Sonntag, 20. August 2023

Vier Wochen allein in den Bergen (6): Sonntagmorgen. "Irgendwas ist ja immer."



Jeden Morgen genieße ich die Stille draußen vor der Hütte. Sie ist ungeheuer und allumfassend. Jeden Morgen sitze ich hier über meiner Tasse. Betrachte meine Welt. Und achte auf die Stille.

Die Stille suche ich immer wieder. Draußen auf dem Meer, wenn ich dort bin, wo das Land hinter mir lange verschwunden ist und ich alle Geräte auf dem Boot abstelle, nur um einen Moment die Stille zu hören, wie in dieser Geschichte vor sieben Jahren. Dort draußen, wo nichts anders mehr ist als Wasser und Himmel, ist es so still, dass die Stille in meinen Ohren rauscht, als wäre mein Ohr, mein ganzer Hörapparat, gar nicht mehr in der Lage, mit purer Stille etwas anzufangen und sie im dafür zuständigen Teil meines Gehirns sinnvoll zu übersetzen. Also rauscht es in meinen Ohren, und mein Gehirn brummt achselzuckend: "Na, irgendwas is' ja immer!".

Hier oben auf 2.000 Metern ist es am Morgen fast so still wie draußen auf dem Meer. Fast. Das lauteste Geräusch, das ich gerade höre, ist das Sirren einer Fliege. Der Lufthauch, der die langen Nadeln der






Zirben vor dem Haus durchkämmt, in denen noch die Tautropfen der Nacht hängen. Ein Zilzalp, der zaghaft ruft. Um 10 Uhr die Kirchenglocken unten aus dem Tal. Das ist alles.

Manchmal kann man die Stille am Morgen sogar in einer Landschaft sehen, wenn man wandert. Sie ist eingekerbt in den Linien, die sich quer durch die Hänge dieser Landschaft ziehen, wenn ich mich durch sie hindurch bewege.
































Wenn ich es erklären müsste, warum die Stille so kostbar ist, würde ich es so tun: Stille ist ein Überbleibsel, aus einer Zeit, bevor wir begannen, uns eine Welt zu erschaffen, die wir intuitiv nicht mehr verstehen.

Müsste ich ein Rätsel schreiben, dann ginge es so: 

Es ist flüchtig wie ein Lufthauch. 
Es ist ist selten wie ein Diamant.
Es zeigt sich nicht jedem. 
Willst du es finden: Musst du früh aufstehen. Lange wachen. Und weit laufen 
Du musst die Orte kennen, wo es wohnt. 
Doch hättest du es für immer, dann wärst du der einsamste Mensch der Welt.

Des Rätsels Lösung: die Stille.

Doch mit einem Schlag ist Schluss. Ein Krähenvogel plärrt aus der Zirbe vor dem Haus. Was ihn wohl nervt? Schluß mit lustig. Die schlichte Weisheit meines Lebensfreundes Anderle stimmt einfach, dies "Irgendwas is ja immer". Und wenns nur der Krähenvogel ist, der sein "Bräääääähhhh Bräääääähhhh" in die Welt ruft. Vielleicht ist das Kostbarste an der Stille. Sie ist flüchtig. Man kann sie nicht kaufen. Sie schenkt sich einem, der sie zu schätzen weiß. Dann ist sie fort, unvermittelt, ohne ein Wort des Abschieds. 

Aber das Gute ist: Sie kommt wieder. Spätestens morgen Früh ist sie wieder da. 



3 Kommentare:

  1. Die Bilder sind super und Stille k a n n die Seele heilen. Okay. Aber das Interesse aneinander heilt noch viel besser!
    Irgendwer ist immer da!

    Anderle

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  2. Ihre geschriebenen Zeilen sind wahrer Seelenbalsam! Jede Geschichte ist, wie immer, sorgfältig gewählt, perfekt abgewogen und treffend beschrieben! Die Erlebnisse und Reisen (egal zu Lande oder zu Wasser) öffnen den Blick auf Neues, Unbekanntes - manchmal eben auch der Stille - und können so bereichernd sein! Ihr Erzählstil ist mitreißend und einnehmend und ich genieße jede Minute des Lesens! Selbstredend gehören Ihre Bücher zu meiner Pflichtlektüre und machen Lust auf Me(h)er! Vielen Dank dafür!! Herzliche Grüße aus Reichersbeuern

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    1. Lieber Martin Jochner,
      herzlichen Dank, dass Sie mir gestern schrieben. Das ist nicht selbstverständlich.
      Wenn man so vor sich hin schreibt, weiß man eigentlich nie, ob es ein Text auch wirklich schafft, von jemandem gelesen zu werden, geschweige denn, ob ein Text überhaupt jemanden erreicht. Es ist umso schöner, Ihre Zeilen zu lesen - und jetzt verbinde ich mit dem Namen Reichersbeuern noch mehr, als ich es ohnehin schon tue! Mit herzlichen Grüßen,
      Ihr Thomas Käsbohrer

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