Das Meer ist weich. Und warm. Und wohlig. Und ich bin mittendrin. Noch vor drei Wochen hätte ich mir nicht vorzustellen können, jetzt hier zu sein. Und an diesem Morgen vor Piran im Meer zu schwimmen. Das Meer trägt mich - weit mehr als das Süßwasser der heimischen Seen zuhause. Ich bin der einzige Schwimmer an diesem Morgen. Sonst ist niemand draußen. Nur ein paar Slowenen trinken Espresso im Cafe am Ufer - Großstadtbewohner der slowenischen Hauptstadt Lubliana, für die ihre 46 Kilometer lange Küstenlinie das ist, was für den Hamburger die See oder für den Münchner der See. Ein Wochenendziel.
Gestern brachen wir in San Giorgio in Italien auf. In der Marina Sant' Andrea in San Giorgio war wenig los am Mittwochabend, als wir eintrafen. Eine Handvoll italienischer Eigner. Sonst nur ein schweizer Pärchen, das sein Boot für den Törn vorbereitet. Auf dem Nachbarboot zwei kleine Jungs, den die beiden Kinder Nonno, „Großvater“ rufen. Doch der Schein der Ruhe trügt. Vor und in den Hallen wird an Booten gehämmert und gestrichen.
Noch gestern war unsicher, ob wir überhaupt segeln könnten. Levje I war nun 9 Monate im Wasser gelegen - länger als geplant. In was für einem Zustand sie wohl sein würde, nach dem Winter, nach Corona? Doch nach einem Nachmittag und einem Vormittag intensiver Motorwartung, Rigg- und Elektrikkontrolle ist Levje wieder shipshape. Und segelbereit, als hätte sie nur darauf gewartet. Levje I, mein alte DEHLER 31, die mich 2014 von hier erst in die Türkei und dann über Kreta und Sizilien wieder zurück trug, ist ein kreuzbraves, anrührendes Schiff. Der Motor springt bei der ersten Drehung des Zündschlüssels an. Alle Instrumente und Lichter gehen. Das Boot ist innen trocken wie ein Blatt Papier, und das, obwohl es jeden Abend heftige Gewitter hat. Die Küste der Nordadria, vor allem die des Friaul, ist eine Gewitterküste. Gewitter hat es hier im Sommer fast jeden Abend.
Am Freitagmittag machen nicht nur die Gewittertürme im Norden und Westen das Ablegen ungewiss. „Unsicher, ob ein aus Italien kommendes Boot in Slowenien einreisen darf“, erzählt Lucia an der Rezeption. „Und in Kroatien einklarieren kann man nur in Pula.“ Alle übrigen Seegrenzstellen seien noch geschlossen.
Aber das entpuppt sich als Wahrheit von der Sorte, die noch vor drei Wochen richtig war, doch jetzt noch immer als Gerücht durch die Marinas wabert. Weil keiner was Genaues weiß, sagt man halt: „Es geht nicht.“ Ein Anruf bei dem Mann, der mir in den vorigen Posts immer wieder die richtigen Informationen zu Kroatien lieferte. Er sei gerade im Garten beim Erdbeeren ernten. Ja klar könne ich überall in Slowenien und auch Kroatien einklarieren. Die Seegrenzstellen seien alle offen.
Also los. Selbst wenn sich die nahen Gewittertürme im Westen immer höher ballen am frühen Nachmittag. Los und erst mal eineinhalb Stunden raus, durch den betonnten Kanal Richtung Süden. Dorthin, wo der Fluss endet. Und das offene Meer beginnt. Es hat Wind, der die Wellen am Ende des Kanals brechen lässt. Wo weiter draußen im Meer die Dalben enden, tasten wir uns vorsichtig hinaus - keiner weiß, wo die Winterstürme vom Süden vor der Küste unter Wasser ihre Sandberge aufgetürmt haben. Aber alles geht gut. 3,80 Meter zeigt der Tiefenmesser an der flachsten Stelle - „und schon bin ich draußen“.
