Montag, 25. Juni 2018

Von Garrucha zum Cabo de Gata. Oder: Ein Boot hat keine Bremsen.


Für mein neues Buch bin ich auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne.
Und mache dabei Erfahrungen, die man nur macht, wenn man segelt.




Über das Reffen, das Verkleinern der Segelfläche, gibt es den schönen Satz: „Reffen soll man dann, wenn man zum ersten Mal dran denkt.“ Jeder Segler kennt ihn. Doch dessen tieferen Sinn, den hab ich nie verstanden. Bis vor wenigen Tagen.

Die spanische Küste ist so ganz anders, als ich es erwartet hatte. Nach den Erzählungen von Seglern hatte ich mir die 550sm als einen einzigen schnurgeraden, brettebenen Sandstrand, bedeckt von häßlichen Hochhäusern und unterbrochen von teueren Marinas ausgemalt. Nichts davon ist wahr. Jedenfalls das wenigste. Die Küste? Ist so abwechslungsreich, wie man es sich nur vom Anblick einer Küste wünschen kann. Markante Felsen wechseln mit beeindruckenden Gebirgszügen, vor denen dann auch tatsächlich kilometerlange und einsame Sandstrände in allen Farben liegen. Schnurgerade? So mag die spanische Küsten in den Atlanten aussehen. So ist sie aber gar nicht. Wie an keiner anderen Küste gibt es die großen Kaps, die mich seit Ibiza bis hierher begleiten und hinter denen man immer halbwegs gute Ankerplätze findet: Cabo Nao - mit dem Felsen von Calpe, über den ich schrieb. Cap del’Horta. Cabo de Santa Pola. Cabo de Palos. Cabo de Gata. Jedes dieser Kaps ist ein landschaftliches Highlight, an dem ich mich nicht sattsehen kann. Hochhäuser? Siehe meinen Post dazu. Überlaufene teuere Marinas? Ich bin Mitte Juni meist allein unterwegs. Die Marinas sind alles andere als überlaufen. Und teuer sind sie weder hier. Noch waren sie das auf den Balearen, wenn man nur in den PortsIB-Häfen nächtigt. Kein Vergleich zu dem, was man derzeit an Hochpreis-Küsten Costa Smeralda, Insel Ponza oder Teilen Kroatiens erlebt. Die Küste überrascht mich immer wieder mit ihrem Anblick, ihrer Verlassenheit, oder ihrer gelegentlich auch ihrer massierten Bebauung.

Ankern vor den Frachtern: Garrucha.
Auch die Häfen sind anders, als ich das aus den Erfahrungsberichten von Seglern auf der Reise gehört hatte und abwechslungsreich. Es gibt natürlich die touristischen Großorte wie Benidorm, die dann eben auch einen „Porto turistico“, wie es italienisch so schön heißt, mit dabei haben. Cartagena und Garrucha aber sind in erster Linie Industriehäfen, wo man im Vorhafen ungeniert neben der Großschiffahrt ankert. Und in Garrucha, wo mich um sieben die Förderbänder weckten, um die beiden Frachter zu beladen, begann um acht meine Reise an diesem Tag.

Der Wetterberichte hatte 20 Knoten aus Ost vorhergesagt. Genau das, was ich brauchte, um schnell nach Westen Richtung Gibraltar zu kommen und dieses Tor mit seiner Gegenströmung aus dem Atlantik gut zu passieren. Es sollte für sieben Tage beim Ostwind auf meiner Strecke so blieben, danach sollte der Wind wieder auf West drehen - und möglicherweise meine Weiterfahrt für Tage, wenn nicht mehr, durch die Straße von Gibraltar verzögern. Doch als ich am Morgen unter Segeln aus Garrucha ablegte, war vom Ostwind nichts zu spüren. Nur ein starker Schwell aus Nordost, der Levjes Baum so erbärmlich schlagen ließ, dass ich nach einer Viertelstunde  den Motor startete.

Gegen Mittag kam er langsam, der Wind. Er war lang im Bett geblieben. Spät aufgestanden. Und hatte Kräfte gesammelt. Erst 10 Knoten. Dann 12. Dann 14. Dann 18. Dann 20 Knoten. Er kam raumschots, ich konnte meine Kurslinie nicht halten, sondern steuerte mal nördlich, mal südlich davon, halste jede halbe Stunde, um mich nicht zu weit von der Kurslinie zu entfernen. Und weil alles gar so schön lief, ließ ich Vollzeug stehen.

