Samstag, 1. August 2020

Rund Irland in 18 Tagen (1): Ankommen auf der Werft am River Barrow.


"Das Meer ist ein keimfreier Raum", stellte Boris Herrmann im Interview für mein Buch IN SEENOT lange vor Corona klar. Also geh ich dieses Jahr Segeln. ;-)) Auf Levje und entlang der irischen Westküste. Im Folgenden ein erster Bericht.

Die Werft NEW ROSS BOAT YARD im südirischen New Ross hatte ich im vergangenen Jahr am Oberlauf des River Barrow
eher zufällig entdeckt. Und hatte Levje hier für den irischen Winter in guten Händen zurückgelassen.

Am 20. Juli unterbrach ich meine Arbeit an der Übersetzung des Sturm-Taktik-Handbuches von Lin und Larry Pardey, das im Herbst bei millemari. erscheinen wird, und fuhr zum Flughafen. Das Flugzeug nach Dublin war nur halb besetzt. Der Autoverleiher in Dublin sagt, wir wären mit die ersten Touristen. Der 20. Juli war der erste Tag nach dem irischen Covid-19-Lockdown, an dem man als Reisender in Irland wieder ohne Quarantäne einreisen durfte. Irland gehörte zu den Ländern, das die Krise dank sehr strenger Regeln gut gemeistert hatte und wie Mallorca mit niedrigen Fallzahlen gut durchgekommen war. Nur in den dünn besiedelten Countys im Norden an der Grenze zu Nordirland waren die Erkrankungen höher gewesen, die Grenze und die lockereren britischen Regelungen hatten zu mehr Erkrankungen geführt.

Zwei Autostunden weiter südlich stehe ich mit Sven auf der Werft in New Ross am Ufer des River Barrow in Südirland. Da, wo ich in der Werft von Michael und seinem Bruder Stephen LEVJE vor genau 11 Monaten nach der Rückkehr von den Hebriden zurückgelassen hatte. 11 Monate nicht auf LEVJE gewesen zu sein ist hart. Für mich jedenfalls. Ich bin nun mal ein „Kümmerer“, einer der sich kümmert um die Dinge, die ihm im Leben etwas bedeuten.  Ich kann

Iren sind Individualistenund Eigenbrötler. Und nichts gibt darüber mehr Auskunft als das Werftgebäude von Michael und Stephen, das ein überdimensionales Thermometer in Fahrenheit angibt. Damit man auch stets weiß, dass der Sommer da ist, wenn das Thermometer mal 16 Grad anzeigt. 
mein Fahrrad nicht über Nacht am Bahnhof des kleinen Dorfes stehen lassen. Ich kann kein Buch wegwerfen. Und elf Monate nicht auf meinem Boot gewesen zu sein ertrage ich schlecht. Wilde Alpträume quälten mich beim Aufwachen. Dass ich nach dem letzten Törn vergaß, dass Salonluk ganz zu schließen und der irische Dauerregen das Innere meine LEVJE füllt, bis sie unter den Rand vollgelaufen mit einem Knall auf ihrem Cradle, dem Lagerbock, auseinanderbricht. Dass das Wasser, von dem es anders als in Mallorca in Irland im Überfluss gibt, wegen irgendeiner winzigen Undichtigkeit seinen Weg ins Schiffsinnere findet und Polster, Federbett den Holzboden tränkt, bis alles grünlich schimmelt und rottet.

„It has a lot of storms“, sagte Michael Kehoe im Winter, wenn ich gelegentlich mit ihm telefonierte. Ihm gehört zusammen mit seinem Bruder Stephen die Werft, New Ross Boat Yard. „Don’t worry. We look after her“, sagte Michael, der meine Sorge während des Lockdowns spürte. Manchmal sandte mir Mickayla vom Werftbüro ein Foto von LEVJE. Mickayla, die im Büro arbeitet und mir immer neue Brocken Gälischer Worte beibrachte, wenn Sie so nett war, mich im Herbst nach New Ross zur Reinigung zu fahren. Von der ich lernte, dass Dublin auf gälisch Baile atha Cliath heißt. Und dass man das aber „Bolja oha Klija“ spricht. Und New Ross „Ross Mic Truine“. Und Wexford „Loch Garman“. Und Waterford „Port Lairge“. Wenn der Südweststurm besonders arg wehte, schickte mir mein Bootsnachbar Gábor Fotos. Gábor gehört die SHEENANIGAN neben LEVJE und er erklärte mir lachend, dass SHENANIGAN das irische Wort für Aufschneider sei. Gábor ist Ungar. Weil er wie viele Ungarn unter dem dortigen Autokraten Orban die Hoffnung verlor, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, hat er als Elektronik-Ingenieur einfach zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern Ungarn Lebewohl gesagt und die Sommerhitze Ungarns gegen die Unbeständigkeit des irischen Wetters eingetauscht.

