Sonntag, 11. Oktober 2015

101 Places To Sail Before You Die: Am Acheron und seinen Rätseln.


Im vorigen Post schrieb ich darüber, wie ich nachts den Acheron erreichte, den Fluss, für den bei den alten Griechen der Hades begann. Am Morgen zeigt sich die Mündung des Acheron freundlich, die Sonne bricht durch den Morgendunst und sendet ihre Strahlen hinter federleichten Septemberwolken hervor. Eine unberührte Welt, so scheint es. Dies gehört zu den Rätseln des Segelns: Fast jeder Ort, den ich mit LEVJE erreiche, erscheint mir zunächst ganz wunderbar. Mein Blick fällt in der Morgendämmerung hinüber auf den langen Sandstrand. Ein Felsen, ganz links, der aus dem Sand herausragt. Die Pappeln ganz rechts, dort muss der der Fluss sein. Pappeln mögen Flussufer, es macht ihnen nichts aus, ein Leben lang mit nassen Füßen herumzustehen, im Gegenteil: sie lieben es. Pappeln zeigen, wo Wasser und Überschwemmung ist. Und dann: Der Sandstrand. Er zieht sich fast um die ganze Bucht herum, ein feiner, reiner, weißer Sand, auf den leise die Wellen in der Bucht plätschern. Ein Bild tiefen Friedens, alle Wünsche nach tewas anderem sind verflogen. Nein, nichts anderes. Nur genau hier sein. Eine ungetrübte Freude macht sich in mir breit, genau diesen Ort erreicht, gefunden zu haben. Mein unbefangener Blick auf die Bucht des Acheron gleich nach dem Aufstehen, einen warmen Tee in der Hand, als ich sie zum ersten Mal am Tag sehe: ein wunderschöner Ort, den ich entdeckte, weil der Wind anders wehte, als ich wollte und widrig war. Wieder einmal stimmt: Das Glück - oft kommt es in der Gewand des Unglücks daher.


Als ich nach Sonnenaufgang ins Wasser springe, wartet die Bucht mit der nächsten Überraschung auf: Das Wasser ist eiskalt. Ich schnappe nach Luft, so überrascht bin ich, denn das Meerwasser ist jetzt im frühen Oktober eigentlich 23, 24 Grad warm. Es ist, als wäre ich nach der Sauna ins Tauchbecken gesprungen, schlagartig beschleunigt mein Puls, die Atmung geht schneller in der eiskalten Umgebung. Ich habe zunächst keine Erklärung. Eiskaltes Wasser von draußen, aus der Tiefe des Meeres, das sich hier in der Bucht sammelt? Aber warum hier? Als ich aber zum Strand schwimme, finde ich die Erklärungen: Es ist kaltes Flusswasser, das hier in der Bucht zirkuliert, die Wasser des Acheron, die sich noch nicht vollständig mit dem Meerwasser mischen. Als ich kopfüber ins Türkis nach unten tauche, die nächste Überraschung: In etwa 1,70 Meter Tiefe stoße ich plötzlich auf lauwarmes Wasser, eine dicke Schicht fast körperwarmen Wassers, durch die ich wohlig mit langen Zügen tauche. Wäre nur nicht der Weg nach oben: denn um Luft zu holen, muss ich wieder durch die Schicht eiskalten Wassers, das mir nun umso kälter erscheint. Also schnell wieder runter, ins Warme. So geht das Spiel, bis ich näher zum Strand komme und die Tiefe abnimmt. Überall weißer Sand, als ich ans Ufer wate, steht die warme Schicht gerade noch 10 Zentimeter hoch über dem Sand. es reicht, um den Meeresboden zu wärmen. Ich wate ans Ufer durch kaltes Wasser, über bodenbeheizten warmen Sand.


Des Rätsels Lösung: Das frische, klare Flusswasser des Acheron kommt aus den Bergen und ist kalt. Da Süßwasser eine geringere Dichter als Salzwasser besitzt, legt es sich einfach wie eine kalte Decke auf das warme Meerwasser, bevor es sich endgültig mit ihm vermischt. Ein herrliches Schwimmen, ich kenne das Phänomen aus Kroatien, aus Skradin, dort, wo sich der Fluss Krka bis auf 20 Kilometer dem Meer genähert hat und sich die Krka-Wasserfälle über hunderte Kaskaden nach unten stürtzen. Man kann dort mit dem Segelboot den Krka-Fluss über 15, 20 Kilometer den Fjord hinauffahren und in der Hitze des Sommers vom Meer kommend im kalten Süßwasser plantschen. Aber kaum taucht der Schwimmer nichts ahnend nach unten: trifft er auf warmes Meerwasser - 15, 20 Kilometer im Landesinneren, das der Fluss wie mit einer gewaltigen Pumpe vom Meer ins Landesinnere holt. Ein faszinierender Artenreichtum, der dort entsteht, wo Land- und Meerwasser aufeinander treffen und erst noch eine Weile scheu jedes für sich bliebt. Ich stelle mir das auch beim Acheron so vor: Unten im Fluss kilometerweit ins Land hinein Meerwasser, mit der zugehörigen Tierpopulation: Krabben, Krebse, Meeresfische: Dorade und Wolfsbarsch und Rotbarbe, die sich plötzlich, zur Freude der Fischer, weit im Landesinneren im Salzwasser tummeln. Und im selben Fluss, ein Stockwerk darüber, nur einen halben Meter entfernt: die Süßwasser-Bewohner. Süßwasser-Lebewesen aller Arten, Libellen und Forellen und Rotfedern. Ich frage mich: ob sie wohl zurückzucken, wenn eines sich ins Element des anderen verirrt. Ob sie überhaupt überlebensfähig sind im anderen Element und gleich wieder zurückdrängen in ihr angestammtes? Oder ob das alles ganz und gar gleichgültig ist und die Forelle gern mal einen Schluck Salzwasser nimmt, der inneren Hygiene wegen. Es ist jedenfalls ein großes Rätsel und immer wieder ein Wunder, wenn Süß- und Salzwasser aufeinandertreffen.


Langsam spaziere ich den Strand entlang, der seinesgleichen sucht, einer der schönsten Strände auf meiner bisherigen Reise. Weißer feiner Sand, den Fluss und Meer in jahrtausendelangem Mit- und gegeneinander aus dem Gestein gemahlen und zu einem kilometerlangen Sandstrand aufgehäuft haben, der jetzt im späten September seinesgleichen sucht. Wo vor Jahrtausenden der Hades begann: Heute ein Paradies.

Ein paar Liegestühle, leer, fast bin ich allein, ich wandere unter den Pappeln hinüber, dorthin, wo eine Handvoll Camper stehen und wo der Acheron ins Meer mündet. Fischer, die ihre Kaiken im raschelnden Schilf vertäuten. Stille. Ein Ort, um zu bleiben, wer weiß, wie lang.




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