Erst weit vor der Küste zeigt sich die ganze Größe und Bedrohlichkeit der Gewittertürme. Kann man einem Gewitter davonsegeln? In meinem Buch Gewittersegeln habe ich das stets verneint. Einem Gewitter, dessen Zugbahn den eigenen Kurs kreuzt, kann man nicht davonsegeln. Draußen hats 5 Windstärken. Wir müssen 3mal reffen, Levje legt sich schwer ins Zeug. Und tatsächlich sieht es so aus, als würde das Gewitter über dem Friaul verharren, dieser einzigartigen Landschaft zwischen Meer und Hochalpen voller Weinreben und Industriegebieten, der nordöstlichsten Provinz Italiens an der Grenze zu Slowenien.
Das Friaul entkam vergleichsweise glimpflich der über italienischen Hotspots in der Lombardei und dem benachbarten Veneto wütenden Corona-Gewalt. Die Infektionszahlen lagen - nach neuestem Stand - weitaus niedriger als die der Großstadt München, die genausoviele Einwohner hat. Im Friaul, wo meine alten Levje I nun liegt, hat es nur die Hälfte der Infektionszahlen gegeben. 3.303 Infektionsfälle - dafür sind die Todeszahlen mit 343 Opfern ungefähr vier mal so hoch wie in München gewesen, sagt Fortunato Moratto, das wäre ein niedriger Wert. Trotzdem sei alles sehr bedrückend gewesen. Die leeren Marinas. Keine Aufträge. Nichts zu tun auf den Booten. Aber jetzt kann er sich vor Arbeit nicht retten. „Die Eigner halten mich ziemlich auf Trab, dass ihre Boote fertig werden. Echter Stress.“ V-förmige Entwicklung nennt man sowas, denke ich mir.
Wie es wohl in Slowenien aussieht? Seit meinem Ablegen im Mai 2014 war ich nicht mehr dort gewesen. Wie das kleine Land wohl die Krise überstanden hat? Aber zuerst erfordert das Meer unsere ganze Aufmerksamkeit. Und das Gewitter hinter uns, dem wir davonsegeln. Und das sich aufbläht wie ein pubertierender 16-jähriger. Groß im zweiten Reff, Fock im ersten. Nach fünfeinhalb Stunden frischt der Wind zur steifen Brise auf vor Kap Savudrija, dem nördlichsten Kap Kroatiens. Noch zwei Reffs könnten wir in die Genua einbinden - danach hätten wir kein As mehr im Ärmel. Aber 8, 9 Beaufort hat es an dieser Küste nur im Gewitter. Aber dem sind wir ja davongesegelt. Diesmal.
Vor Piran liegt ein Motorboot. Sieht aus wie ein Küstenwachboot. Lieber die Papiere fertigmachen, wer weiß, was denen einfällt. Gestern Abend war es beeindruckend, wie die italienische GUARDIA DI FINANZA jedes kleine Fischerboot auf dem Kanal anhielt und kontrollierte. Aber das weiße Motorschiff entpuppt sich nicht als slowenisches Küstenwachboot, sondern als Oldtimer-Luxusyacht, die vor dem Hafen von Piran in den Wellen schaukelt. Segel runter. Dann rein durch die enge Hafeneinfahrt in den alten Hafen von Piran, hinter einer slowenischen Yacht her, die zum Ausklarieren an die Zollpier strebt. Die Grenzpolizisten lehnen lässig am Geländer - üblicherweise wäre hier an einem Freitag im Juni die Hölle los. Slowenien ist Schengen-Außengrenze. Wer von hier raus will nach Kroatien wie die Yacht vor uns, muss ausklarieren.
Wir legen am Stadtkai an, an dem außer uns nur eine Handvoll Segelyachten liegen. Auch hier herrscht Ruhe. Ein paar Slowenen. Ein Italiener aus dem nahen Triest. Das ist alles. Und während uns das Gewitter weiter nachschleicht, zieht es mich in das Restaurant am Hafen, ins PIRAT. Es liegt etwas abseits der Touristenmeile Richtung Busbahnhof, und vor meiner Abreise 2014 lernte ich die Wirte kennen, Robin und Rok, zwei Brüder, die so aussehen, dass der Restaurantname PIRAT keiner weiteren Erklärung bedarf. Das Restaurant gibt es noch. Es hat sich - ganz anders als 2014 - an die Spitze der Restaurants in Piran mit stolzen 1.450-Positiv-Bewertungen gesetzt. Ob es noch Robin und Rok gehört? Mein Abend damals 2014 mit Robin war unvergesslich, weil er mir, der ich eben gekündigt war, ein Stück seines Lebens erzählte. Dass er keine Lust mehr gehabt hätte auf seinen Beruf. Und obwohl er keine Ahnung von Fischen gehabt hätte, sei er einfach rausgefahren, und hätte begonnen, Fische zu fangen, belächelt von den alten Fischern Pirans. Doch er brachte Doraden nach Hause, und Loup de Meer und Squids und Oktopusse: Soviel, dass er und sein Bruder das Restaurant Pirat eröffnen konnten.
Und heute? Als wir das Restaurant betreten, in dem nur die Kellner, nicht die Gäste Mundschutz tragen, steht Rok in der Ecke. Rok, der große, gewichtige Mann, und röhrt den Gästen am Nachbartisch sein Loblied der italienischen Küche entgegen. Schon damals war die Arbeitsteilung der Brüder, was das Restaurant anging, bemerkenswert. Rok, der Gewichtige, war fürs Lächeln des Hauses zuständig. Und Robin fürs Fischefangen. Und fürs Denken. „Wir sind gut durch die Krise gekommen“, sagte Robin, als er plötzlich vor mir steht. Slowenien hat ja nur soviel Einwohner wie der Ballungsraum München, aber unsere Regierung hat schnell reagiert und die Grenzen sofort dichtgemacht. Dann die Schulen und Betriebe. Wir kamen gut durch.“ Nur Fische fangen hat er aufgegeben. „Wer selber Fisch fängt, darf ihn nicht mehr in seinem Restaurant anbieten. Widersinnig - aber so sind die Gesetze nun mal. Was ich heute fange, muss ich verkaufen. Und was ich hier anbiete, das muss ich zukaufen. Nervig - aber so ist das nun mal.“ Dann deutet er nach draußen, vors Restaurant, wo sich der Himmel von schwarz auf undurchdringliches Grau verfärbt hat. Das Grau von Regenfahnen über dem Meer. „In 15 Minuten wird's hier schlechtes Wetter geben. Ich lasse Euch lieber drinnen einen Tisch fertig machen.“
Keine 15 Minuten später fegt es über dem PIRAT in allerbester Adria-Manier. Und während meine ganze Aufmerksamkeit Robin und Roks vorzüglichen Vongole in Weißweinsauce, den gratinierten Capesante und gekochten Capelunghe, dem gegrillten Loup de Meer und dem Malvazija gilt, denke ich mir: Robin ist ein gutes Mann, wie er sein Wetter kennt.
Und: Nein. Man kann keinem Gewitter davonsegeln.
Soeben erschienen:
Mein neues Buch
"Ein Pageturner."
Sagt mein Freund Josef (Er ist nie gesegelt)
"Hab die ersten Seiten gelesen. Irre. Grandios. Megastark".
Sagt mein Freund Andreas (Er ist mit mehrfach mir mir gesegelt. Und liest Bücher von Berufs wegen.)
"Du hast ein wunderbares Buch geschrieben. Es hat mir so viel Kraft in dieser schweren Zeit gegeben, und Freude! Deine Sprache fesselt nicht nur, sie lässt auch ganz direkt miterleben, als wäre man selbst mitten im Geschehen."
Magdalena (segelte auf dem See.)
"Es ist so ehrlich, authetisch und im positiven Sinne anders als die vielen Segelbücher."
Sagt ein Leser, der mich damit zum Erröten brachte.
Und was ich drüber denke?
Verrate ich in einem der nächsten Posts.
"
Endlich geht weiter. Hatte dieses Jahr schon nicht mehr damit gerechnet. Top geschrieben!
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