Samstag, 30. Juni 2018

Fuengirola. Das Schiff des Mannes, der Indien suchte. Und Amerika fand.


Seit sechs Wochen bin ich nun für mein neues Buchprojekt 
auf Levje unterwegs von Sizilien in die Bretagne - einmal um die Küste Westeuropas herum. 
Im Hafen des südspanischen Fuengirola stoße ich auf ein bemerkenswertes Schiff, das Geschichte schrieb. Und eine Reise, die die Welt veränderte.



Und plötzlich liegt sie da. Herausgefallen aus der Zeit, als wäre sie eben aus einer alten Handschrift in den Hafen im südspanischen Fuengirola gepurzelt. Ein fremder Körper, so ungewohnt und ungelenk sind ihre Proportionen. Das überhohe, steil steigende Vordeck. Das Achterdeck, das sich über die Welt hinausreckt. So ungewohnt ist der Anblick der Konstruktion, dass der Betrachter sich sorgt, der nächste Windhauch könne sie einfach im Hafen umkippen und mit gewaltigem Platscher kentern lassen. So etwas kam gelegentlich vor - und nicht bloß einmal. Noch 150 Jahre nach dem Schiff, das da vor mir liegt, sank die WASA auf diese Art vor Stockholm, nach nur einer dreiviertel Meile Jungfernfahrt im ersten Windhauch der Ostsee. Und riss knapp 50 Matrosen mit sich in die Tiefe. 

Doch das Schiff vor mir liegt stabil an der Pier. Als ich näherkomme, treffe ich auf wuchtige Hardware in Holz. Kein filigranes Schiff, eher ein Rammbock. Der massive Steven hat den Durchmesser eines Autoreifens, ein Baum, der diesen Durchmesser für Steven und Kiel liefert, der musste lange gesucht und dann weiß Gott wie herangeschafft, herangeschleift werden. 


Sie sieht aus, als könne nichts sie zertrümmern. Und nichts ihr etwas anhaben in ihrer hölzernen Wucht. Der Balken, auf dem der geschmiedete Eisenanker aufliegt. Das sich nach außen wölbende Vorschiff. Die Dicke der Seitenwände. Der Bau schwerer Fahrtenschiffe um 1492 herum war vermutlich von anderen Überlegungen geprägt als mit den vorhandenen Ressourcen sparsam umzugehen. Vielleicht war sie in ihrer massigen Art auch ein Einzelstück. Die Welt des ausgehenden Mittelalters, sie war eine Welt der Einzelstücke, der Unikate. Die Welt der Massenprodukte, die unseren Blick jeden Tag vom ersten Zähneputzen bis zum letzten Flimmern aus Netflix bestimmt, die Welt der massenhaft hergestellten uniformen immergleichen Dinge, aus denen unser Leben zu einem großen Teil besteht: Diese Welt war noch nicht einmal gedacht, geschweige denn erfunden.

Der historische Nachbau von Columbus Flaggschiff SANTA MARIA ist das Projekt einer Gruppe aus dem spanischen Huelva, die sich das Ziel setzte, einen möglichst akkuraten Nachbau des Schiffes anzufertigen, auf dem Columbus einst aus Huelva ablegte. Und meinte gen Indien zu segeln und dabei in Amerika ankam - ein Irrtum, den er Zeit seines Lebens wohl nie bemerkte. Oder nicht bemerken mochte. Diesem Irrtum verdanken wir vieles: So schöne Worte wie "Indianer" oder "Barbecue"oder "Hurrican". Und manch andere Dinge und Zeitgenossen, mit denen Amerika uns bis in diese Tage erfreut. 


Die Zahlen des historischen Nachbaus sind schnell genannt: Sie wiegt 200 Tonnen. 45 Kubikmeter westafrikanisches Iroko Holz waren nötig, um ihren Rumpf zu bauen. Sie trägt 300 Quadratmeter Segel, die über 3 Kilometer Tauwerk gehievt, gezerrt, geborgen werden. Das einfache Ruder allein beeindruckt wie der Rumpf durch die massive Bauart. Segeln zum Ende des Mittelalters und hinaus auf den Atlantik: Das war Hardware.


Auch ihre Bauweise beeindruckt: Keine Schrauben. Kein hochfester Kleber. Sondern ein Kunstwerk aus aufeinander gefugten Planken. Man fixierte sie in Zimmermannsart mit dicken und dünnen Holzdübeln auf das Spanntengerüst. Und gab der Konstruktion allein dadurch die gewünschte Steifigkeit. Der Geruch im Schiff nach Holz, das Knarrzen der Verbindungen, wenn unter dem schweren Holzkoloss eine achterliche Welle durchläuft: Man hört es nur beim bloßen Betrachten.


Columbus war gebürtiger Genuese, nach heutigen Maßstäben also Italiener, aber das war ebensowenig erfunden wie Motor, Schotwinsch oder Bugstrahlruder. Das Rigg ist einfach: Um  segeln zu können, brauchte die SANTA MARIA immer Wind von hinten. Jedenfalls aus achterlichen Richtungen. J mehr er seitlich kam oder gar von vorn, war sie hilflos wie ein alter Waschzuber aus Eiche, der hilflos mit den Wellen dümpelt. Kursänderungen waren also nur vor dem Wind möglich.

