Sonntag, 10. Januar 2016

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 7:





Auch wenn ich mich angesichts der Ereignisse in Paris an diesem Tag frage, welchen Sinn es hat, heute einfach so weiterzuposten und einfach von meiner Reise von Korfu nach Sizilien weiter zu erzählen: so glaube ich, dass gerade dies wichtig ist. Sich nicht beeindrucken zu lassen von der Monstrosität des Grauens. Sich nicht abbringen zu lassen von dem, woran wir glauben: Dies ist meine Verbeugung vor all denen, die unschuldig tiefes Leid erfahren haben.
Fahren wir also fort, wo wir endeten: Dies ist der Bericht meiner Reise in der zweiten Oktoberhälfte von Korfu nach Sizilien. 

                                      Was bisher geschah: Hier lesen: Tag 6 - Weit weit draußen, zwei Nächte und einen Tag.



In der Straße von Messina waren Wind und Welle endlich ruhiger geworden. Was vorher zwei Nächte und einen Tag böig von achtern das Meer aufgewühlt hatte hinter uns, war nun ein netter Segelwind. Auch der Himmel hatte aufgeklart. Am Horizont über Messina erhellten Blitze den Himmel, deren zuckendes Licht Levje's Großsegel wie eine Kinoleinwand zurückwarf. Am klaren Nachthimmel Sternschnuppen über Sternschnuppen, die einfach über den Nachthimmel zischten, kreuz und quer...

und so lange, bis ich nicht mehr wußte, was ich mir noch wünschen sollte. Ich hatte ja alles.

Weil Sven und sein Sohn Tino übermüdet waren vom langen Wachen nachts und tagsüber, blieb ich wach bis weit nach eins. Dann weckte ich Sven, schälte mich aus meinen Klamotten, wusch mir das Salz aus Gesicht und legte mich in meine Koje. Das "dümmliche Grinsen" in meinem Gesicht, das sich noch bei jedem einstellte, der die Schönheit des Meeres und des Segelns erfahren durfte, war das letzte, was ich registrierte. Dann: Tiefer, tiefer Schlaf.

Gegen sechs wachte ich auf. Die Sonne schien hell, Tino war wach. Und hatte die beiden Schleppangeln ausgebracht. Und zum ersten Mal seit fast eineinhalb Jahren ging uns wieder ein Fisch an den Haken: Ein Bonito mittlerer Größe biss an, der kleine Bruder des Thunfischs, ein schneller Jäger, der zu dem blinkenden Köder nicht Nein sagen konnte, als der mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers an ihm vorbeizog. Ein schönes Tier, groß und schnell und stark, mit kleinen Finnen im hinteren Drittel seines Körpers. Und ich? Verstand die Welt nicht mehr. Meine letzte Makrele hatte vor über eineinhalb Jahren in Italien angebissen. In Griechenland, der Ägäis, der Türkei zog ich wochenlang meine Schleppangel hinter Levje her. Nichts mehr. Nicht ein Fisch war mir seit Italien an den Haken gegangen. Und kaum sind wir wieder in italienischen Gewässern, beißt ein Bonito an. Ist der Schutz der Fischbestände in Italien effizienter? Haben Griechen zuviel mit Dynamit gefischt und ihre Gewässer leergefischt? Oder gibt es die schnellen Jäger, Makrelen, Bonitos, die, die meiner Schleppangel erliegen, einfach nur in den italienischen Gewässern? Ein Rätsel.

Sizilien war nah. Wie angekündigt, hatte der Wind gedreht auf den letzten Seemeilen. Von 5-6 bft von "genau achtern" auf 5-6 genau von da, wo wir hinwollten: Catania, unterm Ätna. Es machte nichts. Die Handvoll Seemeilen von der Küste baute der Wind keine Welle mehr auf, wir glitten dahin im Morgenlicht, und endlich lag der Hafen vor uns. Catania.


Der Ätna versteckte sich hinter einer dichten weißen Wolkenbank, der Südwest fegte mit Macht ins weite Hafenbecken. Italien ist - anders als Kroatien oder Frankreich - nur mit einer einfachen Yacht-Infrastruktur ausgestattet: Marinas in privater Hand sind selten, wenn man eine Marina findet, sind die überwiegend von den beiden großen Clubs CIRCOLO NAUTICO oder LEGA NAVALE vereinsmäßig betrieben. Oft gibt es gar keine Marina. Dafür besitzt Catania gleich deren vier - die Qual der Wahl. Um ruhig zu liegen, machten wir in der westlichsten fest, dem CLUB ETNEO. Leider eine teure Entscheidung, mit 45 Euro für Levje's 31 Fuß, ohne Toilette, ohne Dusche, aber was machts - wir waren angekommen und lagen fest!


Und dann die ersten wackeligen Schritte an Land, ins Caffé del porto, mitten rein ins Leben eines italienischen Hafens. Eine italienische Hafenbar ist kein strahlender Ort, wohl aber ein Ort, an dem das pralle Leben stattfindet. Zwei Fischer, zwei Hafenarbeiter in blauen Overalls mit den orangen Neonstreifen. die an der Theke vor Espresso und Cornetto stehen und kurz palavern. Der Barista hinter der Bar, Wärme, Kaffeeduft, das Geduddel eines Radiosenders, "farbiger Krach", ohne den in Italien nichts geht. Eine wunderbar gemütliche Mollige hinter der Kasse, die die Schwester des Barista sein könnte. Ihr Lächeln, und klar ist: sie ist der Magnet und das Unikum des Etablissements, das die beiden von ihren Eltern übernommen haben. Familie, die ihr Auskommen am Hafen findet. Die Hafenarbeiter bezahlen bei ihr an der Kasse, nicht ohne einen Scherz. Zu gern würde ich eintauchen jetzt gleich, gleich, ganz tief in dieses einzigartige Biotop an Beziehungen, in dieses jahrzehntelange Geflecht der Menschen an diesem Ort untereinander, das man "sich kennen" nennt. Und das diesen verlassenen Ort am Hafen trägt durch die Zeit. Weil ich wie sie vom Meer komme, bin irgendwie ein Teil dieses Biotops, es ist keine Einbildung. Ein Scherzen, ein kurzes Hin- und Her, dann ziehen die Hafenarbeiter ihrer Wege. Eine ältere Dame, gut gekleidet, die auf dem Weg ins Büro hier ihren Cafe nimmt. Ich bestelle mir einen Espresso. Und eines dieser lecker aussehenden Schokoladen-Croissants, "un brioche" heißen sie hier, darauf habe ich jetzt Lust nach all dem Salzwasser. Es kommt lauwarm über die Theke, prall unter dem Puderzucker lächelt es mich an, der Duft nach frisch Gebackenem ist unwiderstehlich. Als ich hineinbeiße, explodiert eine Woge an Nutella im Inneren des Brioche, tropft warm über die Theke, die ich, um mein Werk nur ja zu vervollständigen, mit Puderzucker und Brioche-Krümmeln eindecke. Mit einem derart üppigen Genuß hatte ich an diesem Ort nicht gerechnet, nur weil dies äußerlich ein ranziges Hafencafe ist, heißt das ja nicht, dass hier keiner was von gutem Essen verstünde. Der Barista reicht mir drei Servietten, die Kassiererin lächelt mir verständnisinnig zu, wir haben uns durchschaut, dass wir beide nur zu gerne, allzugerne gut essen und gern sinnlich sind. Und ich: Nutella-verschmiert, 54jährig, eben angekommen: Ich liebe Italien. Wie eh und je.


Im nächsten Post lesen Sie: Ganz weit oben: Auf dem Ätna.










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