Montag, 26. Juni 2017

Über den Kvarner.

Gepostet auf der Insel Hvar.



Vom Meer aus betrachtet, ist die Südspitze der Halbinsel Istrien ein Gleißen und Glimmen. Ein Funkeln, ein Glitzern oben auf dem felsigen Rücken, an dem ich LEVJE entlang weiter nach Süden auf die kleine Leuchtturm-Insel Porer und dann über den Kvarner zur Insel Cres steuern will. Das Kap: Es glitzert, weil hier, wo es nichts gibt außer dem karg bewachsenen Felsrücken, im Sommer auf der Höhe alle Parkplätze belegt sind. Während ich LEVJE durch die Untiefen am Kap steuere, sehe ich die Badenden, die sich irgendwo am sandfarbenen Ufer zwischen den Felsen tummeln. Für einen Moment beneide ich sie. Auf LEVJE ist es jetzt gerade ziemlich heiß. Ich würde jetzt zu gerne für einen Moment ins Wasser springen. Später. Wenn ich draußen bin. Auf dem Kvarner.

Draußen weht ein leises Lüftchen. Ich lasse den Motor lieber aus. Motor: Das ist zwar ein schnelles, berechenbares Ankommen, allerdings nach vierstündigem Gebrumm. Das lasse ich heute lieber. Mir ist mehr danach, die Stille zu genießen. Auch um den Preis des schnellen Ankommens.

Also mühe ich mich, und zerre irgendwo aus LEVJEs Bauch deren größtes Segel nach oben. Ein riesiges, 55 Quadratmeter großes grüngelbes Ding. Die Größe zweier Studentenbuden. Ich mühe mich eine halbe Stunde damit. Zerre den schweren Segelsack an Deck. Zwänge ihn in der Hitze weiter mit mir aufs Vorschiff wie ein Raubtier in der Hitze seine viel zu große Beute. Lege Leinen und Schoten des großen Segels an Deck aus, während LEVJE kaum Fahrt durchs Wasser macht und durch die ölig daliegende Weite vor dem glitzernden Kap schleicht. Entwirre Schoten, die mir kilometerlang vorkommen. Ziehe zuletzt das gelbgrüne Segel mindestens zwei Mal am Mast hoch, weil ich ein Gummiband oben an der Spitze vergaß und erst entdecke, als ich das Segel schon oben habe. Die an Deck meistgehörte Lautkombination „Och neeeee!“ fällt im Minuten-Takt.



1. Der Kvarner?


Er ist ein Meeresarm. Er trennt den Norden Kroatiens vom Süden und von den Inseln. Eigentlich ist der Kvarner nichts. Ein Meeresarm, bloß eine mit dem Wasser der Adria verfüllte 50 Meter tiefe Talsohle zwischen zwei Höhenrücken, die von Nord nach Süd laufen. Der eine Höhenrücken ist der Rand der Halbinsel Istrien. Das andere ist die Insel Cres. Und dazwischen liegt der Kvarner.

Und doch ist dieses Nichts alles. Die Region um den 35 Kilometer breiten Meeresarm heißt Kvarner - das Nichts in der Mitte als identitätstiftendes Element für die Bevölkerung. Zeitungen hießen früher nach ihm. Hotels sowieso. Der Kvarner ist mehr als nur eine geografische Erscheinung. Und vor allem ist er eine Grenze. Er trennt Istrien vom Süden. Wo der Kvarner endet,  hinter Cres, heißt das Seegebiet Kvarneric. Hier beginnen gleich die Inseln. Die großen: Krk. Pag. Rab. Aber auch die kleinen: Losinj. Unije. Susak. Und es fängt fulminant an, mit Cres, denn die ist für mich eine der schönsten.



2. Der Kvarner für Segler?


Aber nicht nur für Kroaten ist der Kvarner eine Grenze. Auch für alle, die ihre Schiffe irgendwo im Norden in und um Lignano oder im slowenischen Izola oder Portoroz liegen haben. „Über den Kvarner geh’ ich mit meinem Boot nicht. Das trau ich mich nicht“, sagen Leute, die seit Jahr und Tag ihr Boot in Istrien haben. Es ist purer Respekt, der aus ihnen spricht. Auch die Motorbootleute, so sehr sie den PS ihrer hochmotorisierten Gefährte auch vertrauen, haben beim Kvarner ein mulmiges Gefühl. „Da hats bei Bora so komische Wellen“, sagen sie. Ich habe schon beobachtet, wie prächtige, schwere Motoryachten in rascher Fahrt vom Norden Istriens angeprescht kamen. Mit unverminderter Geschwindigkeit in eleganter Kurve am Leuchtturm vorbei nach Nordost in den Kvarner eindrehten. Und deren Skipper dann schlagartig mit schreckgeweiteten Augen den Gashebel ganz ganz schnell wieder zurückzunehmen, weil die Wellen, die die Bora den Kvarner entlang nach Südwesten sendet, ein angenehmes Gleiten mit 50 Stundenkilometern in Sekundenschnelle in einen schmerzhaften Ritt auf einem unkontrollierten Presslufthammer verwandeln.

Der Kvarner weiß, wie man sich Respekt verschafft. Selbst mein guter Sven, mit dem ich mir ein Jahrzehnt die JUANITA teilte, erzählt, wie er mit der damals erworbenen JUANITA, stattlichen 37 Fuß, Mitte der Achziger zu seiner ersten Kvarner-Überquerung aufbrach. Für die knapp 20 Seemeilen lange Strecke (was eigentlich nicht mehr als fünf Stunden Überfahrt sind) packte er mit Freunden Proviant und Trinkwasser für 14 Tage ein. Wer konnte schon wissen, was einem auf dem Kvarner passiert?

Vielleicht beruht der Mythos des Kvarner auch darauf, dass viele Segelschüler ihre ersten Ausbildungstörn hierher in und um dieses Seegebiet führt. Der Kvarner als etwas gaaaaanz großes, als man in die Welt noch mit kindlicher Neugier schaute. Und doch: Der Kvarner ist eine Grenze im Kopf. Und oft eine, auf die man achten sollte, wie die nachfolgende Geschichte zeigt, die ich aus sicherer Quelle habe. Sie  spielte sich vor einigen Jahren genauso hier ab. 

Eine Crew bricht auf ihrer gecharterten 45 Fuß-Yacht in Mali Losinj gen Norden auf, um den Kvarner zu überqueren. Der Rückgabetermin beim Vercharterer gebietet zur Eile. Der Wetterbericht rät ab. Und der Hafenkapitäns in Mai Losinj auch. Es war Bora angesagt, nichts dramatisches. „Wir haben doch eine 45er. Fast ein 14 Meter langes Schiff. Und wir müssen sie morgen zurückgeben", mag der Skipper wohl noch gesagt haben. Draußen auf dem Kvarner weht die Bora heftiger. Böen fallen ein. Vielleicht gerät ein Segel beim Reffen außer Kontrolle, wer weiß das schon. Die Böen nehmen zu. Die Wellen auch. 
Das Schiff ruft per Funk um Hilfe. Ein aus Rijeka kommender Frachter legt sich neben das Schiff, um die mehrköpfige Besatzung vom Schiff. Die Stahlwand des Frachters demoliert das Rigg, das in den Wellen an die Bordwand des Frachters schlägt. Beim Abbergen der Familie fällt ein Familienmitglied zwischen die Bordwände und ertrinkt. Der Rest schaffts auf den Frachter.

Doch das ist nicht das Ende der Geschichte:
Die aufgegebene Yacht fand man etwa 24 Stunden später treibend vor dem italienischen Ancona. Bis auf das Rigg unbeschädigt. Und mit laufendem Motor im Standgas. So wie die Crew das Schiff verlassen hatte.



3. Spaß auf dem Kvarner.




Ich setze frech mein großes gelbes Segel. Und segle, weil der Wind günstig steht, hinauf Richtung Cres, wie ein Schmetterling mit breit auseinandergestellten Segeln. Der Wind weht schwach, doch stabil nach Nordosten, immerhin mit etwas mehr als vier Knoten ging die Fahrt voran. Weil der Kurs die Temperatur auf LEVJE immer heißer werden ließ, beschloss ich, endlich baden zu gehen. Liess LEVJE laufen. Zog mich nackt aus. Klappte die Badeleiter aus. Und stieg die Badeleiter hinunter in das Jaccuzzi-Sprudeln, das unter LEVJES durchs tiefe Blau dahingleitenden Bauch hervorsprudelt in reichem Schwall. Ein Vergnügen. Wenn auch kein ungefährliches. Hätte ich den Halt verloren - selbst wo ich penibel darauf achtete, immer wie ein Bergsteiger mit mindestens drei Punkten am Schiff sicheren Halt zu haben - hätte ich den Halt verloren: Dann hätte mir wahrscheinlich auch der lange Festmacher wenig geholfen, den ich zur Sicherheit hinter LEVJE nachschleppe, um ihn zu fassen. Hätte ich den Halt verloren: Dann hätte ich die zehn Kilometer zum felsigen Ufer von Cres schwimmen müssen.

Es ist pure Unvernunft. Und doch: es ist Leben.



4. Ernst auf dem Kvarner.


Doch alles hat seinen Preis. Denn während ich hinten plantschte und meine Freude in den Schwällen hatte, frischte kurz der Wind auf. LEVJE zog noch schneller durch die Wellen, die ultimative Mutprobe, mich nur noch an den Händen von meinem Schiff durch die Wellen ziehen zu lassen: Die traute ich mich nicht mehr. Ich schaute nur nach hinten. Und sah nicht den Rand der Gewitterfront, die sich hinter dem großen gelben Segel im Nordosten über Cres aufbaute. 

Plötzlich stand LEVJE. Plötzlich war der Wind weg. Kurz vor der Einfahrt am Kap Pernat fiel das große gelbe Segel in sich zusammen. Da war die große Front. Keine schwarze Bedrohung. Nur ein riesiges Wolkengebilde. Ein Riesenaggregat an thermischer Kraft.

Mit einem Mal wehten die Böen aus dem Kvarner. Färbten das vorher tiefblaue Wasser aufgerauht Schwarz. Und kamen näher. 

„Einhand-Segeln ist: Viel zu wenig Zeit und zuwenig Hände für all das, was in dem einem Moment zu tun ist.“ sagt Einhandsegler Klaus Aktoprak auf seiner sehenswerten DVD, die er auf seinen Einhandtörns gedreht hat. Mit einer einzigen Bewegung versuchte ich in ein und demselben Moment,
  • das wild schlagende gelbe Ding zu bändigen
  • das Großsegel einzurollen
  • den Motor zu starten
  • den Leinenverhau auf dem Vordeck irgendwie unter Kontrolle zu bringen.
Für einen Moment treiben wir führungslos in den Böen durch die Wellen. Ich versuche, zunächst das große gelbe Ding zu retten. Und einzurollen. Bevor der Wind das bauchige Teil weiter knallen und schlagen oder gar die gefürchtete Sanduhr daraus formen würde. Als es nach einer Ewigkeit endlich sauber eingerollt war, zerrte ich es herunter. Und vertäute es an Deck, damit der Wind nicht noch mehr Unheil anstellen konnte.

Um die 20 Knoten zeigte der Windmesser. In Böen 30. Und das, wo doch der kroatische Wetterbericht derlei erst für nächsten Morgen vorhergesagt hatte. Aber so ist das: Für alles im Leben gibt es eine Rechnung. Und für Übermut hat das Leben für mich immer eine extra Rechnung parat.

Und der Kvarner? Wieder einmal hat sich das Nichts Respekt verschafft.





1 Kommentar:

  1. Ja, kann ich bestätigen.....
    Auch ich bei meinem ersten Törn dort.

    Wann kommt dein erstes Buch?
    lg
    R.

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