Ein klein wenig sieht Chalki ja so aus wie das Renaissance-Gemälde von Pierro della Francesca über DIE IDEALE STADT. Gleich an gleich schmiegen sich die Häuser in die Hänge, in Grundriss, Ausrichtung, Proportion und Dimension so, als hätte ein Städteplaner mit kühnem Federstrich sie vom Reißbrett weg gefertigt. Chalki auf der gleichnamigen Insel: die ideale Stadt?
Am Morgen segle ich von der kleinen Insel Seskli bei Symi unmittelbar vor der türkischen Grenze los. Kurs Süd, westlich von Rhodos entlang, das in der Ferne liegt, zur Inselgruppe um Chalki und Alimia. Wie immer bleibt sich der Wind hier in der südlichen Ägäis treu: am Morgen gar nichts, aber pünktlich um zwei ist er da. Aber weil ich dann schon längst mich zwischen diesen Inseln befinde, erwartet mich der Wind dort mit einem vielfältigen Irgendwas: Mal Meltemi in seiner reinen Form, mit 5 Beaufort aus Nordwest und da, wo er sich frei entfalten kann. Als ich in die große Bucht des unbewohnten Alimia einfahre, ein astreiner Süd mit 5-6, in die große Hafenbucht von Chalki hineinsegelnd legen die Fallböen trotz 2. Reff LEVJE drei Mal flach aufs Wasser. Um sie dann 50 Meter bekalmt wie auf einem Ententeich einfach auf der Stelle - liegenzulassen. Also wieder ausreffen: und langsam, langsam, im langsamen Schritttempo bei leisem Lüftchen das große Rund der Stadt in der Bucht absegeln.
Die ideale Stadt ist aber nur die eine Seite Chalkis. Die Insel wird oft mit Symi verglichen, was Aussehen und Geschichte angeht: Genau wie Symi einst Heimat der Schwammtaucher, als mit der Industrialisierung die Menschen in den Großstädten das wöchentliche Vollbad für sich entdeckten. Von einigen Ausnahmen abgesehen, kam regelmäßige Körperhygiene und Waschen in der Geschichte der westlichen Menschheit eher spärlich vor. Noch in der frühen Neuzeit, zum Beispiel in der Pracht von Versailles, war Baden trotz prächtigster Kleider als ungesund verpönt, man übertünchte Körpergeruch lieber mit Puder, und Zähneputzen war noch weit, weit am Horizont entfernt. Man stank, und weil alle stanken, fiel's nicht so auf. Aber jetzt, ab 1870 herum, war einmal wöchentlich gründlich waschen in Mode. Und wer das raffinierter betrieb, der machte das: mit einem Badeschwamm! Und der kam - aus der Ägäis. Vor allem England war führend im Import der Naturbadeschwämme, man hatte dort das Vollbad um einige weitere Raffinessen bereichert: Indien-Reisende hatten neben Tee auch das Wort und die Sache "Shampoo" aus Indien mitgebracht. Der Export der Badeschwämme von den Inseln nach England brummte, das Deutsche Reich führte im Jahr 1880 Badeschwämme im Wert von 7.067.000 Mark ein. Die Anwendungsgebiete für Schwämme wurden immer mehr: In der Medizin zur Trockenlegung von Wunden, zur Verhütung, und, und, und. Symi und Chalki, aber auch andere Ägäis-Inseln wie Kalymnos wurden reich, und englische Historiker überliefern aus Chalki's Gassen das sinngemäße Wort "Solange die Bank von England steht, wird Geld nach Chalki fließen".
Ein Irrtum, wie sich zeigen sollte. Ihr Erfolg wurde den Schwammtauchern zum Verhängnis: Um die Mitte des 20. Jahrhunderts gelang im Labor die Erfindung des synthetischen Schwamms, und dessen Herstellung in Fabriken trat ihren Siegeszug an. Es war, wonach Silicon Valley heute fieberhaft sucht: Der klassische Fall einer "disruptiven Innovation", die die bisherigen Profiteure eines Geschäfts einfach aus der eben diesem abrupt wirft und die Geldströme in andere Richtungen lenkt. Plötzlich blieben die Schwammtaucher von Symi und Chalki auf ihren Schwämmen sitzen.
Und so endete die Geschichte vom Aufstieg der Schwammtaucher. Viele von Ihnen wanderten aus, die meisten nach Florida, nach Tarpoon Springs, wo sie ihr Geschäft des Schwammtauchens auch nach dem Krieg fortsetzten. Und weil sie die Daheim nicht vergaßen und in die neue Armut der alten Heimat Geld schickten und die Not linderten, drum benannten die dankbaren Einwohner von Chalki ihre Hauptstraße in "Tarpoon Springs Road." Heute leben noch um die 300 Einwohner fest auf Chalki, die Flucht von der Insel hält, genauso wie auf anderen griechischen Inseln weiter an, und wären da Albaner, Bulgaren, Russen, die mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung stellen und vor allem das wirtschaftliche Rückgrat der Insel bilden: dann wäre es - wie auch auf vielen anderen griechischen Inseln - schlimm bestellt um Chalki.
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Ich aber beschließe, heute nicht in der Stadt zu bleiben, sondern mit LEVJE nach Süden zu gehen, und in der Bucht von Podemos einsam vor dem Strand zu ankern. Wo LEVJE leise in der Dünung schaukelt, bis sich um Mitternacht herum der Prophitis Elias, der 600 Meter hohe Berg, harte Fallböen in die Bucht hinunter schickt und LEVJE an ihrem Ankerplatz hart hin und her schwingen läßt. Bis sie am Morgen noch zunehmen, mich aufwecken und mir im Sonnenaufgang einen Blick auf die Johanniterburg auf dem höchsten Gipfel von Chalki schenken.
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