Manchmal: Da begegnet man einem Menschen, und man weiß gar nicht, wie einem geschieht.
Kennt man sich aus einem früheren Leben?
Ist man sich schon mal begegnet?
Strahlten in der Minute der Geburt hell die gleichen Gestirne?
Was ist es, was Verstehen und Verständigung zwischen zwei Menschen möglich macht ganz ohne Worte?
Ich weiß es nicht. Nur das: Jenseits von Sprache, Inhalt, Herkunft, Rang gibt es etwas, das Verstehen möglich macht, ganz ohne Worte und Zeichen. Vieles, was man eben noch im Kopf hatte, was zu tun, zu erledigen, dringlich hinzubekommen wäre, ist im Moment einer solchen Begegnung zweitrangig, es zählt nicht mehr. Und dann ist da nur noch ein Gegenüber, das tief vertraut ist, obwohl ich dieses Gegenüber gerade mal zwei Sekunden kenne. Und so erging es mir mit Kostas.
Drei, vier Tage war ich in der Bucht im Osten von Spetses geblieben, da wo Spetses und Spetsoupola, die Privatinsel des Reeders Niarchos, sich am nächsten kommen. Drei, vier Tage, bis ich mich auf den Weg machte, um nach einem Liegeplatz im Hafen von Spetses zu suchen. Und weil es in der Hafenbucht Ormos Baltizas sehr eng zugeht, unternahm ich meine Erkundungstour zu Fuß, ließ LEVJE einfach in der Bucht zurück und wackelte die drei Kilometer zu Fuß/per Anhalter im Elektro-Golfcart nach Spetses.
Weiterlesen bei: Die vergessenen Inseln. Spetses.
Die ersten fünf, sechs Werftbesitzer, die ich nach einem Liegeplatz fragte, lehnten ab. Zu voll. Zu eng. Zu seicht das Wasser. Zu ausgebucht jetzt. Kopfschütteln in verschiedenen Farben und Formen. Ich schlich mich auf die andere Seite des Hafens, auf die Ostseite. Im Werftladen Kopfschütteln. Zwei Marineros weiter ebenso. Ich kam langsam ans Ortsende, die Häuser wichen einem kleinen Kiefernwäldchen, eigentlich ist hier nichts mehr - oder doch? Da war ein Weg, der vom Wasser wegführte, hügelan, zum Leuchtturm. Fast wollte ich schon aufgeben, aber der Weg führte zum Wasser zurück auf eine Betonpier. Da lagen Segelyachten. Und da stand: Kostas, Hafenmeister.
Ob er denn einen Platz hätte? Ja, klar. Und ob er eine Mooring hätte, ich müsste meine Ankerwinsch zerlegen und bräuchte Ersatzteile? Hm. Auch das. Wie lange ich denn bleiben wolle? Und wenn ich käme: dann bitte bleiben und nicht dauernd rein und raus. Sprachs. Und stapfte weiter. Ich quengelte weiter: Was denn das kosten würde, für zehn Meter Schiffslänge? Kostas blieb stehen und sah mich an: "You give me, what you want to give." Und stapfte weiter.
Damit hatte ich Denkstoff für den späten Nachmittag genug. Gibts das? Einer der nicht das Maximum rausholt? Einer der sagt: "Gib mir, was Du willst."? Ich war jedenfalls zufrieden und machte mich am nächsten Vormittag auf den Weg zu Kostas Mole. Da hing ich dann zuerst an einem anderen Schiff. Ohne Buganker. Heck zur Pier. Im ständigen Geschaukel der mit unanständiger Geschwindigkeit vorbeidonnernden Wassertaxis. Mir war Angst und Bang. Um LEVJE. Und was würde erst, wenn der Wind heute Nacht mit angekündigten 5-6 bft. in den Hafen stünde? "Don't worry, be happy", brummte Kostas, und zog sich unter das Dach seines schneeweißen Fischerbootes zurück, von wo er alles im Blick hatte. Nix happy - was mach ich bloß? Kann das hinhauen, dies griechische "alles wird gut?", ganz ohne eigenes Mühen und sich kümmern? Ich hatte arge Zweifel.
Der Nachmittag verstrich. Die Mooring, die ich bekommen sollte, war belegt mit einer Yacht mit Baterrieschaden, den die Crew eben beschlossen hatte, mit einem Besuch im weltberühmten Epidaurus per Auto zu krönen. "Ich-brauch-die-Mooring", hämmerte mein Hirn. Kostas linste unter seinem Sonnensegel hervor. Es wurde Abend. Da erschien Kostas, nach gebotener Zeit des Nachdenkens. Stieg auf ein Schlauchboot, das an der Pier lag, verlegte es auf die andere Seite und strahlte mich an: "Here is your Mooring!". Und so kam ich zu meinem Platz in Kostas' Hafen.
