Donnerstag, 27. Juli 2017

Mit dem Auto quer durch Kroatien. Oder: Warum Europa wirklich reich ist.




"Chi viaggia per mare, cerca costantemente una casa." 
Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. 

Für eine Zeitschriftenreportage habe ich einen etwas abenteuerlichen Auftrag angenommen: Innerhalb einer Woche reise ich - diesmal mit dem KFZ - einmal die kroatische Küsten entlang - vom äußersten Süden, wo Montenegro liegt, bis in den äußersten Norden, fast nach Italien. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: LEVJE ließ ich in Korcula in der Bucht von Djanni, des alten Kapitäns, und seiner Frau Stanka zurück. Holte meinen Leihwagen in Dubrovnik. Und los gings Richtung Norden, um über kroatische Häfen zu schreiben.

Für die meisten Menschen ist das vermutlich ein Gräuel. Um fünf in einem fremden Bett aufwachen. Um sechs aufstehen. Um sieben im Wagen zu sitzen. Damit man um acht in irgendeinem kroatischen Hafen weiter nördlich steht, um darüber zu berichten. Reisen durch ein Land, das einem fremd bleibt, wie jedes Land, jeder Mensch, je mehr man es zu kennen meint. Reisen entlang Inseln, die mir vertraut sind und die ich doch von dieser Seite, dem Festland, so noch nie sah. Reisen und Begegnungen mit Menschen, die mich jeden Tag aufs Neue verblüffen.

Am meisten bei dieser Reise bereitet mir Vergnügen, dass ich meist Abends gegen sieben noch nicht weiß, wo ich übernachten werde. Es ist eine Art Spiel, doch ich liebe es. Am ersten Abend nach meinem Aufbruch brauchte ich knapp 15 Telefonate, bis ich endlich ein Zimmer gefunden hatte. Und das in einem Land, an einer Küste, in dem jedes zweite Haus mit dem Schild "APARTMAN", Apartments, geschmückt ist. Kroatien ist voll. Kroatien brummt. Was den Tourismus in diesem Sommer angeht, jedenfalls. Es legt - dank Recep Tayyip Erdogan und anderen Irrlichtern - jedes Jahr 25% Steigerung im Tourismus hin.

15 Telefonate. Ich dachte: Schlimmer könne es nicht kommen. Am zweiten Abend bräuchte ich dreißig Telefonate, doch als die Sonne unterging und es dunkelte, hatte ich immer noch kein Zimmer. Alles voll. Ich war irgendwie in einem kleinen Dorf am Meer gelandet. Nichts ging mehr. Ich dachte an eine Parkbank. Alles. Nur nicht im Auto. Aber dann gab mir jemand den Tipp: "Gehe ins Restaurant. Frage nach Marija. Die weiß immer was". Marija hatte das strahlendste Lächeln. Sie wusste aber auch nichts. Aber zwei Männer an der Theke begannen zu telefonieren. Um ein Zimmer für mich zu finden. 10 Minuten. Nichts. Zwanzig Minuten. Nichts. Draußen, über der Bucht, war es dunkel. Aber ich fühlte, ich war angekommen.



Drei Minuten später stand Bosa in der Tür. Frau eines Fischers. Die ihr Haus und ihren Garten über alles liebt. Bosa hatte ein Apartman für mich. Und eine Überraschung. Nämlich die, dass der jüngste ihrer drei Kinder wie so viele kroatische Jugendliche sein Glück im Ausland sucht. In Murnau, keine 15 Kilometer von meinem Zuhause in Iffeldorf entfernt. Ich schlief tief und fest, während ringsum Gewitter grummelten.

