Mittwoch, 17. Juli 2019

Von Irland und England nach Schottland (16): Lough Strangford, Nordirland.

Meine diesjährige Segelreise führt mich seit Juni  
die englische Südküste vom Solent nach Westen zu den Scilly Isles. Von dort kam ich in einem langen Schlag über die irische See in Irland an und segle nun 
die irische Ostküste hinauf.



Bis hierher war alles friedlich. Ein windstiller Tag, an dem wir von Howth und der Insel Irelands Eye heraufmotoren. Ein beschauliches Gleiten entlang der sanften Hügel- Landschaft Nordirlands, die nur Hin- und wieder von einer Ruine oder einem Bauernhaus unterbrochen wird.


Und dann zeigt das GPS plötzlich 10 Knoten Geschwindigkeit über Grund an. Doppelt soviel wie üblich. Und doppelt soviel, wie der Geschwindigkeitsmesser als Fahrt durchs Wasser anzeigt. Wie eine geheime Kraft zieht uns der Strom, der gerade herrscht, mit satten fünf Knoten in den Strangford Lough, den See, der sich links von uns öffnet. Wir sind in der Einfahrt in den 26 Kilometer langen Einschnitt an der Nordostküste Nordirlands, der fast bis zu den Vorstädten von Belfast ganz im Norden reicht.

Mitten im breiten Mündungstrichter steht ein weißer Turm auf einer Sandbank, die wie ein Riegel vor der Einfahrt liegt. 10 Knoten Speed. Das ist viel, wenn uns jetzt etwas in die Quere kommt wie die Sandbank, wird Ausweichen zum hastigen Manöver, bei dem wir selbst mit Levjes starkem Motor in der schnellen Strömung Schwierigkeiten haben werden, uns freizuhalten. Uns ist unheimlich, die Kormorane, die auf dem weißen Turm ihre Flügel zum Trocknen ausbreiten, scheinen wie Geier, die auf Beute warten. Der Turm ist oben rot bemalt, eine Markierung, dass sich die eigentliche Einfahrt irgendwo rechts von dem Turm befindet, dort wo das Wasser merkwürdige Wirbel und Kreise an der Oberfläche bildet und Zipfelmützen, kleine brechende Wellen. Anomalien, die man dort findet, wo das Wasser schnell strömt.


Eigentlich sagt der REEDS ALMANACH, das große Telefonbuch, das die Küsten um Großbritannien in einem Sammelsurium voller Namen, Zahlen und Abkürzungen beschreibt, dass in diesem Moment Hochwasser sein müsste - der höchste Stand der Flut, an dem das ewige Hin und Her der Gezeiten zu einem Stillstand kommt. "Slack" heißt der englische Ausdruck, wenn kein Strom mehr setzt und das Boot irgendwo hin treibt. Aber hier ist gerade nicht "slack", sondern das Gegenteil. Unsere Fahrt durchs Wasser scheint normal, nur wenn ich zum Ufer hinüberblicke, kann ich erkennen, wie schnell Levje gerade über den Grund dahinschießt. 

Und an den Bojen im Fluss sehe ich es. Bojen, die Fischer ausgelegt haben, um ihre Reusen, ihre "Fish-Traps" wiederzufinden, die sie auf 30, 40 Meter Tiefe versenkten. Sie wissen, dass sich dort, wo das nährstoffreiche Wasser des Sees aus dem Strangford Lough auf das hereinströmende Meerwasser trifft, sich die Tiere des Meeres wie zum Dinner an einer Tafel versammeln. Die ganze Nahrungskette ist hier an einem Ort versammelt: Kleintiere, die den Fischen ins Maul gespült werden. Kleinere Räuber, die von größeren geschluckt werden oder Möwen und Seeschwalben, die einfach nur ihre Schnäbel kurz in die Wasserwirbel hineinpicken wie einen Zahnstocher, um an Meeresgetier von der Wasseroberfläche aufzulesen, was sich von unachtsam im eigenen Fresswahn zur Meeresoberfläche wirbeln lässt.