Die Landschaft hinter den Industriehäfen von Carboneras ist menschenleer. Und einsam. Und so, als wäre ich plötzlich tief, tief in der menschenleeren Ostägäis gelandet. Kein Haus ist zu sehen. Kein Strauch. Kein Mensch. Levje rauschte die einsamen schwarzen Felsen entlang, die nur dem eine Freude sind, der die Einsamkeit sucht. Der Wind nahm zu, 22 Knoten, und meine erste Halse misslang - zuviele Dinge gleichzeitig. Das sollte bei diesen Windstärken nicht zweimal passieren. 

Einen Fehler machen im Leben ist nicht schlimm - man sollte ihn nur nicht zwei mal hintereinander machen. Ich überlegte, was ich anders machen könnte. Und wie ich die eine Winsch für Genua- und Großschot gleichzeitig einsetzen könnte. Es half ein simpler Trick: Ich betete mir einfach im Kopf die alten Manöver runter: „Klar zur Halse. Hol dicht die Großschot. Rund achtern. (Gib Stützruder). Fier auf die Großschot.“ Von außen sah das vermutlich urkomisch aus: Da war ein Mann in der Einsamkeit der schwarzen Berge auf einem Boot. Und redete wirres Zeug mit sich selber. Doch es half. Ich spielte das Mannöver vorher im Kopf durch. Probleme bereitet bei der Halse auf Levje, dass die Großschot ebenfalls über die Genuawinschen bedient werden musste. Doch mit einmal im Kopf durchdeklinieren war die rasche Folge schneller Schotwechsel auf der Winsch klar. 

24 Knoten tatsächlicher Wind. Für den, der mit dem Wind fährt, ist das ein reines Vergnügen. Ein gefühlt sanftes Windchen, das siebeneinhalb Tonnen wie durch einen Zauber in rauschende Fahrt versetzt. Ich weidete mich an dem Anblick, wie sich mein Schiff durch die Wellen bewegt. Zwischen den Felshängen kaum Welle, die unsere Fahrt aus dem Gleichgewicht bringen könnten, ließ ich Groß und Genua voll stehen. Levje stob ich durch die Wellen, wieder einmal bat ich sie still um Abbitte, weil ich sie, die von Masthöhe und Segeltragezahl leicht untertakelt ist, nach den anfänglichen ersten Schwachwind-Ausflügen auf der Nordadria enttäuscht als „Sie segelt wie eine Bratpfanne“ charakterisiert hatte. Doch für Windstärken wie vor Cabo de Gata ist Levje genau das richtige Schiff.


26 Knoten in der Spitze. Immer noch das reinste Vergnügen. Doch man vergisst zu leicht, wie schnell sich die Situation ändern kann, wenn man plötzlich nicht mehr mit dem Wind, sondern gegen ihn fährt. Die 26 Knoten fühlten sich mit meinen 7-8 Knoten rauschhafter Fahrt wie harmlose 18 Knoten an. Gegenan wären es über 30 Knoten: Statt 5 Beaufort von hinten plötzlich 7 Beaufort voll vorn. Ich vergaß das nicht. Mein Schiff lief vollkommen ruhig, zur Sicherheit setzte ich mich hinters Steuer und passte auf, dass der Autopilot, der das Schiff streng nach der Windfhne im Masttopp steuerte, nicht plötzlich den Dienst quittierte. In jedem Moment überlegte ich, was ich täte, wenn der Autopilot plötzlich fiepend ausfiele. Ich saß da. Mein Hirn rechnete wie ein Computer. Meine Seele saugte in sich auf, was ich sah. Ich wünschte wieder einmal, ich hätte eine Festplatte, damit ich alles und jedes, was ich in diesem Moment sah, in jedem kleinsten Detail in speichern könnte, damit ich es wie einen Film abrufen könnte. Jederzeit. Damit ich nicht vergesse.

Aus dem Augenwinkel nahm ich die Yacht vor mir war. Sie schien Probleme zu haben. Wendete unmittelbar vor dem Cabo de Gata. Stand mit killenden Segeln reglos im Wind. Drehte nach einer Weile ab. Um mit killenden Segeln den Weg, auf dem sie gekommen war, zurück zu motoren. Was für ein mühseliger Weg! Jetzt sah man, wie sich 6-7 Beaufort gegenan anfühlten. Das Schiff, das eben noch dahingeglitten war, war nun ein hilfloser Klotz in den Wellen, ein Stück Holz, das wehrlos auf und abgeworfen wurde in den Wellen und sich unter Motor mit 2-3 Knoten gegen die Kraft der Wellen durchboxen musste. Womöglich für Stunden.


Cabo de Gata in Sicht. Zwei rundgeschliffene riesige Felsen liegen wie Urzeit-Schildkröten versteinert rechts am Strand. Eine Radarstation in den Felsen. Sonst schwarze Felsen. Einsamkeit. Wind. Meer. 