Und dann stehe ich vor LEVJE. Einträchtig steht sie neben SHEENANIGAN, mein „Liebchen“ neben dem irisch weiß-grünen „Aufschneider“. Eigentlich sieht sie aus wie immer. Mickhayla vom Büro grinst von einem Ohr zum anderen. „Haben wir nicht gut auf sie aufgepasst?“ Unterm Arm schleppt sie die schwere Persenning, die der Wintersturm losriss und die sie auf der Werft für mich gerettet haben. Meine Erinnerung an Sciacca in Sizilien.

Am nächsten Tag machen sich Sven und ich an die Arbeit. Tatsächlich ist entlang des Wants etwas Wasser ins Bootsinnere gelaufen und trielte den langen Winterregen genau ins Werkzeug-Schapp. Meine Träume haben also nicht gelogen. Aber weil ich meine Schraubenzieher, Feilen, Hämmer, Sägeblätter sortiert in Bechern aus halbierten Wasserflaschen aufbewahre, ist nur der Becher mit den ausrangierten Schraubenziehern vollgelaufen. Die sind hin, allesamt verrostet - ein Verlust, der gemessen an meinen Alpträumen zu verschmerzen ist. Schlimmer ist das große Seeventil, dessen Hebel Sven bei der ersten Berührung in der Hand hält.

Männer sind schon komisch. Manchmal eitel. Manchmal pfeifen sie auf Bella Figura und die "Sockenfrage". Männer sind die einzigen Lebewesen, die herausfinden können, ob sie noch in die Hosen passen, die sie vor 40 Jahren kauften.
Am nächsten Morgen scheint die Sonne über dem River dem River Barrow. Also nutzen wir das schöne Wetter und machen uns ans Streichen des Unterwasserschiffs. Nur wer sein Unterwasserschiff selber streicht, ist wirklich Bootseigner. Weil nur einer mit dem Pinsel voller Antifouling in der Hand erfährt, wie rank und schnell der Bug seines Schiffes ist, den man im Nu gerollert hat. Und wie verflucht breit der Bauch seines Schiffes sein kann, wenn man über Kopf den Walbauch streicht. Rot soll das Unterwasserschiff diesmal werden, wo es vorher blau war 


und ganz zuvor schwarz. Damit man sieht, wo es nicht hält. Eigentlich ist Unterwascherschiff streichen eine schöne Arbeit. Nichts verändert ein Boot in seiner Substanz so wenig und optisch so viel wie zwei Eimer Farbe.


Sven und ich rechnen nach: Es dürfte jetzt das 22. Mal sein, dass wir zusammen ein Schiff streichen. Als ich Miteigner an seiner JUANITA wurde, strichen wir immer zusammen deren Bauch. Seit ich mein eigenes Schiff habe, streicht Sven eben den Bauch meines Schiffes mit. Es ist unser Ritus, eben einmal im Jar zusammen am Boot zu arbeiten. Manchmal an JUANITA in Livorno. Meistens an LEVJE, wo immer sie liegt. Ob in in Sizilien, der Türkei oder jetzt in Irland.  

Seit ich Sven kenne, halte ich gute Maschinenbauer längst mehr als Ärzte für Halbgötter. Sven weiß weiter, wenn Wasser ins Schiff läuft und eine Schraube festsitzt. Er weiß weiter, wo ich aufgebe. Von Sven habe ich ein Stück weit gelernt, was man „Zen oder die Kunst, ein Boot zu warten“ nennt: Die ganze Widersetzlichkeit, die ein Boot einem Menschen entgegenbringen kann, gelassen zu betrachten. Und statt in Zorn oder Verzweiflung über auseinanderfallende Seeventile und festgefressene Schrauben zu verfallen, nachzudenken, WARUM eine Schraube nach 20 Jahren nicht mehr aufgehen mag und der Hebel eines Seeventils beschließt einfach abzufallen. Das Zauberwort heißt „über Ursachen nachdenken“. Und dann Nachdenken, wie man seine Kraft einsetzen kann, um den Dingen beizukommen. In dieser Kunst werde ich zwar niemals so gut werden wie Sven, denn er hat von Kindesbeinen an, was Katrin und ich „Maschinenbauer-Augenbrauen“ nennen: Wo die Augenbrauen sind, eine leicht hervorspringende Neanderthaler-Wulst, wie sie seit der Steinzeit nur technisch begabte Menschen besitzen.

Oft
Jedes Jahr ersinnt Sven ein neues Werkzeug fürs Boot, das ich dann begeistert zum "Tool of the Year" küre. Diesmal ist es eine selbstgeschweißte Verlängerung für den Drehmoment-Schlüssel, um Levjes Kielbolzen exakt aufs vorgesehene Anzugsmoment zu bringen. Das übliche Werkzeug hierfür ist etwa 1,80m lang. Svens diesjähriges "Tool of the Year" passte wunderbar ins Fluggepäck.
Bei besonders harten Problemen kann ich hören, wie es hinter Svens Augenbrauen arbeitet. Es ist ein Geräusch, das mich beruhigt und ist ähnlich dem Klang einer Schnecke, die sich in ihr Haus zurückzieht, um etwas ähnlich Gewichtiges denkend zu erledigen. Ein wortloses die Gesetze der Physik von Archimedes über Newton bis Watt aus dem All zu sich herabziehendes Nachdenken, mit welchen Kräften man jetzt ein seit 20 Jahren im Waschtisch-Schrank von Levjes rottendes Seeventil elegant aus einer Bordwand ausbrechen und durch ein neues ersetzen kann.