Vor der alten Burgruine liegen die Rotoren eines gelben Gezeitenkraftwerks zur Wartung vertäut. Weil die Strömung hier Jahr und Tag beständig setzt, hat man bereits vor zehn Jahren begonnen, in der Strömung des Strangford Lough Türme zu installieren, mit zwei Rotoren, die sich unter Wasser vom Tidenstrom angetrieben wie Flugzeugpropeller drehen und Generatoren antreiben. Mehr als ein Megawatt soll die Anlage bringen.

Eben hat sich unsere Geschwindigkeit auf acht Knoten verringert. Aber nur für einen kurzen Moment, in den Strudeln vor der rotweißen Untiefenmarkierung und dem Wachturm sind wir wieder mit zehn Knoten unterwegs. Große Blasen aufsteigenden Meerwassers, die Levje in voller Fahrt aus dem Kurs drehen, trügerisch glatte Flächen aus der Tiefe kommenden Wassers, die an ihren Rändern kleine Strudelkinder ausbilden. Ob man eine Chance hätte, hier durchzuschwimmen, wenn man ins Wasser fiele? Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass der Strom mit seinen 5 Knoten mit einem Schwimmer macht, wozu er lustig ist. Im Herbst in der Bretagne schwamm ich meinem Bootshaken hinterher, als er ins Wasser gefallen war. Schnell hatte ich ihn erreicht, dann aber mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um die 100 Meter wieder flussaufwärts zu kommen. Damals waren es nur 0,5 Knoten Strom gewesen, ein Zehntel dessen, was jetzt gerade dort herrscht.


Hinter der Wegmarkierung tut sich der Hafen von Portaferry auf. Von dort kreuzt die Fähre nach Strangford über den See. Malerisch sehen die beiden Orte ja aus, doch der Hafen von Portaferry liegt mitten im Strom am Flussufer. Ob es hier ein Pub gibt, um Abends die Beine auszustrecken, Musik zu hören und ein Bier zu trinken? Sieht nicht so aus. Ein Segelclub am Ufer, ein Hotel, das eine liegt so verlassen da wie das andere. Als wir im Internet nachsehen, gibt es in Portaferry und Strangford gerade mal zwei Kneipen, der Rest sind Cafes, die jetzt um sieben längst geschlossen sind. Ungewisse Aussichten also auf Entspannung. Gewiss ist nur, dass wir beim Anlegen bei drei Knoten Strom ein heikles Manöver vor uns haben, im fliessenden Wasser treibend genau in die Lücke zwischen den anderen Booten zu treffen.

Es wird also nichts mit einem Bier und dem Blick aus einem Pub auf den schnellströmenden Fluss.


Dann lieber ankern vor der Villa mit Park und dem Herrenhaus auf dem Hügel, wo hohe Nadelbäume stehen, die alles andere überragen als wären sie hohe Zedern, die einst ein Reisender vom Ufer des östlichen Mittelmeeres zurückbrachte in seine Heimat, als hätte er gewusst, dass hier im Golfstrom die Bäume des Mittelmeers Wurzeln schlagen.

Wir lassen uns noch ein Stück flussaufwärts treiben vom Strom, in den See hinein, dann drehen wir um und ankern vor dem Hügel mit dem Herrenhaus  und dem Gezeitenkraftwerk. Zwei Stunden später, als Sven, Ida und ich über heißen Kartoffeln mit salziger Butter im Cockpit sitzen, hat sich der Strom beruhigt. Levje liegt nun träge im See wie die Schiffe vor dem Hafen. Aber es wird nicht lange dauern, dann wird der Strom in Gegenrichtung einsetzen, aus dem Inneren des Strangford Lough heraus, während wir tief schlafen, wird er wieder kentern und mit gleicher Kraft wieder in den See hineinspülen.

Morgen Früh, wenn sich das Spiel gegen 7.00 Uhr morgens ein weiteres Mal umkehrt und der Strom wieder aus dem See hinaus ins Meer setzt, wollen wir los. Uns auf dem windstillen Wasser vorbei an Strangford und den Fischern hinaus aufs Meer spülen lassen und von dort zur schottischen Küste übersetzen.

Sie ist ja nicht weit von hier, gerade mal die Distanz von München nach Augsburg, 50 Minuten Autofahrt wären es, wenn man ein Auto benutzen könnte. 

Aber noch braucht man ein seetüchtiges Schiff dafür. So eins wie Levje.


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