Und die Wellen, die sich voraus noch mehr kabbelten. Ob es da am Kap vielleicht starke Strömungen gab, wie in der Straße von Messina, wo der stark ansteigende Meeresboden selbst an windstillen Tagen Zipfelmützen an der Meeresoberfläche aufwirft? Ich sah mir die Schaumkronen einen Moment an. Vor dem Kap herrschte einfach noch mehr Wind - das war die Antwort. Ich überlegte einen Moment. Ich hatte immer noch Vollzeug stehen. Jetzt wenden? Beidrehen? Und reffen? Zu eng an dieser Stelle. Zu wenig Lee. Zu ungewiss.

Blieb nur: Unter vollem Groß und voller Genua einfach weiterlaufen, was immer da vorne an Wind käme. Ich schaltete den Autopilot aus. Und übernahm das Steuer. Was immer dort auf mich zukam: Ich wollte selbst am Steuer stehen. Das Ruder bewegte sich wunderbar leicht, zu leicht, wie der YACHT-Tester damals befand, der gern mehr Ruderdruck spüren wollte. Doch ich war glücklich mit dem Rad, das ich selbst mit zwei Fingern steuern konnte.

Hättest Du bloß mal vorher gerefft!


Cabo de Gata. 28. 30 Knoten von achtern. Es war viel. Ich spürte das Prickeln in meinem Nacken. Ob noch mehr kommen würde? Jetzt bloß keinen Steuerfehler! Das Drahtstag über mir knackte. Der Mast gab kurze Geräusche. Laute, die ich noch nie gehört hatte, während Levje kurz von 9 auf 10 Knoten beschleunigte. Hoffentlich kommt da vorn nicht noch mehr Wind? Haben wir noch genug Tiefe unterm Kiel? 10 Meter sagte die Anzeige. Jetzt nur nirgends mit dem Ruder hängenbleiben, pinselte mein Hirn an die Wand. Was für eine irre Fahrt ist das denn, jubelten meine Sinne. Gottseidank keine brechenden Wellen, sie hätten uns gefährlich aus der Bahn werfen können. Und was für einer Bahn: Es war, als hätte man mein 7,5 Tonnen-Schiff in einen Wildwasser-Kanu-Kurs geworfen. Rauschend, wiegend schoß es nach vorn, ging es nach unten im Wildwasser, vorbei am Kap. Mein Schiff suchte sich selber seinen Weg, so hatte es den Anschein, zwischen Gischt und Strudeln und nahm ihn gelassen, als wäre alles nichts. Während ich klein, verloren am Steuerstand stand, vibrierend wie die Stagen über mir vor innerer Anspannung. Vor Freude. Vor Furcht. Vor Jubel über all das.

Keine 10 Minuten dauerte die rauschende Fahrt am Cabo de Gata. Dann fiel der Wind wieder auf 25 Knoten. Ob ich vorher gerefft hätte, wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet? Ich weiß es nicht. Selbst wenn die Erfahrung für mich einzigartig und neu war: Für ein Schiff sind 30 Knoten segelnd von achtern, wenn es in gutem Zustand ist, nichts Ungewöhnliches. Es erlebt zu haben, stärkte mein Vertrauen in mein Schiff ungeheuer. Ich habe für höhere Windstärken die richtige Takelage gewählt.


Ob man Vollzeug stehen lassen sollte? Darüber kann man streiten. Reffen soll man dann, wenn mans erste Mal dran denkt. WEIL MAN DANN NOCH DIE MÖGLICHKEIT DAZU HAT. Das ist der ungesagte, doch wichtigste Teil des Satzes. 

Doch ich bin froh, mein Schiff in dieser Situation erlebt zu haben. Ich habe mir die letzten Tage angewohnt, Manöver zu üben. Ablegen unter Segel ohne Motor. Ankern unter Segel ohne Motor. Ich habe gestern nach Cabo de Gata bei 25 Knoten beigedreht, um zu reffen. Und gehalst.


Am Ende bleibt: Mein Schiff und ich. Wir haben beide funktioniert in dieser Situation. Und wir hatten Glück. Das zählt.

1 Kommentar:

  1. Lieber Thomas du kannst auch reffen ohne bei zudrehen
    einfach die Großschot lösen und das Groß auf den Luftpolster legen, der zwischen Groß und Vorsegel strömt ohne den Kurs zu ändern
    dann kommt der Druck aus dem Groß und du kannst bequem reffen
    dann Großschot wieder dicht holen und fertig
    probier das einmal aus und du wirst staunen wie einfaCh reffen ist!
    liebe Grüße
    Peter
    Ps: deine Texte sind ganz hervorragend

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