Donnerstag, 7. August 2014

Der Mensch und seine Sachen: Olympia. Als Sport noch richtig Kult war.


Zwei große Rätsel in der Frühgeschichte des Mittelmeeres gibt es, bei denen Historiker und Archäologen immer noch im Dunkeln tappen. Das eine: Was waren Gründe dafür, dass griechischsprachige Stämme sich in frühester Zeit in Form von Stadtgründungen über fast das gesamte Mittelmeer verbreiteten? Von Athen bis Izmir, von der Südtürkei bis Sizilien, ja sogar bis Südfrankreich? Von Sparta über Syrakus bis Marseille?

Das andere Rätsel: Ab etwa 1.800 vor Christus hatte sich zum ersten Mal in der Geschichte, getrieben durch die kretischen Minoer, ein blühendes Händlernetz entwickelt, das sich über das gesamte östliche Mittelmeer erstreckte und später von den Mykeniern übernommen wurde. Aber um 1.200 vor Christus bricht alles zusammen: Die Vernichtung Troyas in diesen Jahren ist nur die sichtbare Spitze eines Eisberges von Vorgängen, die einen Wirtschaftsraum und dessen Wirtschaftsform vernichteten. Naturkatastrophen wie Erdbeben, vor allem aber die Zerstörung der alten Reiche von Minoern und Mykeniern, die - man kann nicht anders sagen - abrupte Auslöschung von Jahrhunderte funktionierenden Handelszentren wie Ugarit von einem Moment auf den anderen: Im wesentlichen macht die Forschung für den Zusammenbruch der Kulturen ein Phänomen mit dem ominösen Begriff "die Sevölker" verantwortlich: Völkerwanderungs-Vorgänge großen Ausmaßes, Großgruppen von Plünderern, die Griechenland, die Küsten von der Türkei über Libanon bis nach Ägypten in den Jahren zwischen 1.200 und 1.000 vor Christus verheerten. Vorgänge, die sogar bis in den Westen über Sizilien hinaus zu reichen scheinen. Die mediterrane Welt versank für zwei Jahrhunderte im Dunkel. Auch dies ist die Geschichte, die Homer erzählt: Die Geschichte von der Eroberung einer Stadt. Und dem Untergang der Eroberer nach ihrer Rückkehr.

Athen kam ungeschoren davon. Und manche Siedlungen auf dem flachen Land wohl auch. Es scheint in diesen Jahren gewesen zu sein, dass einige Siedler auf dem nordwestlichen Peloponnes, auf einer schmalen Ebene Schwemmlandes zwischen zwei kleinen Flüssen, Kladeios und Alpheios, eine Brandopferstätte errichteten, um ihre Götter zu besänftigen. Stiere wurden geschlachtet. Das beste Stück des Stieres, der Schenkel, zu Ehren des Zeus verbrannt. Ein Stierkult entwickelte sich. Solange, bis der Ascheberg ungefähr sieben Meter hoch war. 

Aber nicht jeder, der zu den Göttern betete, besaß auch einen Stier. 


Was hier so aussieht wie eine Sammlung "Schleich"-Figuren ist nichts anderes als die Entdeckung kleiner Stierfiguren in Bronze und Eisen: Weihegaben der einfachen Pilger aus dem 8. bis 6. Jahrhundert vor Christus, jede einzelne davon mit einem Gebet, einem tiefen Wunsch, einem Flehen, einem Dank an die Götter verbunden. Wie man sieht, scheint es eine regelrechte Produktion solcher Weihegaben gegeben zu haben. Aber nicht nur die Erzgiesser profitierten: Auch die Töpfer mischten mit und produzierten Weihegaben aus Ton:


Kleine Idole aus einfachem Ton, handgroß.

Die Spiele selbst entwickelten sich um 700 herum, am Kultort. Glauben wir den Mythen, die uns die Trümmer der Tempel erzählen, ging es wie so oft um Blutschuld: König Oinomaos hatte das Orakel geweissagt, dass sein Schwiegersohn ihn töten würde. Also forderte er jeden Freier seiner Tochter erstmal zum Autorennen heraus, auf Leben und Tod. Es war natürlich ein Wagenrennen, aber Oinomaos spielte mit gezinkten Karten, in diesem Fall mit getürkten und von der Rennleitung nicht genehmigten Motoren und Heckspoilern: Seine Pferde stammten von den Göttern und waren unbesiegbar. Bis Pelops aufkreuzte, ebenfalls mit getuntem Antrieb: Seine Rosse waren geflügelt und geliefert hatte sie Poseidon persönlich. Natürlich gewann Pelops Rennen und Tochter und erschlug den alten König. Zur Reinigung von Blutschuld richtete er dann diese Spiele mit einer Waffenruhe ein.

Und so war dieser Ort ein Ort, an dem vieles stattfand, der aber die stets zerstrittenen Griechen einte: Wettkampf und Volksfest, Weihehandlung und Weltwirtschaftsforum, aber immer und vor allem eines: Ort der Zwiesprache mit den Göttern. Und weil der Mensch so beschaffen ist, dass es ohne Raffinement nicht geht: wurden die Opfergaben immer raffinierter: Bronzegiesser entwickelten Dreibeine, und die Kessel auf drei Beinen wurden immer beliebter. Noch Herodot, mein hochverehrter Geschichten-Erzähler aus dem Bodrum des 6. Jahrhunderts vor Christus, schreibt in seinen plapperhaften Geschichten von Wettkampf-Siegern, die schmählicher Weise statt ihre Siegestrophäe, das Dreibein, den Göttern zu opfern, die Trophäe mit nach Hause nahmen, worauf sie allzubald der Fluch der Götter traf. Immer weitere Gegenstände zur Ehrung der Götter kamen in Mode: Armgroße bronzene Greifenköpfe waren um 700 für 50 Jahre in Mode - und verschwanden dann wieder.


Masken, Helme, wie der ganz oben, wurden von Kriegern geopfert für gewonnene Schlachten - oder um die Götter für den Sieg gnädig zu stimmen. Und nur zu selten wissen wir, ob die Bitte erhört wurde.  Gelegentlich wurde, wie im Fall der Insel Zakynth, ein Schild als Opfer nach Olympia gesandt mit der Bitte, im Kampf den Sieg zu schenken. Aber noch bevor der Schild eintraf, war die Stadt Zanthe schon von Feinden erobert und die Bevölkerung versklavt oder ermordet.


Olympia als - sagen wir: "Wallfahrtsort" - wurde immer bedeutender. Und mit seiner Bedeutung stieg auch der Wunsch der Betenden, mit ihrer Weihegabe herauszuragen aus der Flut der Artefakte. Im 6. Jahrhundert vor Christus wurde der erste Tempel errichtet, der Zeus-Gemahlin Hera geweiht, das Heraion, den deutsche Archäologen in den letzten 150 Jahren Stück für Stück freigelegt haben. Die Bautätigkeit begann. Und wer Rang und Namen hatte, der errichtete dort, genau dort, einen Tempel oder ein Baudenkdenkmal:


Dies ist der Rundtempel, den Philipp von Makedonien zusammen mit seinem Sohn Alexander, den man später "der Große" nennen sollte, zu Ehren ihres Sieges bei Chaironaia 338 vor Christus über die Athener errichten ließ. Spätestens jetzt geht es im Kult um große Politik: der Sieg über die Athener Krämerseelen durfte in der griechischen Welt natürlich nicht als Akt blanker Aggression (was es war) verstanden werden, sondern als Unternehmen im Interesse aller Griechen (was es natürlich nicht war). Und als Wegweiser, wer denn die kommenden Männer in diesem Griechenland waren: In diesem Tempel wurden die Statuen des später ermordeten Philipp und Alexanders noch zu Lebzeiten ausgestellt.

Die Bautätigkeit währte von 500 vor bis etwa 300 nach Christus. Weitere Tempel kamen hinzu, Unterbringungsmöglichkeiten für Athleten (das "Gymnasion", das als großes Projekt jetzt gerade von deutschen Archäologen freigelegt wird), Unterbringungsmöglichkeiten für prominente Teilnehmer: Die Villa von Kaiser Nero, der im Jahr 68 nach Christus eigens nach Olympia reiste, um als Teilnehmer im Stadion aufzutreten. Über sein Abschneiden im Stadion von Olmpia auf der marmornen Ziellinie hat die Geschichte gnädig den Schleier des Vergessens gelegt. 


In diesen 800 Jahren erlebte Olympia den Höhepunkt seiner Bedeutung. Die Schwierigkeiten begannen - wie so oft im menschlichen Miteinander - auch für Olympia mit dem groß angelegten politischen Versuch, die Dinge des menschlichen Lebens zu standardisieren: mit der offiziellen Einführung des Christentums. Erst war Vielgötterei out, dann verpönt, dann verboten. Kaiser Theodosius um 380 nach Christus untersagte Kult und Spiele, die fanden jetzt im Kleinen heimlich statt. Ein Erdbeben zerstörte um 450 nach Christus die Gebäude, die längst im Verfall begriffen waren. Die Flüße Kladeios und Alpheios traten vehement über die Ufer und bedeckten die Kultstätte mit einer 8 Meter dicken Schlammschicht. Als erneut dunkle Jahrhunderte nach dem Untergang des römischen Reiches einsetzten und der Mittelmeerhandel komplett zusammenbrach, war Olympia schon fast vergessen. An den Flüssen siedelte noch eine Handvoll frühchristliche Bauern, die in aus dem Schlamm ragenden Ruinen nach Brauchbarem scharrten.

Heute ist Olympia immer noch ein besonderer Ort. Die Ebene, an dem zauberhaften Flüßchen Kladeios gelegen, ist ein Ort mit ganz besonderer Ausstrahlung. Vielleicht war es dieser Zauber, der vor 3.000 Jahren Menschen bewog, hier Zwiesprache zu suchen mit den Mächten, die über die Geschicke richten. Und denen sie hier ein Gesicht verliehen.


























1 Kommentar:

  1. Es wäre auch zu schade, aus Olympia nur ein Pic of the day zu bekommen!
    Ich war das letzte mal 1979 da und war genauso bezaubert.

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