Dienstag, 25. April 2023

"Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln?"











Kroatien, Ende Juli vor 11 Jahren. Gewitter sind im Sommer heute so häufig wie damals. 

Unter diesem Titel veröffentlichten fast zeitgleich die Wochenzeitung DIE ZEIT und ich auf marepiu einen Post. Fast neun Jahre später würde ich nicht anders antworten als damals. "Gewitter ist nicht gleich Gewitter", schrieb ich seinerzeit. "Was nach heftigem Unwetter aussieht, entlädt sich manchmal in einem heftigen Platzregen. Manchmal sind es schwere Böen, die dem Segler zu schaffen machen. Wieder andere Unwetter bescheren dem Reisenden auf See stundenlanges Fahren unter Blitz und Donner. Keine schöne Erfahrung."

Naturgewalten wie Blitz, Donner und Starkregen wirken auf See und in den Bergen unmittelbarer und um ein Vielfaches beeindruckender als in den eigenen vier Wänden oder im Auto. Aber ist man einem Gewitter auf See hoffnungslos ausgeliefert?

Nein. Und das gleich aus vier Gründen:

1. Kein Gewitter kommt aus dem Nichts. 

Sie kündigen sich schon Tage vorher an, oft kann man sie schon 6 Stunden vorher bei strahlendem Wetter mit bloßem Auge erkennen. Wie das geht, erzähle ich in meinem Online-Seminar am kommenden Donnerstag, den 27.4.2023 um 19:30 Uhr.

August 2022. Gewitter über der Hafenbucht vor Korfu Stadt. Kommt es? Oder kommt es nicht?






2. Kein Gewitter auf See kommt unausweichlich auf uns zu.

Um manche kommt man nicht herum. Aber andere kann man frohgemut vorbeiziehen lassen. Wie das geht, was man dazu wissen muss, berichte ich ebenfalls am kommenden Donnerstag.

3. Nicht jeder Blitz auf See schlägt in den Mast.

Ganz im Gegenteil. So imposant Blitz und Donner sein mögen, sie stellen nicht die größte Gefahr dar im Unwetter. Statistisch geht von ihnen im Gewitter die geringste Gefährdung aus. Warum das so ist, und was viel gefährlicher ist, das führe ich am kommenden Donnerstag vor.

4. Und wenn es aber kommt?

Auf einem Boot kann man immer etwas tun. Aber was ist das richtige Verhalten, wenn man einem Gewitter nicht mehr ausweichen kann? Weiter unter Segeln aufs Gewitter zulaufen wie die Yacht im Foto oben? Alles ausstellen, treiben lassen? Was ist die beste Strategie im Gewitter in Kroatien?

Auf diese und andere Fragen gibts nicht nur für Skipper eine Antwort. Sondern auch für Crew-Mitglieder, die dieses Jahr nicht unvorbereitet auf dem Kroatien-Törn ins Gewitter geraten wollen.






Sonntag, 16. April 2023

Das Rätsel der Orcas. Jetzt neu in englischer Sprache.


millemari's 46. Neuerscheinung: Die englische Übersetzung von DAS RÄTSEL DER ORCAS.

Seit Sommer 2020 stoppen Orcas vor der iberischen Halbinsel Boote, rammen und drehen sie um 360 Grad - und zerstören deren Ruder. Etwa 500 Boote wurden zum Teil schwer beschädigt, mindestens zwei Boote sanken infolge der Orca-Attacken. Forschern und Naturschützern fehlt jede Erklärung für das Verhalten der Schwertwale. 

Hunderte solcher Vorfälle sind dokumentiert. Und die Zahlen werden auch in 2023 weiter steigen. Die letzte Orca-Attacke auf einen Segelyacht wurde erst in der Osterwoche vor der Straße von Gibraltar gemeldet. (Quelle: OrcasLocationPT/SPCoast auf WhatsApp, 8.1.23, 12.39 Uhr).

Was steckt hinter den Orca-Interaktionen mit Segelyachten?

