Montag, 12. Juni 2017

BIENNALE, Teil II. Unterwegs im Arsenale von Venedig.



Ein paar Schritte weiter hinter dem BIENNALE-Park, den "Giardini" im Osten Venedigs lockt das Arsenale als zweiter großer Ausstellungsort. Das Arsenale: Geografisch nichts anderes als ein abgesperrtes Binnengewässer in der Osthälfte Venedigs, entstanden in den Sümpfen zwischen zwei Inseln im Osten der Stadt. Man legte die Gegend trocken, und sieben Jahrhunderte füllten sie mit Lagerhallen, Pulvertürmen, Eisengießereien, Seildrehereien, Werften für 1.000 Tonnen schwere Galeazzen, die gegen die Türken zogen. 

Für etwa 700 Jahre war das Arsenale wichtigste Werft und Waffenschmiede für Venedigs Handel und Flotte. Aber was tut man mit seinem solchen Gelände, wenn es nach 700 Jahren keiner mehr braucht? 


Während der BIENNALE jedenfalls ist ein Teil der Hallen im Arsenale auf der Fläche einer Kleinstadt für die Kunstmesse offen. Wie in den "Giardini" präsentieren auch hier von Nationen ausgewählte Macher die Kunst der Gegenwart. Und machen die Ausstellung zu einem gelebten Happening.

Saudische Künstler zeigen ein überdimensionales Webmuster an der Wand. Eine Art Teppich, der sich über die Länge einer Wand hinzieht.




Und doch aus nichts anderem besteht als aus Tausendundeiner Tonkassette, auf hölzernen Serviertabletts zu einem Wandgemälde angeordnet.


Vielleicht ist es das: Sie ist so viel, die BIENNALE. Ein Spiegel. In dem sich die Welt spiegelt. Politisch. Und phantastisch. Und visionär. Und poetisch - wie das überdimensionale, aus Bambusstäben geflochtene Traumschiff im Pavillon Singapurs:

Ein Spiegel des nicht-organisierten "Anders-Denkens" und der schillernd bunten Denkanstöße. Irgendwie konsumbefreit - soweit es den Kunstmarkt auf den beiden Ausstellungsparks angeht und nicht das große Anbieten und Feilschen in den Hunderten Gallerien, Vernissagen Venedigs.



In meinem vorigen Post über die BIENNALE schrieb ich bereits darüber, dass ich die größten Trouvaillen auf der BIENNALE abseits am Wegrand fand. In genau jenen Pavillions, wo ich mir sicher war, nicht hingehen zu müssen. Gerade da wartet Überraschendes. Also nahm ich - von Neugier getrieben - den kleinen blauen Vaporetto, der die Besucher über den Binnensee des Arsenale auf die andere Seite zu Füssen des Torre Nuovo hinüberbringt.

Nicht viele finden den Weg hierher auf die andere Seite, weil man sie nur mit dem Vaporetto erreicht. Aber da wartete auf mich, was mich am meisten faszinierte. In der Halle des "Libanesischen Pavillons" ein abgedunkelter Raum, in den zwei freundliche Damen mit Taschenlampen wie Platzanweiserinnen im Kino den Besucher in eine abgedunkelte Halle führten. Hinein ins Dunkel, an das sich die Augen nur schwer gewöhnen. Eine Säule in der Mitte des abgedunkelten Raums. Getragene Männerbässe und Frauenstimmen aus Lautsprechern, ein Gesang, schwer wie ein Gebet. Licht, das langsam an Helligkeit gewinnt, nur für einen Moment während der elfminütigen Performance, und Zad Moultakas Säule des Sonnengottes für einen Moment in helles Licht taucht. Und die glitzernde Altarwand im Dunkel hinter der Säule. Die Performance im Dunkel: Ein 4.000 Jahre alter Gesang der Huldigung an Samas, den Gott der Sonne und der Gerechtigkeit.


Doch beides ist nicht, was es zu sein scheint. Das eine nicht Altar. Das andere nicht Gebetssäule. Das dritte nicht Huldigung, sondern Mahnung.

Was das Licht enthüllt, ist nicht Andachtssäule, sondern das meterhohe ROLLS-ROYCE-Strahltriebwerk eines Langstreckenbombers.

Und die glitzernde und gleissende Altarwand ist ein Mosaik aus 150.000 Geldmünzen. Der Krieg und das Geld, meint Zad Moultakas, sind unsere Götzen. Kann man dieses Gelände und unsere Gegenwart und Ost und West noch gelungener übereinander bringen? 


Und das Arsenale? Noch Mitte des 17. Jahrhunderts war das Gelände einer der größten vorindustriellen Industriekomplexe in Europa. Als längst portugiesische, spanische, britische und niederländische Rahsegler nicht nur den Atlantik, sondern auch das Mittelmeer vor Venedigs Haustür beherrschten, war das Arsenale immer noch ein perfekt funktionierender Produktionsbetrieb für - Galeeren. Sie lagerten - so wie man es in Jahrhunderten der Welt voraus entwickelt hatte - in Einzelteilen. Fertigkomponenten, die im Kriegsfall von den 10.000 Mitarbeitern des Arsenale innerhalb 24 Stunden zu einer Galeere zusammengebaut; ausgerüstet; bemannt; und seefertig aufs Meer geschickt wurden. Hier lagerten Einzelteile, um über Monate hinweg jeden Tag ein Schiff zu bauen.

Eine Galeere! Wo doch längst andere Meere, andere Schiffstypen für den Fernhandel wichtig geworden waren.

Im 19. Jahrhunderte kam das Arsenale in die Krise. Andere Werften - Triest, Riejeka, Pula - waren besser ausgerüstet. Und zeitgemäßer. Welt ist Wandel.

Trotzdem bauten sie weiter hier Schiffe. Im kleineren Umfang. Im kleineren Maßstab. 


Was sie wohl dächten - sie, die vor 100 Jahren in der Werft Barkassen, Schlepper, kleine Stahlrümpfe bauten. Und auch Kinder für die Arbeit in den Heizkesseln einsetzten.

Was sie wohl dächten, jeder einzelne, der uns über in Jahrhundert hinweg so unendlich und zukunftsgewiss in die Augen schaut? Wenn sie uns sähen?



Wie komm ich mit dem Boot 
zur BIENNALE? 
Die Hardfacts:

Die BIENNALE dauert noch 
bis Ende November 2017

Marinas für die Anreise mit dem Boot 
und in Laufweite zur BIENNALE:

Empfohlen: 
Marina Sant'Elena 
Gleich neben dem BIENNALE-Park. Zu Fuß zehn Minuten. 
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 75 €. 
Nicht billig. Gepflegt. Ruhig. 
tel. +39 041 520 26 75

Ebenfalls gut: 
DIPORTO VELICO VENEZIANO gleich nördlich.
Liegepreise: Für 37 Fuß ca. 52 €. 
Günstig. In Laufweite. Nicht ganz so gepflegt.
tel. +39 041 523 19 27

Ebenfalls möglich, 
doch mit happigen Kosten für Vaporetto zu Zweit verbunden 
(Einzelfahrt ca. 7 €/Tagesticket 20 €/Zweitagesticket 30€ pro Person) 
sind die übrigen Marinas in Venedig:

• MARINA DI LIO GRANDE, ca. 700 Meter von der Vaporetto-Station bei Punta Sabbioni. 
37 Fuß: 42 €
• IZOLA SAN GIORGIO, 1 Vaporetto-Station von San Marco entfernt. 
Spektakulär. Im Zentrum. Klein. Teuer.
• MARINA VENTO DI VENEZIA

Eintrittspreis BIENNALE für zwei Tage Giardini/Arsenale: 25€. 
Was gemessen an sonstigen Museumspreisen in Venedig geschenkt ist.


























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