steht, damit auch der nächste und übernächste Blockbuster irgendeinen Take in einer tollen Location Venedigs enthält? Die wiederum den Jo's und John's und Cho's und Pam's klar macht: Dass man genau hierhin muss, an diesen Punkt der Welt, eine Woche.
Ohne weiteres ist der Cleverness der Stadt zuzutrauen, dass sie die Kostüme besorgt und Statisten ausstattet. Und so für wenig Geld dafür sorgt, dass Handys und Selfies mit den Kostümen wiederum kostenlos auf die Handys der Jo's und John's und Cho's und Pam's in aller Welt kommen.
Aber das macht nichts. Perfektion begeistert. Und die Masken sind perfekt. So perfekt, dass ich mich eben erschrak, als ich um elf über den nächtlichen Markusplatz ging und auf vier in dunkle Umhänge gewandete Gestalten stieß. Sie schlichen unter den Säulen des Dogenpalastes entlang. Eine kleine, offensichtlich alte Frau am Arm eines anderen, langsam hinkend. Zwei andere hinterher. Alle unter schwarzen Umhängen. Die Gesichter unter undurchdringlichen weißen Masken verborgen.
Was würde ich tun, wenn ich sie nicht um elf Uhr Nachts in San Marco träfe, sondern eine halbe Stunde später im einsamen Bienale-Park, der so leer ist, als wäre nicht Rosenmontag, sondern 17. Januar? Wohin mein Weg mich gleich führen wird, denn ich will nach Sant'Elenea, zum Hafen im Osten. Würde ich dann - wie jetzt auch - routiniert auf die Knie gehen, um ein Foto der vier langsam schreitenden Gestalten zu schießen?
Ich bedankte mich bei den Vieren mit einem höflichen "Grazie". Ihre Antwort war gekonnt: Vier weiße Masken, die lautlos wie ein Ballett aus ihren schwarzen Umhängen heraus im Gleichtakt nickten. Und mit ihren Stöcken weiter Richtung Campanile klapperten.
Perfekt. Wie gesagt.
Oder war das vielleicht gar kein Spiel?
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