Es gibt unzählige Theorien über die Ursachen. Die einen denken an Rache für die Verletzung eines Orca-Babies durch Fischer oder Segler. Manche Meeresbiologen halten eine Erkrankung im Gehirn einzelner Tiere für möglich, die auch beim Menschen weit verbreitet ist und ihr Verhalten in Risikosituationen verändert. Oder ist das Echolot von Booten schuld? Oder erhöht die Farbe des Antifoulings die Wahrscheinlichkeit, dass Schwertwale ein Ruder zerstören?

Letztlich bleibt die Frage, ob Lärm, Kampf um Nahrung, die Verschmutzung der Meere, die Verdrängung durch menschliche Aktivitäten wie Fischer, Fähren und Freizeitboote die Gegenwehr der Schwertwale weckten und sie aggressiv gegen Boote vorgehen lässt. Das Buch DAS RÄTSEL DER ORCAS folgt jeder dieser Theorien und recherchiert ihre Plausibilität.

Was steht im Buch über die Orca-Interaktionen?


Niemand kennt mehr Details über Orcas und ihre Interaktionen als die Menschen, die eine Orca-Attacke erlebten sowie die Forscher und Walschützer, die seit vielen Jahren das Verhalten der Schwertwale erforschen. Für dieses Buch interviewte ich 25 Augenzeugen, die auf ihren Booten teilweise über Stunden Attacken von Orcas ausgesetzt waren. Einer von ihnen erlebte den Untergang seines Schiffes. 

Diese Augenzeugenberichte bilden die Grundlage, um die gängigsten 15 Theorien wie Krankheit, Verletzung, Rache, Lärm, Kampf um knappe Nahrung, Training, Jagd oder Spiel zu untersuchen. In zahllosen Gesprächen mit Wissenschaftlern, Meeresbiologen und Walschützern suche ich nach einer plausiblen Erklärung für die Orca-Interaktionen zu suchen, bis am Ende des Buches eine Theorie als wahrscheinlichste Ursache übrig bleibt.

Die betroffenen Augenzeugen haben (fast) alle Arten von Gegenwehr unternommen. Meine Recherchen dokumentieren ihre Wirksamkeit oder Unwirksamkeit. Manche von ihnen sind selbst Meeresbiologen - und wurden überrascht, wie die Tiere reagierten.



Aktuelle Lesermeinungen zum Buch und Hörbuch:

"Ich hatte Gänsehaut beim Lesen. Die ideale Verbindung zwischen Abenteuer und wissenschaftlicher Recherche, wie sich die Orcas das Meer zurückholen."

"Faszinierend, die Hypothesen über die Killerwale und ihr Verhalten. 
Am meisten faszinierten mich die beiden Kapitel über Orca-Jagdtechniken und den Thunfischfang." 

"Thomas Käsbohrer führt seine Leser von Orca-Attacke zu Orca-Attacke, 
von Theorie zu Theorie, warum die Orcas Boote angreifen. 
Ich folgte jeder Theorie. Dann rätselte ich mit, was hinter den Attacken stecken könnte, 
bis ich am Ende meine eigene Theorie entwickelt habe."

"Ich fand die vielen plausiblen Theorien spannend - und vor allem, wie
wie jeder der Augenzeugen eine ganz andere Wahrnehmung von Orca-Attacken hat." 

"... es gibt tatsächlich etwas wie im Roman 'DER SCHWARM',
das uns auf dem Meer bedroht."



Donnerstag, 13. April 2023

Ostern: Nachts auf einem Boot mitten durch Venedig.





Meine Reise Nachts auf dem Boot durch Venedig beginnt nahe des Bahnhofs Santa Lucia





























Geht das überhaupt? Nachts auf einem Boot mitten durch Venedig?

Ja klar geht das. Es klappt zwar nicht mit dem eigenen Boot auf dem Canal Grande wie in den Fotos dieses Posts. Wer diese Tour unternehmen will quer durch Venedig, der steigt am besten in Santa Lucia, Venedigs Hauptbhanhof in den Vaporetto der Linie 2 mit Ziel Piazza San Marco. Nimmt hinten in dessen Heck auf einem der sechs Sitze unter freiem Himmel Platz, auch wenn diese Mitte April noch ganz schön zugig sind. Doch ich verspreche: Die Tour durch die Nacht auf dem Canal Grande lohnt sich! 












Und schon gehts los. Die Bodenplatten des kleinen Stahlschiffs vibrieren, als der Propeller irgendwo unter mir eine mächtige Welle im Heck aufwirbelt. Auf dem luftigen Freiluftsitz hört man jede Umdrehung der Welle, jedes Wühlen des Propellers im Wasser, wenn das Schiff von einem der gelb-grauen schwimmenden Bushäuschen ablegt und sich dem engen Wasserweg des Canal Grande durch die Häuserschluchten folgt. Der Abendhimmel schickt vom Westen sein letztes Leuchten aufs Wasser und auf die Fassaden. Reglos wie Gesichter sind sie dem vorübereilenden Betrachter zugewandt.

















Denn Häuser können wie Gesichter sein. Und wie sie ihren strengen Blick auf uns richten. So frage ich mich auch an diesem Abend: Bin ich der Betrachter der Gebäude? Oder betrachten sie mich aus tausend Augen? Reise ich hier wirklich an Gebäuden entlang? Oder durchstreife ich Gebäude für Gebäude die Erinnerung an mein Leben?

Selten ist ein Fenster erleuchtet. Manchmal erhasche ich im Vorbeifahren einen Blick auf einen festlich hellen Saal. Oder die erleuchtete Dienstboten-Etage im ersten Stock mit den kleineren Fenstern, bevor es hinaufgeht in die Gemächer der Herrschaft. 

Wer lebte hier? Viele der auf dem Wasser thronenden Gebäude entlang des Canal Grande wurden im Mittelalter errichtet. Repräsentative Kaufmannssitze waren sie oder Paläste von Adligen. Doch immer waren sie erhabene Bauten, denen bis heute nichts ihre Würde nehmen konnte. Nicht das Wasser, das ständig an den Grundmauern nagt, nicht die Verarmung von Teilen des venezianischen Adels nach dem verlorenen Candia-Krieg, nicht der Untergang der venezianischen Gesellschaft mit dem Erlöschen Venedigs als selbständiger Republik durch Napoleon.

Reglos starren sie den Betrachter an aus dunklen Augen. Doch ihre Schönheit nach tausend Jahren lässt nichts und niemanden kalt, gerade in der Nacht nicht. Und selbst die neuen Schönheiten, die sich zwischen den alten Fassaden am Canal auf haushohen Reklameplakaten zeigen mit einem hingehauchten 





















"j'adore", "ich bete dich an", kommen nicht im geringsten gegen Magie und Schönheit der alten Häuserfronten an, bleiben unbeachtet zurück hinter dem vorbeieilenden Vaporetto. Versinken irgendwo in der Schönheit der Häuserfronten, ihrer filigranen Säulenfassaden und deren zeitloser Eleganz vor der majestätischen Kulisse des Vorfrühlingshimmels,




während unser Gefährt weiter mit klirrenden Bodenplatten den engen Windungen des Canal folgt. Kälte steigt an diesem Ostersonntag vom Wasser auf, es hat vielleicht 10 Grad, vielleicht 12 Grad, aber was macht das schon. Wer in die Gesichter der Mitreisenden sieht, sieht etwas ungewöhnliches. Niemand auf dem Vaporetto starrt aufs Handy. Alle Blicke sind nach draußen gewandt, ein ungläubiges Staunen malt sich auf die Gesichter über die unfassbare Schönheit, huscht vom einen zum anderen statt genervter Langeweile. Selbst wenn die Wasserkälte in den Knochen steckt: Was macht das schon? Denn dies hier ist großartig, ist Teil unserer Geschichte.

Doch während das Schiffchen mit klirrenden Bodenplatten weiter in die Nacht brummt und emsig von einer schwankenden Haltestelle zur nächsten brummelt, stellen wir fest: Wir sind nicht allein auf dem Wasser. Ein neonblau getauchtes Rennboot schießt an uns vorbei. Die stummem Zeitzeugen am Ufer, sie sind nicht im mindestens verblüfft. Nichts, was sie in fünfhundert Jahren nicht schon gesehen hätten, nichts Menschliches, was ihnen fremd wäre.



