Sonntag, 13. Dezember 2015

Wie ist es eigentlich, den Winter auf dem Boot zu verbringen? Ein Themafür mich. Und für BILD.


Es ist immer wieder dasselbe. Und eigentlich werd' ich es wohl nie lernen:
Vor zwei Tagen bin ich hierher nach Sizilien, an die Südküste, nach Marina di Ragusa, wo LEVJE jetzt im Hafen liegt. Es ist Samstag, der 12. Dezember. Und mir fiel es wieder einmal unglaublich schwer, mein Zuhause zu verlassen. Es ist Weihnachtszeit: Der Schreibtisch ist voller Projekte und Arbeit, alles, alles, soll fertig werden noch vor Weihnachten. Zuhause riecht es nach frisch gebackenen Plätzchen. Es ist muckelig warm im Haus. Und einen Fuß vor die Tür zu setzen in die klammkalte Nachtlandschaft Oberbayerns kostet Überwindung. Kein Wetter, um sein Zuhause zu verlassen.

Und doch: Meine innere Stimme murmelt seit einigen Wochen, mich endlich aufzumachen. Um mich ein bisschen in der Welt herumzutreiben. Ans Meer zu fahren. Um nach LEVJE, aber auch nach dem Meer zu schauen. Wären nicht die Bilder gewesen, wie es jetzt sein könnte, am Meer, die in mir auftauchten: Nie und nimmer wäre ich losgefahren.

Und tatsächlich: Die Bilder vom Meer, sie logen nicht. Winter am Meer. Das ist wie eine Verlängerung eines langen Sommerabends. Das Licht, das sich tagsüber nie in voller Grelle entfaltet. Die Wärme, in die man morgens aus dem kalten Boot hinauskriecht, ins Sonnenlicht, wie ein endlich endlich ausgebrüteter Maikäfer. Das sich in der Sonne räkeln, bis in der Mitte des Nachmittags das Licht fahler und fahler wird. Und plötzlich die Kälte wieder da ist, wo es eben noch warm war.

Marina di Ragusa ist ein Badeort an der Südostküste Siziliens. Es ist die reichere, die wohlhabendere Ecke eines Sizilien, das für mich immer noch zwei Gesichter hat: Eben dieses wohlhabende, wo man den gepflegten Sommersitzen am Lunghomare, der Küstenstraße, einfach ruhigen Gewissens ihren Winterschlaf gönnt, sie einfach im Abendlicht vor sich hin träumen lässt. Es ist das schöne Sizilien, das gepflegte, das immer Geld hatte oder wieder zu Geld kam. Aber nur etwa 50 Kilometer von hier sieht es anders aus: Im Städtchen Piazza Armerina, eine Autostunde von hier, stehen die Menschen um eben diese Zeit mit Plastikkanistern in einer kleinen Schlange an der öffentlichen Wasserstelle. Und warten geduldig, um sich hier am Dorfbrunnen Wasser zu holen. Offensichtlich, weil viele Wohnungen dort noch ohne Anschluss sind. Es ist das Sizilien der Siebziger Jahre, der Armut, der Hoffnungslosigkeit, wo wie im pittoresken Noto an jedem zweiten Haus ein SE VENDE-Schild, "Zu verkaufen", klebt. Doch davon an anderer Stelle mehr.


In Marina di Ragusa jedenfalls ist am späten Samstag-Nachmittag die Passegiata angesagt. Aber weil der Winter die Einwohnerzahl auf 10% seiner Sommer-Bewohner herunterschrumpft, ist nicht viel los. Einheimische, die sich bei 17 Grad Außentemperatur in ihre Anoraks kuscheln, die mich mit schreckgeweiteten Augen ansehen, wenn ich erzähle, dass der deutsche Winter oft wochenlang mit Minusgraden daherkommt. Trotzdem haben auf der Piazza die beiden Gelaterie weit geöffnet, die eine prunkt jetzt im Dezember mit 25 verschiedenen Sorten verschiedenen Eises und ist rappelvoll, also, "per favore, in conno, due gusti", "zwei Geschmäcker in der Waffel, bitte".


Zum winterlichen Italien gehört aber auch die kleine Bar, im Nachbarort, in Punta Secca. Sie liegt genau zu Füßen des Leuchtturms, an der dem Meer zugewandten Seite. Sie heißt BAR PICCOLA OASI, Bar der kleinen Oase. Wie das nun gemeint ist? Ein Ort, wo der Dürstende zu trinken bekommt in der Kargheit des Sommerfrische-Dörfchens Punta Secca, zu Deutsch "trockener Punkt"? Oder ein Ort, wo man einfach fünf Minuten seine Ruhe hat über einem Espresso, einem Cornett, und Telefonläuten für einen Moment Telefonläuten sein lässt. 
Als der Leuchtturm in der Abenddämmerung beginnt, oben sein Licht auszusenden für die Schiffe, die von Malta herüberkommen, geht auch unten in der Bar das Licht an. Vielleicht ist es ja ein Signal an die Männer auf der Piazza davor, der Piazza del Faro, dem Platz des Leuchtturms, die sich um den Tisch mit den vier Kartenspielern drängen und ihnen zusehen in der heraufziehenden Kühle der Abenddämmerung, als ginge es hier im kleinen Nest Punta Secca gerade um den ganz großen Preis. Ein Signal an sie, das große Kartenspiel von der Piazza nun endgültig ins Innere der Bar zu verlegen. Aber so etwas tun Süditaliener nicht. Man geht nicht in die Bar zum Zocken. Dafür ist eine Bar dann doch zu sehr Oase - ein Ort, irgendwie abseits der Leidenschaften des Alltags.


Nein. Die Bilder in mir: Sie trogen nicht. Und während ich den Wellen zusehe, wie sie im Dämmer leise heranrauschen, denke ich mir: Warum ist das nur so, dass es für mich nicht nur einen Ort gibt, an dem das Leben behaglich ist? Sondern deren viele. 


                                 __________________________________________________

Soeben bei millemari. erschienen:




Sehenswerte Bilder und Texte aus diesem Buch haben wir 
auf unserer millemari.-Bestellseite für Sie zusammengestellt. 
Klicken Sie rein.




PS: Soeben hat mir Holger Peterson geschrieben, dass 
BILD Bremen in der heutigen Ausgabe über ihn und das Buch berichtet:



Zum BILD-Artikel: Hier klicken.










Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen