Wo war ich gleich noch stehen geblieben?
Ach ja. Im vorigen Post noch tief im Winter, als es mit 150 PS durch neblig kalte Lagunen ging. Doch jetzt, fünf Wochen später und in der Woche nach Ostern, ist alles anders in den Lagunen. Das Gras ist grün. Der Löwenzahn trägt schicke silberne Kugelhelme. Frachter ziehen durch üppige Wiesen.
Wieso Frachter??
Wir sind am Fluss Corno, zwischen Grado und Lignano, in der Nähe des Städtchens San Giorgio di Nogaro, wo die Lagunen von Grado und Marano enden. Und der Fluss, den ich in meinen Winterposts beschrieb, sich jetzt im Frühjahr milde durch Auwiesen, Weidengestrüpp und Schilfhalme hindurch an Stahlwerken, Glasfabriken, Flusshäfen vorbei schlängelt. Und an den Marinas von San Giorgio und Sant'Andrea vorbei, wo Levje den Winter über lag. Und als würden die Menschen es dem Löwenzahn gleichtun, zeigen sie allerhand Kunststücke.
Klettern Masten hinauf, weil Windmesser und Vorstag nicht wollen, wie "Mann" will. Malträtieren jämmerlich Teakdecks mit Dampfstrahlern und Schrubbern. Oder stecken, wie ich auf Levje, Köpfe und Nase auf ihren Schiffen in Ecken, wo Köpfe und Nasen nun mal nicht hineingehören. Frei nach dem Motto: "Ich wollt' immer schon mal wissen, was unter dem Brett ist".
Es ist Frühjahr im Hafen. Der Mensch: Erwacht.
Aber immer bloß reparieren geht auch nicht. Und wer jetzt meint, in diesem Sommer endlich, endlich sein Boot in perfektem Zustand zu bringen, der kommt niemals aus dem Hafen raus. Wer zur Unzeit perfekt sein will, kommt nicht zum Segeln.
Also lasse ich irgendwann Brett wieder Brett sein, und Solaranlagen-Kabel Solaranlagen-Kabel und tuckere mit Levje einfach durch die Lagunen den Fluss hinunter. Was scherts, dass das eine oder andere noch nicht fertig oder nicht angeschlossen ist. Das Wetter ist schön. Die Segel neu. Das Unterwasserschiff glatt und schnell, wie selten. Leichter Wind aus Süd, eiskalt - aber was machts.
Den Corno hinunter geht die Fahrt, wo ich vor einer Woche noch neidisch mit dem Schraubenzieher in der Hand den Frachtern zwischen den Wiesen nachschaute. Die Wasserwüste der Lagunen glänzt, als hätte es fünf Monate Nebel und klamm und kalt nie gegeben, als wäre das Leben in den Lagunen ein immerwährender Sommer. Und weil sich der Wind am Nachmittag gar so nett entfaltet, lassen wir Grado einfach links liegen und die Mündung des Isonzo auch. Und segeln hinüber über den Golf von Triest nach Osten in vier Stunden. In ein ganz anderes Land, nach Slowenien, einfach für einen Samstag. In die Bucht von Portoroz.
Aber auch in Portoroz, wo wir vor dem Hafen die Nacht ankern, ist alles scheinbar wie es immer war. Süddeutsche und österreichische Segelschüler drehen Kreise auf dem Wasser, fahren Q-Wenden und "Mann-über-Bord"-Manöver, als wäre nichts gewesen. Der Hügel neben der Marina ragt mit seinen Lebensbäumen in der Abenddämmerung wie eine Insel aus dem Meer. Das Spielcasino im ach so gern sich mondän gebenden Portoroz entzündet in der Abenddämmerung die Leuchtreklame mit dem flirrenden Roulette-Rad auf seinem Dach. Für einen kurzen Moment überlege ich, ob im Casino vielleicht noch der Glanz von "James-Bond" und "Smoking" wie in den Siebzigern zuhause sein könnten. Oder ob auch das leuchtende Casino im slowenischen Seebad Portoroz den Weg allen Irdischen ging und vom Glanz erhaben sich drehender Roulette-Räder nichts übrig blieb als eine Ansammlung dudelnder, klingelnder, wimmernder elektronischer Spielautomaten.
Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal nachsehen zu gehen, bloß aus Neugier. Wie es so zugeht, im Casino von Portoroz unter dem glitzernden Roulette-Rad, das mir herüberleuchtete manche Gewitternacht, die ich auf LEVJE ankernd in der Bucht verbrachte.
Aber heute gehört der Abend dem Sonnenuntergang. Auf den hat man aus der Bucht von Portoroz einen ganz wunderbaren Blick, als hätte man einen Logenplatz wie die beiden keifenden Alten am Ende der Muppet-Show. Sonnenuntergänge über dem Meer sind ja nun wirklich Kitsch. Ganz sicher wird es, Frankreich hin, Trump her, auch in diesem Sommer wieder jede Menge davon geben. Aber der in der Bucht von Portoroz ist nun wirklich etwas Besonderes, es gibt ihn nur einmal auf der Welt. Nur an diesem Ankerplatz vor der Marina von Portoroz, den Sonnenuntergang zwischen den beiden Landzungen, die auch das geografische Ende zweier Länder markieren: An der Landzunge rechts endet das Euro-Land Slowenien. An der Landzunge links endet das Nicht-Euro-Land Kroatien.
Schöner und näher an der Wahrheit kann man doch in diesem Frühjahr nicht ankern.
Oder?
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