Vielleicht sollte ich auch von Duilo erzählen, bei dem ich am nächsten Abend landete, nach wieder 30 Telefonaten, ich führte sie mittlerweile gleichmütig. Weil ich wusste: irgendwann würde ich schon mein Dach finden. Für diesen Abend hatte ich mir nach gefühlten 10 Häfen am Meer eingebildet, wieder im Süßwasser der Krka zu schwimmen. Aber 29 Apartmans an den Ufern der Krka sagten erstmal "Nein. Alles voll". Bis auf Duilo. Der hatte sein Apartman, worauf ich nie zu hoffen gewagt hatte: In Skradin, meinem heiß geliebten. Also nichts wie hin. Die Straße war lang. Und Skradin war voll. Mit Verkehr. Mit Touristen. So voll, dass mich ein Polizist aufhielt und mir die Zufahrt in die Altstadt verweigerte. Ich bekniete ihn. Bog nach langer Diskussion endlich rechts ab in die Fussgängerzone. Ich war sicher, Duilos Apartman wäre längst weg. Mitten im Gewühl steht ein Mann mit sanftem Lehrergesicht. Ob ich Christof wäre, aus Deutschland? Nein, der wär' ich nicht. Ob er Duilo wäre, mit dem ich telefoniert hätte? Ja, das sei er. Ich solle nur gleich mitkommen. Und nicht böse sein. Alle Deutschen hießen für ihn nun einmal Christof.

Den folgende Abend waren es 25 Telefonate - und ich landete im Hotel KLEINE HEXE bei Frau Skolic, dem Abbild einer Buchhändlerin, die mit geradliniger Hand ihr Hotel mit den 17 Zimmern am Strand führte, die Mitarbeiter anwies und gleichzeitig Kochlöffel und Käsemesser schwang. Und mir beim gemeinsamen morgendlichen Kaffee auf der Terrasse zum Gesang des Pirols einleuchtend erklärte, warum ein Essen in Supermärkten und Restaurants Kroatiens nicht weniger kostet als am Starnberger See. Und warum sie nichts davon hielt, den Strand vor ihrem Hotel mit den Kiefern, in denen der Pirol sang, nach dem Willen des Bürgermeisters demnächst in eine Partymeile mit Diskotheken umzumodeln.



Vollends crazy landete ich heute - nach unverschämt überteuerter Buchung bei BOOKINGS gegen acht Uhr Abends - auf der Insel Krk im gleichnamigen Ort in Leopoldina's Apartman. Die verschönte bei meinem Eintreffen noch ihr winziges, mit Lüstern dekoriertes Künstler-Apartman in der pittoresken Altstadt von Krk. Meine späte Buchung um halb acht hatte sie aufgescheucht und in hektische Aktion versetzt. Sie entschwebte, nachdem wir mühsam ein paar Brocken Italienisch getauscht hatten.


Mein Abend endete bei der kleinen Mattea an der Straßenecke, die ihren Tisch mit Muscheln vor sich aufgebaut hatte. Und geduldig auf einen Kunden wartete. Genau einen wie mich. Fünf Kuna, umgerechnet 70 Cent wollte sie für eine ihrer Muscheln haben. Für manche auch sechs. Mein zaghafter Versuch, mit ihr zu feilschen, mein wiederholtes Gebot "Drei" beantwortete Mattea mit einem entschlossenen "Fünf!". Also eine neue Muschel für fünf Kuna, für LEVJEs Badezimmer. Die mich daran erinnern soll: Wie reich dieses Europa wirklich ist.



Wer übers Meer reist, sucht ständig nach einem Zuhause. Aus dem Blog von Francesca Carignani, Buchautorin und Seglerin stammt diese Beobachtung. Sie trifft den Nagel auf den Kopf. Und ich? Freue mich doch schon sehr auf morgen Nacht. Und am meisten darauf, noch nicht zu wissen: Wem ich dann begegnen werde.



2 Kommentare:

  1. Wir kommen von fern her,
    Wir wandern und schreiten
    Von Völkern zu Völkern,
    Von Zeiten zu Zeiten.

    Wir suchen auf Erden ein bleibendes Haus,
    Um ewig zu wohnen
    Auf ruhigen Thronen,
    In schaffender Stille
    Und wirkender Fülle.
    Wir wandern und suchen und finden's nicht aus

    (Friedrich Schiller)

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  2. Wie der Zauberer Merlin
    möchte ich durch die Wälder ziehn.

    Will hören, was die Winde schrein
    will wie die Vögel am Himmel sein
    will wie der Wolf auf Beute lauern
    will nachts unter grauen Felsen kauern
    will mit den Geistern der Quellen sprechen
    will hören, wie uralte Bäume brechen.

    Jung will ich sein, Jahrtausende alt
    und König im dunklen Zauberwald.

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