Columbus hatte sie sich nicht bauen lassen und auch nicht ausgesucht. Ein Finanzier seines Unternehmens hatte sie mitgebracht. LA GALLEGA hieß sie, die Galizierin, was seriöse Historiker zu dem Schluß verführt, sie sei möglicherweise in Galizien gebaut. Es könnte jedoch ebenso gut der allzu enge Kontakt eines Seemanns mit einer korpulenten Galizierin gewesen sein, der dem wuchtigen Schiff zu seinem Namen und ihr zu einem unehelichen Kind verhalf. Der Schalk, der war sehr wohl ein Kind des Mittelalters. 

Für sein Unternehmen, die geplante Fahrt nach Indien, hatte Columbus drei Schiffe zur Verfügung. Das Größte, eben La Gallega, hatte er sich als Flaggschiff ausgesucht. Keine 30 Meter maß sie, mit 8 Meter Breite und 3,50 Meter Tiefgang. Wären da nicht die überhohen Aufbauten und ihr enormes Gewicht: Sie schiene mit ihren Maßen tatsächlich den Tendenzen im modernen Charterschiffbau (über 60 Fuß Länge) näher als heutigen Forschungsschiffen. Und um sich des Schutzes des Himmels und des Wohlwollens der Priester für sein Unternehmen zu versichern, verzichtete er auf den profanen Namen einer allzu irdischen Frau zugunsten der einen Überirdischen: Er taufte das Schiff auf den Namen SANTA MARIA. Für den Fall, dass der Schutz des Himmels nicht ausreichte, führte das Schiff vier Kanonen mit sich. Gebete waren gut. Pulver war besser.


Als Columbus Anfang August 1492 aus dem westlichsten spanischen Hafen Huelva Richtung Kanaren aufbrach, waren knapp 40 Mann Besatzung notwendig, um die SANTA MARIA vom Fleck zu bewegen. Allein die schwere Pinne scheint mehrere Mann zur Bedienung benötigt zu haben. Wie sie segelte, wissen wir nicht. Und wie sie sich in der Welle verhielt, schon gleich gar nicht. Zu vermuten ist, dass sie mit den hohen Aufbauten bei Welle sehr zum Geigen neigte und vor allem in den oberen Stockwerken des Vor- und Achterkastells ungewöhnlich stark schwankte. Columbus selbst war offensichtlich über die Schwerfälligkeit seines dicken Flaggschiffes nicht glücklich, er äußert sich in seinen Logbüchern entsprechend. Für Forschungsreisen sei sie nicht geeignet, vertraut er nach zwei Monaten seinem Logbuch an. Von den Kanaren weg, kam die Santa Maria mit dem Passat jedoch flott voran. Und schneller als erwartet. Doch nach vier Wochen ununterbrochen auf See wich die Stimmung der Verzweiflung - denn ununterbrochen vier Wochen auf See: Das war noch keiner der Seeleute gewesen. Die Stimmung war gefährlich nahe an Meuterei, wenn man nicht sogleich umkehrte. Doch Columbus, der die große Kajüte des Achterkastells bewohnte und von dort aus abgeschirmt regierte, kannte sich im Umgang mit kleinmütigen Mitarbeitern offensichtlich aus. Er handelte sich immer wieder einen Zeitaufschub heraus. Und bewegte sich Meile für Meile auf sein Ziel Indien zu.


Nach der ersten Oktoberwoche war die Stimmung in der Mannschaft am kritischen Punkt. Wären da nicht zufällig ein paar frische Zweige und ein bearbeiteter Holzstab am Schiff vorbeigetrieben, die der Mannschaft neuen Mut gaben: Wer weiß, wie alles geendet hätte. Wenige Tage später sichtete ein Matrose vom Bug des kleineren Begleitschiffes Pinta aus Land. Guanahani nannten die Eingeborenen ihre Insel. San Salvador taufte sie Columbus.


Und die Santa Maria? Zweieinhalb Monate später, ausgerechnet in der Weihnachtsnacht, steuerte Columbus, ihr Kapitän sie vor Hispaniola, dem heutigen Haiti und Dom Rep, auf eine Sandbank. Wir wissen nicht, ob er es war oder ein unaufmerksamer Seemann die Schuld trägt: Es war eine handfeste Grundberührung. Sie konnte sich nicht mehr freiwarpen. Columbus ließ den Großteil seiner Männer, etwa 35, mangels Transportmöglichkeit auf der Insel zurück. 
Ob die 35 gerne die Insel gegen das schwankende Schiff eintauschten? Schließlich waren sie nicht allein. Indios lebten in unmittelbarer Nachbarschaft. Man konnte Handeln. Und würde nicht verhungern. Um ihnen Hoffnung zu geben, ließ er sie aus den Trümmern der Santa Maria eine erste spanische Siedlung in der neuen Welt mit dem Namen La Navidad errichten. 
Als Columbus ein Jahr später die Niederlassung auf seiner zweiten Reise erreichte, war die Siedlung zerstört. Er fand ihre Besatzung tot. Berichte überliefern, die Indios hätten die Siedlung und alles Leben darin ausgelöscht; wobei nicht klar ist, ob die grausame Aktion nicht durch vorherige Übergriffe der Spanier auf die Indios ausgelöst worden war.


Bleibt noch zu erwähnen, dass man 2014 vor Haiti eine aufregende Entdeckung machte: Die Reste des Wracks der SANTA MARIA. Ob sie das wirklich war? Das: Ist nun wirklich eine andere Geschichte.








Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen