Freitag, 4. Juli 2014

Unter Segeln: Einhand durch die Straße von Otranto: von Brindisi/Italien nach Othonoi/Griechenland

Ich habe bisher wenig über meinen Alltag auf einem Segelboot geschrieben. Und darüber, wie es ist, zu segeln, noch dazu allein. Bewusst deshalb nicht, weil es Beschreibungen darüber zuhauf im Internet gibt. Und über spannendere Gebiete und Abenteuer noch dazu. Aber diese Website mit Geschichten über das Meer wäre nicht vollständig, wenn nicht gelegentlich etwas von meinem Segelalltag durchscheint. Hier also meine Beschreibung der Überfahrt von Brindisi/Italien nach Othonoi/Griechenland am 1. Juli 2014.

Ich wache auf. Es ist drei Uhr Morgens. Dunkel und ruhig draussen. Am Abend vorher hatte es noch aus Südost mit bis 35 Knoten in den Hafen von Brindisi geblasen, aber mit einem Schlag war alles vorbei. Ein leichtes Lüftchen noch aus Nordwest. Als wäre nichts gewesen.

Ich halte die Uhr in der Dunkelheit vor die Augen. Dann mache ich Licht, stehe auf und höre den Wetterbericht. Zuerst den italienischen, auf Kanal 68. Die immergleiche Stimme ist beruhigend. Dann hole ich mir die neuesten Berichte aus dem Internet. Heute Nordwest bis 5 bft, nördlich Othonoi, da wo ich hin will, nach Griechenland, sogar 6 bft. Morgen kein Wind. Danach drei Tage mit 5-6 aus Nordwest, drehend auf Süd. Das kann ich so gar nicht brauchen. Also: Entweder fahre ich heute gemütlich an der italienischen Küste, bis zum idealen Absprungpunkt Castro. Und dann morgen mit 0 Wind UNTER MOTOR über die Südadria zur nächstgelegenen griechischen Insel Othonoi, nördlich Korfu. Oder ich fahre HEUTE die ganze Strecke UNTER SEGEL. Von Brindisi weg. In einem Rutsch. Dafür habe ich auf meinem Kurs nach Südosten den richtigen Wind: der "schiebt" mich zuerst mit fünf, am Ende sechs Windstärken durch die Straße von Otranto nach Griechenland. Aber: ich werde mindestens 18 Stunden unterwegs sein. Das bedeutet: Jetzt um drei morgens los, damit ich in Griechenland noch etwa im Hellen ankomme und sehe, wo ich ankern kann. "Den Landfall am Tag machen", nennt man das. Aber: Bis zur Ankunft um 21 Uhr nicht schlafen.

Ich mache mir einen Tee und ziehe mich an. Draußen schaue ich das Wetter an. Alles dunkel. Alles ruhig. Kein Hauch. Auch nicht die 5 Beaufort aus Nordwest. Das sieht gut aus. Also los. Heute. Das ganze Stück. Ich bin bereit. Und Levje auch.

Ich sehe mir den Motor an. Prüfe den Ölstand. Kontrolliere, ob die Motorbilge trocken ist. Dann teste ich, ob alle Lichter funktionieren. Ich schalte das Dampferlicht ein, das Hecklicht und das rot-grüne Buglicht. Und zum Ablegen auch das Topplicht, damit ich weiß, woher der Wind weht. Ich starte den Motor, höre ihm einen Moment zu und ziehe mir die Schwimmweste an. Das habe ich mir zur Regel gemacht: wenn die Sonne weg ist, Schwimmweste an und Lifebelt tragen. Noch einmal um mich schauen, in der nachtschwarzen Marina. Dann nach oben. Dann mache ich zuerst die Heckleinen los, gehe nach vorne, ziehe uns an der Mooring etwa 10 Meter aus der Box Richtung Hafenmitte. So, dass Levje etwas Schwung hat und von allein ins Hafenbecken gleitet. Es ist besser, in der Box mit dem Gewirr an Grundleinen nicht mit dem Motor zu arbeiten. Dann gehe ich zurück in die Plicht, lege den Tuckergang ein. Und tuckere langsam ins Bacino, das Hafenbecken von Brindisi. Ein paar Fischer mit ihren flachen, ungedeckten Booten sind unterwegs, alle fahren nach draussen, drei, vier, fünf kleine Lichter auf dem Wasser, die durch die enge Zufahrt hinaus ziehen. Ich lasse Levje treiben, die Fischer holen wir später wieder ein, und räume Fender und Leinen auf. Das braucht Zeit. Bis alles seefest verstaut ist, 10 Minuten.