Ein Gondoliere stakt im Dunkel unter der Rialto-Brücke nah an uns entlang. Seine Gondola, dieses bis zu elf  Meter lange Gefährt ist leer bis auf einen Schemen, keine Liebenden sitzen darin. Der Gondoliere treibt sein Gefährt mit dem einen Ruder aufrecht stehend an uns heran, als gäbe es das eisige Wasser um ihn herum nicht. Um mich herum gerinnt alles zu einem Film von Federico Fellini, der selbst im Verkehr des Großstadt-Molochs Rom noch Urweltwesen entdecken konnte und Autobahnen als ihre Bühne betrachtete. 















Da! Endlich einmal Menschen auf einem Balkon. Bewohner eines dieser Häuser vielleicht. Reglos sitzen sie da wie die Fronten ihrer Paläste und blicken hinaus aufs Wasser. Erstarrte Geister, die einmal im Jahr zurückkehren in den Palazzo ihrer Vorfahren.














Doch immer wieder fesseln mich Gebäude wie die Zwillinge hier, die oben in stiller Eintracht übers Wasser leuchten. Ein Rausch der Bögen, Säulen und halbrunden Formen, der niemand kalt lässt, den auf dem zugigen Vaporetto die Flusskälte in die Finger beisst. Schatten, die nicht ins Dunkel gleiten. Schönheit, die nicht schwindet.














Und selbst als wir den eingewandeten Kuppelbau der Santa Maria della Salute erreichen, unseren Blick losreißen von den majestätischen Freitreppen und im langsamen Vorübergleiten freien Blick auf die ringsum schwarzweiß bedruckte Fassadenhülle haben, scheint die zum Dank gegen die Pest errichtete Kirche auch das noch locker auszuhalten. Großflächig inszenierte Couture, die dem Gebäude nichts anhaben kann und fast als Nichtigkeiterscheint. 

Wenig später, kurz nach der verhüllten Santa Maria della Salute hat der Rausch ein Ende. San Marco ist erreicht. Venedig, das viel für seinen Over-Tourism gescholten wird, kennt viele stille Ecken. Doch  bei San Marco regiert der Trubel, hier kreuzen sich die Touristenströme, verwirbeln ineinander, ein Strudel aus Besuchern, der seinesgleichen sucht und durch den wir Mühe haben, unseren Weg zu bahnen, um unser Vaporetto heimwärts zu finden in der Kälte. Noch einmal brechen wir auf dem Boot in die Nacht auf. Aber nur eine Station von San Marco hinüber zur Klosterinsel San Giorgio Maggiore, wo in der dortigen Marina Levje liegt.

Nein. Venedig haut mich jedesmal wieder aus den Schuhen. Ich begreife diese Stadt und ihren Zauber, wenn ich mich ihm immer wieder von der See und nicht von seiner Landseite her nähere.























































Sonntag, 9. April 2023

Auf dem Boot an Ostern in Venedig.


Es gibt drei Marinas in Venedig, um mit dem Boot anzulegen. Doch dem Zentrum Venedigs ist man am nächsten in der Darsena San Giorgio auf der gleichnamigen winzigen Insel San Giorgio Maggiore. Von der Stille der Klosterinsel, die nur mit dem Vaporetto zu erreichen ist, und vor allem vom Glockenturm herunter hat man herrlichen Weitblick in die unzähligen Blautöne. Und kann man dem hektischen Treiben drüben auf der Piazza di San Marco gelassen zusehen. Im Foto die Einfahrt in die Darsena San Giorgio.






Die Stadt und das Wasser. Das Wasser und die Stadt. Auf kaum einem der nachfolgenden Fotos wird es fehlen, es lässt den Besucher nicht los. Selbst auf meinen Streifzügen durch Venedigs Zentrum bin ich ständig beim großen Wasserhellblau. Wie haben die das bloß angestellt, nicht nur ein paar windschiefe Holzhütten auf den Schlickbänken der Lagune zu errichten, sondern ihre steinernen Palazzi, die fünfstöckigen Wohnäuser und vor allem die wuchtigen Kirchtürme. Keine Sadt besitzt so viele Kirchenbauten wie Venedig. Allein im Zentrum listet Wikipedia 90 verschiedene steinerne Sakralbauten auf, im ganzen Stadtgebiet mit den umliegenden Inseln sind es insgesamt mehr als 130 Kirchen. Ich wundere mich immer wieder, wieso das alles nicht im Schlick versinkt, wo nur die Schwertmuscheln hausen. Nur die vielen schiefen Kirchtürme zeigen an, wie locker alles auf Sand gebaut ist - nicht nur im Stadtteil Dorsoduro, was soviel bedeutet wie "harter Rücken", um den herum vor 1.500 Jahren Venedig als Siedlung begann. 

Venedig und seine schiefen Glockentürme. Kaum einer der vielen steht steht gerade, selbst in Dorsoduro nicht.

Wo beginnt man seinen Spaziergang in Venedig am Karsamstag? Im hektischen Zentrum rund um den Markusplatz, wo der lebhafte Rummel um die zentrale Vaporettostation San Zaccharia einen ersten Eindruck gibt, wie es in den Sommermonaten überall in der Stadt zugehen wird? Oder an einem der 

Über Venedigs Dächern thront der heilige Georg, der Drachentöter, und blickt hinunter auf die Giudecca, die langgezogene Inselgruppe links. Der gleichnamige Kanal trennt die Inselgruppe von der eigentlichen Hauptinsel und dem Zentrum Venedigs rechts.

stilleren Orte der Stadt. Nein, lieber abseits, da will ich hin, wo ich mich doch selbst in München viel lieber entlang der Isar als im Zentrum rumtreibe. Also irgendwo an einem stillen Kanal und dorthin, wo Venezianer wohnen und noch leben. Zum Beispiel auf der Giudecca. Entlang der Nordseite dieser Inselgruppe, die immer wieder von Nord nach Süd von Kanälen durchzogen ist, gibt es Osterien, Pizzerien, Tavernen oder kleine Läden, wo der freundliche Händler einem gerne ein Panino mit Prosciutto cotto, Kochschinken oder Crudo, rohem Schinken für ein Picnic auf einem der vielen öffentlichen Holzstege im Süden der Giudecca belegt.

  

So ist das in Venedig an einem Ostersamstag. Die See auf dem Canale della Giudecca brodelt von Fähren, Wassertaxis, Lastkähnen. Überall an den Canali wuchert Wasserkraut von den steinernen Wänden. Es webt und wogt wie Frauenhaar im Takt der Wellen, weil hier niemals etwas stillsteht im Wasserhellblau. 

Ein Mann treibt sein schlankes Boot stehend mit gekreuzten Rudern übers Meer. Und wenn man nur lang genug dem Ballett des gleichförmigen Schwingens und Wiegens zusieht, dem Hin und Her der Hunderttausend Fäden, entspannt sich etwas in einem. 

Die Stadt und die Glocken. Die Glocken und die Stadt. Während wir durch die Stadtviertel streifen, fällt uns an diesem Ostersamstag auf, dass kein Glockenschlag erklingt. Kein Mittagsläuten, kein Stundenschlag in einer Stadt mit so vielen Glockentürmen? Das kann nicht sein! Die einzige Erklärung ist, dass von Karfreitag bis Ostersonntag, also zwischen Kreuzigung und Auferstehung, die Glocken schweigen müssen, weil dies Tradition in der Stadt ist. Ich freue mich schon auf den Moment, wo man jenen blechernen Ton wieder hören kann, der jeder Kirche des Veneto zu eigen ist und den man vom Jingle der Donna Leon-Hörbuch-Krimis nur zu gut kennt.


Doch spät nachts in meiner Koje bin ich in die Zeilen eines Gedichts von Bert Brecht versunken, als draußen plötzlich eine Glocke anfängt zu läuten. Irgendwo in der Stadt. Dann fällt eine weitere ein. Dann noch eine. Und noch eine. Und wieder eine. Ein Crescendo aller Turmglocken mitten in der Nacht, das sich noch steigert, als plötzlich auch die Glocken von meinem Aussichtspunkt, dem Turm der San Giorgio Maggiore zu läuten beginnen und alles andere übertönen. 

Ich stehe auf und schaue hinaus in die Nacht. Der Klang der vielen Glocken ist wie ein akkustisches Feuerwerk. Nach 10 Minuten scheint es vorbei zu sein. Und doch ist es immer noch nicht zu ende, weil immer wieder eine weitere Glocke irgendwo in der Stadt von neuem beginnt, nicht aufhören kann, immer wieder beginnt, als gäbe es keine Enden. Sondern nur Anfänge. 