Immer wenn ich das Geräusch hinter Svens Maschinenbauer-Augenbrauen höre, weiß ich: Das widersetzliche Teil wird uns jetzt ärgern, hat aber längst verloren, ahnt es nur noch nicht. Kein Teil kann Sven widerstehen. Die Augenbrauen haben diesmal folgenden Masterplan entwickelt:

1. Den mit dem Seeventil verbackenen Schlauch durch eine Art „Waterboarding“ mit kochend heißen Geschirrtüchern so lange bandagieren, bis der Schlauch so weich wird, dass er aufgibt und man ihn unbeschädigt von Hand abziehen kann.

2. Das Seeventil mit der größten Wasserrohrzange, die Michael und Stephen auf der Werft haben, abzudrehen. 

3. Wenn das nicht geht, die ganze Unit von Außen an der Bordwand mit Michaels Flex abfräsen. Und nach innen rausbrechen. Michael verdreht bei dem Gedanken an eine malträtierte Bordwand die Augen - aber er kennt Svens Augenbrauen nicht so gut wie ich.

Genau drei Stunden später ist das widersetzliche Seeventil draußen. Für Sven ist das nicht der Rede wert. Doch allein über die Aufgabe, ein 20 Jahre festsitzendes daumendickes Gummi-Schläuchlein abzuziehen habe ich schon gestandene Männer weinen sehen - vor Frustration und Ohnmachtsgefühlen. Ein Boot warten ist eine Aufgabe für Schwererziehbare, die den Widerstand des Lebens spüren müssen - und etwas, das Demut lehrt. Ein Boot bietet ECHTEN Widerstand und harte Widersetzlichkeit, wie ich sie sonst im Leben nur bei Unbelehrbaren erlebte.


Als das Seeventil aus der Bordwand draußen ist, fühlen wir uns wie die Könige. Ich erzähle nun nicht, dass wir nach dem Zuwasserlassen den Motor starteten, den River Barrow hinterfuhren und der Motor wie eine munteres Zicklein in seinem Gehäuse fröhliche Sprünge vollführt, dass das Schiff bis zur Mastspitze vibrierte. Beim Wechsel der Stopfbuchse hatte ich die Welle einen Zentimeter zu tief in den Wellenflansch eingeführt. Also Michael anrufen, der Levje ein weiteres Mal geduldig aus dem Wasser krant und von einer Rechnung für 2 x Extrakranen nix wissen will. 

Vielleicht ist es das, was mir am Leben auf einer Bootswerft gefällt: Einfach immer wieder spüren, was uns als Fremde verbindet: Wir alle haben ein Boot.





Soeben erschienen. Mit noch mehr Geschichten vom Meer und Europas Küsten:




Worum gehts?
Mallorca. Menorca. Und die restlichen Inseln, die zwischen Sizilien und der südenglischen Isle of Wight liegen.

"Ein Pageturner." 
Sagt mein Freund Josef (Er ist nie gesegelt)

"Hab die ersten Seiten gelesen. Irre. Grandios. Megastark". 
Sagt mein Freund Andreas (Er ist mit mehrfach mir mir gesegelt. Und liest Bücher von Berufs wegen.)

"Du hast ein wunderbares Buch geschrieben. Es hat mir so viel Kraft in dieser schweren Zeit gegeben, und Freude! Deine Sprache fesselt nicht nur, sie lässt auch ganz direkt miterleben, als wäre man selbst mitten im Geschehen."
Magdalena (segelte auf dem See.)

"Es ist so ehrlich, authentisch und im positiven Sinne anders als die vielen Segelbücher." 
Sagt ein Leser, der mich damit zum Erröten brachte.

Und was ich drüber denke? 
Ich bin bescheidener. Und verrate es in  einem der nächsten Posts.







2 Kommentare:

  1. Wunderbar geschrieben, als wäre ich dabei gewesen. Was sind Segelyachten doch für wunderbare Lebewesen - natürlich weiblich und manchmal zickig, aber immer liebenswürdig.

    AntwortenLöschen
  2. Lieber Alwin,

    ja, die Boote! Ich hätte in meinem Leben ja nie gedacht, dass ich einmal an derlei Widerspenstigkeit so viel Freude haben würde! Aber das hat man ja nur, wenn man dabei auch seine Erfolgserlebnisse auf dem Meer hat - sonst wärs ja schnell vorbei mit dem Spaß an "Der Widerspenstigen Zähmung."

    Herzlich,
    Thomas

    AntwortenLöschen