Dann sind wir soweit. Es geht los. Ich gehe auf 5 Knoten Geschwindigkeit, lege auf dem Autopiloten Kurs auf die Engstelle, die Ausfahrt aus dem inneren Hafen von Brindisi. Herrlich, so nachts allein unterwegs auf dem Boot. Ich sollte das öfter machen. Aber es schlaucht zu sehr, ich bin nach einer Nacht mit Nachtwachen zwei Tage nicht mehr zu gebrauchen. Es schafft einen. Drum lass ich's lieber und fahre lieber morgens so, dass ich abends im Hellen ankomme.

Langsam dämmert es, im Osten wird's heller. Wir gehen durch den großen Außenhafen von Brindisi, vorbei an den hell erleuchteten Containerschiffen. Außer den Fischern und uns ist keiner auf den Beinen. Wir erreichen die Mole, die große Außenmauer. Darüber wollte ich auch immer mal etwas schreiben: wie errichtet man eigentlich auf 23 Metern Wassertiefe eine Betonmauer? 

Gleich nach der Mauer wird's kabbelig und ungemütlich, wie immer. Der angekündigte Nordwest ist mit drei Beaufort da und erzeugt schon mal etwas Schwell auf die Küste zu. Schwell: das sind seitliche Wellen, die das Boot hin- und herwerfen. Ich setze die Fock, aber der Wind ist noch zu schwach. Also motoren wir, Kurs 125 Grad, erstmal parallel zur Küste.

Sobald die Sonne da ist, wird's auch gleich warm. Schwimmweste, Pullover, lange Hose, Socken: aus. Ich werde müde. Die See ist herrlich an diesem Morgen, die Weite, die Salzluft, die Wellen, die weit entfernte Küste. Der Wind nimmt langsam zu und dreht mehr auf Nord. Gegen 7 Uhr kann ich den Motor abstellen. Wir segeln unter Fock, knapp 5 Knoten. Das ist mir aber zu langsam, ich setze auch das Groß. Allerdings mit zweitem Reff, wer weiß. Dieser Raumschots-Kurs und bei dem Seegang, mal sachte anfangen. Aber es reicht. Levje spurt mit fünfeinhalb Knoten auf der Logge und über sechs Knoten am GPS. Keine Klagen. Das geht flotter, als ich dachte.

Was den Anblick der See angeht, kenne ich zwei Kategorien von Menschen: Solche, die sagen: "Langweilig. Da passiert ja nix." Und solche, für die das wie Kino ist. Ich gehöre zur letzteren Sorte. Die erste, die mich darauf aufmerksam machte, war Gudrun Caligaro, deutsche Einhandseglerin, die 1987-89 mit nur viermal anlegen auf einem 28 Fuß-Boot die Welt umrundete. In ihrem phantastischen Buch "Ein Traum wird wahr" schwärmt sie viele Seiten vom Anblick des Meeres. Sie hatte ihn auf ihrer längsten Etappe mehrere Monate. Tatsächlich ist das Meer ganz großes Kino. Ein Anblick, der nichts mehr vermissen läßt. Es ist, als ob eine innere Taste gedrückt wird auf: "Komplett entspannen." Ich muss kein Buch mehr lesen, keinen Film mehr sehen, keine Teile mehr für's Boot kaufen, mit nichts Unnützem die Zeit vertun. "Komplett entspannen." Einfach den Wellen zusehen.

Der Anblick des Meeres ist so, dass ich auf längeren Fahrten wie jetzt auf dem Boot herumwandere. Auch im Seegang gehe ich vor bis zum Want. Halte mich fest und schaue lange dem Vorsegel zu, wie es arbeitet. Oder gehe ans Vorstag, das ist dann wie Aufzug fahren, ein Auf und Ab in den Wellen, rauf und runter. Aber am gemütlichsten ist es bei Lage oben unter dem Großbaum. Da sitze ich und sehe den Frachtern zu, die uns langsam überholen. Es ist auch eine Fähre dabei, die ich kenne. Sie kommt aus Izmir, dem alten Smyrna. Ich habe sie oft vor Triest gesehen und ich rechne schnell nach, dass sie für die 500 Seemeilen von hier nach Triest noch ungefähr 24 Stunden brauchen wird. Immer gibt es irgendetwas zu sehen. Ein Trawler, der seine Arbeit macht. Eine Seeschwalbe, die das Boot umkurvt. Selten ein Delfin, der mitschwimmt. Ein Frachter, von dem ich weiß, wie es jetzt gerade auf der Brücke zugeht, weil ich zweimal mitgefahren bin auf einem Containerfrachter.

Bis Mittag sind wir im Schnitt mit fast sieben Knoten unterwegs. Das ist richtig schnell. Der Wind, aber auch der in der Adria herrschende Strom schieben mit. Alles passt. Nur die Müdigkeit macht etwas zu schaffen. Eine Viertelstunde die Augen zu, das wär's jetzt. Gegen eins dreht der Wind dann zurück auf Nordwest. Und er lässt langsam nach. Langsam. Dann mehr. Noch mehr. Bis mein Windmesser noch 4 Knoten Wind anzeigt bei viereinhalb Knoten Fahrt. Ich überlege. Motor starten? Und lasse mir Zeit mit meiner Entscheidung. Nach einer halben Stunde ist der Wind plötzlich wieder da mit 11 bis 14 Knoten scheinbarem Wind. Aber er kommt deutlich achterlicher, ich kann meinen Kurs von 125 Grad nicht mehr halten, muß auf 110 Grad, dann 100 Grad gehen - Kurs auf die albanische Küste und nicht mehr die nördlichsten griechischen Inseln. Ein bisschen kann ich "zwicken", aber die Gefahr einer Patenthalse in den Wellen ist zu groß, ich sichere den Großbaum zusätzlich zur Baumbremse mit einem Bullenstander. 

Othonoi kommt in Sicht. Obwohl Rod Heikell in seinem Handbuch schreibt, dass man die Insel oft erst aus ein, zwei Seemeilen Entfernung ausmachen könne im Dunst, sehe ich sie schon 35 Meilen vorher. Gegen 16 Uhr haben wir immer noch 17 Meilen vor uns. Die Fahrt wird immer schneller, die Wellen immer größer. Aber weil ich das Großsegel habe stehen lassen, sind wir fast so schnell wie die Wellen, die größer und größer werden. Es ist unglaublich. Sie heben, weil der Wind fast genau von hinten kommt, Levje nicht mehr zur Seite aus, sondern laufen genau unter ihr durch: Heben erst ihr Heck an (Bug nach unten). Rauschen dann gewaltig drunter durch. Heben dann den Bug an. Auf dem Video sieht man das sehr schön. Es ist unglaublich, wie mich dieses Schauspiel gefangen nimmt. Keine Angst. Obwohl ein querschlagen des Bootes wirklich blöde Folgen hätte.