Ich denke viel an Mallorca, noch so eine Insel, die mir wie Venedig ans Herz gewachsen ist und wo ich die letzten Jahre Ostern verbrachte. Wo die Menschen das Osterfest ganz anders begehen als auf den Inseln Venedigs. Nicht mit einem furiosen akustischen Feuerwerk, sondern mit Umzügen. Aber die Tage auf Mallorca um Ostern: Das ist eine ganz andere Geschichte als hier in Venedig... 

Freitag, 7. April 2023

Ostern? Da kann man doch nicht Segeln im Mittelmeer!



Klar kann man. Auch wenn es bei der Ankunft am Sonntag vor Ostern noch so wie auf dem Foto über der Marina Sant' Andrea im Friaul aussah. Gewitter im Süden über dem Meer. Regenschauer. Eine schneidend kalte Bora wehr vom Nordosten aus dem Karst herüber. Mir ist drei Tage bange vor dem Krantermin. Denn die Marina musste wegen der starken Böen etliche Krantermine absagen, es blies einfach zu stark.

Also dann erst mal streichen! Das Unterwasserschiff ist fällig, von Winterdreck und Wüstenstaub und


allem anderen nicht zu reden. Pünktlich zum Krantermin schläft dann der Wind, der drei Tage wehte, plötzlich ein und ich kann gemächlich aus dem Kranbecken an meinen Liegeplatz steuern, wo ich vorher garantiert noch beim Anlegen großes Hafenkino produziert hätte. 

Und am Karfreitag gehts dann auch raus. Ziel ist das 7,5 Stunden entfernte Venedig. Und als wäre ich nicht drei Jahre nicht mehr in der Adria gesegelt, wartet dort alles auf mich wie immer. Ich bin bin fasziniert wie eh und je von der Farbe des Wassers an der oberen Adria, wo Lichtbrechung und Sedimente aus














den großen Gebirgsflüssen ab dem Frühjahr jedes Jahr wieder ein Farbwunder vollbringen. Das winterliche Schwarz der Adria verwandelt sich in ... ja was? Was ist das für für eine Farbe? Eine zartes Wasserhellblau? Ein dichtes Graugrünblau? Das Meer kennt viele Farben, doch diese ist einzigartig. Vor vielen Jahren schrieb ich über diese Farbe, wenn ich einem Menschen begegnete mit dieser Augenfarbe, diesem Ton zwischen Wasserhellblau und Graugrünblau, ich wäre ihm verfallen.

Den meisten Menschen ist das wahrscheinlich egal, doch für mich hat sich allein dafür mein Tripp an Ostern raus aus dem Hafen Richtung Venedig bereits gelohnt.













Nachts ist es noch bitterkalt bis 0 Grad, aber tagsüber hat es 18 Grad, die Sonne kommt am Nachmittag heraus und bringt alles noch einmal stärker zum Leuchten und zaubert das große Glitzern aufs Wasser, bevor es am späten Nachmittag frisch wird. Ob ich wohl einen Liegeplatz in der Darsena San Marco ergattern kann? Das wäre was! Die Marina ist klein, doch ihre Lage auf der winzigen Insel San Giorgio Maggiore unmittelbar neben der gleichnamigen Kirche ist der Hammer. Sie hat zwar wenig Facilities, liegt aber unnachahmlich mit Blick auf San Marco und ist von dort nur eine Vaporetto-Station entfernt. 

Aber bis es soweit ist, brauche ich noch eineinhalb Stunden. Es ist 18 Uhr. Die Abendkälte zieht herauf. Um Viertel vor acht geht die Sonne unter, um 8:00 sollen wir vor der Marina stehen und wenn Platz ist, mit dem letzten Licht einlaufen.















Und bis soweit ist: schau ich noch aufs große Wasserhellblau - glücklich wie das Pärchen auf Levjes Relingsdraht. Die Frage, ob man an Ostern Segeln kann im Mittelmeer, habe ich also beantwortet. Aber so ganz richtig auch nicht. Die Brise vom Süden war tagsüber einfach zu schwach, um das Segel rauszuholen. Aber das kommt schon noch, wenn wir nach drei Tagen Ostern in Venedig aufbrechen.