Spetses und Kostas' Hafenmole: Noch nie habe ich in einem Hafen ein derartiges Durcheinander erlebt. Kaum lag ich fest, dirigierte Kostas die riesige BILMAR genau neben mich. Kaum lag die fest, legten drei, vier, fünf andere Motoryachten ihre Anker über den der BILMAR. Und noch einer. Und noch eine Yacht, 15 Meter vor der BILMAR, mitten in der Hafeneinfahrt. Kostas Aufgabe bestand darin, aus seiner Betonmole mit ihren klar viereckigen Abmessungen möglichst viel Platz für Boote herauszuholen. Und so lagen jeden Abend die Boote im Halbkreis um Kostas' Mole, Heck zur Pier und übles Geschaukel mit jedem roten Wassertaxi, das nah vorbeibrauste. Und Kostas' Flüche weckte. "Don't worry, be happy."
Unsere Konversation beschränkte sich überhaupt auf einfache Äußerungen. Sah er mich, rief er einfach nur laut, dass jedermann auf der Pier es hören konnte: "Jermanooooz". "Deutscher". Was ich mit einem ebenso lauten "Elljinaaaaaz", "Grieche", beantwortete. Worauf wir uns verständnisinnig angrinsten. Vielleicht lag es daran, dass er die Tiere an seinem Steg liebte: Ständig wuselten auf seinem Steg fünf Katzen herum, ich lernte das griechische Wort für Katze, nämlich "Rata", und als Kostas Brot brauchte, weil die 20 Gänse von Spetses mal wieder an seiner Mole haltmachten und herumschwammen wie auf einem Dorfteich, half ich ihm aus und gab ihm, was an Brot noch auf LEVJE war. Sonst nahm Kostas nichts an von niemand und von mir auch nicht, keine Melone, keine eiskalte Bierdose. Die ersten zwei Tage jedenfalls nicht. Am dritten aber nahm er abends meine Bierdose an. Da saßen wir dann, in der Abenddämmerung, auf seiner Parkbank auf der Pier. Wir redeten wenig, tranken unser Bier und schauten aufs Wasser und die Boote, die ihre Anker und Ketten kunterbunt übereinander warfen, und die Welt drehte sich in diesem Moment in der richtigen Richtung.
Vom nächsten Tag an besuchte ich Kostas öfter auf seinem Fischerboot unter dem blauen Sonnensegel. Da steckte er, wenn ihn etwas ärgerte und wenn ihm einfach zu heiß war. Hin und wieder saßen wir da, "Jermanoooz" und "Elljinaaaaaz", schauten aufs Wasser und redeten wenig. Als ich ihn fragte, warum er denn das mache, mit der Pier, den Job als Hafenmeister, sagte er: "I want to help people." Fuhr ein Fischer vorbei, brüllte er ihm etwas Unverständliches zu, ein lautes "Kaptanjeeeeee" oder irgendetwas, das ich nicht verstand.
Am Montag war das Ersatzteil für meine Winsch aus Athen da, das ich Samstag Mittag um halb eins - so geht Griechenland! - telefonisch in Athen bei NAVTILUS bestellt hatte. Kostas organisierte mir binnen drei Minuten einen Motorroller, damit ich das Teil vom Kurierdienst holen konnte. Nach einem halben Tag tat die Ankerwinsch wieder, und zwei Tage später habe ich Spetses verlassen. Kostas stand auf der Pier und rief sein "Jermaneeeeeeeee" und ich mein "Elljinaaaaaaz" - aber das dauerte nicht lang, denn ich hatte den Patzer meines Lebens gebracht: War langsam aus der Box getuckert - und hatte vorher - ich weiß nicht, was mich geritten hat - die Mooring nicht losgeworfen! Also endete das "langsam aus der Box tuckern" schon gleich nach der Box. LEVJE drehte einen Halbkreis, Kostas begann auf der Pier zu schimpfen, ich schalt mich einen Idioten.
Aber vielleicht: War das ja alles so richtig mit der Mooring, die mich festhalten wollte, auf Spetses, und bei Kostas, an seiner Pier.
Ganz sicher ist: Dass unsere Seele machmal mehr weiß als wir selbst.
Übrigens: Kostas ist seit 35 Jahren in Spetses. Bis Oktober steht er noch auf seiner Pier in Spetses. Über den Winter hilft er, Boote ausbessern, hier in Spetses, in Porto Cheli und Ermioni auf dem Festland - wenn es gerade nicht zuviel regnet. Auf meine Frage, wie lange er das denn noch machen wolle, meinte er: "Twentythree years." Dann wäre Kostas achzig...
Und wenn Ihnen diese Geschichte gefallen hat:
In diesem Buch gibts mehr davon: Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen und die Kunst, wieder zu sehen, wer und was einem da gegenüber sitzt:
Einmal München nach Antalya.
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