Zwischen den Inseln Othonoi und Errikoussa nimmt der Wind dann vollends zu. Ich gehe mit Levje kurz in den Wind, öffne das Großfall, spurte nach vorn zum Mast und zerre das Groß herunter, das nicht fallen will, weil ich wegen der großen Wellen nicht im Wind bleiben kann. Danach renne ich wieder zurück ins Cockpit und falle unter Fock ab auf meinen alten Kurs. Als ich Othonoi südlich umrunde, gehen die Böen hoch auf 30, 35 Knoten. Reffen war eine gute Idee. Ich denke an meinen alten Segellehrer: "Reffen soll man dann, wenn man's erste Mal dran denkt." Der Düseneffekt am Kap. Levje läuft immer noch unter Fock, der Wind zerrt und rüttelt beängstigend an Tuch und Vorstag, wenn ich nicht sauber Kurs halte. Es pfeift. Gischt weht waagrecht übers Vordeck. Das kenne ich aus der Türkei, hab's aber erst einmal auf Levje erlebt. Sie hält unter Fock sauber Kurs. Selbst auf die kurze Strecke von der Insel baut sich schnell ablandiger Schwell auf. Meine Navigation auf dem Ipad zeigt ausserdem einige blöde Unterwasserfelsen an, also Vorsicht. Sauber navigieren. Die Müdigkeit ist jetzt wie weggeblasen.


Es ist kurz nach sieben. Die Sicht ist schlecht, weil der Hafen genau unter der untergehenden Sonne liegt. Ich blinzle aufs Wasser, sehe nichts, kann mich nur auf das Navionics auf dem Ipad verlassen. 



Aber alles klappt sauber. Ich umrunde die kritischen Stellen, dann sehe ich die Segelyachten in der Hafenbucht von Othonoi. Als ich nicht mehr Kurs halten kann, hole ich die knatternde Fock ein und starte den Motor. Der "Final Approach" beginnt. Ich habe den Wind jetzt direkt von Vorne und die Sonne auch, aber die wird gleich hinter den Bergen verschwinden. Der Wind aber bleibt. Er zerrt und rüttelt an allem, aber Levje schafft es erstaunlich locker, den Bug im Wind zu halten. Ich gebe mehr Gas. Vorsicht auf die Unterwasserklippe Yph. Aspri Petra, die vor der Einfahrt in die Hafenbucht liegt. "Bau jetzt bloß keinen Scheiß, ja." Aber ich bin erstaunlich ruhig und ganz klar. Erst mal an den Hafen ran. Dann kucken und den besten Ankerplatz finden. Dann den Anker werfen. Dann was Warmes kochen, Risotto mit Fisch und Wein vielleicht? Langsam robben wir uns durch den Starkwind an die Hafenbucht heran. Als ich die Hafenmole passiere, dreschen die Böen nicht mehr gar so auf uns ein. Ich drehe eine Runde um die ankernden Yachten, bis ich "meinen" Platz gefunden habe, renne nach vorne, mache den Anker klar zum Fallen. Ein letzter Aufschießer in den Wind, ran ans Heck einer belgischen Yacht, da sind Kinder auf dem Schlauchboot, also Manöver abbrechen, noch mal eine Runde drehen, Aufschießer ans Heck des Belgiers, aufstoppen, Anker fallen lassen, ungefähr 25 Meter Ankerkette raus auf 4 Meter, das sollte reichen bei 30 Knoten Böen. Wir laufen rückwärts, und - der Anker greift sofort. Und hält. Ich gebe rückwärts richtig Gas, aber er hält. Meine Peilmarken an Land "stehen". Motor aus. Es ist acht. Jetzt kochen. Dann Levje aufräumen nach dem Tumult. Unten siehts übel aus. Und dann: Gute Nacht!








2 Kommentare:

  1. Ich lese diesen Text - genau so ist es.
    Ich sehe diese Bilder - genau das will ich.
    Aber ich weiß, ich werde jammern und fluchen.
    Aber spätestens wenn der Anker hält , bin ich der glücklichste Mensch.
    Dank dir für diesen Beitrag,
    Dank dir für "Meer". Alles immer ewig!

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